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Westfalen-Blatt , 10.02.2009 :

Ex-Neonazi warnt Berufsschüler / Jörg Fischer-Aharon in Herford - NPD ködert Jugendliche mit Musik-CDs

Von Dietmar Kemper

Herford (WB). Steckbriefe im Internet, Morddrohungen, Verleumdung: Der Neonazi-Aussteiger Jörg Fischer-Aharon lebt gefährlich. Gestern gewährte er Berufsschülern in Herford Einblicke in die rechtsextreme Szene.

Der 39-Jährige klärt in Schulen auf und bietet Fortbildungsveranstaltungen für Sozialarbeiter, Gewerkschafter und Lehrer an. Neonazis erkenne man daran, dass sie alles auf Deutsch ausdrücken, sagte Fischer-Aharon gestern im Wilhelm-Normann-Berufskolleg Herford. Statt T-Shirt sagten sie T-Hemd, statt Fax Fernablichtungsmaschine, statt CD Lichtstrahlmusikabspielscheibe, statt E-Mail Netzpost und statt Laptop Schoßrechner. "Die Ideologie, wonach das Deutsche höherwertiger ist, wird über die Wortwahl transportiert", erläuterte Fischer-Aharon. Neonazis leugneten die Gleichheit aller Menschen, sie diffamierten Ausländer und politisch Andersdenkende.

Geködert von einem Mitarbeiter des Nürnberger Versorgungsamts, verbrachte Fischer-Aharon die Zeit vom 13. bis 22. Lebensjahr in der NPD und deren Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten. Mit scheinbar unpolitischen Angeboten wie kostenloser Nach- und Nachbarschaftshilfe, Familienfesten und Gratis-CDs einschlägiger Bands stellten sie den Kontakt zu jungen Leuten her. "Als Mitglied hatte ich bis zu fünf Abendtermine in der Woche, war nur noch mit denselben Leuten zusammen und durfte weder bei McDonald's noch im Döner-Laden essen", berichtete Fischer-Aharon. Wegen des Beharrens auf Ein- und Unterordnung und wegen der umfassenden sozialen Kontrolle ähnele die rechtsextreme Szene einer religiösen Sekte.

Höhepunkt des Jahres sei der Bundesparteitag der NPD mit aberwitzigen Programmpunkten gewesen. "Da wurde die Familie des Jahres geehrt", sagte der Aussteiger. "Die Eltern mussten der NPD angehören und mindestens sechs Kinder haben." Als Belohnung hätten sie Geld und eine Urkunde erhalten, auf der ihr "beispielhafter Beitrag im biologischen Überlebenskampf der Deutschen" gelobt wurde.

Käme die NPD an die Macht, würden laut "100-Tage-Programm" jüdische Einrichtungen geschlossen, Gesamtschulen sowie die Studienfächer Soziologie und Politologie verboten und nur noch drei Radio- und Fernsehprogramme für deutsche Hoch- und Volkskultur sowie für Wissenschaft und Technik erlaubt, berichtete Fischer-Aharon den 60 ungläubig dreinschauenden Berufsschülern. Der Schulleiter Heinz Wehmeyer mahnte denn auch: "Jugendliche schließen sich schnell Bauernfängern an." Fischer-Aharon lebt mittlerweile in Berlin in einem Viertel mit vielen Türken: "Da fühle ich mich sicher."

Bildunterschrift: Auf der "Tour gegen rechts" der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt sprach Jörg Fischer-Aharon vor Berufsschülern.


bielefeld@westfalen-blatt.de

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