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Pressespiegel ab 16. November 2021 - 51 Artikel - Stand: 13. Dezember 2023 , 08.02.2024 :

Prozess gegen die "Gruppe S." vor dem OLG Stuttgart

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www.prozessbeobachtung.org

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Zusammenfassung:


Am 30. November 2023 verurteilte das OLG Stuttgart im "Gruppe S."-Prozess Markus Krüper (aus Minden) zu neunundzwanzig Monaten Haft - Thomas Niemann (aus Minden) zu vier Jahren und fünf Monaten Haft.

Am 6. Mai 2021 durchsuchen Polizeikräfte in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen sowie Thüringen Wohnungen und andere Räumlichkeiten, mutmaßlicher weiterer Mitglieder der terroristischen "Gruppe S.".

Am 13. April 2021 wurde beim OLG Stuttgart der Prozess gegen die terroristische Vereinigung "Gruppe S.", auch gegen die Akteure Thomas Niemann (einer der Haupttäter) und Markus Krüper aus Minden eröffnet.

Am 4. November 2020 hat die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart Anklage, gegen "elf mutmaßliche Mitglieder" - so wie "einen mutmaßlichen Unterstützer" der "Gruppe S.", erhoben.

Am 13. Juli 2020 wurde der am 14. Februar 2020 in Porta Westfalica - wegen mutmaßlicher Unterstützung der terroristischen Vereinigung "Gruppe S." - verhaftete Ulf Rösener tot in der JVA Dortmund aufgefunden.

Am 14. Februar 2020 wurden zwölf Neonazis der in Alfdorf gegründeten "Gruppe S." beziehungsweise "Der harte Kern", dabei Thomas Niemann, Markus Krüper, Minden; Ulf Rösener aus Porta Westfalica, verhaftet.

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Veröffentlichungen:


Radio Westfalica, 13.12.2023:
Gruppe S: Mindener Mitglieder gehen gegen Urteil vor

Mindener Tageblatt, 13.12.2023:
Mindener legen Revision ein

Mindener Tageblatt, 01.12.2023:
Urteil im "Gruppe S."-Prozess

Westfalen-Blatt, 01.12.2023:
Prozess: Haftstrafen gegen "Gruppe S."

Radio Westfalica, 30.11.2023:
Prozess um Terror-Gruppe S. geht zu Ende: Haftstrafen für zwei Mindener

MiGAZIN, 30.11.2023:
Terror-Bande "Gruppe S." / Anschläge auf Moscheen geplant - Haftstrafen für rechte Terror-Gruppe

WDR-Nachrichten aus Westfalen-Lippe, 30.11.2023:
Anschlagspläne auf Moscheen: Haftstrafen für Mitglieder der Terror-Gruppe S.

Mindener Tageblatt, 24.08.2023:
"Man erwartet mehr Sorgfalt"

Mindener Tageblatt, 11.08.2023:
"Die Unschuld muss ja rauskommen"

Stuttgarter Nachrichten Online, 10.08.2023:
Rechtsterrorismus / Verteidiger fordern, Terror-Verfahren einzustellen

Stuttgarter Nachrichten Online, 31.07.2023:
Rechtsterrorismus / Dem Gericht liegen maximal 0,7 Prozent der Akten vor

Neue Westfälische Online, 29.06.2023:
Für Treffen in Minden: Anhänger der Terror-Gruppe Gruppe S. unterhielten offenbar unzählige Chats

Westdeutscher Rundfunk Köln, 02.05.2023:
Prozess Gruppe S.: Polizei-Videos aus Minden werden gezeigt

Stuttgarter Nachrichten Online, 29.03.2023:
Rechtsterrorismus / Warum war der Abschiedsbrief nicht in den Akten?

Westdeutscher Rundfunk Köln, 07.03.2023:
"Gruppe S.": Informant "schillernde Persönlichkeit - aber nicht krank"

Mindener Tageblatt, 11.01.2023:
Ärger mit Ämtern und Justiz

Mindener Tageblatt Online, 10.01.2023:
Prozess gegen Gruppe S.: Mindener Fliesenleger hatte Ärger mit Ämtern und Justiz

Westdeutscher Rundfunk Köln, 10.01.2023:
"Gruppe S.": Partnerin weist Vorwürfe gegen Angeklagten zurück

Mindener Tageblatt Online, 02.12.2022:
Prozess um die Gruppe S.: Protokoll von Markus K. aus Minden wird verlesen

Westdeutscher Rundfunk Köln, 01.12.2022:
Vorwürfe an die Ermittler im Prozess um rechtsextremistische "Gruppe S."

Mindener Tageblatt Online, 25.11.2022:
Zeuge im Gruppe S.-Prozess: "Ich bin da in etwas reingerutscht"

Mindener Tageblatt Online, 25.11.2022:
"Wie im Tunnel": Schlüsselfigur im "Gruppe S."-Prozess spricht über Zusammenarbeit mit dem LKA

Westdeutscher Rundfunk Köln, 17.11.2022:
Prozess um "Gruppe S": Polizei soll Falschaussagen provoziert haben

Stuttgarter Nachrichten Online, 17.11.2022:
Rechtsterrorismus / Der Kronbeschuldigte

Westdeutscher Rundfunk Köln, 11.11.2022:
Prozess um "Gruppe S.": Zwei weitere Angeklagte freigelassen

Westdeutscher Rundfunk Köln, 05.09.2022:
Prozess um Gruppe S.: Zeuge schildert Mordauftrag

Mindener Tageblatt, 11.08.2022:
"Dann bin ich dran"

Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 11.08.2022:
"Dann bin ich dran"

Mindener Tageblatt, 05.08.2022:
Sonderbare Fundstücke

Westdeutscher Rundfunk Köln, 24.06.2022:
Prozess Gruppe S.: "Für dumm verkauft"

Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 23.06.2022:
Fantasien vom Bürgerkrieg

Mindener Tageblatt Online, 22.06.2022:
Prozess gegen Gruppe S: Fantasien vom Bürgerkrieg und "Gesprächsrunde" in Minden

Mindener Tageblatt, 22.06.2022:
Fantasien vom Bürgerkrieg

Stuttgarter Nachrichten Online, 03.06.2022:
Meinung / Terrorismus / Nichts dazu gelernt

Stuttgarter Nachrichten Online, 03.06.2022:
Terrorismus / Der Fremdenlegionär

Mindener Tageblatt, 21./22.05.2022:
"Über Paul kann ich nur Gutes sagen"

Mindener Tageblatt, 12.05.2022:
Verborgene Finanzströme

Mindener Tageblatt, 08.04.2022:
Gewaltfantasien am Telefon

Mindener Tageblatt, 08.04.2022:
Gruppe S. wollte Informanten ermorden

Neue Westfälische Online, 07.04.2022:
Mindener ließ am Telefon Gewaltfantasien freien Lauf - Polizei hörte mit

Mindener Tageblatt Online, 07.04.2022:
Gruppe S. vor Gericht

Westdeutscher Rundfunk Köln, 30.03.2022:
Gruppe S.: Mordpläne gegen Polizeiinformant

Westdeutscher Rundfunk Köln, 24.02.2022:
Prozess um Gruppe S.: Was wusste die Polizei?

Westdeutscher Rundfunk Köln, 15.02.2022:
Terror-Prozess um Gruppe S.: "Nur noch töten! Die werden alle bluten"

Westdeutscher Rundfunk Köln, 20.01.2022:
Eklat beim Prozess um Gruppe S.: "Totaler Quatsch"

Westdeutscher Rundfunk Köln, 13.01.2022:
Terror-Prozess: "Bei Brot und Wein wird Krieg besprochen"

Westdeutscher Rundfunk Köln, 02.12.2021:
Prozess um "Terror-Gruppe S.": Angeklagter ist sich "keiner Schuld bewusst"

Spiegel Online, 25.11.2021:
Terror-Prozess gegen "Gruppe S."

Westdeutscher Rundfunk Köln, 25.11.2021:
Terror-Gruppe S.: Zwei weitere Treffen in OWL?

Westdeutscher Rundfunk Köln, 18.11.2021:
Terror-Gruppe S.: Angeklagter aus Minden äußert sich erstmals

Westdeutscher Rundfunk Köln, 16.11.2021:
Terror-Prozess um Gruppe S.: Abgehörte Telefonate zeigen Gewaltbereitschaft

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Radio Westfalica, 13.12.2023:

Gruppe S: Mindener Mitglieder gehen gegen Urteil vor

Die beiden verurteilten Mitglieder der rechtsextremen Gruppe S. aus Minden wollen in Revision gehen. Das berichtet das Mindener Tageblatt. Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte vor knapp zwei Wochen insgesamt 11 Männer zu Haftstrafen verurteilt, weil sie eine Terror-Zelle gegründet hatten. Sie wollten demnach mit Anschlägen gegen Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren.

Hohe Prozesskosten

Die beiden Mindener haben schon einen großen Teil ihrer Gefängnisstrafe in der U-Haft abgesessen. Für sie geht es daher eher um die Prozesskosten, die vermutlich im sechsstelligen Bereich liegen.

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Mindener Tageblatt, 13.12.2023:

Mindener legen Revision ein

Nach dem Urteil zur rechten Gruppe S. wollen zwei Angeklagte das Urteil anfechten / Die Prozesskosten belaufen sich auf eine Summe in sechsstelliger Höhe

Minden / Stuttgart. Es war zu erwarten: Nach den Urteilen im Prozess um die so genannte Gruppe S. haben die Angeklagten Revision eingelegt. Auch Thomas N. und Markus K. aus Minden wollen nicht hinnehmen, dass das Oberlandesgericht Stuttgart sie zu Haftstrafen verurteilt hat und nutzen das ihnen mögliche Rechtsmittel.

Der 30. November war ein langer und intensiver Tag im Gericht. Nachdem der Vorsitzende Richter Herbert Anderer morgens um kurz nach neun verkündet hatte, welche Strafen die Angeklagten bekommen, begründete er über acht Stunden lang ausführlich, wer warum zu welchen Strafen verurteilt wurde - bis in den Abend hinein.

Als dann alles gesagt war, wollten die Verteidiger der Mindener Angeklagten vor Ort noch nicht bekannt geben, ob sie Rechtsmittel einlegen würden. Man müsse sich erst in Ruhe mit den Mandanten besprechen. Eine Woche später waren die Revisionen dann aber wie erwartet beim Oberlandesgericht eingegangen - ein zunächst formaler Akt, um die Frist zu wahren. Um sie inhaltlich genauer zu begründen, bleibt ein weiterer Monat. Sollte dies unterbleiben, wäre das Urteil rechtskräftig - zumindest im Fall von Markus K. wäre es eine denkbare Option.

Denn: K. muss nicht mehr ins Gefängnis. Er war bereits zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft - und hat damit seine ihm auferlegte Haftzeit bereits abgesessen. Allerdings: Weil ihn das Gericht für schuldig befand, kommen auf K. (genau wie auf jeden anderen verurteilten Angeklagten) horrend hohe Prozesskosten zu; wohl in sechsstelliger Höhe. Zudem hatten K.s Verteidigerinnen Freispruch für ihren Mandanten gefordert. Die Revision wäre also nur folgerichtig. Gleiches gilt für Thomas N. Auch er sah sich bis zuletzt als unschuldig. Auch seine Verteidiger hatten Freispruch beantragt. Aus Sicht der fünf Richter war N. aber eine der treibenden Kräfte im Geschehen. Sie verurteilten ihn zu viereinhalb Jahren Haft. Weil er inzwischen seit drei Jahren und zehn Monaten in Untersuchungshaft sitzt, bliebe für ihn eine Reststrafe von jetzt noch acht Monaten.

