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Schaumburger Nachrichten Online , 08.01.2016 :

Interview mit Thorsten Garbe / "Auf dem rechten Auge nicht blind"

08.01.2016 - 18.48 Uhr

Kommende Woche beginnt vor dem Landgericht ein weiterer Antifa-Prozess, diesmal mit nur einem Angeklagten. In mehreren Fällen soll der Heranwachsende Neonazis beleidigt, bedroht und angegriffen haben. Thorsten Garbe, der Sprecher des Landgerichts, erklärt im Interview mit unserer Zeitung die Notwendigkeit von Kontrollen und reagiert auf Kritik der Antifa, das Neonazi-Problem werde heruntergespielt.

Bückeburg (ly). Anberaumt sind sieben Verhandlungstage. In einem vorausgegangenen Sammelprozess gegen sechs Linke waren sämtliche Verfahren eingestellt worden. Nur in einem Fall kam es dabei zu Sanktionen, ein 20-Jähriger soll 100 Stunden gemeinnützig arbeiten. Um Krawalle zu vermeiden, hatten Polizei und Justiz ihre Sicherheitsvorkehrungen damals verschärft. Entsprechende Vorwürfe hatten auch die Verteidiger erhoben.

Herr Dr. Garbe, beim ersten Antifa-Prozess im November waren zeitweise bis zu 40 Polizisten und Wachtmeister im Einsatz, Männer und Frauen. Der Saal war voll, doch alles blieb friedlich. Ist der personelle Aufwand überhaupt nötig?

Die Polizeibeamten waren auf Grund einer Entscheidung der Polizei vor Ort, weil für die angesetzten Verhandlungstage jeweils eine Demonstration mit bis zu 100 Personen angemeldet war. Sobald die Einsatzleitung der Polizei zu der Einschätzung gekommen war, dass die Demonstration beendet ist, sind die Polizeibeamten abgezogen worden, auch wenn die Verhandlung noch andauerte.

Und was ist mit den Wachtmeistern?

Justizwachtmeister sind in allen Schaumburger Gerichten ständig vor Ort.

Werden wieder alle Zuhörer am Eingang durchsucht?

Sicherheitskontrollen sind in den Gerichten gang und gäbe und unser tägliches Brot. Sie dienen dem Schutz aller Verfahrensbeteiligten. Es ist gut möglich, dass es wieder Einlasskontrollen geben wird, denn solche Maßnahmen gibt es nicht nur für bestimmte Prozesse, sondern sie finden im zunehmenden Maße auch anlassunabhängig statt. In unserem Nachbarland Nordrhein-Westfalen beispielsweise sind tägliche Einlasskontrollen bereits der Normalfall. Beim ersten Sammelprozess haben sich einige Besucher geärgert, dass die Parkplätze direkt vor dem Justizgebäude gesperrt waren.

Wird das wieder so sein?

Die Stadtverwaltung hat die Parkplätze vor dem Gericht gesperrt, um Raum für die angemeldeten Demonstrationen zu schaffen und zugleich den fließenden Verkehr auf der Herminenstraße aufrecht zu halten.

Sind denn wieder Demonstrationen angemeldet?

Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand ist das nicht der Fall.

Viele Linke fühlen sich von Polizei und Justiz ungerecht behandelt. Im Internet kritisiert die Antifa, dass rechte Angriffe entweder gar nicht oder nur halbherzig verfolgt würden und das Neonazi-Problem heruntergespielt werde. Stimmt das?

Für die Bückeburger Justiz schließe ich aus, dass sie rechte Gewalt verharmlost. Die Bückeburger Justizbehörden sind auf dem rechten Auge nicht blind oder kurzsichtig, sondern sie verfolgen rechte Gewalt konsequent. Richtig ist, dass sich die deutsche Justiz in der Vergangenheit bei der Aufarbeitung von Nazi-Unrecht nicht mit Ruhm bekleckert hat. Das hat sich inzwischen aber deutlich gewandelt.

Zum Beispiel?

