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Lippische Landes-Zeitung , 06.09.2007 :

Ein Offizier im falschen Licht / Der Lagenser Johannes Barge und das Wehrmachtsmassaker auf der griechischen Insel Kefalonia

Lage/Dortmund. 5.500 italienische Soldaten starben im September 1943 auf der griechischen Insel Kefalonia - getötet von Truppenteilen der deutschen Wehrmacht. Bis vor kurzem ermittelte die Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Dortmund erneut in der Sache. Kurios: Das Verfahren wurde jahrzehntelang unter dem Namen eines Mannes geführt, der gar nicht beteiligt war: Johannes Barge aus Lage.

Der "Schrank der Schande" hat im Jahr 2001 etliche für Jahrzehnte verschollene Akten frei gegeben - der Begriff steht als Synonym für die Nachlässigkeit der italienischen Justiz im Umgang mit Kriegsverbrechen. Darin ebenfalls vergessen: das Massaker auf Kefalonia, einer Insel im Ionischen Meer. Dort waren Soldaten der italienischen Division Acqui stationiert, ebenso deutsche Truppen unter dem Kommando von Johannes Barge, damals Oberstleutnant und Kommandeur des Regiments 966 mit zwei Festungsgrenadierbataillonen. Als die Italiener gegen Hitlers Willen im September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten abschlossen, befahl der "Führer", alle italienischen Truppen im deutschen Einflussbereich zu entwaffnen - und im Falle von Widerstand diesen rücksichtslos zu brechen. Historisch verbürgt ist, dass etwa 5.500 Italiener auf der Insel überwiegend von Gebirgsjägerverbänden getötet wurden - die Garnison auf Kefalonia hatte sich in einem Referendum ihrem Kommandeur General Gandin gegenüber erklärt, sie wolle freiwillig ihre Waffen nicht abgeben. Die von Hitler befohlene Erstürmung der Insel dauerte zwei Tage. Ein Großteil der Italiener wurde während der Kampfhandlungen erschossen - zumeist an Ort und Stelle, wenn sie sich ergeben hatten. Ein klarer Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht. Gandin wurde mit anderen Offizieren erschossen, angeblich nach einem Standgerichtsurteil.

"Barge war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf der Insel", sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß, Leiter der Dortmunder Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Ermittlung von NS-Verbrechen. Am 17. September war Barge als Inselkommandant abberufen und später nach Kreta versetzt worden - nur knapp drei Wochen, nachdem er auf Kefalonia eingetroffen war. Die Ermittlungen hätten bereits in den 60er Jahren ergeben, dass Barge mit dem Massaker nicht in Verbindung zu bringen sei - "wie haben Barge 1964 und 1965 vernommen, und da war schon klar, dass er nicht aktiv beteiligt gewesen sein konnte", betont Maaß.

Ermittlungen nach 25 Jahren eingestellt

Die Ermittlungen gegen den Lagenser seien am 17. September 1968 endgültig eingestellt worden. Immer wieder auftauchende Behauptungen, Barge habe sich versetzen lassen, weil er mit Gandin befreundet gewesen sei, verweist Maaß in den Bereich der Spekulation - darauf gebe es keine Hinweise. Aufschluss über Barges Haltung gibt allerdings eine Bemerkung des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe E, Generaloberst Alexander Löhr: "Ich habe Oberstleutnant Barge als Kommandant der Insel Kefalonia ablösen lassen, da er sich durch den gewandten und von vorgesetzter Stelle als zuverlässig bezeichneten italienischen Divisionskommandeur täuschen ließ und nicht - wie befohlen - unverzüglich zuschlug." Dennoch, so Löhr, habe Barge "in den nachfolgenden schweren Kämpfen seine Stellung als Führer einer Kampfgruppe ausgefüllt", bis er zwei Tage später ganz abgelöst wurde.