So außergewöhnlich wie der Mammutprozess insgesamt verlief auch der Tag des Urteils. Und das lag vor allem am Vorsitzenden Richter. Als er die Urteile begründete, verwendete er etwa zwei Stunden auf eine Verteidiger- und Medienschelte, wie es sie an deutschen Gerichten wohl noch nicht oft gegeben hatte. "Das war eine Pressekonferenz in eigener Sache", hieß es nachher aus Reihen der scharf angegriffenen Verteidiger. Die Vorgeschichte dazu: Über den gesamten Prozess hinweg hatte es immer wieder schwerwiegende Vorwürfe von Verteidigern gegen die Richter, aber auch gegen die Ermittlungsbehörden gegeben: Beweismittel, die unter den Teppich gekehrt worden seien; das Gericht sei voreingenommen; und - immer wieder: Die gesamte Anklage beruhe doch nur auf den Aussagen eines unglaubwürdigen Mannes mit langer krimineller Vergangenheit. Womöglich habe der Staat das gesamte Verfahren sogar vorangetrieben, indem er den Mann als Informanten in das Geschehen eingeschleust habe und dieser dann die anderen zu Straftaten provozieren sollte.

Kleinteilig nahm sich der Vorsitzende Richter Zeit, all diese Vorwürfe zu entkräften. Vermeintlich nicht eingeführte Beweismittel hätten von Verteidigern beantragt werden können - dies sei nicht geschehen. Voreingenommenheit wurde mit deutlichen Worten zurückgewiesen und die Anklage beruhe keineswegs nur auf den Angaben des Polizei-Informanten.

"Grenzenloser Unsinn" sei von Verteidigern vorgebracht worden, "eine Mischung aus Arbeitsverweigerung und juristischer Offenbarungseid"; flankiert von Berichten in einer Stuttgarter Tageszeitung. Es kommt nicht oft vor, dass Richter so über die Arbeit von Verteidigern und Journalisten sprechen. Da hatte sich wohl etwas aufgestaut.

Bildunterschrift: Mehr als zweieinhalb Jahre wurde am Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess um die rechte Terror-Gruppe "Gruppe S." verhandelt.

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Mindener Tageblatt, 01.12.2023:

Urteil im "Gruppe S."-Prozess

Die Gespräche habe man nicht missverstehen können, sagt der Richter bei der Verkündung / Mindener Thomas N. erhält eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten

Minden / Stuttgart (mha/dpa). Nach zweieinhalb Jahren wurde nun am Oberlandesgericht Stuttgart das Urteil zu der so genannten "Gruppe S." gefällt. Der Rädelsführer Werner S., nach dem die "Gruppe S." auch benannt ist, geht für sechs Jahre ins Gefängnis, ein aus Sicht des Gerichts weiterer Rädelsführer muss fünf Jahre und drei Monate in Haft.

Das Gericht ist überzeugt davon, dass die Verurteilten eine rechtsextreme Terror-Gruppe gegründet haben, Mitglied waren oder diese zumindest unterstützt haben. Bei einem Treffen im Februar 2020 in Minden hätten die Männer über Anschläge auf Moscheen gesprochen, die einen Bürgerkrieg auslösen sollten. In Gesprächen hätten sie ausgelotet, wer dazu bereit war. Potenzielle Zauderer seien mit dem Tode bedroht worden.

In dem Prozess waren insgesamt elf Männer angeklagt

Ein Verteidiger nennt die Gruppe in seinem Plädoyer vor einigen Wochen eine "Ansammlung Sprüche klopfender Wichtigtuer". Das sieht der Vorsitzende Richter anders. "Hier sitzen nicht elf Männer, die nur mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden waren", sagt er. Stattdessen stehen die Angeklagten aus seiner Sicht rechtsextremem und teils auch nationalsozialistischem Gedankengut nahe - aber nicht nur: "Die Haltungen waren durchaus auch durch Angst motiviert", sagt der Richter. Die Angeklagten hätten gewaltsame Übergriffe durch Ausländer befürchtet, Angst gehabt, dass Zugewanderte die Macht in Deutschland übernehmen könnten. Die Gespräche in Minden habe man jedoch nicht missverstehen können. "Jetzt reden wir mal Tacheles", habe einer der Teilnehmer gesagt, führt der Richter aus. Dann sei es um Anschläge gegangen.

Der Mindener Thomas N. war aus Sicht der Ankläger eine der wichtigsten Personen in der Gruppe. Er stellte sein Wohnhaus für das Treffen zur Verfügung. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Haftstraße von vier Jahren und fünf Monaten. Neben den beiden Rädelsführern erhielt er eine der höchsten Haftstrafen. Weil er bereits drei Jahre und neun Monate in Untersuchungshaft saß, muss er nur noch ein knappes Jahr in Haft. Die anderen Angeklagten erhalten Haftstrafen von zweieinhalb bis viereinhalb Jahren. Ein Angeklagter kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Ein weiterer Angeklagter, der den Sicherheitsbehörden von den Plänen der Gruppe berichtet hatte, wird freigesprochen. In dem Prozess waren elf Männer angeklagt.

Markus K., ebenfalls aus Minden, war bereits seit August 2022 auf freiem Fuß. Das Gericht verurteilte ihn nun zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft. Da er exakt zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft war, muss er nicht erneut ins Gefängnis.

Der Anwalt von Thomas N. erklärte, er werde mit seinem Mandanten über eine Revision sprechen. Ähnliches war von dem Anwalt von Markus K. zu hören. Beide Verteidiger hatten für ihre Mandanten Freispruch gefordert.