Ich verweise beispielsweise auf das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom Juli 2015, in dem ein SS-Aufseher aus Auschwitz wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilt wurde. Oder ganz aktuell der "Abschiebär"-Fall aus Hannover, bei dem zwei Mitglieder der Vereinigung "Besseres Hannover" vom Landgericht Hannover wegen Volksverhetzung zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Linke nehmen für sich selbst ein Recht auf antifaschistischen Selbstschutz in Anspruch. Ist das "legitim und notwendig", wie die Antifa schreibt? Oder ist es Selbstjustiz?

Gewalt ist kein erlaubtes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Niemand hat das Recht, seine politische Position unter Berufung auf eine höhere Moral mit Gewalt durchzusetzen. Die Motive der Gewaltanwendung können in einem demokratischen Rechtsstaat nur bei der Bemessung der konkreten Rechtsfolge berücksichtigt werden.

Sie meinen die Höhe der Strafe?

Genau.

Gewalt der Neonazis und antifaschistischer Widerstand würden gleichgesetzt, lautet ein weiterer Vorwurf der Linken. Der Widerstand werde massiv kriminalisiert. Müssen vor dem Gesetz alle Menschen gleich behandelt werden?

Unser Grundgesetz sagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Diese Gleichheit ist ein wesentlicher Pfeiler unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Straftaten sind zu verfolgen - egal, wer sie begangen hat.

Bildunterschrift: "Gewalt ist kein erlaubtes Mittel der politischen Auseinandersetzung": Thorsten Garbe, Vizepräsident und Sprecher des Landgerichts.

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Schaumburger Nachrichten Online, 29.11.2015:

Prozess in Bückeburg / Etappensieg für die Antifa

29.11.2015 - 10.28 Uhr

Im Prozess gegen ursprünglich sechs Linke hat die Justiz auch das letzte Verfahren eingestellt. Der noch verbliebene Angeklagte (20) muss 100 Stunden gemeinnützig arbeiten, dann ist die Sache erledigt.

Bückeburg (ly). Die Kosten trägt die Landeskasse - genau wie in fünf anderen Verfahren, die bereits zuvor eingestellt worden waren (wir berichteten).

Zweieinhalb Jahre nach einer Prügelei in der Bückeburger Fußgängerzone hält die 1. Große Jugendkammer des Landgerichts eine Verurteilung des 20-Jährigen für "entbehrlich" und setzt stattdessen auf Sozialstunden als erzieherische Maßnahme, wie der Vorsitzende Richter Norbert Kütemeyer erklärte. Vorausgegangen war ein Rechtsgespräch der beteiligten Juristen.

Das Gericht geht davon aus, dass der angeklagte Linke an jenem 14. Juni 2013 mit einem Faustschlag die Lippe eines Heranwachsenden getroffen hat, der dem rechten Lager zugerechnet wird. Zum Schluss hatte der Angeklagte drei Verteidiger. Zwei Anwälte, gegen deren Mandanten die Verfahren zuvor eingestellt worden waren, vertraten ihn zusätzlich als Wahlverteidiger.

Von der Anklage ist indes nicht viel übrig geblieben. Bereits vor der Einstellung war der schwerste Vorwurf vom Tisch. Angeblich hatte der 20-Jährige einer Schwangeren vor einem Imbiss beide Arme in den Bauch gestoßen. Dies hat sich nicht bestätigt.

Von vier Belastungszeugen, die zur rechten Szene gehören oder gehört haben sollen, waren zwei vor Gericht eingeknickt. Beide gaben zu, in früheren Vernehmungen bei der Polizei gelogen zu haben. Sie wollen unter dem Druck der rechten Szene falsch ausgesagt haben. Zum Vorwurf, eine Schwangere sei angegriffen worden, erklärte einer von ihnen im Prozess: "Ich sollte sagen, dass sie in den Bauch geschubst wurde." Zwei weitere Zeugen hatten widersprüchlich ausgesagt, darunter auch die junge Frau, heute Mutter eines Kindes. Mehrfach hatten Anwälte die Arbeit der Polizei kritisiert. So soll ein Rechter im Vorfeld der Hauptverhandlung versucht haben, seine belastende Aussage zu korrigieren, ohne jedoch auf der Wache Gehör zu finden.

