www.hiergeblieben.de

WebWecker Bielefeld , 30.11.2005 :

(Bielefeld) Wir basteln uns eine Verschwörung

Die rechte Bielefelder Burschenschaft Normannia-Nibelungen lud für das vergangene Wochenende zur I. Bielefelder Ideenwerkstatt. Thema war "Der Kapitalismus – Kritik und Alternative". Vortragende waren drei Herren, die einige Berührungspunkte zur extremen Rechten aufweisen. Das Westfalen-Blatt berichtete dennoch sehr positiv über die Zusammenkunft.

Von Mario A. Sarcletti

Spätestens seit Hartz IV ist Kapitalismuskritik in rechtsextremen Kreisen wieder en vogue. So bezeichneten sich die Neonazikader Thorsten Heise, Ralph Tegethoff und Thomas Wulff in einer Erklärung zu ihrem Beitritt zur NPD als "Nationale Sozialisten", die Rede vom "schaffenden", also deutschen, und dem "raffenden" Kapital, dem US-amerikanischen, gehört inzwischen wieder zu den Allgemeinplätzen der Rechtsextremen.

Ganz ähnlicher Kapitalismuskritik widmete sich am vergangenen Wochenende die "I. Bielefelder Ideenwerkstatt", die die Burschenschaft Normannia-Nibelungen am vergangenen Wochenende veranstaltete. "Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Überschusskapitals", heißt es in der Einladung zu dem Seminar, die in der vergangenen Woche in der Uni auslag. Woher dieses Überschusskapital stammt, machen die Veranstalter dieser Ideenwerkstatt auch klar: "Die Milliarden Dollars sind auf der Suche nach profitablen Übernahmemöglichkeiten", verweist die Einladung zu dem Seminar darauf, wo das "raffende Kapital", herkommt. In der Veranstaltung wurde die Verantwortung nach Angaben des Westfalen-Blatts noch genauer benannt: "Es ist in erster Linie die Hochfinanz mit US-Administration in ihrem Gefolge, die von der durch kein Rechtssystem zu kontrollierende Globalisierung profitiert", habe einer der Referenten erzählt. Der Verweis auf die "Hochfinanz" gilt in rechtsextremen Kreisen als Chiffre für "die Juden".

Die Opfer dieser "Attacke" sind für die Veranstalter der Ideenbörse – ein presserechtlich Verantwortlicher für das auch in der Uni-Mensa verbreitete Flugblatt wird darin nicht benannt – alle, die Klasse wird zugunsten der Nation aufgehoben: "Betroffen von der resultierenden Unsicherheit sind Arbeiter genauso wie Vorstandsvorsitzende", finden die Bielefelder Burschen. Eine Diskussion "dieser Probleme finde stets nur unter politisch korrekten Vorzeichen statt", haben sie herausgefunden und "sich zum Ziel gesetzt, diese Denkbarrieren zu durchbrechen".

Die drei Herren, die helfen sollten das Ziel zu erreichen, waren Johannes Jenetzky, Vorsitzender des Deutschen Freiwirtschaftsbundes, Eberhard Hamer, ehemaliger Dozent an der Fachhochschule Bielefeld und Johannes Rogalla von Bieberstein, Bibliothekar im Ruhestand, der mit seinem Buch "Jüdischer Bolschewismus – Mythos und Realität" eine Vorlage für die Skandalrede des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann lieferte. Bieberstein wurde bei der Ideenwerkstatt mit dem Thema "Kapitalismus im Lichte von Verschwörungstheorien" angekündigt.

Verschwörung ist auch ein Thema für die beiden anderen Herren. Für Eberhard Hamer haben sich unter anderem Gewerkschaften und – genau – das Großkapital gegen das deutsche Volk verschworen. Die geben nämlich, wie Hamer im Ostpreußenblatt schrieb, vor, "welche Themen im Wahlkampf ausgeschlossen werden ... und was mit Hilfe der von den gleichen Machtgruppen gesteuerten Medien als 'öffentliche Meinung' gilt, 'politisch korrekt' ist und von allen sogar bei Androhung von Strafen öffentlich geäußert oder nicht einmal gedacht werden darf". In einem anderen Artikel macht Hamer deutlich, warum seiner Meinung nach die Wahrheit nicht ans Licht kommt: "Man wird dies als 'Verschwörungstheorie' oder als 'Antiamerikanismus' oder sogar als 'Antisemitismus' (Rothschild) abtun oder solche Veröffentlichungen ganz zu verhindern versuchen, denn immerhin gehören der US-Hochfinanz auch wesentliche Teile der Print- und Bildschirmmedien überall in der Welt."

