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5 Artikel , 11.08.2022 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Jüdische Allgemeine Online, 11.08.2022:
Antisemitismus / Verheerende Bilanz

Jüdische Allgemeine Online, 11.08.2022:
Energiekrise, Inflation, Corona / Zentralrat der Juden rechnet mit Zunahme von Antisemitismus

Jüdische Allgemeine Online, 11.08.2022:
documenta / "Meine kühnsten Albträume wurden übertroffen"

MiGAZIN, 11.08.2022:
"Rassistische Polizeigewalt"? / Tödliche Schüsse auf 16-jährigen Mohammed D. aus Senegal löst Diskussionen aus

die tageszeitung Online , 11.08.2022:
Von Polizei erschossener Jugendlicher / Wieso starb Mouhamed D.?

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Jüdische Allgemeine Online, 11.08.2022:

Antisemitismus / Verheerende Bilanz

11.08.2022 - 08.05 Uhr

Monika Schwarz-Friesel über "toxische Sprache und geistige Gewalt"

Von Olaf Glöckner

Seit mehr als 20 Jahren analysiert Monika Schwarz-Friesel Juden-Feindschaft verschiedenster Couleur. Nun legt die renommierte Kognitionswissenschaftlerin eine Analyse vor, die den Bogen von der Spätantike bis ins Deutschland des 21. Jahrhunderts schlägt.

Ihr Befund: Das "Gift judenfeindlichen Denkens und Fühlens" sei Teil unserer Kultur, antisemitische Sprachgebrauchsmuster würden bis heute von Generation zu Generation weitergegeben. Eine heilende Zäsur habe es laut Schwarz-Friesel nie gegeben, auch nach der NS-Diktatur und der Schoa nicht.

Hass

In ihrem neuen Buch "Toxische Sprache und geistige Gewalt" erklärt die Linguistik-Professorin der Technischen Universität Berlin auf komplexe und doch verständliche Weise, wie sprachliche Strukturen eigene Welten erschaffen, die wenig mit Realität und doch viel mit Hass zu tun haben.

Schwarz-Friesel ist eine Verfechterin der Textweltmodelltheorie (TWM), nach der sich Deutungsschemata bei Sprachverarbeitung im Kopf automatisch und reflexiv aufbauen. Das Gehirn eines Rezipienten unterscheide so "am Ende nicht, ob ein Neonazi, ein linker Journalist, ein Nobelpreisträger oder ein Professor Antisemitismen kommuniziert hat, ob diese intentional oder nicht intentional und in welcher Situation sie geäußert werden".

Zugleich nimmt die Autorin uns mit auf einen fast 2.000 Jahre umfassenden historischen Rekurs - und die Bilanz ist verheerend. Aus ursprünglicher Konkurrenz zwischen Christentum und Judentum wird die Hass-Rhetorik früher Kirchenväter wie Gregor von Nyssa und Augustinus später zehntausendfach von den Kanzeln gepredigt, bis nicht nur das einfache Volk, sondern auch geistige Eliten und neue Meinungsbildner das Gift der Juden-Feindschaft verinnerlicht haben.

Israel-Feindschaft

Eine besondere Stärke des Buches ist die Fülle von Beispielen, an denen sich die verhängnisvolle Mischung von anti-jüdischem Vorurteil, aversiven Reflexen und Bagatellisierung von Juden- und Israel-Feindschaft ablesen lässt.

Hier sieht die Autorin auch die Medienberichterstattung in der Mit-Verantwortung und schreibt: "Wenn dann viel gelesene Journalisten das alte Klischee der jüdischen Rachsucht und Machtausübung sowie den "Kreislauf der Rache" bedienen, Gaza metaphorisch mystifiziert "einen Ort aus der Endzeit des Menschlichen" nennen, in Talkshows gern eingeladene Publizisten Gaza als "weltgrößtes Konzentrationslager" und Israel geschichtsverfälschend als "europäische Kolonie auf arabischem Boden" bezeichnen, erhält die Leser- und Zuschauerschaft genau den Stoff, aus dem Antisemitismus fabriziert ist."

Was bleibt, um der toxischen Sprache den Kampf anzusagen? Die Autorin plädiert für eine "kommunikative Ethik", die die Macht und das Gewaltpotenzial von Sprache berücksichtigt und bei aller benötigten Meinungsfreiheit dann Einspruch erhebt, wenn giftige und vergiftende Wörter ins Spiel kommen.