Feiern darf die Antifa den Ausgang des Prozesses zunächst nur als eine Art Etappensieg. Bereits im Januar geht es weiter. Verhandelt wird dann wiederum vor 1. Großen Jugendkammer am Landgericht. Bloß der Rahmen fällt etwas kleiner aus: Auf der Anklagebank sitzen zwei der jungen Männer, deren Verfahren jetzt eingestellt worden sind. Es geht um neue Vorwürfe. Unter anderem sollen Neonazis bedroht und verfolgt worden sein, ein Mädchen mit Kakao übergossen. In einem Fall, so heißt es, sei Reizgas im Spiel gewesen. Zusammengefasst sind die Taten in vier Anklagen. Später, vermutlich noch im 1. Halbjahr 2016, folgt dann wieder ein Sammelprozess in größerer Besetzung, nämlich mit voraussichtlich vier Angeklagten. Dann wird über acht Anklagen verhandelt.

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Schaumburger Nachrichten Online, 24.11.2015:

Nur noch ein Angeklagter übrig

24.11.2015 - 11.51 Uhr

Da ist es nur noch einer gewesen: Im Prozess gegen sechs Linke, die sich in der Fußgängerzone mit einer Gruppe mutmaßlich Rechter geprügelt haben sollen, hat die Justiz gestern fünf Verfahren auf Kosten der Landeskasse eingestellt.

Bückeburg. Zuvor hatte die Anklageschrift weitere Risse bekommen und droht nun einzustürzen wie ein Kartenhaus. Erneut ist ein Belastungszeuge eingeknickt.

Der junge Mann gehörte früher zum rechten Lager und will zwischenzeitlich ausgestiegen sein. Er gab zu, in vorausgegangenen Vernehmungen bei der Polizei die Unwahrheit gesagt zu haben. Auf die Frage, ob ihm jemand aus der rechten Szene gesagt habe, was er sagen solle, antwortete der Zeuge: "Teilweise ja." Namen nannte er nicht.

Ein besonders schwerwiegender Vorwurf betrifft eine damals Schwangere. In der Anklageschrift heißt es, dass ein Linker der Bückeburgerin (26) vor einem Imbiss in der Fußgängerzone beide Arme in den Bauch gestoßen und gesagt habe: "Na, schwanger? Hoffentlich verlierst du es."

In diesem Punkt hat der Zeuge offenbar gelogen. "Ich sollte sagen, dass sie in den Bauch geschubst wurde", erklärte er gestern. Bei der Polizei hatte er vorgegeben, dies sogar mit eigenen Augen gesehen zu haben. Mehr als einmal verstrickte sich der junge Mann, der auf Distanz zur rechten Szene gegangen sein will, darüber hinaus in Widersprüche. "Der Zeuge hat heute eine seiner schwersten Stunden", meinte daraufhin Verteidigerin Anemone Wiehe-Faßhauer.

Auch die Schwangere gehörte damals zur rechten Szene, ist heute aber nach eigener Darstellung "nicht mehr aktiv". Die 26-Jährige, gestern von der 1. Großen Jugendkammer am Bückeburger Landgericht als Zeugin vernommen, widersprach sich ebenfalls. Gegenüber der Polizei hatte sie noch behauptet, der Linke habe "Hoffentlich verlierst du es" gesagt, während er sie in den Bauch geschlagen habe. Gestern korrigierte sie: "Ich glaube, das war vor dem Schlag." Dass sie geschlagen worden sei, behauptet die Frau weiterhin. Sie will dies "aus den Augenwinkeln gesehen" haben.

Bereits am vorausgegangenen Verhandlungstag hatte ein Belastungszeuge einen Rückzieher gemacht. Nachdem der Heranwachsende in ersten polizeilichen Vernehmungen zu Protokoll gegeben hatte, alle sechs Angeklagten an jenem 14. Juni 2013 in Aktion gesehen zu haben, konnte er sich vor Gericht plötzlich nicht mehr erinnern. Teilweise räumte er sogar ein, gelogen zu haben.