Bildunterschrift: Mitglieder der Gruppe S. sitzen vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal.

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Westfalen-Blatt, 01.12.2023:

Prozess: Haftstrafen gegen "Gruppe S."

Stuttgart (dpa). Nach mehr als 170 Verhandlungstagen hat das Stuttgarter Oberlandesgericht den Rädelsführer einer rechtsextremen Terror-Gruppe am Donnerstag zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der aus der Nähe von Augsburg stammende Werner S., nach dem die "Gruppe S." auch benannt ist, muss sechs Jahre ins Gefängnis, weil er nach Überzeugung des Gerichts eine Terror-Gruppe gegründet hatte. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von sieben Jahren gefordert, die Verteidigung hatte auf einen Freispruch plädiert. Neben S. waren zehn weitere Mitglieder oder Unterstützer der Gruppe angeklagt. Sie wurden ebenfalls zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, teils auf Bewährung. Ein Angeklagter wurde freigesprochen.

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Radio Westfalica, 30.11.2023:

Prozess um Terror-Gruppe S. geht zu Ende: Haftstrafen für zwei Mindener

Der Prozess um die rechtsextreme Terror-Gruppe S ist nach mehr als 170 Verhandlungstagen am Oberlandesgericht Stuttgart zu Ende gegangen: Und zwar mit längeren Haftstrafen für fast alle der zehn Angeklagten.
Haftstrafen

Der 59-jährige Thomas N. aus Minden wurde zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, der andere Mindener zu zweieinhalb Jahren. Die Strafe hat er aber durch die lange U-Haft schon abgesessen. Der Kopf der Gruppe aus Bayern muss für sechs Jahre ins Gefängnis.

Anschläge auf Moscheen geplant

Die Gruppe hatte Anfang 2020 Anschläge auf Moscheen in Deutschland geplant. Damit wollten die Mitglieder einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren. Die Pläne hatten sie bei einem Treffen in Minden besprochen.

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MiGAZIN, 30.11.2023:

Terror-Bande "Gruppe S." / Anschläge auf Moscheen geplant - Haftstrafen für rechte Terror-Gruppe

30.11.2023 - 18.00 Uhr

Sie nannten Muslime und Flüchtlinge im Internet "Menschenmüll" und wollten mit Anschlägen auf Moscheen einen Bürgerkrieg auslösen: Mehrere Mitglieder der rechten Terror-Bande "Gruppe S." müssen nun teils jahrelang in Haft.

Von David Nau

Es ist ein Mammut-Verfahren, das am Donnerstag im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim zu Ende geht: An 173 Tagen verhandelte das Gericht zweieinhalb Jahre lang gegen am Ende elf Angeklagte, wühlte sich durch rund 150.000 Blatt Akten, vernahm mehr als 130 Zeugen und Sachverständige und hörte sich gut 200 Telefon-Mitschnitte an. Auch die Urteilsverkündung am Donnerstag ist ein Mammut-Termin: Den ganzen Tag lang begründet der Vorsitzende Richter das Urteil, selbst die sonst recht knappe Verkündung des Strafmaßes gegen die Angeklagten dauert einige Zeit.

Dann ist klar: Die Angeklagten müssen teils für lange Zeit ins Gefängnis, der Senat des Oberlandesgerichts verurteilt sie mit zwei Ausnahmen zu Haftstrafen. Der Rädelsführer Werner S., nachdem die "Gruppe S." auch benannt ist, geht für sechs Jahre ins Gefängnis, ein aus Sicht des Gerichts weiterer Rädelsführer muss fünf Jahre und drei Monate in Haft. Die anderen Angeklagten erhalten Haftstrafen von zweieinhalb bis viereinhalb Jahren. Ein Angeklagter kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Ein Angeklagter, der den Sicherheitsbehörden von den Plänen der Gruppe berichtet hatte, wird freigesprochen.

Über Anschläge auf Moscheen gesprochen

Die Angeklagten verfolgen die Urteilsbegründung meist teilnahmslos, schauen in die Gegend oder sprechen mit ihren Verteidigern. Rädelsführer Werner S. ist intensiv mit der Lösung eines Sudoku-Rätsels beschäftigt, sein Nebensitzer starrt teilnahmslos auf den Boden.

Das Gericht ist überzeugt davon, dass die Verurteilten eine rechtsextreme Terror-Gruppe gegründet haben, darin Mitglied waren oder diese zumindest unterstützt haben. Bei einem Treffen im Februar 2020 im nordrhein-westfälischen Minden hätten die Männer über Anschläge auf Moscheen gesprochen, die einen Bürgerkrieg auslösen sollten. In Gesprächen hätten sie ausgelotet, wer dazu bereit war. Potenzielle Zauderer seien mit dem Tode bedroht worden. Außerdem habe man über Waffenkäufe gesprochen, viele Teilnehmer hätten Tausende Euro zur Finanzierung zugesagt, führt der Richter aus.

"Menschenmüll" und "Untermenschen"

Zuvor hatten sich die Männer demnach in Chat-Gruppen vernetzt und dort ihre Gewaltfantasien geteilt. Das Gericht ist überzeugt, dass sie von "Menschenmüll", "Dreckschweinen" und "Untermenschen" schreiben und sprechen, Gewaltfantasien und Hakenkreuze teilen. Das reicht ihnen nach Ansicht des Richters aber nicht, im September 2019 treffen sich einige der Angeklagten zu einem ersten persönlichen Kennenlernen auf einem Grillplatz bei Alfdorf, nordöstlich von Stuttgart.

