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Höxtersche Zeitung / Westfalen-Blatt , 01.10.2015 :

45 Flüchtlinge ziehen ein / Stadt Nieheim belegt Gebäude Wohnpark 1 und 2a Ende Oktober - Skepsis bei Nachbarn

Von Michael Robrecht

Nieheim (WB). Ende Oktober sollen 45 Flüchtlinge in zwei von der Stadt gekaufte Gebäude im Wohnpark Nieheim West in Nieheim einziehen. Das kündigte die Stadtverwaltung bei einer nichtöffentlichen Anwohnerversammlung im Rathaus am Dienstagabend an.

Nieheim erwerbe kurzfristig die Gebäude Wohnpark 1 und 2a zur Unterbringung von Asylbewerbern, sagte Bürgermeister Rainer Vidal. Die zwölf Wohnungen in den beiden Gebäuden würden Platz für bis zu 45 Personen bieten. Vidal: "Die Bewohner werden dort in kleineren Wohneinheiten untergebracht, die maximal mit vier Personen belegt werden, so dass der Wohncharakter erhalten bleibt."

In der Informationsveranstaltung sind die Anlieger und die Hauseigentümer erstmals über die Pläne der Stadtverwaltung in Anwesenheit von Ratsvertretern informiert worden. "Die Stadt Nieheim hat diesen Weg der Nichtöffentlichkeit gewählt, um den Anliegern und Eigentümern zu ermöglichen, im geschützten Raum ihre Sorgen und gegebenenfalls Bedenken äußern zu können", wies Rainer Vidal Kritik an der geschlossenen Veranstaltung zurück, bei der einige Interessierte ohne Einladung an der Rathaussaaltür abgewiesen worden sind. In Brakel oder Höxter seien Info-Veranstaltungen immer öffentlich abgehalten worden, schilderten Kritiker.

Viele Hilfsangebote

Anlieger und Eigentümer sind laut Verwaltung auch informiert worden, dass sich bereits viele Nieheimer bürgerschaftlich in der Flüchtlingshilfe engagieren. "Die bestehenden Sprachpatenschaften und Sportangebote wurden durch Vertreter dieser Hilfsgruppe vorgestellt", berichtete der Bürgermeister in einer Presseerklärung.

Die erste Belegung von Wohnungen in den Wohnpark-Gebäuden wird voraussichtlich in vier Wochen erfolgen, erklärte die Stadt. So viel Zeit benötigten die Handwerker, um die Wohnungen herzurichten. Der Bürgermeister: "Die zwölf Wohneinheiten ermöglichen der Stadtverwaltung eine flexible Unterbringung der ihr zugewiesenen Flüchtlinge. Kleinere Wohnungen, die nur mit zwei Personen belegt werden können, sind demzufolge für Frauen oder Paare vorgesehen. Auch die Unterbringung von bis zu vierköpfigen Familien ist in diesen Wohnungen möglich. Alleinreisende junge Männer werden überwiegend aus bestehenden Einrichtungen in die Wohnpark- Wohnungen umziehen. Dabei wird es sich um Personen handeln, die durch ihren bisherigen Aufenthalt in Nieheim gezeigt haben, dass ihnen problemlos die Integration in die Gesellschaft möglich ist."

Anlieger-Protest

Den Anliegern der neuen Flüchtlingsunterkünfte steht die Stadt Nieheim jederzeit für Fragen und ihre Anliegen zur Verfügung.

Eine Umfrage dieser Zeitung nach dem Anwohnerabend hat ergeben, dass besonders bei den Frauen in der Nachbarschaft der künftigen Asylbewerber-Wohnheime viele Sorgen vom Bürgermeister nicht zerstreut wurden. Tanja Klingenhagen (wir berichteten gestern über ihre Kritik an der Unterbringung von Flüchtlingen im Wohnpark) bezeichnete einige Aussagen der Verwaltung in der Versammlung als "Schwärmerei".

Sie habe stellenweise den Eindruck gehabt, Vidal rede mögliche Probleme schön. Sie bleibe dabei, dass eine große Menge alleinstehender junger Männer in zwei Häusern an dieser Stelle zu viel seien. Eine Unterschriftensammlung würden sie und weitere Nachbarn nicht mehr organisieren; das ändere nichts. Man werde abwarten müssen, wie sich die Lage entwickele und den Bürgermeister beim Wort nehmen, wenn dieser sage, die Stadt kümmere sich bei Problemen sofort. Dass die Flüchtlinge so schnell einziehen würden, habe sie geschockt. Dem schloss sich auch Anwohnerin Ingrid Doktor an. Man habe als Anwohner keine Chance mehr, zu reagieren, wenn die Stadt so schnell Leute zuweise. Sie begrüßte, dass Trennwände errichtet und Balkone abgerissen werden sollten.