Was mit dem noch verbliebenen Angeklagten (20) geschieht, blieb gestern zunächst offen. Nach einem Rechtsgespräch aller beteiligten Juristen erklärte Richter Norbert Kütemeyer, Vorsitzender der Jugendkammer, eine Einstellung des Verfahrens komme "im Moment" nicht in Betracht. Ausgeschlossen erscheint dieses Prozedere damit nicht.

Für den Antifa-Prozess macht die Justiz Überstunden. Gestern wurde noch verhandelt, obwohl das Gerichtsgebäude schon seit mehr als zwei Stunden geschlossen gewesen wäre.

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Schaumburger Nachrichten Online, 20.11.2015:

Sechs Linke vor Gericht / Belastungszeuge knickt im Prozess ein

20.11.2015 - 20.20 Uhr

Die Antifa wittert Morgenluft: Im Prozess gegen sechs Linke hat ein wichtiger Belastungszeuge, der früher zum rechten Lager gehört haben soll, einen Rückzieher gemacht.

Bückeburg. In ersten polizeilichen Vernehmungen hatte der Heranwachsende sinngemäß zu Protokoll gegeben, alle sechs Männer in Aktion gesehen zu haben. Vor der 1. Großen Jugendkammer am Bückeburger Landgericht erklärte der Zeuge jetzt, sich nicht mehr erinnern zu können.

In einem Punkt räumte er sogar ein, gelogen zu haben. Anfangs hatte der junge Mann behauptet, einer der Linken habe während der Auseinandersetzung vor einem Imbiss in der Fußgängerzone zum Pfefferspray gegriffen, die Flasche aber verkehrt herum gehalten und das Gas selbst ins Gesicht bekommen. Jetzt gab der Heranwachsende zu, dass er es war, der Pfefferspray eingesetzt hat - und nicht der Linke.

Die Glaubwürdigkeit des Zeugen, der sich selbst als Aussteiger bezeichnet, könnte damit erschüttert sein, ein Teil der Anklage wackelig. Zwei der Angeklagten werden ausschließlich von ihm belastet. Richter Norbert Kütemeyer hat Staatsanwalt Nils-Holger Dreißig bereits gebeten zu prüfen, ob Dreißig nun einer Einstellung dieser beiden Verfahren zustimmen könne.

Vernehmen will die Kammer noch drei weitere Belastungszeugen. Darunter ist auch eine junge Frau, die zur mutmaßlichen Tatzeit im Juni 2013 schwanger war. Einer der Linken soll ihr beide Arme in den Bauch gestoßen und gesagt haben: "Na, schwanger? Hoffentlich verlierst du es." So steht es zumindest in der Anklageschrift. Am jüngsten Verhandlungstag hatte sich die Frau krank gemeldet. In einem weiteren Fall soll ein Rechter eine Bratpfanne aus einem Antiquitätengeschäft auf den Kopf bekommen haben. Zwei andere Männer, so heißt es weiter, seien von jeweils mehreren Linken mit Fäusten verprügelt worden.

Nach dem bisherigen Zeitplan sollen die Urteile am 7. Dezember verkündet werden. Speziell in der linken Szene findet der Prozess großes Interesse. Der Saal ist stets voll. Am Eingang bildet sich meistens eine Schlange, weil alle Zuschauer eine Sicherheitsschleuse passieren müssen. Zuletzt waren rund 40 Sicherheitskräfte im Einsatz.

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Schaumburger Nachrichten Online, 20.11.2015:

Prozess / Anwalt wirft Polizei Versagen vor

20.11.2015 - 14.38 Uhr

Der Prozess gegen sechs Linke, die in der Bückeburger Fußgängerzone eine ebenfalls sechsköpfige Gruppe aus dem rechten Lager angegriffen haben sollen, wird zunehmend politisch. In einer am Donnerstag verlesenen Erklärung hat Rechtsanwalt Paulo Dias, der Verteidiger des Hauptangeklagten, Polizei, Politik und Verwaltung Versagen vorgeworfen.

