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WebWecker Bielefeld , 06.04.2005 :

25 Jahre Welthaus – Eine kleine Zeitreise

Ein Vierteljahrhundert gibt es jetzt das Welthaus Bielefeld. Die Anfänge der ursprünglich Dritte Welt Haus genannten Einrichtung sind für Viele ein Stück Geschichte, über das sie wenig wissen. Einen Rückblick bietet der folgende Bericht von Jörg Schaaber, der die Geschichte des Hauses von Anfang an miterlebt hat. Jörg Schaaber ist Geschäftsführer der BUKO-Pharmakampagne, die seit der Gründung des Welthauses ihr Büro im Welthaus hat. Schaaber ist auch für die Zeitschrift "Pharma-Brief" verantwortlich.

Von Jörg Schaaber

Am Anfang war stand ein Ruine – jedenfalls fast. Das Haus in der August-Bebel-Straße 62, das vor 25 Jahren zur Heimat des neu gegründeten Dritte Welt Hauses werden sollte, befand sich in einem beklagenswerten Zustand. Aus Sicht der damaligen Eigentümerin, der Landesentwicklungsgesellschaft, war das Gebäude ohnehin zum Abriss bestimmt. Es sollte als Teil der hochfliegenden Straßenbaupläne im Bielefeld der 1970er Jahre einer Rechtsabbiegspur weichen. Die damaligen Mieter, der Afrika-Arbeitskreis "Akafrik" und zwei Wohngemeinschaften, hatten sich zwar redlich Mühe gegeben, das Gebäude einigermaßen nutz- und bewohnbar zu machen, aber angesichts des maroden Zustands weiter Teile des Hauses war das ein fast nicht bewältigbare Aufgabe. Manche Böden waren durchgefault, die Fenster undicht und der Anbau war ein zugiger Lagerraum.

Die beiden Wohnungen im ersten und zweiten Stock beherbergten teilweise Mitglieder von "Akafrik", von denen einige später eine gewisse Prominenz erreichten. So gehörte zu den ehemaligen Bewohnern des Welthauses Michael Vesper, heute stellvertretender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Michael Vesper und Hans Verheyen, grüner Bundestagsabgeordneter der ersten Stunde und heute bei der NRW-Stiftung Umwelt und Entwicklung.

Erdgeschoss und Anbau des markanten Gebäudes standen für das neugegründete Dritte Welt Haus zur Verfügung, beziehungsweise mussten in einer großen Umbauaktion erst einmal nutzbar gemacht werden. Gemeinsames Arbeiten verbindet, das galt auch für den teilweise knochenharten Umbau. Erste gemeinsame Projekte entstanden: Der Laden als niedrigschwelliges Angebot und gleichzeitig als Vorzeigeobjekt für fairen Handel. Eine Bibliothek, die wichtige Werke zur Entwicklungspolitik der Öffentlichkeit zugänglich machte und gleichzeitig auch eine wichtige Funktion für die Hausgruppen hatte.

Das Haus wurde in der Gründungsphase praktisch vollständige von Ehrenamtlichen betrieben. Doch es gab ein starkes Bedürfnis, entwicklungspolitische Arbeit zur Hauptsache zu machen und sie nicht nur Abends oder neben dem Studium zu betreiben. Erste Hauptamtlichen Stellen konnten finanziert werden, teilweise als Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen des Arbeitsamtes, bald kamen weitere, aus heutiger Sicht zu Niedriglöhnen Beschäftigte hinzu.

Ein wichtiger Treffpunkt für viele Jahre war übrigens das gemeinsame Mittagessen. Es wurde reihum gekocht. Mit unterschiedlichem Erfolg: von Blockspagetthi – wegen fehlendem Umrühren – bis zum echten Leckerbissen war alles dabei.

Neue Gruppen entstanden: Die Frontstaatengruppe beispielsweise stellte einen Diskussionszusammenhang für Menschen her, die sich mit Ländern im südlichen Afrika befasste. Die El Salvador-Gruppe widmete sich zunächst mit Öffentlichkeitsarbeit und praktische Unterstützung der Lage salvadorenischer Flüchtlinge, die sich wegen des Bürgerkriegs ins benachbarte Honduras gerettet hatten.

Gemeinsame Aktionen und welthausspezifische Angebote spielten schon bald eine wichtige Rolle für die Außendarstellung des Hauses. Das reichte vom Kochkurs mit Speisen aus der Dritten Welt, über Mahnwachen vor der Deutschen Bank, die in die Apartheid tief verstrickt war bis hin zu kulturellen Veranstaltungen.

Linsen unter Druck

Der Kochkurs, der eine Zielgruppe ansprach, die sonst schwer für Entwicklungspolitik zu interessieren war, hatte bei allem Erfolg aber auch seine Tücken. So machte ein unsachgemäß geöffneter Dampfkochtopf mit Linsensuppe anschließend eine Renovierung der Küche nötig.

