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Neue Westfälische , 24.05.2005 :

Systematisch abtransportiert und ermordet / Gedenken an Ermordung psychisch Kranker beim Kirchentag: Auch aus der Westfälischen Landesklinik Gütersloh wurden Kranke in NS-Tötungsanstalten gebracht

Von Natalie Gottwald

Gütersloh. Ein altes vergilbtes Plakat aus der NS-Zeit zeigt, einen sitzenden, offenbar bewegungsunfähigen, verkrüppelten Mann. Hinter ihm steht ein Pfleger. Die bildliche Aussage wird durch einen Satz in altdeutscher Schrift verdeutlicht: "60.000 Reichsmark kostet dieser Erbkranke der Volksgemeinschaft auf Lebenszeit - Volksgenosse, das ist auch Dein Geld".

Die Nationalsozialisten warben mit solchen Plakaten für die grausame Durchsetzung ihrer Ideologie. In den Jahren des Ns-Regimes 1933 bis 1945 wurden neben Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und anderen auch rund 200.000 psychisch Kranke systematisch umgebracht. Als "Euthanasie" ist diese schreckliche Praxis des Nationalsozialismus bekannt.

In der Westfälischen Klinik Gütersloh (damals: Psychiatrische Provinzial-Heilanstalt) gehen die Mitarbeiter heute sehr offen mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte um. Schon die Porträt-Galerie der Anstaltsleitung im Sitzungszimmer beweist das: "Wir haben das Porträt von Werner Hartwig, zur Zeit des Dritten Reichs Leiter der Anstalt, bewusst hängen lassen", sagt Pflegedirektorin Rita Elperts. "Wenn wir ihn abhängen, sehen wir ihn nicht mehr, und wir wollen uns an diese Zeit erinnern, damit so etwas nie wieder passiert." Aus Gütersloh sind in den Jahren 1940 bis 1943 1.017 Patienten abtransportiert worden. "Die meisten wurden in Tötungsanstalten nach Hadamar (Hessen), Brandenburg oder noch weiter in den Osten gebracht und dort mit Gas oder Medikamenten getötet", sagt Bernd Walter, Leiter des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Auch die Praxis, den Patienten so genannte B-Kost, also besonders nährstoffarmes Essen, zu verabreichen und sie so verhungern zu lassen, sei nicht selten angewandt worden. "Von den 1.017 aus Gütersloh abtransportierten Menschen lebten bei Kriegsende noch 220", so Walter.

An die Tötung von psychisch Kranken, die nicht nur aus Gütersloh, sondern aus allen psychiatrischen Kliniken abtransportiert wurden, wird beim Evangelischen Kirchentag in Hannover erinnert. Vor der Eröffnung gibt es am Donnerstag, 26. Mai, in der Innestadt eine Gedenkfeier für die Opfer.

Euthanasie (griech. "schöner Tod")

Ursprünglich ein Begriff aus der Philosophie: Danach hatte der Mensch, wenn sein Leben durch Krankheit oder Gebrechlichkeit des Alters zur quälenden Last geworden war, das Recht, sein Leben zu beenden. Der nationalsozialistische Staat tarnte mit dem Begriff Euthanasie die "Vernichtung unwerten Lebens". Insgesamt fielen rund 200.000 vor allem psychisch Kranke, geistig Behinderte, Epileptiker und senil Erkrankte dieser systematischen Mordaktion zum Opfer.

Die erste Tötungswelle wurde als "Aktion T 4" betitelt. Zur Tarnung trugen die Tötungsanstalten die Namen Durchgangs- oder Vollzugsanstalten. Dorthin wurden die Menschen aus den psychiatrischen Anstalten abtransportiert.


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