www.hiergeblieben.de

Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische , 06.02.2010 :

Geschichte hautnah erlebt / Theater-AG des Gymnasiums Brede begegnet der Gefahr von rechts mit dem Jugendstück "Die Welle"

Von Diana Schwindt

Brakel. Sie konnten den Nationalsozialismus nicht verstehen, bis sie selbst ein Teil der Bewegung wurden. "Warum haben sich die Deutschen gegen Hitler nicht gewehrt?", lautete die Frage, welche es zu beantworten galt. 18 Schülerinnen und Schüler der Theater-AG des Gymnasiums Brede, bestehend aus Schülern der Jahrgänge fünf bis zwölf, taten sich zusammen, um dieser Frage in dem Theaterstück "Die Welle" nachzugehen.

In einem halbjährigen Prozess erarbeitete sich die Gruppe unter der Leitung ihrer Lehrerin Sabine Teichert die Fähigkeit zur Koordinierung von Mimik, Gestik und Sprache. Nazi werden muss in diesem Fall gelernt sein. Mithilfe der Theaterfassung des Literaturkurses 13 aus dem Jahr 1986 des Städtischen Gymnasiums Beverungen, wurde es der Gruppe von Teichert möglich den Bestseller "Die Welle" in Brakel aufzuführen.

Das Drama beruht auf einer wahren Begebenheit, einem Unterrichtsversuch in Kalifornien im Jahr 1967. An einer amerikanischen Highschool wagte der Lehrer Ron Jones ein radikales Experiment, bei dem er seine Klasse in Disziplin und Gemeinschaftsgeist drillte.

Nazi-Deutschland im Klassenzimmer nachgebaut

Als ein Schüler Jones fragte: "Warum haben sich die Deutschen gegen Hitler nicht gewehrt?", wusste dieser keine Antwort. Auch als die Stunde schon lange vorbei war, ließ den Lehrer diese Frage nicht los.

Er beschloss, ein außergewöhnliches Experiment zu wagen. Er wollte Nazi-Deutschland nachbauen, im Kleinen, im Klassenzimmer. Er wollte seine Schüler Faschismus erleben lassen, hautnah.

Vierzehn Jahre später schrieb der amerikanische Schriftsteller Morton Rhue einen auf dem Experiment basierenden Bestseller, der zeitgleich verfilmt wurde. Auf dieser Grundlage baut ebenfalls das Theaterstück der Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium Brede auf.

"Weißt du, ich war überzeugt, sie hätten etwas dagegen, sie würden sich nicht zwingen lassen, wie die Puppen zu sitzen, aufzuspringen und ihre Antworten herauszuschreien. Aber sie haben sich eher so benommen, als hätten sie ihr Leben lang auf so etwas gewartet", sagt Josefin Herrfurth in ihrer Rolle als Mrs. Ross, die die Figur des engagierten Geschichtslehrers aus Rhues Buch darstellt. "Macht durch Disziplin, Macht durch Gemeinschaft, Macht durch Handeln", lautet ihr Erfolgsrezept. So macht sie aus einem unsortierten Haufen von Football-Versagern und kalifornischen Tanzmariechen engagierte und motivierte Musterschüler. Sie tragen ein Welle-Abzeichen, sitzen aufrecht im Unterricht und machen plötzlich sorgfältig ihre Geschichtshausaufgaben.

Sogar der einstige Außenseiter der Klasse, Robert Billings, gespielt von Thorben Neumann, findet bei dieser Bewegung Anschluss und erlebt ein einmaliges Gemeinschaftsgefühl. Denn in der Gemeinschaft der "Welle" herrscht absolute Gleichheit, Mobbing ist daher ausgeschlossen. Er entwickelt sich folglich zum willigsten und wichtigsten Helfer. Nach kurzer Zeit ist Robert sogar bereit den Leibwächter der Lehrerin zu spielen: "Ich muss Sie doch beschützen, Sie sind unser Führer", sagt Robert im Laufe des Experiments.

Nur die einstige Musterschülerin und Chefredakteurin der Schülerzeitung Laurie Saunders, alias Sophia Klocke, stellt sich quer und muss einem von der Gemeinschaft erzeugten Konformitätsdruck standhalten. Denn Nicht-Mitglieder werden entweder ausgeschlossen oder sogar bedroht.

Erst als ein jüdischer Mitschüler verprügelt wird, stoppt Ross auf Druck ihres Ehemannes, dem Schuldirektor, die Bewegung und zeigt, zu was die Gemeinschaft geführt hätte - zu Hitler.

Am bitteren Ende betont Ross, alias Herrfurth, vor ungefähr 200 Zuschauern, in der Hoffnung die Schüler hätten daraus gelernt: "Wir wären alle gute Nazis gewesen. Wir hätten auch die Uniform angezogen!"

Seit über 25 Jahren ist "Die Welle" die theatralische Allzweckwaffe gegen rechts. Kein anderes Stück zeigt so deutlich die Verfügbarkeit des Menschen. Egal ob Mitläufer, Begeisterter oder im Untergrund arbeitender Widerständler, man lernt Charaktere kennen, die einem Führer folgten oder sich wehrten. Und was noch viel wichtiger ist, dieses Stück macht deutlich, dass Faschismus nicht nur ein deutsches Phänomen ist.

"Das Problem bestand darin, dass sich die Deutschen von Adolf Hitler haben unbemerkt manipulieren lassen", sagt die Leiterin der Gruppe, Sabine Teichert. „"Doch das Theaterstück soll zeigen, dass nicht nur Deutsche sich unbemerkt verleiten lassen. Daher wollten wir auf diese Weise rettende Wachsamkeit vermitteln."

"Ich wollte für eine gute Sache kämpfen und mit der Rolle der Laurie Saunders als Widerständlerin und Nicht-Mitglied der 'Welle' wurde dies möglich. Da haben sich die vielen Probestunden gelohnt", sagt Sophia Klocke zufrieden am Ende der Vorstellung.

Die Darsteller

Mrs. Ross (Josefin Herrfurth), Mr. Ross, ihr Ehemann und Schulleiter (Marie-Lena Faig), Laurie Saunders (Sophia Klocke), David Collins (Anne Wolpers), Carl (Luisa Onnebrink), Alex (Lisa Klangwart), Peter (Meret Quante), Tom (Thomas Kämpfer), Amy Smith (Theresa Kämpfer), Robert Billings (Thorben Neumann), Mrs. Saunders, Lauries Mutter (Inga Dietrich), Schülerinnen aus der Unterstufe (Selina Weskamp, Daria Schlüter, Hannah Müller, Deria Seck, Lea Gasse). Für Ton und Beleuchtung verantwortlich waren Florian Derenthal und Sophie Blömeke.

Bildunterschrift: Gehirnwäsche: Die Klasse einer amerikanischen Highschool beginnt mit einem Experiment, bei dem Disziplin erwünscht ist. Im Hintergrund hängt die Welle-Flagge, welche Kraft, Dynamik und Gemeinschaft symbolisieren soll.

Bildunterschrift: Unbegreiflich: Laurie Sanders (Sophia Klocke) liest dem willigsten Helfer der "Welle", Robert Billings (Thorben Neumann), den besorgten Brief einer Mitschülerin vor. Das Experiment gerät außer Kontrolle.

06./07.02.2010
lok-red.hoexter@neue-westfaelische.de

zurück