Gemeinsame Fahrten von Mitgliedern verschiedener Hausgruppen und Hauptamtlichen zu wichtigen Ereignissen prägten auch Gemeinsamkeiten. Das Spektrum reichte von Friedensdemos über den Gegenkongress zur Tagung des Internationalen Währungsfonds, der die Grundlage für die Entschuldungskampagne legte, bis hin zur Demo gegen das Atomkraftwerk Brokdorf. Alles Themen übrigens, die zu ihrer Zeit auch eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit des Hauses spielten.

Die Musik ließ auch nicht lange auf sich warten. Zunächst wurden MusikerInnen auf Initiative einzelner Gruppen eingeladen. Unvergesslich zum Beispiel die "Sounds of Soweto" mit ihrem Gummistiefel-Schuhplattler. Konzerte und Theaterstücke gab es immer häufiger. Schließlich entwickelte sich daraus das Kulturbüro als eigenständiger Arbeitsbereich, der die heute aus Bielefeld kaum mehr wegzudenkenden Weltnächte organisiert. Aus diesem Namen entstand letztlich auch der Impuls, das Dritte Welt Haus in Welthaus umzubenennen.

Zu Beginn des Dritte Welt Haus stand Solidarität und entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund. Die Hausgruppen machten auf die Lage "ihrer" Länder aufmerksam. Daneben standen allgemeine Themen wie eine Kritik der staatlichen Entwicklungspolitik, die Strukturanpassungspolitik des Internationalen Währungsfonds und die Verschuldung der armen Länder im Mittelpunkt. Schon früh waren direkte Kontakte mit dem Süden geknüpft. Hier nur zwei Beispiele: Zwischen der Nululeko-Farmschule in Zimbabwe und der Gesamtschule Schildesche wurde eine Schulpartnerschaft geknüpft, die über mehrere Jahre zu einem lebhaften SchülerInnenaustausch führte.

Annäherungen an "Radikalinskis"

Die Nicaragua-Solidarität mündete in die Städtepartnerschaft mit Esteli. Letzteres war ein durchaus schwieriger Prozess, da die Kommunalpolitik doch erhebliche Schwierigkeiten hatte, sich den "Radikalinskis" aus dem Welthaus zu nähern. Aus der Solidaritätsarbeit entstanden im Laufe der Zeit die zahlreichen Entwicklungshilfeprojekte des Hauses. Vielleicht hat neben der immer professionelleren Öffentlichkeitsarbeit auch diese handfeste Arbeit über die Jahre nicht wenig zum Ansehen des Welthauses in der Stadt und weit darüber hinaus beigetragen.

Relativ bald nach Gründung des Hauses begann auch die gezielte Arbeit mit LehrerInnen und SchülerInnen mit thematischen Wochen. So gab es beispielsweise Mitte der 1980er Jahre ein Woche zu "Politischen Flüchtlingen in der BRD". Dazu wurden Begegnungen mit Asylsuchenden, Referate und ein Stadtspiel geboten, bei dem die SchülerInnen die Stationen besuchten, die auch AsylbewerberInnen durchlaufen müssen. Aus solchen Angeboten entwickelte sich die Mediothek und die heute äußerst beliebten Bildungsprogramme. Mein Lieblingstitel dabei ist immer noch "Wo wächst die Schokolade?". Mit Unterrichtseinheiten, dem "Atlas der Weltverwicklungen", entwicklungspolitischen Spielen und Aktionskoffern stieß das Welthaus in eine echte Marktlücke und wurde überregional bekannt.

Diskussionen mit Leidenschaft

Die interne Organisation des Hauses war zu Anfang stark von basisdemokratischen Strukturen geprägt, alle konnten in der vierzehntägigen Hausversammlungen mitreden. Es wurde in wechselnder Zusammensetzung viel, lang und mit Leidenschaft diskutiert. Der Vereinsvorstand spielte, abgesehen von der Vertretung nach außen, eine untergeordnete Rolle. Dazu kamen wöchentliche MitarbeiterInnenbesprechungen, die mit der wachsenden Zahl der Hauptamtlichen und damit Aufgabenbereiche zu echten Marathonsitzungen wurden. Das waren nicht immer einfache Zeiten, aber alle haben eine Menge gelernt in dieser Zeit. Mit externer Hilfe wurde 1989 ein neues Modell beschlossen, ein Hausgremium mit jeweils zwei gewählten Mitgliedern aus jeder Gruppe und zwei MitarbeitervertreterInnen. Aus dem Kreis der Hauptamtlichen wurden drei GeschäftsführerInnen gewählt. Auch diese Struktur ist inzwischen längst Geschichte.