Ein Verteidiger nennt die Gruppe in seinem Plädoyer vor einigen Wochen eine "Ansammlung Sprüche klopfender Wichtigtuer". Das sieht der Vorsitzende Richter anders. "Hier sitzen nicht elf Männern, die nur mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden waren", sagt er. Stattdessen stehen die Angeklagten aus seiner Sicht rechtsextremem und teils auch nationalsozialistischem Gedankengut nahe - aber nicht nur: "Die Haltungen waren durchaus auch durch Angst motiviert", sagt der Richter. Die Angeklagten hätten gewaltsame Übergriffe durch Ausländer befürchtet, Angst gehabt, dass Zugewanderte die Macht in Deutschland übernehmen könnten. Die Gespräche in Minden habe man jedoch nicht missverstehen können, sagt der Richter. "Jetzt reden wir mal Tacheles", habe einer der Teilnehmer gesagt, führt der Richter aus. Dann sei es um Anschläge gegangen.

Urteil noch nicht rechtskräftig

Das streng gesicherte Verfahren wurde auf Grund des Umfangs und der Corona-Pandemie in die Länge gezogen. Einer der Verdächtigen war bereits vor Anklageerhebung in Untersuchungshaft gestorben. Einer der Angeklagten aus Bayern war überraschend während des Prozesses gestorben. Der Mann war nach Angaben des Oberlandesgerichts auf der Heimfahrt von einer Verhandlung im Stammheimer Hochsicherheitstrakt kurz vor seiner Wohnung tot zusammengebrochen.

Beendet ist die rechtliche Aufarbeitung der "Gruppe S." mit dem Ende des Mammut-Verfahrens in Stuttgart wohl noch nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Schon im Vorfeld kündigten einige Anwälte an, das Urteil anfechten zu wollen. Und es ist nicht das einzige Verfahren gegen mutmaßliche Rechtsterroristen, das derzeit in deutschen Gerichtssälen läuft. In Koblenz stehen aktuell vier Männer und eine Frau vor Gericht, die geplant haben sollen, zunächst einen großflächigen Stromausfall herbeizuführen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. (dpa/mig)

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WDR-Nachrichten aus Westfalen-Lippe, 30.11.2023:

Anschlagspläne auf Moscheen: Haftstrafen für Mitglieder der Terror-Gruppe S.

30.11.2023 - 11.02 Uhr

Im Terrorismus-Prozess um die so genannte Gruppe S. hat das Oberlandesgericht Stuttgarter fast alle Angeklagten zur Haftstrafe verurteilt. Markus K. und Thorsten W. haben ihre Strafe bereits durch ihre Untersuchungshaft abgesessen.

Von Thomas Wöstmann

Thomas N. aus Minden wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der 59-Jährige sitzt seit 2020 in Untersuchungshaft und muss daher noch ein knappes weiteres Jahr in Haft bleiben. Für das Gericht ist N. Mitbegründer einer terroristischen Vereinigung, die Anschläge auf Moscheen geplant haben soll. In seinem Haus fand das maßgebliche Treffen der Gruppe statt.

Markus K. aus Minden dagegen kann in Freiheit bleiben. Er erhielt eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten - genau die Zeit, die er bereits in Untersuchungshaft abgesessen hatte. Polizei-Mitarbeiter Thorsten W. aus Hamm wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, auch er hat seine Strafe bereits in Untersuchungshaft abgesessen.

Der Polizei-Informant Paul U. als einziger Angeklagter freigesprochen

Vor zweieinhalb Jahren hatte der Prozess unter anderem gegen die zwei Männer aus Minden am Oberlandesgericht Stuttgart begonnen. Der mutmaßliche Kopf der Gruppe, Werner S., wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Die gesamte Anklage drehte sich um ein Treffen in Minden im Februar 2020. Im Haus des selbstständigen Fliesenlegers Thomas N. trafen sich damals zwölf Männer - fast alle saßen auf der Anklagebank und warteten heute auf die Urteile. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, bei dem Mindener Treffen Anschläge auf Moscheen geplant zu haben.

Angeklagte sollen Anschläge geplant haben

Der Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart läuft seit April 2021. Zwölf Angeklagten wird vom Generalbundesanwalt vorgeworfen, eine rechtsgerichtete terroristische Vereinigung gegründet oder unterstützt zu haben. Drei von ihnen kommen aus NRW. Bei einem Treffen in Minden soll die Gruppe konkret Bombenanschläge auf Moscheen verabredet haben, um damit einen Bürgerkrieg in Deutschland zu provozieren.

Was vor dem Mindener Treffen besprochen und diskutiert wurde, ist vielfach dokumentiert: Die durch einen Informanten eingeweihte Polizei hatte Telefone abgehört und Nachrichten aus Sozialen Medien zugespielt bekommen. Sie wurden als Beweismittel in den Prozess eingeführt - und im Gerichtssaal über Stunden gezeigt oder vorgespielt.

Bildunterschrift: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Angeklagten verurteilt.

Bildunterschrift: Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim.

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Mindener Tageblatt, 24.08.2023:

"Man erwartet mehr Sorgfalt"

Der Prozess um die Gruppe S. ist in der Politik angekommen und könnte länger dauern

Minden / Stuttgart. "Der Prozess wird sich vermutlich verlängern. Die Ermittlungen wären ein Stück weit blamiert." Das sagt Martina Renner. Sie ist Mitglied des Bundestags, gehört zur Linken-Fraktion und beobachtet den Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart zur so genannten Gruppe S., bei dem auch Thomas N. und Markus K. aus Minden Angeklagte sind. Sie sollen gemeinsam mit zehn anderen Männern 2020 eine Terror-Zelle gegründet haben.

