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Mindener Tageblatt , 17.01.2024 :

"Eine Schande für die Republik"

Hiesige Politiker verschiedener Parteien finden deutliche Worte zum rechtsextremen Treffen unter Beteiligung der AfD in Potsdam / Deren heimischen Vertreter distanzieren sich von den Plänen der "Remigration" gerade nicht, sondern zeigen eher Sympathie

Ilja Regier, Henning Wandel, Lea Oetjen, Claudia Hyna, Thomas Lieske und Benjamin Piel

Minden. Als vor wenigen Tagen die auf einem rechtsextremen Treffen in Potsdam geschmiedeten Pläne bekannt wurden, massenweise Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland herauszuschaffen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Denn: All das erinnerte an Massendeportationen in der NS-Zeit. Beobachter der Szene zeigten sich dagegen weniger überrascht von den Details, die auf Grund der Recherche des Netzwerks Correctiv zutage kamen. Auch nicht davon, dass ranghohe AfD-Vertreter Teil des Treffens waren.

Vom Minden-Lübbecker AfD-Kreisverband ist bekannt, dass er rechtsextrem und Höcke nah ist. So überrascht auch nicht, dass der Mindener AfD-Mann Thomas Röckemann auf MT-Nachfrage Sympathien für die Pläne zeigt. Deportationen lehnt er zwar ab. Sie seien "ungesetzlich und verachtenswert". Allerdings: "Sollte hingegen die deutsche Staatsbürgerschaft durch Gesetz entzogen werden und die eines Drittstaates wieder aufleben bzw. noch bestehen, sehe ich hier Möglichkeiten." Und: "Wenn sogenannte "Flüchtlingsunterstützer" ausreisepflichtig sind, dann haben sie unser Land zu verlassen." Bei Abschiebungen hätten Bundesregierungen in der Vergangenheit "geschlampt", findet Röckemann. Der Mindener AfD-Stadtverordnete Frank Dunklau diffamiert die Recherche auf Facebook als "riesige Schweinerei", da offenbar jemand abgehört worden sei. Dunklau befürwortet "Remigration". Auch die Kreis-AfD teilt im Netz ein Bild zu dem Schlagwort, auf dem ein wegfliegendes Flugzeug zu sehen ist.

Zum Begriff, der gerade zum Unwort des Jahres gewählt wurde, hat Marcel Komusin vom Verein "Minden - Für Demokratie und Vielfalt" eine klare Meinung: "Remigration ist nichts anderes als ein "Ausländer raus" im Sprech der Neuen Rechten." Überrascht ist der Mindener allerdings weder vom Potsdamer Treffen noch von den Ansichten der hiesigen AfD-Vertreter. "Es bringt erneut zum Ausdruck, mit welchen Inhalten die Partei und die Neue Rechte generell agiert." Die Ergebnisse der Recherche von Correctiv würden "die Dringlichkeit zum Ausdruck bringen, mit welchem Nachdruck unser Rechtsstaat dagegen vorgehen sollte". Aus diesem Grund findet am Freitag, ab 17 Uhr, auf dem Marktplatz auch eine große Kundgebung gegen Rechts statt (siehe Artikel unten). Die AfD werde in Zukunft immer aktiver versuchen, rechtsextreme Narrative in die Zivilgesellschaft zu bringen.

Laut Jannes Tilicke vom Bündnis "Minden gegen Rechts" versucht die AfD, die demokratische Grundordnung zu unterlaufen. "Demokratische Institutionen und ihre Vertretungen werden lächerlich gemacht, Wahlen angezweifelt. Die Gefahr ist, dass die Demokratie irgendwann so angeschlagen ist, dass die Wunden nicht mehr zu heilen sind", fürchtet der Sozialdemokrat. Die Remigration sei "ein rassistisches Konzept, das Menschen an Hand von willkürlichen Merkmalen diskriminiert". Überraschend sei all das aber nicht. Dass die AfD mit Neonazis sympathisiere, sei auch vor Ort zu beobachten. Tilicke hält es für richtig, dass über ein Verbot der Partei diskutiert wird.