Bleibt die Frage, warum die Ermittlungen über das Massaker bis zu ihrer endgültigen Einstellung im März dieses Jahres unter Barges Namen geführt wurden, obwohl er seit über 40 Jahren entlastet ist. Dies habe formale Gründe, so Maaß: "Er hat das Pech, dass sein Name über dem Verfahren steht, weil er der Ranghöchste war." Als er im September 2001 die Ermittlungen im Fall Kefalonia wieder aufgenommen habe, "lag genug vor, um noch mal rangehen zu können", so Maaß: Neue Erkenntnisse durch den "Schrank der Schande", Stasi-Akten, Ergebnisse der historischen Forschung - "Ziel ist es, den Sachverhalt aufzuklären, um den Opfern Genugtuung zu bringen". Barges Name sei beibehalten worden, weil der Haupttäter - ein Gebirgsjägermajor namens Harald von Hirschfeld, der danach steile Karriere machte - zu Beginn der Ermittlungen bereits tot war, 1945 im Rang eines Generalmajors in Polen gefallen. "Da nimmt man keinen neuen Namen für ein Verfahren." Neue Erkenntnisse hätten sich jedoch nicht mehr ergeben, so dass er die Akte geschlossen habe, macht Maaß deutlich.

So steht Johannes Barge, der im Jahr 2000 in Lage gestorben ist, trotz weißer Weste mit dem größten Wehrmachtsverbrechen des Zweiten Weltkriegs weiter in Verbindung. Nach dem Krieg blieb der Ritterkreuzträger (verliehen am 20. Mai 1945 für seine Verdienste beim Kampf um die Insel Kreta kurz vor Kriegsende) den alten Kameraden stets verbunden. Noch heute ist er - posthum - im Internet zu finden als Vorsitzender des Lagenser Ortsverbands des "Verbands deutscher Soldaten" (VdS). Jener Verband ist seit 2004 vom Bundesverteidigungsministerium mit einem Kontaktverbot belegt: "Wesentlicher Grund war die in der Verbandszeitschrift dokumentierte Nähe zu rechtsextremen Tendenzen", so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber der LZ - in zwei Ausgaben von "Soldat im Volk" stammten "unkommentiert und unreflektiert veröffentlichte Texte aus der Feder des stellvertretenden Vorsitzenden der nationalsozialistischen Partei Amerikas". Auch in der "Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger" (OdR) war Barge bis zu seinem Tode Mitglied - auch hier gilt ein Kontaktverbot für die Bundeswehr, nachdem der Bundesvorstand sich in der Zeitschrift "Das Ritterkreuz" "in klaren Widerspruch zum Traditionsverhältnis der Bundeswehr" gesetzt und Soldaten der Wehrmacht generell als "beste Vorbilder für die heutige Zeit" bezeichnete.

Verfälschte Rolle im Hollywood-Film

Allgemein zugängliche Quellen legen nahe, dass die OdR seit langem in dem Ruch steht, ebenfalls rechtsgerichteten Kreisen nahe zu stehen Barges Sohn Klaus, selbst Berufssoldat und inzwischen pensioniert, betont, sein Vater habe zur OdR keinen engen Kontakt gepflegt - auch wenn er diese höchste militärische Auszeichung gelegentlich mit Stolz gezeigt habe. Sein Engagement im VdS - Barge war zeitweise auch Vorsitzender des Kreisverbands Detmold - sei als Zugehörigkeit zu einem "ganz normalen Verein" zu sehen: "Das war ein Geselligkeitsverein", sagt Klaus Barge, man habe Ausflüge veranstaltet, Feste, Treffen mit den Ehefrauen und den Familien. Er selbst sei als Kind und Jugendlicher auch dabei gewesen, "aus eigener Anschauung kann ich ausschließen, dass sich die Kriegsteilnehmer da mit ihren Taten gebrüstet hätten."

Das tat Johannes Barge wohl selbst im engsten Kreise nicht: "Mein Vater hat nie mit meinem Bruder oder mir darüber gesprochen", erinnert sich Klaus Barge - vieles um die Ereignisse auf Kefalonia wisse er nur aus der Literatur und aus einem Hollywood-Film, in dem die Rolle seines Vaters stark verfälscht wiedergegeben sei. "Ich würde so etwas meinem Vater nie und nimmer zutrauen", meint Barge über die Vorfälle dort.