Renners kritische Worte beziehen sich darauf, dass gegen Ende des Prozesses plötzlich Akten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg aufgetaucht sind. Akten, in denen es um die Ermittlungen in diesem Fall gehen soll, die aber bisher im Prozess nicht behandelt wurden. Und zwar sehr große Mengen: wenn es stimmt, was Verteidiger der zwölf Angeklagten sagen, geht es um mehr als 99 Prozent des gesamten gespeicherten Datenmaterials. Die Verteidiger fordern, es als Beweismittel in den Prozess einzuführen. Das Gericht hat zwar angedeutet, dies abzulehnen, darüber aber noch nicht endgültig entschieden.

Aber: was enthält das fragliche Material? Sind es, wie Prozessbeteiligte vermuten, bisher nicht bekannte Videoaufnahmen? Das würde das enorme Datenvolumen erklären. Laut Bundesanwaltschaft jedenfalls soll der Daten-Berg für die Anklage nicht von Belang sein. Das lässt sich aus der Antwort der Bundesregierung an die Linken-Fraktion schließen, die nachgefragt hatte. Die zum Prozessbeginn im April 2021 vorliegenden Akten "enthielten alle Vorgänge, die den Prozessgegenstand betreffen und für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage von Bedeutung sind". Zweieinhalb Jahre bereits zieht sich der Prozess und er befindet sich auf der Zielgeraden. Derzeit ist Sommerpause in Stuttgart; kaum vorstellbar, dass der Marathon im Herbst weiter gehen soll. "Gerade in Rechtsterror-Verfahren", schreibt die Linke Renner, "erwartet man mehr Sorgfalt".

Bildunterschrift: Der Prozess um die Gruppe S. wird sich vermutlich verlängern.

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Mindener Tageblatt, 11.08.2023:

"Die Unschuld muss ja rauskommen"

Angeklagter kritisiert im Prozess gegen die Gruppe S, dass ein Zeuge nicht gehört wird

Stuttgart / Minden. Thomas N. aus Minden meldet sich nicht häufig zu Wort beim Stuttgarter Terrorismus-Prozess gegen die so genannte Gruppe S. Doch jetzt, als die Angeklagten Rederecht hatten, war es ihm wichtig, noch etwas zu sagen. N., der ansonsten eher laut und manchmal auch polternd etwas in den Saal hineinruft, wählte seine Worte offensichtlich mit Bedacht: "Es ist wichtig, jeden Zeugen zu hören. Die Unschuld muss ja rauskommen." Und - es gehe auch um Ulf R.: "Das ist ganz wichtig. Es geht um seinen Tod."

Thomas N. bezog sich mit seiner Aussage darauf, dass das Gericht es abgelehnt hat, einen bestimmten Mann als Zeugen zu hören: einen Polizeibeamten im Ruhestand, der dem Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg als externer Berater zur Seite stand, als er 2019 und 2020 in der Sache ermittelte, die dann zum Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart führte.

Den Angeklagten wird dort vorgeworfen, eine Terror-Zelle gegründet zu haben, die mit Anschlägen gegen Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren wollte. Getroffen hatten sich die Männer - allesamt mit einem rechten Weltbild - im Wohnhaus von N. in Kutenhausen, im Februar 2020.

In einem langen Statement hatte Verteidiger Jörg Becker (Heidelberg) darauf gedrängt, den externen Polizeiberater als Zeugen zu hören. Er könne vor allem etwas zum Verhältnis sagen, in dem die LKA-Ermittler zu Paul U. standen - ebenfalls Angeklagter, vor allem aber Informant der Behörden und damit Schlüsselfigur des Verfahrens. Aus Sicht der meisten Verteidiger ist U.’s Rolle eine der wichtigsten offenen Fragen im Prozess. Es sei befremdlich und nicht nachvollziehbar, warum das Gericht sich beharrlich weigere, den externen Berater als Zeugen zu befragen, so Becker: "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt."

Nach Beckers Erklärung wurde es laut im Gerichtssaal: Applaus brandete auf. Thomas N.’s Verteidiger Daniel Sprafke erhielt dafür einen Ordnungsruf vom Richter, N. selbst rief: "Das ist die Wahrheit." Andere Verteidiger schlossen sich ihrem Kollegen an. Die Vertreterin des Generalbundesanwalts sprach von "Nebelkerzen und Stimmungsmache".

Schließlich dann noch Thomas N.: "Die Unschuld" müsse rauskommen, sagte er. Auch, dass er den Tod von Ulf R. aus Porta Westfalica erwähnt, der damals in Minden dabei war und sich in der U-Haft das Leben nahm, spricht dafür, dass N. sich und die anderen zu Unrecht angeklagt sieht.

Bildunterschrift: Am Oberlandesgericht Stuttgart wird der Prozess gegen die "Gruppe S." verhandelt.

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Stuttgarter Nachrichten Online, 10.08.2023:

Rechtsterrorismus / Verteidiger fordern, Terror-Verfahren einzustellen

10.08.2023 - 07.00 Uhr

Franz Feyder

Verteidiger wollen den Prozess um die mutmaßliche rechte Terror-Gruppe S. platzen lassen, weil sie nicht das gesamte Akten- und Daten-Material vorliegen haben, das ermittelt wurde. Die Richter widersprechen ihnen massiv.

Im Prozess um die mutmaßliche Rechtsterror-Gruppe S. haben die Verteidiger beantragt, dass Verfahren einzustellen oder zumindest pausieren zu lassen. Hintergrund sind 15 Terabyte Datenmaterial, von denen das Landeskriminalamt - überraschend für die Juristen - kürzlich drei Richtern des 5. Strafsenats berichtete. Diese offenbar auf Datenträgern der Angeklagten gefundenen Dateien hatte das LKA 2020 zunächst aufwendig aufbereitet und ausgewertet. War dann aber zu dem Schluss gekommen, dass die Daten für das Gerichtsverfahren nicht relevant seien. Zuvor hatten Anwälte gefordert, Einblick in alle noch in der Behörde vorhandenen Akten und Daten des Falles zu nehmen. Ihnen liegen bislang nur Akten und Dateien in einer Menge von 100 Gigabyte, weniger als einem Prozent der insgesamt vorliegenden Datenmenge, vor.