Bückeburg (ly). Gemeint war der von der Polizei so bezeichnete Rechts-Links-Konflikt.

Dias berief sich auf Informationen der Gewerkschaft IG Metall und listete Dutzende von Übergriffen auf, die demnach Neonazis zugeordnet werden. Dabei beschränkte er sich auf Taten, die zeitlich vor jenem 14. Juni 2013 liegen, um den sich der Prozess vor der 1. Großen Jugendkammer am Landgericht dreht. Und dies sei "nur ein kleiner Auszug aus dem Terror".

Seit Jahren werde die Bedrohung durch Neonazis ignoriert, und deren Übergriffe würden bagatellisiert, so Dias, der außerdem Studien und Medienberichte über die Schaumburger Szene zitierte. Es sei "vorherrschendes Denkmuster", Linke und Rechte gleichzusetzen. Geklatscht wird normalerweise nicht im Gerichtssaal. Dennoch bekam der Anwalt kurzen Beifall aus dem Publikum, das fast ausschließlich aus Linken besteht.

"Warum verlesen Sie diese Erklärung in einem Strafverfahren?", fragte der Vorsitzende Richter Norbert Kütemeyer. Antwort: "Um die Situation darzustellen." Antifaschisten hätten "um Hilfe geschrien", doch ihnen sei nicht geholfen worden. Im Frühjahr 2015 waren sämtliche Verfahren gegen Neonazis "abgearbeitet", während gegen Linke zur Zeit mehrere Prozesse laufen.

Obwohl Richter Kütemeyer angeregt hatte, die Öffentlichkeit vor allem zum Schutz von zwei Angeklagten auszuschließen, die zur Tatzeit noch Jugendliche waren, bestehen alle sechs darauf, dass öffentlich verhandelt wird. Zur Begründung heißt es, das Thema sei von öffentlichem Interesse. Mit einer politischen Erklärung war daher zu rechnen.

Zu den Vorwürfen, die seinem Mandanten und den übrigen Angeklagten gemacht werden, äußerte sich Verteidiger Dias nicht. So soll ein 20-Jähriger einer schwangeren Frau aus der Gruppe der Rechten vor einem Imbiss beide Arme in den Bauch gestoßen und gesagt haben: "Hoffentlich verlierst du es." Das mutmaßliche Opfer sollte gestern aussagen, meldete sich aber krank.

Laut Anklage hat zudem ein Mann eine gusseiserne Bratpfanne aus einem Antiquitätengeschäft auf den Kopf bekommen, während zwei andere Rechte mit Fäusten verprügelt worden seien. Als Zeugin erinnerte sich eine Verkäuferin des Imbisses an einen jungen Mann, der aus der Nase "ganz schrecklich geblutet" habe, als er in den Laden gekommen sei. Zuvor soll die Schwangere erzählt haben, sie sei "geschubst" worden.

Parallel zur Beweisaufnahme geht das juristische Geplänkel weiter. Verteidiger Bernd Brüntrup stellte gestern erneut mehrere Anträge. In einem forderte er beispielsweise die Ablösung von Staatsanwalt Nils-Holger Dreißig. Zum Auftakt des Prozesses hatte die Verteidigung erst die 1. Große Jugendkammer abgelehnt und später eine andere Kammer, die darüber entscheiden sollte. Beide Anträge wurden zwischenzeitlich abgelehnt.

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Schaumburger Nachrichten Online, 11.11.2015:

Sammelprozess / Anwälte auf Konfrontationskurs

11.11.2015 - 18.46 Uhr

Mit Protesten vor dem Justizgebäude und juristischem Geplänkel im Saal hat am Mittwoch der erste Sammelprozess gegen Angehörige der linken Szene begonnen. Auf der Anklagebank sitzen sechs junge Männer. Sie sollen im Juni 2013 in der Bückeburger Fußgängerzone eine Gruppe mutmaßlich Rechter provoziert haben, um eine Schlägerei anzuzetteln.

