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Tageblatt für Enger und Spenge , 12.05.2010 :

Zwei Postkarten als Zeugen einer schrecklichen Zeit / Ein "ehemals fröhlicher Bub" berichtet von "Sonderzügen in den Tod. Die Bielefelder Deportationen"

Von Stefanie Boss

Spenge. In der Ausstellung gibt es ein Foto, dass Elfried Naumann als sechsjährigen Jungen zeigt. "Damals war ich noch ein fröhlicher Bub", sagte er. "Ich wusste ja noch nicht, was noch kommt." Der heute 85-Jährige berichtete jetzt in der Ausstellung "Sonderzüge in den Tod. Die Bielefelder Deportationen", die derzeit in der Regenbogen-Gesamtschule zu sehen ist, als Zeitzeuge von seinen Erfahrungen.

Elfried Naumann war für seinen Vortrag eigens aus Bad Driburg angereist. "Meine Frau fragt mich immer, warum ich mir das in meinem Alter noch antue", sagt er. "Aber wenn nicht wir, die wir diese Zeit erlebt und überlebt haben, davon berichten, wer soll es sonst tun?"

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Bahn und des Initiativkreises Deportationsausstellung Bielefeld. Im November 2009 war sie zum ersten Mal in der Ravensberger Spinnerei zu sehen, nun gastiert sie auch in Schulen. Sie zeigt das Schicksal von Juden aus Bielefeld und Umgebung, die mit Zügen in die Konzentrationslager transportiert wurden. Auch zwei Tanten von Elfried Naumann waren dabei.

Davon und aus seinem eigenen Leben berichtete er seinen Zuhörern. Die ersten Jahre seines Lebens sei er unbeschwert in Bad Lippspringe aufgewachsen; bis zum Erlass der Nürnberger Rassegesetze. Sein Vater war evangelisch, seine Mutter Jüdin. Seine Eltern führten daher eine so genannte "privilegierte Mischehe", seine Mutter genoss einen gewissen Schutz. Trotzdem war auch seine Familie von den Gesetzen betroffen, sein Vater durfte seinen Beruf als Musiker nicht mehr ausüben, einziger Ausweg wäre die Scheidung von seiner Frau gewesen. Und auch Elfried Naumann selbst, als "Mischling", spürte die Auswirkungen. So blieb ihm die Aufnahme in die höhere Schule sowie ein Studium verwehrt. Er machte eine Lehre als Fotograf und arbeitete zunächst als Fotogehilfe. Bis er ab April 1944 als Zwangsarbeiter bei der OT, der "Organisation Todt", erst in einem unterirdischen Stollen in Frankreich, später im Sauerland arbeiten musste. "Das war meine schlimmste Zeit", sagte er.

Seine Tanten waren schon vorher deportiert worden, im Juli 1943. Mit anderen mussten sie sich in Bielefeld versammeln, bevor sie mit dem Zug weitertransportiert wurden. Die erste Karte schickten sie noch aus Bielefeld an die Mutter von Elfried Naumann, die zweite kam später aus Oppeln in Schlesien. Daher rekonstruierte die Familie, das die Tanten nach Auschwitz gebracht worden waren.

Elfried Naumann ist dankbar, dass seine Eltern, seine Schwester und er den Nationalsozialismus überlebten. Hass spürt er nicht. "Ich bin kein Mensch, der hassen kann."

Die Ausstellung in der Gesamtschule haben die meisten Schüler schon gesehen. "Das hat sie sehr berührt", sagte Hartmut Duffert, didaktischer Leiter, der die Ausstellung zusammen mit Reinhard Heinrich betreut. "Da ist das alles auf einmal ganz nah."

"Wie das ist in einer Diktatur, das können sich die jungen Leute nicht mehr vorstellen", meinte Elfried Naumann. Deshalb möchte er auch weiterhin unterwegs sein, solange es geht. Und von seinen Erfahrungen berichten.

Auch Gäste willkommen

Die Ausstellung "Sonderzüge in den Tod. Die Bielefelder Deportationen" läuft noch bis zum 21. Mai in der Regenbogen-Gesamtschule. Interessierte können sich in der Schule melden und erhalten dann die Möglichkeit, sie anzusehen.

Bildunterschrift: Zeitzeuge: Elfried Naumann zeigt eine Karte seiner deportierten Tanten und eine, die seine Mutter nach Auschwitz schickte, die aber zurückkam. Auf dem Foto im Hintergrund ist er selbst als Sechsjähriger zu sehen.


lok-red.enger@neue-westfaelische.de

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