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Lippische Rundschau , 09.10.2003 :

Karla Raveh erzählt seit vielen Jahren ihre Lebensgeschichte / In der Hoffnung auf Frieden

Von Corinna Strate

Lemgo (LR). "Frieden" steht in vielen Sprachen auf dem bunten Bild, das Schüler für das kleine jüdische Museum im Frenkelhaus an der Echternstraße gemalt haben. Frieden, das ist auch das, was sich Karla Raveh am meisten wünscht. Unermüdlich setzt die 76-Jährige sich für Versöhnung und Völkerverständigung ein - ganz einfach nur, indem sie ihre Geschichte erzählt. Sie ist die einzige Überlebende des Holocaust aus Lemgo, ihre gesamte Familie starb in Auschwitz. Heute, Donnerstag, wird ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Großes Leid ist ihr zugefügt worden, und unvorstellbares Elend muss Karla Raveh gesehen haben. Und dennoch ist sie nicht erfüllt von Hass oder Bitterkeit. "Ich bin ein versöhnlicher Mensch", sagt Karla Raveh. Sie habe das Gefühl, mit ihrer Lebensgeschichte etwas bewegen zu können, jungen Leuten etwas mitgeben zu können. Und deshalb erzählt sie auf Einladung von Schulen oder Kirchengemeindenunermüdlich ihre Geschichte. Seit 1988 verbringt Karla Raveh, die 1949 nach Israel auswanderte und in der Nähe von Haifa lebt, jeden Sommer drei Monate an der Echternstraße, fährt zu Vorträgen oder führt durch das Museum im Erdgeschoss ihres Elternhaus.

Über die schlimmsten Bilder in ihrem Inneren spricht sie nicht. Nicht nur, dass sie ihrem zumeist jungen Publikum die schrecklichsten Geschichten ersparen will, sondern bei vielen Dingen fehlen ihr noch immer die Worte.

Noch immer Bilder vor Augen

"Ich erinnere mich an alles, habe viele Bilder vor Augen", sagt Karla Raveh. Aber über manches könne sie einfach nicht reden.

Ansonsten hat die zweitälteste Tochter der Familie Frenkel festgestellt, dass das Reden ihr hilft. "Ich habe mir in den vergangenen Jahren damit so vieles von der Seele genommen, mich frei geredet", erzählt Karla Raveh. Das sei das letzte Vermächtnis ihres Mannes Shmuel Raveh gewesen. Er habe sich vor seinem Tod gewünscht, dass sie ihre Geschichte erzähle.

Und so berichtet sie jedesmal aufs Neue von der Ausgrenzung, dem Gefühl, fremd in der eigenen Heimat zu sein, von den Nachbarn, die sich plötzlich abwendeten. Schließlich der Abtransport 1942, zunächst nach Theresienstadt, später nach Auschwitz, wo ihre Eltern und beide Geschwister starben. Karla Raveh kam über Bergen-Belsen nach Salzwedel, wo sie bis 1945 zwangsweise in einer Munitionsfabrik arbeitete. Doch bis zu ihrer Rettung, der abenteuerlichen Rückkehr nach Lemgo und dort schließlich dem Zusammenbruch der kranken, völlig entkräfteten jungen Frau kommt Karla Raveh meist gar nicht mehr. "Die Zeit ist viel zu kurz", freut sie sich aber, dass ihre jungen Zuhörer viele interessierte Fragen stellen.

Karla Raveh erzählt auch von den Hoffnungszeichen: Menschen, die der Familie geholfen haben, obwohl sie sich selbst in Gefahr brachten. "Ich will das Gute nicht vergessen", betont sie. Und sie erzählt ihre Geschichte auch in Israel, will auch dort etwas bewegen, um den Hass zwischen Israelis und Arabern zu überwinden. Ob sie Hoffnung auf Frieden in Israel hat? "Leider", meint Karla Raveh, "haben die Menschen bislang nur wenig aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt".


wb@westfalen-blatt.de

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