Wenig Verständnis hat die Autorin für die verbreitete Scheu, judenfeindliche Äußerungen bei Mitgliedern von Minderheiten zu kritisieren, weil diese selbst Opfer von Diskriminierungen waren und sind. "Wie oft ducken sich die Vertreter der öffentlichen Meinung über klar antisemitische Äußerungen von Muslimen oder Schwarzen hinweg, thematisieren sie nicht als das, was sie sind." Das sei, so Schwarz-Friesel schließlich, "Eyes wide shut".

Monika Schwarz-Friesel: "Toxische Sprache und geistige Gewalt". Narr Francke Attempto, Tübingen 2022, 228 S., 17,99 Euro.

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Jüdische Allgemeine Online, 11.08.2022:

Energiekrise, Inflation, Corona / Zentralrat der Juden rechnet mit Zunahme von Antisemitismus

11.08.2022 - 08.50 Uhr

Josef Schuster: "Wenn es Probleme gibt, wird das Minderheiten angelastet"

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, rechnet mit weiterem Antisemitismus in der kalten Jahreszeit. Juden könnten ins Visier geraten, wenn es wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges zu Protesten kommen sollte: So genannte Querdenker und Corona-Leugner hätten derzeit "keine nennenswerte Plattform", sagte Schuster dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Donnerstag). "Aber dafür gibt es den Ukraine-Krieg und, was mir noch viel mehr Sorgen macht, die Energiekrise."

Wenn es kalt werde, werde diese Szene angreifen und möglicherweise Erfolg haben, so Schuster. "Wenn es Probleme gibt, wird das Minderheiten angelastet. Da sind Juden immer dabei." Man müsse "diese Szene im Herbst im Blick behalten" und "wachsam bleiben". (kna)

Bildunterschrift: Zentralratspräsident Josef Schuster.

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Jüdische Allgemeine Online, 11.08.2022:

documenta / "Meine kühnsten Albträume wurden übertroffen"

11.08.2022 - 12.09 Uhr

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, richtet wegen der antisemitischen Werke in Kassel schwere Vorwürfe gegen maßgebliche Politiker

Von Karsten Frerichs

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, richtet wegen der antisemitischen Kunstwerke auf der "documenta fifteen" schwere Vorwürfe gegen maßgebliche Politikerinnen und Politiker.

Entgegen einer Zusicherung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in einem Gespräch im Mai seien bei der Kasseler Kunstausstellung eindeutig antisemitische Bilder aufgetaucht. Roth räumte ein: "Vielleicht hätte ich bei den Diskussionen im Vorfeld der documenta-Eröffnung lauter und deutlicher sein sollen, sein müssen."

Zentralratspräsident Schuster sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Donnerstag), der Antisemitismus bei der Kunstausstellung habe seine "kühnsten Albträume übertroffen". Vielleicht sei Roth "zu blauäugig" gewesen und "hintergangen worden".

Allerdings hätten auch die hessische Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) und Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) die Warnungen zunächst entweder "abgetan" oder "überhaupt nichts verstanden" und der Stadt damit "letztlich einen Bärendienst erwiesen".

Roth sagte dem Magazin "Stern": "Die Ausstellung solcher eindeutig antisemitischen Werke hätte nicht passieren dürfen." Die Aufklärung, wie es dazu kommen konnte, stehe noch aus. Sie sei sich bewusst, "dass es nicht reicht, wenn ich sage: Ich konnte nicht mehr tun."

Bereits seit Monaten wird die documenta von zahlreichen Antisemitismus-Vorfällen überschattet. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung war unter anderem ein Banner mit judenfeindlichen Motiven entdeckt und abgebaut worden.

Im Januar waren erste Stimmen laut geworden, die dem Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur antisemitischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. Jüdische Künstler aus Israel wurden bewusst gar nicht erst eingeladen.

Schuster sagte: "Wir haben bereits im Frühjahr im Hinblick auf das Künstlerkollektiv Ruangrupa, das die documenta kuratiert, die Sorge geäußert, dass es zu Israel-bezogenem Antisemitismus kommen könnte."

