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Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische , 21.05.2009 :

"Pommern bleibt Heimat Nr. 1" / Interview: Eckard Schmechel dokumentiert Spuren einer deutschen (Stadt-)Geschichte

Gütersloh. Die Bundesrepublik feiert ihren 60. Geburtstag. Was für die einen Grund zum Feiern ist, macht andere Menschen dieser Tage nachdenklich, gar traurig. Deutschlands Grenzen sahen vor Kriegsende bekanntlich anders aus und viele Menschen aus den damaligen Ostgebieten wie Pommern mussten sich an eine neue Heimat BRD gewöhnen. Ob das gelungen ist, weiß Eckard Schmechel. Er gehört selbst zur Gruppe der Vertriebenen und hat die Geschichte seines Heimatortes im Kreis Regenwalde nun in einem Buch aufgearbeitet. Am 28. Mai reist er nach Polen, um das Buch vor Schülern an Ort und Stelle vorzustellen. Redakteurin Jeanette Salzmann sprach mit ihm.

Heimat, was ist das für Sie, Herr Schmechel?

Eckard Schmechel: Für mich ist Heimat ein geographisch abgegrenzte Raum, die Landschaft, mit der ich mich durch Geburt, Lebensweise und Tradition verbunden fühle. Mein Zuhause ist heute Gütersloh und zur zweiten Heimat geworden.

Was verbinden Sie heute mit dem Begriff Pommern?

Schmechel: Zu unterscheiden wäre aus heutiger Sicht zwischen Vor- und Hinterpommern. Vorpommern ist ein Teil eines Bundeslandes und damit deutsch. Dagegen ist Hinterpommern heute polnisches Staatsgebiet und kaum noch identisch mit Pommern, wie es bis 1945 Bestand hatte. Heute leben dort Menschen einer anderen Herkunft, die eine andere Sprache sprechen. Mir persönlich ist die "alte Heimat" fremd geworden, dennoch bleibt sie die Heimat meiner Kindheit, bedingt durch die Landschaft und Siedlungsform, beides ist und bleibt mir vertraut.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Flucht?

Schmechel: Es war keine Flucht, es war eine Vertreibung der letzten ansässigen deutschen Bevölkerung im August 1947. Diese Vertreibung von Haus und Hof war begleitet von Entbehrungen, Demütigungen, Schikanen und Wehmut. Darüber könnte separat ein Buch geschrieben werden.

Wie groß ist die Gemeinde derjenigen, die früher im Kreis Regenwalde gewohnt haben?

Schmechel: Die Gesamtbevölkerung des Kreises belief sich auf ca. 50.000. Nach Flucht und Vertreibung folgte die Neuansiedlung verteilt nahezu über die ganze Bundesrepublik. Der Kreis umfasst vier Städte und 99 Dörfer. Auf der Flucht hat es sehr viele Todesfälle gegeben.

Ist es Zufall, dass sich die Vertriebenen der Ostgebiete im Westen vielfach zusammengefunden haben, auch hier in Gütersloh?

Schmechel: Es gab keine gezielten Absprachen. Das Bedürfnis nach dem Verlust der Heimat war groß, sich zu Heimatgemeinschaften und – kreisen zusammen zu schließen. Viele westdeutsche Gemeinden erklärten sich bereit, Patenschaften für die ehemaligen Kreise Hinterpommerns zu übernehmen, die nun schon 50 Jahre und länger bestehen. So wie in diesem Jahr zwischen dem Heimatkreis Regenwalde und der Stadt Melle.

Haben ihre Landsleute jemals Wurzeln geschlagen in Gütersloh und Umgebung?

Schmechel: Die pommerschen Landsleute fühlen sich heute hier in Gütersloh und darüber hinaus weitgehend zu Hause. Bei der älteren Generation aber, den so genannten Zeitzeugen, ist die Verbundenheit zur "alten Heimat" noch stark ausgeprägt.

