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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 10.03.2005 :

Brutale Mörder und gute Freunde / Ferdinand Matuszek kam als Zwangsarbeiter nach Bad Oeynhausen und lebt heute in Gohfeld

Von Dirk Windmöller

Löhne. "Hier, genau hier habe ich mit der Egge gearbeitet", Ferdinand Matuszek steht auf einer Wiese zwischen Werrepark und Werre. Der Boden ist matschig an diesem trüben Wintertag. Der 79-Jährige, der heute in Gohfeld lebt, steht an der Stelle, wo vor mehr als 60 Jahren, im Herbst 1944, ein Kriegsverbrechen begangen wurde. Matuszek, der als Zwangsarbeiter aus Galizien verschleppt worden war, wurde Zeuge, wie ein Werkspolizist der Weserhütte einen russischen Kriegsgefangenen erschoss. Sterben musste er wegen Kartoffeln.

Die Wiese war vor 60 Jahren ein Kartoffelacker, der direkt an das Gelände der Weserhütte angrenzte. Dort wurden damals auch von Kriegsgefangenen Rüstungsgüter hergestellt. Matuszek, der als Zwangsarbeiter bei Bauer Körtner in Rehme arbeitete, hatte mit der Egge auf dem Acker zu tun.

Die Ernte war beendet und es lagen nur noch winzige Kartoffeln auf dem Land. Zum Ernten zu klein, für hungrige Gefangene aber eine Delikatesse. Der Mann muss es wie einen Glücksfall empfunden haben, an diesem Tag im Herbst 1944 zufällig am Zaun des Hüttengeländes gestanden zu haben, wo er auf Ferdinand Matuszek traf. Es war seine letzte Begegnung mit einem guten Menschen.

"Der Gefangene kam an den Zaun und fragte höflich, ob er Kartoffeln haben könne. Das habe ich ihm natürlich erlaubt." Der stieg über den Zaun und steckte sich viele Kartoffeln unters Hemd. Beobachtet wurde der Gefangene von einem Werkspolizisten, der ihn zur Rede stellte.

Es habe einen kurzen Wortwechsel gegeben. "Als ich dem Werkspolizisten sagte, dass es in Ordnung war, die Kartoffeln zu nehmen und dass seine Zuständigkeit am Zaun ende, hat der gar nichts mehr gesagt. Er hat dem Russen befohlen, die Kartoffeln wegzuschmeißen und ihm gesagt er solle gehen. Als der Mann ein paar Meter gegangen war, hat der Polizist dem Russen in den Rücken geschossen. Der ist sofort umgefallen." Und war tot, wie sich später herausstellte. "Ich bin sofort weggelaufen, zum Bauern nach Rehme und habe ihm alles erzählt. Der hat gesagt: "Halt bloß deine Schnauze, sonst holen sie Dich auch noch."

Bauer Körtner war sein Arbeitgeber. Dorthin war er 1942 aus Galizien, das heute zum Teil in der Ukraine und zum Teil in Polen liegt, verschleppt worden. "Vom Küchentisch. Meine Schwester saß auf meinem Schoß und ich machte Hausaufgaben," erzählt Matuszek.

"Bei Körtner habe ich als Zwangsarbeiter alle Arbeiten gemacht, die in der Landwirtschaft so anfallen. Das war harte Arbeit, aber die Leute waren korrekt zu mir. Ich gehörte mit zur Familie."

Über das schrecklich Erlebnis an der Werre konnte Matuszek viele Jahre nicht sprechen. "Vor wenigen Jahren habe ich das in der Zivildienstschule in Rehme erzählt. Da standen mir die Tränen in den Augen und vor mir saßen 27 junge Männer, die sich nicht trauten zu sprechen."

Und auch wenn er heute in den Werrepark geht, ist das für ihn kein normaler Einkaufsbummel. "Wenn ich hier bin, muss ich mich zwingen, nicht daran zu denken. Das nimmt mich immer noch sehr mit."

Der Täter, ein gebürtiger Rehmer, wurde nach dem Krieg von einem alliierten Gericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, so Bad Oeynhausens Stadtarchivar Rico Quaschny.

Kaum hatte er den Schock vom Kartoffelacker halbwegs verdaut, wurde Ferdinand Matuszek im November 1944 brutal klar gemacht, in welcher Gefahr er selber schwebte. "Alle Zwangsarbeiter wurden in einen Wald in Lahde gebracht. Da war ein Galgen aufgebaut", schildert er die Szene.

Kurze Zeit später seien zwei junge Leute, eine Frau und ein Mann, mit kahl geschorenen Köpfen von der SS zu den Galgen geführt worden. Die beiden waren ein Paar. Ein Zwangsarbeiter und eine Deutsche, die sich verliebt hatten. Der junge Mann sei vor den Augen der Zwangsarbeiter aufgehängt worden. Das Mädchen habe man ins KZ gesteckt.

Für Ferdinand Matuszek war der Schock dieser Hinrichtung größer als für viele andere Zwangsarbeiter: "Ich hatte damals eine deutsche Freundin, die ich später geheiratet habe. Das wussten viele Rehmer, verraten hat mich aber niemand."

Erlebnisse wie das mit den Rehmern sind es, die es Matuszek vergleichsweise leicht gemacht haben, auch nach dem Krieg in Deutschland zu bleiben. "Ich wusste zuerst auch nicht, wo ich hin sollte, erst später habe ich meine Mutter und meine Schwester wieder gefunden."

In Rehme hatte er Freunde gefunden und Arbeit. Für einige Zeit hat er in München beim Film gearbeitet. Dann hat es ihn aber doch wieder nach Bad Oeynhausen gezogen. Unter anderem hat er 27 Jahre bei der Firma Willing und Sohn, Stilmöbel, gearbeitet. Heute wohnt er in Gohfeld.

In Galizien ist er zu Besuch gewesen. Heimat ist aber Deutschland für ihn geworden. Unter Deutschen zu leben ist trotz der Verbrechen, die viele von ihnen begangen haben, kein Problem. "Ich habe nichts gegen Deutsche, aber gegen Nazis." Und "anständige Deutsche" habe er viele im Krieg kennen gelernt.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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