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Neue Westfälische 09 - Herford , 17.11.2012 :

"Ein ganz unbedarfter Junge" / Zum Volkstrauertag: Erinnerung an den vergessenen Herforder Oskar Aschoff

Von Kommunalarchivar Dieter Begemann

Herford. In Wolfgang Staudtes bissiger Nachkriegs-Filmsatire "Rosen für den Staatsanwalt" wird der Gefreite Rudi Kleinschmidt (gespielt von Walter Giller) von einem deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt, weil er sich zwei kleine Dosen Wehrmachts-Schokolade organisiert hatte. Nicht nur die äußere Erscheinung des schmächtigen Rudi sorgt dafür, dass man an ihn denken muss, wenn man auf die Geschichte des Herforders Oskar Aschoff stößt.

Auch ihm hätte man, wie der Volksmund sagt, "das Vaterunser durch die Rippen pusten" können. Als er 1943 mit 18 Jahren zu den Pionieren nach Minden eingezogen wurde, war er Maschinenarbeiter in der Herforder Bürstenfabrik König & Böschke. Aber eigentlich, so beschrieb ihn seine Schwester, "war er noch ein ganz unbedarfter Junge". In manchem eher ein schüchternes Jüngelchen.

In Holland wollte er sich verstecken

Mit so einem machten die Stubenältesten in der Kaserne gerne derbe Scherze. Einen wie ihn schickten sie los, um bei den Bauern in den umliegenden Dörfern etwas "zu futtern" für das Saufgelage am Wochenende zu organisieren.

Als er tatsächlich mit einer dicken Mettwurst zurückkam, machten die Platzhirsche trotzdem weiter ihre Witze mit ihm. Eine solche Wurst könne er doch nur geklaut haben, behaupteten sie. Und weiter: Wenn das herauskäme, käme er vor ein Kriegsgericht.

Oskar Aschoffs großer Bruder Heinz war schon seit 1938 beim "Barras". Von ihm wusste er, wenn das Wort "Kriegsgericht" fiel, wurde es ernst. Todernst. Er bekam Angst. Er schlich sich aus der Kaserne und stieg am Mindener Bahnhof in den Zug Richtung Holland. Seine Schwester lebte dort in Utrecht. Bei ihr wollte er sich verstecken.

Alles hätte gut gehen können. Hätte - wenn er beim schnellen Aufbruch in der Kaserne nicht seine Uniformmütze vergessen hätte. So hatte der Pionier Oskar Aschoff keine Chance, als Feldjäger den Zug an der Grenze kontrollierten.

Er wurde nach Bielefeld gebracht, zum Hauptquartier der 176. Division. Dort besaß Kriegsgerichtsrat Dr. Fritz Rheinen die juristische Deutungshoheit für "Führergehorsam" und "Manneszucht" deutscher Soldaten. In seiner Amtszeit wurden vom Kriegsgericht in der Ravensberger Straße 123 mindestens 27 Todesurteile gegen Divisionsangehörige gesprochen und vollstreckt. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Vieles andere auch.

Das Schriftgut des Kriegsgerichtes wurde gegen Kriegsende vernichtet. Vermutlich sollte es nicht den anrückenden Alliierten in die Hände fallen.

Deshalb ist auch das Todesurteil gegen Oskar Aschoff nicht erhalten geblieben. Nicht einmal die genaue Anklage und das Datum des Urteils sind überliefert. Nur das Aktenzeichen "I 41/44" wurde später bei seiner Hinrichtung notiert.

Es darf als sicher angenommen werden, dass ihm vorgeworfen wurde, er sei desertiert. Denkbar, dass ihm seine geplante Flucht ins Ausland als strafverschärfend angelastet wurde. Niemand weiß, ob auch der angebliche Wurst-Diebstahl eine Rolle spielte.

Todesurteile gegen Soldaten sind mit dem Klischeebild einer Hinrichtung durch ein Erschießungskommando im Morgengrauen verbunden. Die Realität in Nazi-Deutschland sah anders aus. Als 1943 mit der Brutalisierung des Krieges auch die Zahl der Todesurteile gegen die eigenen Soldaten enorm anstieg, ermächtigte Hitler die militärischen Befehlshaber, selbst zu entscheiden, ob die Verurteilten erschossen, enthauptet oder erhängt werden sollten.

