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Mindener Tageblatt , 23.11.2007 :

Heinrich Ronicke gründete Möbelfirma vor 150 Jahren / Traditionsreiches Mindener Familienunternehmen über vier Generationen / In Glanzzeiten der Gehäuseproduktion mehr als 500 Mitarbeiter

Minden (y). Vor 150 Jahren, am 23. November 1857, wurde die Möbelfabrik H. Ronicke Söhne gegründet. Bis 1984 produzierte der führende Möbelhersteller in Minden.

Von Ulrich Gräler

Vielen Mindener Bürgern ist der Name der Firma nach wie vor ein Begriff, denn H. Ronicke Söhne war einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt, und das über mehrere Generationen hinweg. Doch nicht nur die Tradition, sondern auch das Renommee des Möbelherstellers in Deutschland und im Ausland förderte den Stolz, den die Stadt für das Unternehmen empfand, das in den 1980er-Jahren allerdings für immer seine Tore schließen musste.

Der Gründer der Mindener Firma, Heinrich Carl Ronicke (1828-1887), stammte aus Niederglaucha in Sachsen. Nach erfolgreicher Prüfung (1845) hatte sich der Geselle Heinrich Ronicke wie viele seiner Berufsgenossen auf Wanderschaft begeben, sich dann aber 1857 in Minden, wo er 1852 geheiratet hatte, und sich in einem eigenen Betrieb an der Hufschmiede selbstständig gemacht. In den ersten Jahren lief das Geschäft gut an, so dass er bereits 1863 das Grundstück für 1800 Taler kaufen konnte.

Aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen konnte sein Betrieb allerdings nur wenig an dem wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben, der sich nach dem Krieg 1870/71 in Deutschland einstellte. Heinrich Ronicke starb 1887.

Sein Sohn Heinrich (1860-1921) bereitete sich wegen der langen Erkrankung seines Vaters schon früh auf die spätere Übernahme des Geschäftes vor. Gemeinsam mit seiner Gattin Marie Seedorf, die ebenfalls aus Minden stammte, ging er tatkräftig an den Ausbau des Betriebs. Anfang 1889 stellte er als erster Tischlermeister der Stadt einen Gasmotor von 25 PS und verschiedene Tischlereimaschinen auf, mit denen er neben der eigenen Fertigung auch Auftragsarbeiten für andere Tischlermeister ausführte, die noch keine Maschinen mit Motorbetrieb besaßen.

Innenausbau für viele repräsentative Gebäude

Heinrich Ronicke junior erwarb sich nicht nur als Hersteller wertvoller Möbel, sondern vor allem im Innenausbau einen guten Ruf. Die Innenausbauten im ehemaligen Regierungsgebäude in Minden (heute Bundesbahn-Zentralamt), im zerstörten Mindener Rathaus sowie in der früheren Oberpostdirektion (heute Finanzamt) legen neben Ausbauten in einigen großen Privathäusern und Villen in Minden heute noch beredtes Zeugnis dieser Arbeiten ab. Aufgrund der einwandfreien Qualität seiner Produkte galt Ronicke bald als anerkannter und zuverlässiger Fachmann, den die Tischlerinnung später auch zu ihrem Obermeister wählte.

Zu jener Zeit begann Heinrich Ronicke bereits, Möbelstücke auf Vorrat anzufertigen und diese für die Kundschaft zur Auswahl bereitzuhalten. Dadurch legte er, mit tatkräftiger Unterstützung seiner Ehefrau, den Grundstein für das auch überregional sehr angesehene Handelsgeschäft der Firma. Der Erste Weltkrieg führte jedoch zu einem ernsten Einschnitt in der Entwicklung des Unternehmens. Der Handel in der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit brachte der Firma einen starken wirtschaftlichen Rückschlag, der Heinrich Ronicke sehr zu schaffen machte und auch nicht ohne Folgen für seine Gesundheit blieb. Im Jahr 1921 starb er an den Folgen der Erkrankung. Seine Frau Marie Ronicke, die ihren Mann um 16 Jahre überlebte, widmete sich fortan vornehmlich karitativen Aufgaben, vor allem in der Fürsorge für die Blinden in der Stadt Minden.

Der Fortbestand des Unternehmens wurde in der dritten Generation auf mehrere Schultern verteilt, denn nach dem Tode des Vaters führten seine Söhne Georg (1889-1952) und Karl (1893-1968) Ronicke sowie sein Schwiegersohn Martin Baade (1894-1956) das Geschäft weiter. Die drei jungen Inhaber betrieben mit großem Einsatz, den Schwierigkeiten der Nachkriegszeit mit Inflation und hoher Arbeitslosigkeit zum Trotz, den Ausbau der Firma, indem sie weitere Nachbargrundstücke hinzukauften, um die Betriebsräume zu erweitern und zu verbessern. In der Herstellung ging die Firma mittels moderner Maschinenanlagen zur Serienproduktion der Möbel über, um diese an Handelsgeschäfte in ganz Deutschland zu verkaufen. Mit dem Erfolg der "Ronicke-Möbel" erreichte die Firma schon damals auch ausländische Märkte, so dass der Export in die europäischen Nachbarländer zum Geschäftserfolg beitrug.

