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Mindener Tageblatt , 18.07.2009 :

Mutter zuletzt bei Gestapo gesehen / Berta Orthmann verschleppt und in Auschwitz umgebracht / Drei Söhne erleiden Repressalien

Von Hans-Werner Dirks und Kristan Kossack

Minden. Die jüdische Witwe Berta Orthmann wurde während der NS-Herrschaft verschleppt und im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht. Im Sinn der Nürnberger Rassengesetze galten ihre Söhne als Halbjuden, die ebenfalls Repressalien erlitten.

Berta Orthmann wurde am 13. Januar 1885 geboren. Sie war Jüdin und stammte aus der Familie des Schlachters Moritz Seelig, der laut Mindener Adressbuch von 1885 am Königswall 85 ein Geschäft besaß. Die Mutter war Helene Seelig (geb. Meier).

Tochter Berta heiratete den Schuhmacher Karl Orthmann (geb. 10. Mai 1880). Er war kein Jude und war nach dem Ersten Weltkrieg nicht länger im Mindener Adressbuch verzeichnet.

Berta Orthmann lebte nach dem Ersten Weltkrieg bis zu ihrer Verschleppung im Jahr 1944 in der Hohnstraße 18. Sie hatte die drei Söhne Werner (geb. 26. Mai 1906), Karl Heinz (geb. 20. Juni 1912) und Walter (geb. am 5. Februar 1915).

Der älteste Sohn Werner, der zusammen mit seiner Mutter in der Hohnstraße lebte, äußerte sich 1948 in einer eidesstattlichen Versicherung zu ihrem Schicksal. Die Mutter sei am 28. August 1944 von der Gestapo abgeholt worden und in ein Gefängnis nach Bielefeld gekommen. Dort habe er seine Mutter etwa acht Tage später noch einmal besucht. "Seitdem habe ich nie wieder etwas von ihr gehört."

Der jüngste Sohn Walter war Schlosser und wohnte 1935 in der Nettelbeckstraße 6. Er erklärte im Februar 1949 zum Schicksal seiner Mutter, dass er sie zum letzten Mal während eines Urlaubs im Juni 1944 in Minden gesehen habe. Er sei damals kein Soldat mehr gewesen, sondern habe als Werkzeugmacher in Sorau in der Lausitz gearbeitet. Von der Verhaftung der Mutter habe er bei einem späteren Besuch in Minden gehört.

Danach, so Walter Orthmann in seiner Aussage, "empfing ich einen von ihr geschriebenen Brief vom 30. Oktober 1944, in welchem sie mir mitteilte, dass sie sich auf der Fahrt in ein Konzentrationslager befände. "Dieser Brief war das letzte Lebenszeichen meiner Mutter an mich".

Nach dem Zusammenbruch habe er sich nach Bielefeld zum Polizeigefängnis begeben. Dort sei ihm erklärt worden, dass seine Mutter in das Konzentrationslager Auschwitz gekommen sei.

Werner Orthmann war von Beruf Kellner. Zu seiner Verfolgung als "Halbjude" ist eine schriftliche Zeugenaussage überliefert, die im Juli 1947 vom damaligen Kreishandwerksmeister Hermann Bradtmüller abgegeben wurde. Darin führte Bradtmüller aus, dass Orthmann wegen der Rassengesetze seinen Beruf als Kellner seit 1938 in Minden nicht mehr ausüben konnte. Er sei auch in anderen Städten schnell als so genannter "Nichtarier" identifiziert worden. Als seiner Mutter nach der Pogromnacht das Haus und die Rente weggenommen wurden, sei der Sohn zu ihrer Unterstützung nach Minden zurückgekehrt. Nach der Deportation der Mutter wurde Werner Orthmann, laut Bradtmüller, 1944 in das Zwangsarbeiterlager Störmede eingeliefert. Nach einem halben Jahr sei er in das Lager Brabach bei Zeits weiterverlegt worden.

Bradtmüller, der damals auch als Zwangarbeiter in Störmede war, meinte, dass die Insassen des Lagers Brabach am Schluss des Krieges nach Theresienstadt deportiert wurden und erklärte wörtlich: "Wenn Orthmann wieder zurückgekehrt ist, so ist (das) nur dem Umstand zu verdanken, weil er es verstanden hat, sich frühzeitig aus dem Lager zu entfernen und solange zu tarnen, bis die Amerikaner da waren". Bradtmüller fügte hinzu: "Ich kann dies alles bezeugen, weil mein Sohn und auch ich selbst mich in den Lagern aufhalten musste, weil ich mit einer Jüdin verheiratet bin und mein Sohn als Mischling galt."

Der dritte Sohn, Karl Heinz Orthmann, war von Beruf Bäcker und bis zum 10. Februar 1943 Soldat. Dann wurde er laut eigener Aussage als "Halbjude" aus der Wehrmacht entlassen und musste in einem Rüstungsbetrieb arbeiten. Dort habe er nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht aus seiner antifaschistischen Einstellung keinen Hehl gemacht. Nach einer Denunziation durch Arbeitskollegen sei er am 8. Mai 1944 zu drei Jahren Zuchthaus wegen "Wehrkraftzersetzung" verurteilt worden und habe sich bis zum Kriegsende in Haft befunden.

Hans-Werner Dirks aus Lavelsloh ist Diplom-Sozialwissenschaftler. Er arbeitet seit 1987 zur deutsch-jüdischen Emigration, unter anderem für die jüdische Kultusgemeinde Minden. Kristan Kossack aus Minden beschäftigt sich mit regionaler Zeitgeschichte (19. und 20. Jahrhundert) und hat diverse Veröffentlichungen verfasst (www.zg-minden.de).

Bildunterschrift: Berta Orthmann wurde in Auschwitz umgebracht.




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18./19.07.2009
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