Der Rat der Stadt Nieheim wird in seiner Sitzung am 20. Oktober ab 18.30 Uhr umfassend die Flüchtlingssituation in der Stadt beraten. Diese Ratssitzung dient auch der Information der Nieheimer Bürgerinnen und Bürger, die an diesem Tag in die Aula der Realschule eingeladen sind. Auch mit dem Ankauf der Wohnpark-Gebäude sei die Unterbringungssituation für Flüchtlinge nicht dauerhaft gelöst. Vidal: "Weitere Überlegungen sind notwendig."

Internetkampagne

Im Internet läuft zur Zeit eine Kampagne auf Facebook, deren Ziel es ist, dass die Stadt die Wohnungskündigung bei Bettina Halbey zugunsten von Asylbewerbern zurücknehmen soll. Seit 16 Jahren wohnt die Krankenschwester in der 90-Quadratmeter-Wohnung Am Nikolausbrunnen 3. Etliche Unterstützer hat der Vorstoß inzwischen erhalten. Problem beim Suchen einer neuen Wohnung ist die Tatsache, dass Halbey einen Hund hat.

Pressestimmen

Die Welt        

"In Nieheim hat die Stadt zur Unterbringung von Flüchtlingen zu einer drastischen Maßnahme gegriffen. Mietern wurde mit Verweis auf Eigenbedarf die städtische Wohnung gekündigt. Das war wie ein Tritt. Nach 16 Jahren soll Bettina Halbey ihre Wohnung verlassen. Sie fühlt sich völlig überrumpelt. Der Bürgermeister sieht sich im Recht. Halbey: Hier gibt es viele leer stehende Häuser. In anderen Städten werden Häuser angemietet."

Stern

"Heikler Mietrechtsfall in NRW: Darf eine Stadt Mietern kündigen, um Flüchtlinge unterzubringen? Es ist ein Fall, der sozialen Sprengstoff birgt: Die Reaktionen auf unseren Artikel waren extrem. Auf der einen Seite rechte Hetzer, die den Fall nutzen, um ihre dumpfen Parolen zu unterfüttern. Auf der anderen Seite Leser, die meinen, man dürfe über den Fall gar nicht berichten, weil er Fremdenangst Vorschub leistet. Zeit für eine Versachlichung der Diskussion. Rainer Vidal, Bürgermeister Nieheims, ist schockiert über die Resonanz, die die Kündigung ausgelöst hat."

Huffington Post

"Nieheim dürfte nicht der letzte Ort sein, an dem es in den kommenden Monaten eine Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen in kommunalen oder leerstehenden Immobilien geben wird. Den Kommunen gehen schlichtweg die Unterkünfte für Flüchtlinge aus. Hamburg hatte diese Woche als erstes Bundesland angekündigt, leerstehende Gewerbeimmobilien auch gegen den Willen der Eigentümer als Flüchtlingsunterkünfte nutzen zu wollen."

Der Spiegel

"Fälle wie in Nieheim sind juristisch hoch umstritten. Haus-und-Grund-Geschäftsführer Warnecke geht davon aus, dass die Kommune vor Gericht kaum Chancen hätte. "Eine Kommune kann keinen Eigenbedarf anmelden." Außerdem halte er das Vorgehen des Bürgermeisters für "sozialpolitisch katastrophal". Man dürfe nicht damit beginnen, Mieter gegeneinander auszuspielen."

Focus

"Der Grund für den Schritt sei die große Zahl alleinreisender junger Männer, die der Stadt zugewiesen werden. Viele private Vermieter seien bei deren Unterbringung zurückhaltend. Der Deutsche Mieterbund bezeichnete das Vorgehen als rechtlich problematisch und politisch katastrophal."

WDR

"Nieheim ist über Nacht bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Im Rathaus hagelt es Protestanrufe, der Bürgermeister bekommt anonyme Drohungen. Der Bürgermeister hatte mit dem Shitstorm, der losbrach, als die Geschichte jetzt öffentlich wurde, absolut nicht gerechnet."

Bildunterschrift: Auch in Nieheim werden Flüchtlinge kurzfristig zugewiesen: Die Stadtverwaltung muss ständig neue Quartiere für Asylbewerber organisieren. Sind die meisten untergebracht, klopfen schon die nächsten an der Tür und fordern Einlass - das gesamte Jahr über.

Bildunterschrift: Hier ziehen noch in diesem Oktober 45 Flüchtlinge ein: Die Nachbarn der Häuser Wohnpark 1 und 2a haben große Bedenken geäußert.

Bildunterschrift: Nieheims Cheforganisator: Bürgermeister Rainer Vidal.


hoexter@westfalen-blatt.de

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