Im Sinne einer Rationalisierung des Vollzugs konnten nun auch "zivile" Hinrichtungsstätten in Anspruch genommen werden. Die Bielefelder Todesurteile der 176. Division wurden ab jetzt mit der Fallbeilmaschine im Dortmunder Gefängnis vollstreckt.

Die Hinrichtung Oskar Aschoffs erfolgte am 2. Mai 1944 um 18.11 Uhr. Er war an diesem Tag der fünfte von mindestens sieben Delinquenten. Vier Monate später wurde an gleicher Stelle der Herforder Heiko Ploeger ermordet.

In "Rosen für den Staatsanwalt" wird die Hinrichtung des Rudi Kleinschmidt durch glückliche Umstände in letzter Minute verhindert. Er überlebt, aber tut sich schwer, seinen Platz im Nachkriegsdeutschland zu finden.

Amtlich entsorgt ins Nichts

Ein paar Jahre später trifft er den Kriegsgerichtsrat, der seinen Tod gefordert hatte, zufällig auf der Straße wieder. Längst ist der einstige Vollstrecker des Führerwillens zum gutsituierten Bundesbürger mutiert. Als demokratisch gewendeter Landgerichtsrat hat er seine blutrünstige Vergangenheit verschwiegen und verhilft nun einem gefürchteten Antisemiten zur Flucht vor der Strafverfolgung.

Das Überlebensglück des Filmhelden Rudi K. war dem realen Oskar Aschoff nicht vergönnt. Hätte er es gehabt, hätte ihm auch Dr. Fritz Rheinen durchaus auf der Straße begegnen können. Der ehemalige Kriegsgerichtsrat fand schnell einen geachteten Platz in der Bundesrepublik. Er wurde Landgerichtsdirektor in Duisburg. Seine Personalakte hatte - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - den Krieg nur unvollständig überstanden.

Auch Oskar Aschoffs Akten wurden bereinigt. Ohne jeden weiteren Hinweis erhielt seine Herforder Melderegisterkarte am 30.11.1946 den Eintrag: "von Amts wegen abgemeldet." Ein 18-Jähriger, von Staats wegen ermordet, war damit amtlich entsorgt ins bürokratische Nichts. Spurlos verschwunden. Übrig blieb nur der Hinweis, für diesen Verwaltungsakt würden von den Angehörigen keine Gebühren erhoben.

Info / Fotos gesucht

Der Herforder Oskar Aschoff hat in seinen 18 Lebensjahren nicht viele Spuren hinterlassen können. Bisher gibt es nicht einmal ein Foto von ihm. NW-Leser, die bei der Suche danach helfen können, wenden sich bitte an: Dieter Begemann (Kommunalarchiv Herford), Telefon 13-2216.

Info / Wehrmachtsjustiz

Die Wehrmachtsjustiz im Zweiten Weltkrieg hat eine beispiellose Blutspur hinterlassen. Nach einer Untersuchung von Manfred Messerschmidt, ehemaliger Leiter des militärgeschichtlichen Forschungsamtes, wurden etwa 25.000 deutsche Soldaten zum Tode verurteilt, zwischen 18.000 und 22.000 wurden tatsächlich hingerichtet, die meisten von ihnen wegen "Wehrkraftzersetzung" und "Fahnenflucht". Im gleichen Zeitraum wurden in England 40 und in den Vereinigten Staaten 146 Soldaten exekutiert. Mehr als 90 Prozent von ihnen wegen Mord und Vergewaltigung.

Bildunterschrift: Grabstein auf dem Dortmunder Hauptfriedhof: Nach seiner Ermordung am 2. Mai 1944 wurde Oskar Aschoff zunächst in einem Einzelgrab bestattet. Heute befindet sich sein Grab auf dem dortigen Ehrenfeld für die Kriegs- und Bombenopfer. Das Geburtsjahr auf seinem Grabstein ist falsch angegeben. Aschoff wurde am 23. Mai 1925 geboren.

Bildunterschrift: Blick in die Tribenstraße am Ende der 1930er Jahre: Oskar Aschoff wohnte mit seinen Eltern und Geschwistern im Haus Nummer 20 (3. Haus auf der linken Seite). Auf der rechten Bildseite befindet sich heute das Parkhaus Altstadt.

17./18.11.2012
herford@neue-westfaelische.de

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