Zudem war bei der Aussage eines Kriminalhauptkommissars zufällig bekannt geworden, dass das LKA eine bislang unbekannte Anzahl, mindestens jedoch sechs, Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten zur Gefahrenabwehr nach dem Polizeirecht Baden-Württembergs geführt hatten. Diese Ermittlungen wurden ebenso wenig zu den Gerichtsakten gegeben wie die dazu zwischen dem LKA und dem Generalbundesanwalt ausgetauschten E-Mails.

Ermittlungen so nicht für möglich gehalten

Die Rechtsanwälte Anika Klein und Werner Siebers argumentieren, dass "das Begehren auf vollständige Akteneinsicht zu jeder Zeit geltend gemacht werden kann, ohne dass das Gericht zu hinterfragen hat, warum solches Begehren wann geltend gemacht wird. Es ist in diesem Verfahren gerade erst in den letzten Wochen immer häufiger deutlich geworden, dass Akteninhalte von den Ermittlungsbehörden - aus welchen Gründen auch immer - zurückgehalten wurden." Für die Verteidigung sei es unvorstellbar gewesen, dass es sich bei den zurückgehaltenen Informationen nicht etwa um einen zu tolerierenden Prozentsatz handele, sondern vielmehr um wohl mehr als 99 Prozent.

Verteidiger Alexander Kist sekundiert: "Als vor fast zweieinhalb Jahren das Verfahren begann, habe ich nicht für möglich gehalten, was hier alles zu Tage tritt: Was alles nicht in den Akten ist, Videos, die immer noch fehlen." Es habe eine fingierte Kontrolle des Top-Informanten der Polizei, des ebenfalls angeklagten Paul-Ludwig U., in Heidelberg gegeben, zu der die im Gericht befragten Polizisten die Unwahrheit gesagt, ja sogar gelogen hätten.

Die Richterinnen und Richter widersprechen den Verteidigern und lehnen es ab, eine Pause einzulegen: Sie sähen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anwälte in ihrem Anspruch auf Akteneinsicht beschränkt wurden. "Dass mehr als 99 Prozent des angefallenen Datenbestands aktiv zurückgehalten und verheimlicht wurden, entbehrt jeder Grundlage", sagt der Vorsitzende Richter Herbert Anderer. Bei dem Material handele es sich nach vorläufiger Einschätzung der LKA-Experten um Daten sichergestellter Asservate.

"Dass diese Datensicherungen erfolgten, ist kein neu zu Tage getretener Umstand, sondern ergab sich bereits aus den mit der Anklageerhebung vorgelegten Sachakten." Die Verteidiger hätten somit seitdem "über die vollständige und umfassende Information verfügt, dass diese Daten beim LKA vorhanden sind. Sie hatten frühzeitig die Möglichkeit, Einblick in diese Daten zu beantragen." Diese Verzögerung hätten einzig die Verteidiger zu verantworten.

Erneutes Aufbereiten der Daten würde LKA beeinträchtigen

Weil das LKA seit 2020 neue und überarbeitete Softwareprogramme nutzt, würde es Monate dauern, die Datenmenge erneut aufzubereiten und den Verteidigern zu übergeben. Zudem würde das die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde in anderen Fällen erheblich einschränken. Widersprochen haben die Richter auch, dass LKA-Akten aus ungezählten Verfahren zur Gefahrenabwehr gegen die Angeklagten nicht vorliegen Diese Unterlagen, so Anderer, seien "in einem gesonderten, auf polizeirechtlicher Grundlage geführten Verfahren erhoben worden" und deshalb nicht Teil des Strafverfahrens.

Das jedoch bezweifeln die Verteidiger vehement. Denn, so ihre Argumentation, wenn die in ihren Augen in diesen Verfahren ohnehin schlampig ermittelnde Polizei "nichts die Angeklagten belastendes ermittelten, ist das in der Gesamtwürdigung aller Beweise und Indizien für unsere Mandanten als entlastend zu bewerten", sagt Jurist Siebers. Seine Kollegen sagen unisono, es sei Aufgabe der Richter, Staatsanwälte und Verteidiger zu beurteilen und zu entscheiden, was für ein Strafverfahren relevant sei und was nicht. Das sei keinesfalls Aufgabe der Polizei.

Bildunterschrift: Top-Informant und Angeklagter: Paul-Ludwig U. tischte der Polizei Lügen, Märchen und Halbwahrheiten zur Gruppe S. auf.

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Stuttgarter Nachrichten Online, 31.07.2023:

Rechtsterrorismus / Dem Gericht liegen maximal 0,7 Prozent der Akten vor

31.07.2023 - 13.12 Uhr

Franz Feyder

Eigentlich soll das Gerichtsverfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterror-Gruppe S. bald enden. Unvermittelt für alle Prozessbeteiligten tauchten jetzt im Landeskriminalamt 15 Terabyte Aktenmaterial auf, die ihnen unbekannt sind.

Nach aktuell 152 Verhandlungstagen biegt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart das Strafverfahren gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe S. auf die Zielgerade ein. Vor dem Ende dieses Jahres sollen in dem seit April 2021 laufenden Prozess alle Beweise in Augenschein genommen und gewürdigt worden sein. Noch befinden sich sechs Angeklagte in Untersuchungshaft.

Um was geht es in dem Prozess?