Was ihn am meisten erschrecke und erschüttere, sei, dass Bilder nun wieder ausgestellt würden mit der Begründung, sie seien juristisch nicht angreifbar. "Denn es hat doch kein Mensch gesagt, dass dieser Antisemitismus strafrechtlich relevant ist. Aber Antisemitismus beginnt eben deutlich unter dieser Grenze", sagte der Zentralratspräsident.

Roth wies die Argumentation zurück, dass die Werke aus dem kulturellen Kontext der jeweiligen Künstlerinnen und Künstler zu betrachten seien. "Dass Antisemitismus in Indonesien etwas anderes sei als hier in Deutschland. Das ist wirklich Unsinn", sagte die Grünen-Politikerin und fügte hinzu: "Antisemitismus ist und bleibt Antisemitismus, ob in Indonesien, in der Türkei oder sonst wo."

Bildunterschrift: Zentralratspräsident Josef Schuster.

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MiGAZIN, 11.08.2022:

"Rassistische Polizeigewalt"? / Tödliche Schüsse auf 16-jährigen Mohammed D. aus Senegal löst Diskussionen aus

11.08.2022 - 20.30 Uhr

Der Tod des 16-jährigen Mohammed D. aus Senegal bei einem Polizeieinsatz in Dortmund sorgt für Diskussionen. Der Landesinnenminister und der Dortmunder Polizeichef warnen vor Vorverurteilungen und versprechen gründliche Aufklärung.

Nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf den 16-jährigen Mohammed D. aus Senegal in Dortmund hat der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) vor Vorverurteilungen und pauschaler Kritik gewarnt. Zugleich versprach er hundertprozentige Aufklärung: "Ich lasse da nichts liegen", sagte er am Donnerstag im "Morgenecho" auf WDR 5. "Aber es muss fair zugehen."

Auch der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange warnte vor voreiligen Bewertungen. "Bewertungen des Geschehens machen erst Sinn, wenn das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und Ergebnisse und Fakten vorliegen", erklärte Lange am Donnerstag in Dortmund. Der Polizeichef appellierte an die Öffentlichkeit: "Geben Sie den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, den Vorfall an der Holsteiner Straße im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gründlich und lückenlos aufzuarbeiten."

Polizei schoss mit Maschinenpistole sechsmal auf Jugendlichen

Am Montag hatte ein Polizeibeamter nach Angaben der Dortmunder Staatsanwaltschaft vor einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund mit einer Maschinenpistole sechsmal auf einen 16-jährigen Senegalesen geschossen. Fünf Schüsse hätten den Jugendlichen an Bauch, Gesicht, Unterarm und Schulter verletzt. Er starb im Krankenhaus. Die Polizei war mit elf Beamten vor Ort.

Die Betreuer des jungen Mannes hätten die Polizei gerufen, weil dieser sich habe umbringen wollen, sagte Reul im WDR-Interview. Polizisten in Zivil hätten erst versucht, ihn zu beruhigen. "Als das nicht funktionierte, hat man versucht, mit Reizgas ihn abzulenken", erklärte Reul. Die Idee sei gewesen, dass er sich die Augen reibe und dann das Messer fallen lasse, das er bei sich gehabt habe.

Anfangsverdacht der Körperverletzung mit Todesfolge

Auch das habe aber nicht funktioniert, weswegen ein Taser eingesetzt worden sei, der allerdings auch keine Wirkung gehabt habe, sagte Reul. Dann sei der Jugendliche auf die Polizei zugerannt. "Das ist eine ungeheuer schwierige Lage", betonte der Innenminister.

Laut Staatsanwaltschaft wird mit Blick auf den Polizeibeamten, der auf den Jugendlichen geschossen hat, der Anfangsverdacht der Körperverletzung mit Todesfolge geprüft. Die Entscheidung darüber, ob Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird, werde einige Wochen dauern.

Flüchtlings- und Jugendhilfe-Organisationen "schockiert"

In einer gemeinsamen Stellungnahme zeigten sich mehrere Flüchtlings- und Jugendhilfe-Organisationen "schockiert darüber, dass ein Einsatz gegen einen einzelnen Minderjährigen mit dem mehrmaligen Gebrauch von Schusswaffen und dessen Tod endete". Solange der Fall nicht aufgeklärt sei, wecke er bei den Betroffenen "schmerzhafte Erinnerungen an Fälle von unverhältnismäßiger rassistischer Polizeigewalt", hieß es in dem am Donnerstag unter anderem vom Bundesverband der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer sowie dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin veröffentlichten Schreiben. Der Vorfall könne "Ängste und existentielle Verunsicherung" auslösen.