Bückeburg (r). Auf der Anklagebank sitzen sechs junge Männer. Sie sollen im Juni 2013 in der Bückeburger Fußgängerzone eine Gruppe mutmaßlich Rechter provoziert haben, um eine Schlägerei anzuzetteln. Zu den Opfern soll eine schwangere Frau gehört haben.

Ob es wie geplant am Montag weitergeht, blieb noch offen, weil die 1. Große Jugendkammer am Landgericht über mehrere Anträge der Verteidigung beraten muss. Hinzu kommt ein Befangenheitsantrag von Rechtsanwalt Bernd Brüntrup, der gegen alle fünf Richter zielt. Darüber entscheidet eine andere Kammer.

Befangenheit leitet Brüntrup vor allem daraus ab, dass der Kammervorsitzende Norbert Kütemeyer sich geweigert hatte, den Verteidigern vor dem Verlesen der Anklageschrift das Wort für Rügen oder Anträge zu erteilen. Danach hörte Kütemeyer sich alles an. Brüntrups Antrag wird von den übrigen Anwälten unterstützt, Staatsanwalt Nils-Holger Dreißig hält ihn für unbegründet. Käme er durch, wäre der Prozess geplatzt.

Viel passiert ist nicht an diesem ersten Verhandlungstag. Der eigentliche Fall trat in den Hintergrund. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft waren an jener Auseinandersetzung an der Langen Straße auf jeder Seite sechs Personen beteiligt. Ein führender Linker (20) soll dabei einer Schwangeren beide Arme in den Bauch gestoßen und gesagt haben: "Na, schwanger? Hoffentlich verlierst Du es." Staatsanwalt Dreißig legt dem Angeklagten einen versuchten Schwangerschaftsabbruch zur Last.

Außerdem, so heißt es weiter, seien zwei Rechte mit Fäusten verprügelt worden. Schließlich soll eine gusseiserne Bratpfanne aus der Auslage eines Antiquitätengeschäfts zum Einsatz gekommen sein. Zweimal sei ein Mann damit auf den Kopf geschlagen worden. Ob die Beweise für eine Verurteilung reichen, muss sich zeigen. Richter Norbert Kütemeyer hat 16 Zeugen geladen, mit deren Vernehmung am zweiten von voraussichtlich sieben Verhandlungstagen begonnen werden soll.

Zum Auftakt hat Kütemeyer vorgeschlagen, die Öffentlichkeit zum Schutz von zwei Angeklagten auszuschließen, die zur mutmaßlichen Tatzeit noch keine 18 Jahre alt und damit Jugendliche waren. Alle jungen Männer bestehen jedoch auf öffentlicher Verhandlung, weil das Thema von öffentlichem Interesse sei. Gemeint ist der so genannte Rechts-Links-Konflikt zwischen Antifaschisten und Neonazis, der bevorzugt auf Bückeburger Straßen ausgetragen wurde.

Darauf ging Verteidiger Sebastian Nickel ein, der den Antrag gestellt hat, das Verfahren einzustellen. Er hält seinen Mandanten, einen 20-jährigen Antifaschisten aus Obernkirchen, für vorverurteilt - und für stigmatisiert als Angehörigen einer "Gewalt suchenden Jugendbande". In der öffentlichen Wahrnehmung, so Nickel, seien "die Umtriebe und das Auftreten einer aktiven und gewaltbereiten rechten Szene in Bückeburg über Jahre hinweg entweder verharmlost oder komplett negiert" worden. "Wie sich hierdurch die Lebenssituation und der Alltag von Menschen, die sich in der Region gegen Neonazis und Rassismus engagieren, verändert hat, welchen Bedrohungen und Beeinträchtigungen diese vorwiegend jungen Menschen ausgesetzt waren und sind, war bislang nie Gegenstand der Ermittlungen und offenbar auch nicht von Interesse", schreibt der Anwalt.


sn@madsack.de

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