Rationalisierung und moderne Maschinen

Mit dem wirtschaftlichen Erfolg stieß der Betrieb an der Hufschmiede jedoch bald an seine räumlichen Grenzen. 1928 siedelte die Fabrikation in die neuen, geräumigen Werkhallen an der Friedrich-Wilhelm-Straße um. Das Gebäude an der Hufschmiede behielt man jedoch weiter als Geschäftsräume für das Einrichtungshaus bei. Die Belegschaft der Firma erreichte in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schon mehr als 230 Mitarbeiter. Diese stete Aufwärtsentwicklung wurde jedoch jäh durch den Krieg unterbrochen. Karl Ronicke wurde wie zahlreiche Mitarbeiter zur Wehrmacht eingezogen. Der verbleibende Rest der Belegschaft erledigte Rüstungsaufträge für das Militär. Dabei kamen auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Frankreich, Polen und der damaligen Sowjetunion zum Einsatz. Um den Abzug von weiterem Personal zu verhindern, gelang es Karl Ronicke während eines Heimaturlaubs, Aufträge höherer Kriegswichtigkeit zu erhalten.

Die Kriegsfolgen waren für die Firma Ronicke trostlos. Die Inhaber beklagten den Tod zweier Söhne und die Zerstörung ihrer Geschäftsräume an der Hufschmiede. Der Betrieb an der Friedrich-Wilhelm-Straße blieb von Zerstörungen zwar verschont, aber es fehlte an Material und Werkzeug. Nach der Wiederinbetriebnahme war zunächst die Besatzungsmacht Hauptauftraggeber. Das wiederaufgebaute Handelsgeschäft an der Hufschmiede entwickelte sich zu einem führenden Haus der Branche.

Unter Anleitung des neuen Seniorchefs Karl Ronicke gehörten der vierten Unternehmergeneration dessen Sohn Hans-Jürgen, sein Neffe Werner Baade und Georg Ronickes Tochter Gabriele sowie deren Ehemann an. Ab 1950 nahm die Firma Ronicke auch zu großen Teilen die Fertigung von Radio-Gehäusen und Musiktruhen aus Holz auf, um sich von den Schwankungen des Möbelmarktes unabhängiger zu machen. Später kamen Gehäuse für Musik- und Zigarettenautomaten, Heimorgeln, Klaviere und seit den 1960ern verschiedene Hersteller von Fernsehgeräten hinzu. Zeitweise erzielte Ronicke mit der Gehäuseproduktion mehr als 80 Prozent seines Umsatzes.

Gleichzeitig erneuerte das Unternehmen seine Maschinenausstattung durch den Kauf moderner Holzbearbeitungsmaschinen und rationalisierte mit Hilfe des Betriebsingenieurs Fritz Kindler den Produktionsprozess durch Fertigungsstraßen und die Einführung des REFA-Systems. Mit einer Belegschaft, die von 94 Mitarbeitern 1945 auf mehr als 500 Personen 1957 stieg, zählte die Firma Ronicke zu den bedeutendsten Betrieben der Stadt und gleichzeitig zu den größten Unternehmen der deutschen Möbelindustrie jener Zeit.

Doch seit den 60er-Jahren verdrängte Kunststoff Holz in der Gehäuseproduktion. Ein Ausgleich bot sich der Firma durch den Anschluss an den WK-Möbelverband, der sich auf die Entwicklung und den Vertrieb höherwertiger Wohnmöbel spezialisiert hatte. Daneben versuchte die Firma Ronicke 1970 gemeinsam mit anderen namhaften Herstellern einen weiteren Vertriebsweg durch die Gründung des Designo Verbandes aufzubauen.

In Folge der Hochzinsphase der 70er-Jahre geriet das Unternehmen zunehmend unter finanziellen Druck, so dass sich die Geschäftsführung 1984 gezwungen sah, trotz ausreichender Auftragslage die Produktion einzustellen. 1988 übernahm das Diakonische Werk die Fabrikhallen und richtete die Albert-Clos-Werkstätten II für Behinderte ein.

Bildunterschrift: Firmengründer: Heinrich Carl Ronicke stammte aus Sachsen.

Bildunterschrift: Firmensitz in Öl: Ein Gemälde der Ansicht des Fabrikationsgebäudes an der Friedrich-Wilhelm-Straße hängt heute noch in den Albert-Clos-Werkstätten des Diakonischen Werkes.

Bildunterschrift: Zweite Generation: Heinrich Ronicke jun. übernahm 1887 die Unternehmensleitung.

Bildunterschrift: Blick in Zuschnitthalle: H. Ronicke Söhne zeichnete sich durch fortschrittliche rationalisierte Produktionsmethoden aus.

Bildunterschrift: Großes Fabrikgelände: Mehr als 500 Beschäftigte arbeiten in den 1950er-Jahren in den Hallen zwischen Friedrich-Wilhelm-Straße und altem Weserhafen.


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