Das Vertrauen der Jugendlichen in staatliche Strukturen werde durch den Vorfall "massiv erschüttert", hieß es. Auch das Jugendhilfe-System und die Psychosozialen Zentren müssten der Polizei vertrauen können, dass diese bei Selbst- und Fremdgefährdung Sicherheit herstellen könne und keine weitere Gefährdung von Menschenleben zu befürchten sei. (epd/mig)

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die tageszeitung Online , 11.08.2022:

Von Polizei erschossener Jugendlicher / Wieso starb Mouhamed D.?

NRW-Innenminister Reul verteidigt die Polizei nach den tödlichen Schüssen in Dortmund. Gleichzeitig beginnt die schwierige Suche nach den Angehörigen.

Aaron Wörz

Berlin (taz). Nach dem Tod des 16-Jährigen Mouhamed D. bei einem Polizeieinsatz in Dortmund hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) Aufklärung versprochen und das Vorgehen der Polizei verteidigt. Reul kündigte im Interview mit dem WDR an, einen unabhängigen Polizei-Beauftragten zu installieren. Gleichzeitig versuchen Mitglieder der Schwarzen Community in Dortmund, die Familie des Getöteten ausfindig zu machen.

Am Montagabend hatte der Betreuer einer katholischen Jugend-Wohngruppe die Polizei gerufen, weil der Jugendliche aus dem Senegal mit einem Messer im Innenhof der Einrichtung war und zuvor über Suizid gesprochen hatte. Laut Reuls Schilderungen sei der 16-Jährige auf die Beamtinnen, Beamten zugerannt, woraufhin ein Polizist sechs Mal mit einer Maschinenpistole auf ihn schoss.

Vorige Versuche der elf eingesetzten Beamt:innen, die Lage mit Pfefferspray und Tasern zu beruhigen, seien gescheitert. "In dieser Situation ging es um die Frage: Sticht der zu oder schießt die Polizei?", sagte Reul. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob die Schüsse aus Notwehr fielen.

Am Mittwochabend zogen erneut mehrere hundert Demonstrantinnen, Demonstranten von der Polizeiwache Dortmund Nord, in deren Revier der tödliche Einsatz stattgefunden hatte, durch die Innenstadt vor das Dortmunder Polizeipräsidium. Sie wollten damit ein Zeichen gegen Polizeigewalt setzen.

Suche nach der Familie des Getöteten

Der Kulturverein BENNO und weitere Vertreter der afrikanischen Community in Dortmund trafen sich am Mittwochabend mit einem Vertreter der Stadt, um mehr über die Identität des Getöteten zu erfahren und Familienangehörige zu finden. Dafür wurde auch die senegalesische Botschaft eingeschaltet. Mouhamed D. soll erst vor kürzlich allein nach Rheinland-Pfalz gekommen sein, obwohl er sich mit seinem Bruder und seinen Eltern auf den Weg nach Deutschland gemacht haben soll.

Am Samstag, zwei Tage vor seinem Tod, wurde er aus eigenem Wunsch mindestens eine Nacht in einer psychiatrischen Klinik in Dortmund betreut, weil er Suizid-Gedanken geäußert hatte. Mouhamed D. sprach wohl Französisch und die senegalesische Landessprache Wolof, weshalb die Kommunikation mit den Betreuerinnen, Betreuern und der Polizei kaum möglich gewesen sein soll.

Fatou Mbengue vom Verein BENNO ist noch immer geschockt und überzeugt, dass der Tod von Mouhamed D. hätte verhindert werden können: "Ich wohne in der Straße, in der er starb und meine Familie spricht Wolof. Wir hätten mit ihm sprechen und ihm zeigen können, dass er hier nicht alleine ist."

Für diesen Freitag ist eine große Trauerfeier in einer Dortmunder Moschee geplant.

Bildunterschrift: Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen auf einen 16-Jährigen protestieren Hunderte in Dortmund.

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