Eine Verbindung zwischen Kefalonia und Lippe besteht jedoch auch nach 64 Jahren. Die Historikerin Ingrid Schäfer, die sich ausgiebig mit der Kriegszeit in Italien und den Spuren nach Deutschland befasst, hat jüngst einen Überlebenden der Division Acqui interviewt. Rino Catani, Jahrgang 1920, diente als Unteroffizier unter General Gandin - und hatte das Glück, nach der offiziellen Kapitulation der italienischen Truppen in deutsche Gefangenschaft zu geraten. "Er berichtet, dass Gandin und Barge in freundschaftlichem Verhältnis zueinander standen", erzählt Ingrid Schäfer - und beide seien sich einig gewesen, erst einmal die Dinge abzuwarten. "Mit absoluter Sicherheit konnte er sagen, dass Barge zur Zeit der Erschießungen nicht mehr an Ort und Stelle war." Barge, so vermutet der betagte Zeitzeuge, sei nach Athen abberufen worden.

Ob der Weg nach Kreta den Oberstleutnant der Wehrmacht über die griechische Hauptstadt führte, ist fraglich. Dennoch war Barge später dort: Inhaftiert wegen angeblicher Kriegsverbrechen auf Kreta, fünf Jahre lang, wie sein Sohn schildert - um dann vor einem Gericht in Athen 1950 freigesprochen zu werden. Ein hoher Preis für ein Ritterkreuz, dessen Verleihung nach neuesten Erkenntnissen unwirksam war - weil nach dem 8. Mai 1945 im besiegten Deutschland niemand mehr das Recht besaß, Orden zu vergeben und Barges Verleihungsurkunde nachdatiert worden war.

Bildunterschrift: Johannes Barge: Kein Kriegsverbrecher, sondern unbelastet. Trotzdem läuft das Ermittlungsverfahren im größten Wehrmachtsmassaker unter seinem Namen weiter.

In Kürze / Verbrechen auf Kefalonia

8. September 1943: Italien schließt Waffenstillstand mit den Alliierten.

9. September: Hitler löst den "Fall Achse" aus - die Besetzung des abtrünnigen ehemaligen Verbündeten. Barge und Gandin verhandeln über das weitere Schicksal der Division Acqui.

11. September: Gandin entscheidet entgegen dem Befehl des italienischen Oberkommandos sowie der Meinung seines Stabes und seiner Regimentskommandeure, die Waffen zu strecken und keinen Widerstand gegen die Deutschen zu leisten.

12. September: Erste Zusammenstöße zwischen deutschen und italienischen Truppen.

13. September: Weitere Gefechte. Gandin verhandelt mit Barge weiter, um eine Rückführung seiner Truppen nach Italien zu erreichen. Abends erzielt er mit Barge eine Übereinkunft.

14. September: Ein Referendum Gandins unter seinen Truppen ergibt, dass die Italiener sich nicht entwaffnen lassen wollen. Barge und Gandin verhandeln erneut.

15. September: Barge funkt an seine Vorgesetzten: "Gandin hat sich nur zur Abgabe der feststehenden schweren Waffen bereit gefunden ( ... ) Eigene Angriffsvorbereitungen abgeschlossen. Günstiger Zeitpunkt für Angriffsbeginn 14 h." Um 12.30 Uhr beginnen die Kämpfe mit dem Einsatz von deutschen Sturzkampfbombern.

17. September: Barge wird seines Kommandos enthoben und auf eine vorgelagerte Insel in Marsch gesetzt.

18. September: Schwere Gefechte mit mehreren hundert Toten auf italienischer Seite. Das Oberkommando der Wehrmacht befiehlt: "( ... ) wegen des gemeinen und verräterischen Verhaltens auf Kephalonia (sind) keine italienischen Gefangenen zu machen."

21. September und später: 1.300 Italiener werden bei den unmittelbaren Kampfhandlungen getötet. 189 Offiziere und 5.000 Unteroffiziere und Mannschaften, die sich ergeben, werden auf der Stelle erschossen. Die verbliebenen 280 Offiziere, auch Gandin, werden ebenfalls erschossen.


detmold@lz-online.de

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