In der EU sieht Hamer, der auch für die rechte Wochenzeitung "Junge Freiheit" Beiträge schrieb und sich im "Bund freier Bürger" betätigte, Parallelen zum "kommunistischen Rätesystem". Das Großkapital habe zudem den Euro gefordert. Seit dessen Einführung kann sich, so Hamer, "jeder Bürgermeister auf Sizilien statt mit weicher Lira nun mit zumindest anfangs noch harten Euro bedienen".

Großindustrie lockt Asylbewerber

Aufgrund der Osterweiterung sieht Hamer, der als "Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen" angekündigt wurde, "eine neue Völkerwanderung vor allem nach Deutschland einsetzen". Aber nicht nur Zuwanderer aus Osteuropa hat Deutschland einer Verschwörung zu verdanken, auch Asylbewerber werden von ihr hierhin gelockt. Denn: "Die Großindustrie wünscht für ihre Massenprodukte immer größere Käufermassen mit allseitigen Bedürfnissen und Zusatzangebot an Arbeitskräften. Und die Sozialfunktionäre wollen Betreuungspotential. Diesen Hintergrund haben die Asylprobleme", hat der Herr Hamer herausgefunden. Die Rechnung ist für ihn einfach: "Je mehr Asylanten, desto mehr Betreuungsfunktionäre."

Auch Johannes Jenetzky sieht eine Verschwörung gegen Deutschland, hat aber Hoffnung, dass die nicht ewig wehrt. In einem Leserbrief an die verschwörungstheoretische Zeitschrift CODE lobte er diese nach Angaben der antifaschistischen Zeitschrift Lotta: "CODE steht für historische Wahrheit. Der große Morgen wird ohne die Illuminaten und die Christen des paulinistischen Glaubensbekenntnisses aufsteigen", formulierte er da. Er ist sich sicher: "Die Geschichtsrevision zertrümmert alle Lügen gegen das deutsche Volk."

Die inzwischen eingestellte Zeitschrift hatte Kontakte zum Freiwirtschaftsbund, dessen Vorsitzender Jenetzky ist. Die Freiwirtschaftsbewegung entstand Anfang des 20. Jahrhunderts und hatte auch viele Anhänger unter den Nationalsozialisten, wie etwa die Brüder Strasser. Auch nach dem Dritten Reich hatte die sozialdarwinistische und in Teilen rassistische und antisemitische Freiwirtschaftsbewegung Verbindungen nach rechts außen, etwa zum Weltbund zum Schutz des Lebens (WSL). Da ist es kein Zufall, dass 1983 der damalige Präsident der freiwirtschaftlichen "Internationalen Vereinigung für natürliche Wirtschaftsordnung" im Collegium Humanum in Vlotho, der Heimstatt des WSL, zu Gast war.

In einer weiteren Zeitschrift aus dem Umfeld der Freiwirtschaftsbewegung wurde bereits 1934 eine These zum Besten gegeben, die auch bei der Ideenwerkstatt im Haus an der Schlosshofstraße vertreten wurde. Hans Timm schrieb damals in der "Letzten Politik", dass die Juden an ihrer Verfolgung selbst schuld wären. Genau darum geht es in "Jüdischer Bolschewismus – Mythos und Realität", dem Buch von Johannes Rogalla von Bieberstein, das 2003 in der rechten Edition Antaios erschien. Der Autor des Westfalen-Blatts, Matthias Meyer zur Heide, fasst in seinem Bericht über die Ideenbörse das Buch so zusammen: Darin "versuchte der ehemalige Bibliothekar der Uni Bielefeld anhand zahlreicher Beispiel zu zeigen, dass Europas Außenseiter, die Juden, im Sozialismus/Kommunismus einen Ausweg aus ihrer Misere gesehen hätten. Dies habe den Hass in der Bevölkerung bis zur NS-Judenvernichtung gesteigert", schreibt Meyer zur Heide.

Der hat sich die Thesen der drei Herren offensichtlich zu eigen gemacht. Im ersten Absatz seines Artikels stellt er fest: "Die Welt (und mit ihr Deutschland) steht unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Abhilfe verspricht nur die Freiwirtschaftslehre." Besser hätten es auch die Referenten nicht formulieren können. Eberhard Hamer wurde nach Angaben des Westfalen-Blatts nur etwas konkreter: "In fünf Jahren haben wir den Bankrott des Kapitalismus hinter uns", soll er im Haus der Normannia-Nibelungen versprochen haben.

Dort stehen indes die nächsten großen Termine vor der Tür: Am Donnerstag referiert der Harald Lönnecker von der Deutschen Burschenschaft über "Konservative Revolution und Studentenschaft 1918 – 1933". Am 21. Januar gibt es dann an der Schloßhofstraße ein ganz besonderes Geburtstagsfest: Mit einer Reichsgründungskneipe wollen die Burschen die Gründung des Deutschen Reichs vor 135 Jahren feiern.


webwecker@aulbi.de

zurück