Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische ,
21.02.2007 :
Neue Heimstatt in alten Munahallen / WDR drehte dreiteilige Doku über Flüchtlinge und Vertriebene / Irmgard Steding als Zeitzeugin befragt
Von Karsten Schulz
Espelkamp. "Wir mussten den Bauleuten sagen, dass sie nicht alle Munahallen sprengen sollten. Wir brauchten doch ein Dach über dem Kopf." Das sagte Irmgard Steding vor einem Jahr in die Mikrofone eines Autors, der für die WDR-Dokumentations-Reihe "Flüchtlinge und Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser" auch nach Espelkamp gekommen war. Steding weiter: "Wir haben dann Wände in die Hallen gezogen und Fenster geschlagen." Am Freitag, 23. Februar, ist der erste Teil der Doku um 20.15 Uhr im WDR-Fernsehen zu sehen.
Irmgard Steding hat, als sie sich 1947 in Espelkamp endgültig niederließ, zunächst im Kinderheim Hedrichsdorf gearbeitet – als Erzieherin. Wie und wo sie seinerzeit gewohnt hat? Sie lächelt nur still in sich hinein, als sie sich erinnert. "Wir haben mit den Kindern unter einem Dach gelebt, nur getrennt von einigen Holzwänden." Trotzdem habe es immer etwas zum Feiern gegeben. Kurzerhand nahmen die Betreuerinnen die Gardinen vom Fenster und banden sie ihren Schützlingen um – als Verkleidung und zum Spielen ganz allgemein.
"Im Winter floss Wasser von der Wand"
Eine richtige Wohnung bekamen die Einwanderer in der langsam wachsenden Stadt nur, wenn sie verheiratet waren. Fritz Steding, der in den 70er und 80er Jahren zwölf Jahre lang als Bürgermeister die Interessen Espelkamps vertrat, lernte sie kurz darauf kennen. Er war mit einem Kumpel aus französischer Kriegsgefangenschaft geflüchtet. Und für Espelkamp hatte er sich entschieden, weil es dort eine "Haferflockensuppe zu essen gab", daran kann sich Irmgard Steding noch erinnern. "Bei uns hier war die Versorgung noch ein klein wenig besser als in den anderen Gebieten des Landes."
Die Beiden heirateten zunächst standesamtlich, um an die ersehnte Wohnung zu kommen. Das waren zunächst anderthalb Zimmer an der Kolberger Straße. "Die waren so feucht, da floss im Winter das Wasser nur so von den Wänden. Wasser zum Waschen mussten wir noch von draußen holen."
Die ersehnte "Volkswohnung" an der Görlitzer Straße 12 erhielten sie einige Jahre später. Auch hier zogen die Stedings zunächst in einen Rohbau – Wasser, Strom, sanitäre Anlagen –Fehlanzeige. Langsam wuchs die Stadt. Die ersten Läden zogen in die Munahallen ein. "Wir hatten dann keine Versorgungsprobleme mehr. Im Kaufhaus Buck gab es vom Salz bis zum Toilettentopf einfach alles", sagt Irmgard Steding. Und als die Stedings schließlich "so richtig" mit ihren Verwandten kirchlich heirateten gab’s zum ersten Mal seit Beginn des Krieges wieder Sahne- und Moccacremetorte.
Während im ersten Teil der Doku-Reihe Irmgard Steding zu Wort kommt ist es im dritten Teil mit dem Titel "Eine neue Heimat" (1957 bis 1969), die am 9. März gesendet wird Annemarie Grosser, die aus Salzwedel in der DDR stammt. Sie findet mit ihrer Familie in Espelkamp mit den vielen prosperierenden Betrieben eine neue Heimat.
Sie sagt im Interview zum WDR: "Da waren auch viele, Nichteinheimische, sondern Flüchtlinge in den Betrieben und dadurch habe ich dieses Eingewöhnen eigentlich gar nicht so schwer empfunden. Und 1961 gab es ja Arbeit für alle. Wir haben uns von Anfang an da wohl gefühlt."
Ankunft im Westen
Die dreiteilige Dokumentation, die das WDR-Fernsehen am 23. Februar sowie 2. und 9. März auf dem Sendeplatz "Doku am Freitag" zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr präsentiert, ist bereits der dritte Baustein in der Reihe landesgeschichtlicher Schwerpunkte aus der Redaktion Geschichte. Angefangen hat diese Reihe im Frühjahr 2005 mit den Erinnerungen an das "Kriegsende an Rhein, Ruhr und Weser", fortgesetzt wurde sie Anfang 2006 mit dem Blick auf die "Trümmerjahre an Rhein, Ruhr und Weser". Nun also wird erzählt von der Ankunft und dem Einleben von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten, aus Pommern und Schlesien, aus Ost- und Westpreußen, dem Sudetenland und Siebenbürgern – und in einem späteren Schritt aus der DDR. Die dreiteilige Doku wurde erstellt von Erika Fehse, Heike Mund und Carsten Günther.
Bildunterschrift: Eine Heimstatt gefunden: An der Görlitzer Straße 12 fanden Irmgard Steding und ihr Mann, der spätere Bürgermeister Fritz Steding, für Jahrzehnte ein Zuhause.
Bildunterschrift: An der Insterburger Straße: Diese Gebäude entstanden in den 60er Jahren und wurden für viele neu in die Stadt ziehende Aussiedler ein neues Zuhause.
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