Viele Konflikte konnten auf zufriedenstellende Weise gelöst werden, aber manch wichtiger nicht. Dazu gehörte die Auseinandersetzung um die Quotierung von Stellen. Als eine neue Stelle – entgegen den Vereinbarungen – nicht mit einer Frau besetzt werden sollte, war das Maß voll. Das kam zu einem heftigen Eklat, der Gründung einer Frauengruppe im Haus und letztlich zum endgültigen Auszug mehrerer aktiver Frauen.

Zur Arbeitsorganisation und Technik gibt es auch einiges zu sagen. Arbeitsteilung galt in der Anfangszeit als unchic, alles was nach vertikaler Arbeitsteilung aussah war verpönt. Also galt es nicht nur zum Beispiel zu recherchieren und einen Rundbrief zu schreiben, selbstverständlich musste er auch selbst eingetütet werden und zur Post getragen werden, zwischendurch wurde noch schnell Klo oder Küche geputzt. Das hatte zwar einen gewissen Charme, war aber nicht immer sehr effektiv.

Blechplatte gegen Strahlung

Ja und die Technik. Was jüngeren LeserInnen bare Selbstverständlichkeit ist, nämlich leistungsfähige Computer, gab es zu Anfang der Welthaus-Zeit noch nicht. Schreibmaschine war angesagt – immerhin schon elektrisch. Korrekturflüssigkeit wurde reichlich gebraucht und Layout fand mit Schere und Klebstoff statt. Erster Fortschritt war eine gebrauchte Kugelkopfschreibmaschine eines bekannten deutschen Herstellers, zum Glück mit Wartungsvertrag erworben. Der Techniker, der bald im Schnitt alle 14 Tage zum Reparieren kam, war nett und trank gern mit uns Kaffee. Nach nicht ganz einem Jahr nahm die Firma die Maschine bereitwillig zurück und erstattete den Kaufpreis.

Die nächste Maschinengeneration mit 30 Zeichen-Display war dann ein echter Technologiesprung, aufgerüstet konnte man kurze Texte sogar speichern und mit einiger Geduld auch wieder abrufen. Die Anschaffung des ersten "echten" Computers war dann keineswegs unumstritten. Ein misstrauischer Kollege fertigte eine dicke Blechplatte mit kleinem Sehschlitz für den Monitor – wegen der Strahlung. Er hatte bei den damaligen Werten gar nicht so unrecht.

Einen Einschnitt brachte das Jahr 1986. Die Stadt hatte ihre Straßenpläne an der Paulusstraße aufgegeben und die Landesentwicklungsgesellschaft bot das Haus zum Verkauf an. Das war eine echte Bedrohung: Würde ein Käufer das Welthaus dulden, wäre die Miete überhaupt noch zu bezahlbar? Es entstand die Idee, das Haus selbst zu kaufen. Das bedeutete aber auch eine Antwort auf die Frage zu geben: Sind wir in der Lage und Willens das Haus langfristig weiterzuführen? Die nächsten Monate brachten ein enormes Engagement von Haupt- und Ehrenamtlichen. Eine wurde erfolgreiche Spendenkampagne organisiert und die Evangelische Kirche trug mit einem nicht rückzahlbaren Darlehen den notwendigen Rest bei, so dass das Haus Ende 1988 gekauft werden konnte.

Relativ kurz nach diesem Erfolg standen wir vor einem neuen Problem: Die erste Etage des Haupthauses, die die damalige Mieterin gekauft hatte, stand plötzlich zum Verkauf. Nach so kurzer Zeit noch einmal eine Spendenkampagne aufzulegen war undenkbar. Die BUKO Pharma-Kampagne, die mehr Platz brauchte und bereits fertige Ausbaupläne für den Dachboden hatte, organisierte, dass eine Berliner Stiftung diese Etage kaufte und zu einer niedrigen Pacht langfristig dem Welthaus überlies. Das beinhaltet auch das gute Gefühl, dass die Miete an die Stiftung fließt und von ihr direkt guten Zwecken zugeführt wird.

Eine besondere Geschichte ist auch mit dem Wandgemälde verbunden, das auch noch nach vielen Jahren als bunt leuchtendes Erkennungszeichen des Hauses wirkt. Entstanden ist es im Rahmen der Aktionen zu "500 Jahre Eroberung Lateinamerikas" als Gemeinschaftswerk einer mexikanischen und zweier Bielefelder KünstlerInnen. In der Planungs- und Produktionsphase gab es einen intensiven Kontakt zu den KünstlerInnen, die zum Teil fast im Hause lebten. Beinahe wäre aber alle Mühe umsonst gewesen, denn die Stadt Bielefeld wollte die Bemalung des Hauses untersagen. Sie war politisch nicht bei allen erwünscht. In zähen Verhandlungen gelang es doch noch, die Verantwortlichen zu überzeugen. Zur Einweihung erschien dann sogar der städtische Baudezernent.


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