Warum nun dieses Buch mit dieser Aufarbeitung aller Details?

Schmechel: Wir, die wir noch der so genannten Erlebnisgeneration angehörigen, möchten für die heutige und späteren Generationen festhalten, was den ehemaligen Kreis Regenwalde einmal ausgezeichnet hat. Die Erinnerungskultur war für uns ein wesentliches Element. Und wenn wir es nicht machen, wer soll es dann noch tun?

Gibt es Rückkehrgedanken?

Schmechel: Nach meinen Erfahrungen generell gesagt: nein. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Hinterpommern ist im Laufe von 64 Jahren zur Heimat von Menschen geworden, die größtenteils selbst zwangsumgesiedelt oder vertrieben wurden. Das, was die deutschen Bewohner einmal verlassen mussten, ist so nicht mehr vorhanden.

Der Kreis Regenwalde war geprägt durch große Adelsgüter. Sie haben einige Nachfahren dieser Familien dafür gewonnen, in Ihrem Buch Erinnerungen an Pommern zu formulieren. Gibt es Wehmut beim Anblick der zumeist zerfallenen Herrenhäuser?

Schmechel: Ja, und nicht nur bei den ehemaligen Besitzerfamilien. Auf unseren Reisen durch den Kreis Regenwalde haben wir viele dieser Guts- und Herrenhäuser aufgesucht. Beim Einmarsch der Roten Armee wurden ganz bewusst diese Anwesen zerstört und niedergebrannt. Die meisten sind nur noch als Ruine in verwilderten Parkanlagen ausfindig zu machen. Nur wenige sind im Laufe der Zeit an neue Interessenten verkauft und dann wieder renoviert worden.

Ende des Monats werden Sie in einer polnischen Schule Ihr Buch vorstellen. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Jugendlichen, wollen die wirklich hören, was sich nach dem Krieg abgespielt hat?

Schmechel: Bei den Jugendlichen ist das Interesse groß, Näheres über die ehemals deutschen Gebiete zu erfahren. Das habe ich besonders bei Seminaren, die in Külz (heute Kulice) in einem ehemaligen Gutshaus derer von Bismarck stattfinden, erfahren. Diese Diskussionen mit Schülern und Studenten verlaufen meist emotionslos, da die Gespräche von einer nüchternen Betrachtungsweise der deutschen Vergangenheit und polnischer Gegenwart geprägt waren. Wir müssen heute die neue Heimat der jetzigen Bewohner akzeptieren.

Autor & Buch

Eckard Schmechel ist heute 73 Jahre alt. Er wurde geboren in Pinnow, Kreis Regenwalde im damaligen Pommern. Im August 1947 – da war er 11 Jahre alt – erlebte er die Vertreibung aus dem Geburtsort; die Familie siedelte zunächst in Sachsen-Anhalt an, später folgte Gütersloh. Hier gründete der Industriekaufmann eine eigene Familie, Schmechel ist Vater zweier erwachsener Kinder.

Themenbezogene Bücher zu Pommern hat er bereits mehrere veröffentlicht, wie etwa "Kirchen und die Kirchengeschichte", über "Sagen, Erzählungen und Schwänke" sowie ein Rezeptbuch mit dem Titel "Die Pommerschen Kartoffeln und andere Köstlichkeiten". Das Buch "Der Kreis Regenwalde in Pommern" ist seit April im Verkauf erhältlich und dokumentiert die Geschichte des Kreises, der Städte und Dörfer, die Adelsfamilien und mehr. Es kann erworben werden über Eckard Schmechel, Telefon 05241/6560.

Bildunterschrift: "Was Deutsche verlassen mussten, ist so nicht mehr vorhanden": Eckard Schmechel wurde in Pommern geboren und fand in Gütersloh ein neues Zuhause – so wie viele Bewohner des ehemaligen Kreises Regenwalde. Das Wappen erinnert an die preußische Zeit.

21./22.05.2009
lok-red.guetersloh@neue-westfaelische.de

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