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Deister- und Weserzeitung , 06.04.2005 :

6. April: Der Tag, an dem die Alliierten kamen / Heute vor 60 Jahren wurde Bodenwerder besetzt / Gefechte in Kemnade / Brücken gesprengt

Bodenwerder (as/dy). Von der Ottensteiner Hochebene ist aus weiter Ferne das Dröhnen der Panzer zu hören, Heyen ist bereits besetzt - immer näher rückt der Feind auf Bodenwerder vor. Die meisten Einwohner flüchten in die Berge und Wälder, der Bergschacht im Felsenkeller, der als Luftschutzkeller dient, ist ebenso überfüllt wie der Luftschutzkeller im Rathaus. Es ist Freitag, der 6. April 1945. Deutsche Soldaten bringen in den frühen Morgenstunden hektisch Sprengladungen an der 1933/34 erbauten Weserbrücke an, die Eisenbahnbrücke und die Brücke über den Mühlengraben hatten deutsche Truppen bereits gesprengt. Die Telefonleitungen sind zerstört, Bodenwerder ist von der Außenwelt abgeschnitten. Die Stadt wartet, wartet auf den unmittelbar bevorstehenden Vorstoß der Alliierten.

Am Nachmittag rollen die ersten feindlichen Panzerüber Hohe und Brökeln Richtung Kemnade. Volksfront und die noch verbliebene Wehrmacht eröffnen das Feuer, nehmen die Alliierten vom Hakenberg und vom Eckberg aus mit Geschützen unter Beschuss. Der Kampf dauert einige Stunden. Mehrere Häuser stehen in Flammen - Kemnade ist besetzt. Die deutscheWehrmacht zieht sich in den Vogler zurück, sprengt zuvor noch die Weserbrücke, um ein Vordringen des Feindes von der rechten Weserseite zu verhindern.

Aus den Kemnader Wäldern rückt unterdessen amerikanische Infanterie in Richtung Münchhausen-Berggarten und Rathaus vor. Die Verwaltungsräume werden durchsucht, das Münchhausenmuseum gewaltsam geöffnet - wertvolle Stücke werden vernichtet oder gestohlen. Feldwebel Werner Thiede aus Grone ist der letzte, der den Amerikanern noch Widerstand leistet. Das kurze Gefecht am Münchhausenplatz endet für ihn auf der Treppe des Hotels "Deutsches Haus" tödlich. Die alliierten Truppen durchsuchen fast jedes Haus - nur in den Wäldern des Voglers wird noch gekämpft. In der Nacht rücken Kampftruppen über eine errichtete Brücke Richtung Halle vor, stoßen dort auf keinerlei Widerstand. Richard Sievers aus Halle erinnert sich an Straßensperren und Kekse von den Amerikanern, "die nicht schmeckten". Der 73-Jährige wohnt heute noch in seinem Elternhaus, in dem er als 13-Jähriger den Krieg erlebt hat. Am 5. April wurde eine Straße mit einem Lkw gesperrt. Neugierig ist der 13-jährige Richard hingegangen. "Der ganze Lkw war voller blau- und rot-weiß karierter Stoffe", weiß er heute noch und erzählt schmunzelnd, dass jahrelang überall Bettwäsche und Schürzen in diesen Farben auf den Leinen flatterten. Er habe damals nichts mehr abbekommen, alles sei schon weg gewesen. Wichtig war zu der Zeit auch, keine Türen abzuschließen. "Offene Türen wurden nicht kaputt gemacht", erklärt der Rentner. An einen "Besuch" der Amerikaner in seinem Elternhaus erinnert er sich - die Haustür war leider verschlossen und somit später kaputt. Dem kleinen Jungen und seinen Eltern passierte nichts, nur alle Familienfotos mit Menschen in Uniform haben die Soldaten zerrissen. "Am 7. April war kein Amerikaner mehr zu sehen", so Richard Sievers.

Wie Sievers erinnern sich vor allemältere Bürger der Samtgemeinde noch an den schicksalhaften Tag heute vor 60 Jahren. Der Verwaltungsangestellte Karl Brandt hatte 1949 die Ereignisse der Kriegszeit in Bodenwerder detailliert berichtet, der frühere Heimatpfleger Ludwig Bode verwendete den Bericht für seine Chronik der Münchhausenstadt. Dargestellt ist dort auch die Hinrichtung des Lemgoer Bürgermeisters Wilhelm Gräfer. Auf Befehl von deutschen Offizieren wurde er am Vortag des alliierten Einmarsches auf dem Marktplatz bei der Kirche erschossen, seine Leiche an einem Baum aufgehängt. Ihm war vorgeworfen worden, Lemgo durch das Hissen einer weißen Fahne kampflos dem Feind ausgeliefert zu haben. Seit 1972 erinnert eine Gedenktafel an der Stadtkirche an die Gräueltat.


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