Die heimischen Bundestagsabgeordneten sind sich in ihrer Beurteilung des Potsdamer Treffens einig. Die Pläne seien "menschenverachtend und geschichtsvergessen", sagt Oliver Vogt (CDU), "insbesondere an einem Ort nur wenige Meter vom Ort der Wannseekonferenz entfernt". Dort wurde 1942 die Deportation und Ermordung von Millionen von Juden organisiert. Damit zeige die AfD "ihr wahres Gesicht". Im Bundestag gebe es keinerlei Zusammenarbeit mit Vertretern der AfD. Ein Verbotsverfahren sieht Vogt kritisch. Sollte es scheitern, könne die AfD das als Gütesiegel nutzen. Außerdem würde das Problem nicht gelöst.

Auch Achim Post (SPD) zeigt sich von der jüngsten Entwicklung wenig überrascht. Es sei keine Neuigkeit, "dass die AfD eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei ist", und sich immer weiter radikalisiere. Das Geheimtreffen zeige "in aller erschreckender Klarheit", wie sehr Teile der AfD die Demokratie, die Verfassung und "unsere Werte verachten". Die Partei sei keine Alternative, sondern eine "Schande für die Bundesrepublik". Hinsichtlich eines Verbotsverfahrens ist auch Post zurückhaltend. Die Aussichten müssten genau geprüft werden. Dafür habe die SPD eine Expertengruppe eingesetzt. Ein aus Posts Sicht wichtiger Punkt sei, dass man mit der AfD "in keiner Weise zusammenarbeiten" dürfe.

Hilles Bürgermeister sieht sich zu einer Antwort nicht in der Lage

Schahina Gambir (Grüne) bezeichnet die Enthüllungen als erschreckend: "Die AfD greift die Grundfesten unserer Demokratie an." Es müssten alle nötigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Grundordnung zu schützen: "Rechtsextremes Gedankengut verschwindet auch durch ein Parteiverbot nicht einfach", so Gambir. Es brauche vielmehr breite Bündnisse und eine klare inhaltliche Auseinandersetzung.

Frank Schäffler (FDP) wertet die Teilnahme von AfD-Vertretern am Treffen als Beleg, wofür die AfD stehe: "Sie ist eine rechtsextreme Partei." Erschreckend sei auch, "dass CDU-Mitglieder teilgenommen haben". Sollte ein Verbotsverfahren scheitern, könne das die AfD eher stärken. "Es liegt an uns allen, die rechtsextremen Kräfte aus der politischen Arena zu verdrängen."

Etwas schwieriger kann die Situation auf der kommunalen Ebene sein. Landrat Ali Dogan (SPD) bezieht klar Position: Schon bei Amtsantritt habe er gesagt, dass er "die AfD für eine rechtsradikale Partei" erachte. In Potsdam habe sich das einmal mehr offenbart. "Als Landrat arbeite ich nicht mit der AfD zusammen", sagt Dogan. Trotzdem gebiete es seine Neutralität im Amt, dass er das rechtlich notwendige Maß an Nähe-Distanz-Verhältnis wahre, "mehr nicht". Alle Demokraten in der Gesellschaft müssten geschlossen gegen eine weitere Verschiebung des Sagbaren zusammenarbeiten: "Wir dürfen nicht sehenden Auges in unser aller Verderben marschieren."

Ganz ähnlich äußert sich Mindens Bürgermeister Michael Jäcke (SPD). Er hält die Inhalte des Treffens für "politisch absolut inakzeptabel, menschenfeindlich und in der Konsequenz absolut schädlich für Deutschland". Der Vorgang habe einmal mehr gezeigt, dass eine verfassungsrechtliche Beobachtung der AfD in allen Bundesländern "absolut notwendig" sei. Er sei im Moment noch gegen ein Verbotsverfahren: "Da sind alle demokratischen Parteien, gefordert, gemeinsam Haltung zu zeigen und eine ideologiefreie Politik für die Menschen zu machen."

Portas Bürgermeisterin Anke Grotjohann (Grüne) reagiert ebenso deutlich: "Sowohl als Bürgermeisterin als auch als Privatperson bin ich über die bekannt gewordenen Pläne, unbescholtene Bürgerinnen und Bürger zwangsauszuweisen, empört." Sie findet es allerdings schwierig, daraus Konsequenzen für die Arbeit auf kommunaler Ebene zu ziehen: "Wir sind verpflichtet, bei kommunalpolitischen Entscheidungen entsprechend der demokratischen Regeln zu verfahren. Derzeit hat dieses Ereignis keinen direkten Einfluss auf die Ratsarbeit der Stadt", sagt Grotjohann. Gegenüber einem möglichen Parteiverbot bleibt die Juristin zurückhaltend: "Das ist in Deutschland ein scharfes Schwert und ein drastischer Schritt." Sie setze Vertrauen in alle am Prüfverfahren beteiligten Behörden. Dieses Verfahren sei zunächst abzuwarten.

Auch Bürgermeister Dirk Breves (CDU) aus Petershagen ist angesichts des Verbotsverfahrens eher skeptisch. Selbst wenn die hohen rechtlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot vorlägen, würde ein jahrelanges Verfahren die AfD nur in ihrer Märtyrerrolle bestärken und ihr womöglich einen noch größeren Zulauf bescheren: "Die Frage ist doch, was getan werden kann und muss, um die große Schar der Unzufriedenen in die politische und gesellschaftliche Mitte zurückzuholen." Das Treffen von AfD-Funktionären mit Rechtsextremen ist für Breves ein neuerlicher Beleg dafür, dass "mindestens Teile und einzelne Landesverbände der AfD rechtsextrem und verfassungsfeindlich sind". Er schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD aus.

Hilles Bürgermeister Michael Schweiß (parteilos) sieht sich nicht in der Rolle, sich zu den aktuellen Ereignissen rund um die AfD zu äußern. "Für mich als Bürgermeister und damit Leiter der Gemeindeverwaltung verbietet sich eine Wertung der Ereignisse rund um das Potsdamer Treffen und damit die Entwicklung der AfD", teilt Schweiß mit. Angesprochen auf eine künftige Zusammenarbeit mit der AfD im Hiller Rat schreibt der Bürgermeister: "Ich sehe keinen Einfluss auf die Zusammenarbeit mit der demokratisch legitimierten Vertretung der AfD in unserem Rat." Die Frage nach einem möglichen Verbotsverfahren sieht er bei sich nicht richtig platziert: "In meiner Eigenschaft als Bürgermeister entzieht sich die Beantwortung dieser Frage meiner Zuständigkeit."

Bildunterschrift: Bundesweit gibt es Demonstrationen gegen rechts, hier in Berlin. Der Verein "Für Demokratie und Vielfalt" ruft auch in Minden zum Protest auf.



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- Freitag, 19. Januar 2024 um 17.00 Uhr -


Kundgebung: Gegen die Neue Rechte!


Veranstaltungsort:

Martinitreppe
32423 Minden


Redebeiträge von:

Bürgermeister Michael Jäcke
Landrat Ali Dogan
Kathrin Kosiek, CDU
Rüdiger Höcker, Seebrücke Minden
Felix Abruszat, FDP
Nina Pape, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden
Anna Gasiewski, Fluchtpunkt Martinihaus
Selvi Arslan, Integrationsbüro Minden
Aylin Rescho, Jugendforum Minden
Kolya Mustafa, Jugendforum Minden
Oswald Marschall, Verein Deutscher Sinti e.V. Minden
Volker Böttcher, Sparkassenvorstand im Ruhestand
Michael Mertins, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Minden
Sprecherin der Grünen
Irmgard Schmidt, Lübbecke zeigt Gesicht


Veranstalterin: Minden - Für Demokratie und Vielfalt e.V.: www.lap-minden.de

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Am 11. Januar 2024 forderte der völkisch-nationalistische "AfD"-"Kreisverband Minden Lübbecke", mit der xenophoben Überschrift "Remigration statt "Einzelfälle"!": "2024 muss das Jahr der Remigration werden!"

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