Der Generalbundesanwalt wirft den zwölf Männern vor, sie hätten eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet. Die habe sich bewaffnen, Moscheen angreifen und dadurch einen Bürgerkrieg provozieren wollen. So sollte das aktuelle politische System in Deutschland gestürzt werden. Die Anschuldigungen, die zu Telefon-Überwachungen und zur Festnahme von ursprünglich 13 Männern am 14. Februar 2020 führten, basierten im Wesentlichen auf den Aussagen eines ebenfalls Angeklagten, der sich der Polizei als Spitzel angedient hatte. Ihm schenkten sie nur Glauben, wenn seine Informationen durch andere Beweismittel gestützt würden, begründeten die Richterinnen und Richter des 5. Strafsenats jüngst ihre Ablehnung anderer Beweisanträge. Als Einziger befand er sich nicht in Untersuchungshaft. Einer der Gruppe, mutmaßlich derjenige, der am wenigsten mit dem Fall zu tun hatte, nahm sich in der Untersuchungshaft das Leben.

Wie verläuft der Prozess?

In jetzt 152 Verhandlungstagen haben die Richterinnen und Richter penibel Beweismittel angeschaut, angehört, Zeugen befragt. Während des seit April 2021 laufenden Verfahrens sind von den elf noch lebenden, im Februar 2020 Festgenommen fünf aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer kündigte jüngst an, die Beweisaufnahme im Herbst abschließen zu wollen. Das lässt darauf schließen, dass noch in diesem Jahr oder Anfang 2024 ein Urteil gesprochen wird.

Welche Probleme gibt es im Verfahren?

Rechtsanwältin Anika Klein und ihr Kollege Werner Siebers beantragten im Juli, der Verteidigung vollständige Akteneinsicht in "alle bisher nicht zur Gerichtsakte gelangten Unterlagen, Daten, Beweismittel und alle weiteren Gegenstände zu gewähren, die als Beweismittel in Frage kommen". Die beiden Juristen verteidigen den Hauptangeklagten Werner S. Das Landeskriminalamt informierte den 5. Strafsenat, dass von Asservaten gesicherte Daten 2020 aufwendig aufbereitet worden und ausgewertet worden seien. Dies habe damals einige Monate in Anspruch genommen. Diese Daten seien heute nur noch bedingt nutzbar. Damit die im LKA gesicherten Daten wieder in einer auswertbaren Form vorliegen, müssten sie wieder - wie 2020 - aufbereitet werden. Ein Problem, weil die seinerzeit für einen Teil der Daten verwendete Version einer Auswertesoftware nicht mehr im LKA vorhanden sei. Für den anderen Teil sprechen lizenzrechtliche Gründe dagegen, diese Daten den Verteidigern für deren Arbeit in ihren Kanzleien inklusive des Programms zu übergeben.

Zum Vergleich: Das gesamte, ungleich größere Strafverfahren gegen den rechtsterroristischen NSU umfasste ein Akten-Volumen von 595 Ordnern, 75,2 Gigabyte. Das sind 0,0734375 Terabyte. Im Verfahren gegen die Gruppe S. sind bislang etwa 0,045 Terabyte verschriftete Akten, kommen Videos und Audios hinzu 0,97 Terabyte Daten angefallen. Damit lägen den Prozessbeteiligten maximal etwa 0,67 Prozent der Akten in diesem Verfahren vor. Zur Zeit diskutieren Richter und Verteidiger, wie sie mit dieser Situation umgehen wollen.

Welche politischen Stolperfallen umfasst das Verfahren?

Als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages zum wegen sexueller Verfehlungen vom Dienst beurlaubten Inspekteurs der Polizei (IdP) sagte der frühere Präsident des LKA aus, er habe seinem damaligen Vize und späteren IdP Andreas Renner die Fachaufsicht über das Ermittlungsverfahren gegen die Gruppe S. übertragen.

Wie wurden die Ermittlungen geführt?

Immer wieder entstand für Prozessbeobachter der Eindruck, dass die Ermittlungen durch das LKA schlampig geführt wurden. Dazu zählt vor allem der Umgang mit dem Spitzel Paul-Ludwig U. Den Aussagen des zuvor wegen der Geiselnahme eines Polizisten und zweier Pflegekräfte in einer forensischen Klinik verurteilten Mannes schenkten die Ermittler oft ungeprüft Vertrauen. Unklar ist auch, ob und mit welcher Tragweite U. seine Mitangeklagten zu Straftaten anspornte. Und ob er dies womöglich im Auftrag der Ermittler tat, die ihn betreuten. Ein Bundespolizist sagte in einem wegen unerlaubten Waffenbesitzes gegen U. geführten Verfahren in Heidelberg aus, man habe ihn zufällig kontrolliert und eine Schreckschusspistole beschlagnahmt. Tatsächlich hatte er den Spitzel im Auftrag des LKAs kontrolliert, ein Ermittler der Behörde verwendete sich bei der urteilenden Richterin für U.

Bildunterschrift: Mutmaßliche Mitglieder der Gruppe posierten im September 2019 auf dem Grillplatz Hummelgautsche bei Schwäbisch Gmünd.

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Neue Westfälische Online, 29.06.2023:

Für Treffen in Minden: Anhänger der Terror-Gruppe Gruppe S. unterhielten offenbar unzählige Chats

29.06.2023 - 16.00 Uhr

Festnahme

Anhänger der Terror-Zelle Gruppe S unterhielten zahlreiche Chats in Messenger-Diensten, kommunizierten per SMS und Telefon. Das Konstrukt war so komplex, dass selbst Beteiligte den Überblick verloren.

Minden. Am 17. Januar 2020, um 11 Uhr 13, fragt ein "Teutonico" im Chat: "Wer ist dabei?" - und er meint damit ein Treffen in Minden, drei Wochen später. Es ist jene Zusammenkunft am 8. Februar 2020, die dazu führte, dass seit inzwischen gut zwei Jahren zwölf Männer am Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gemacht wird. Bei dem Treffen, so sieht es die Anklagebehörde, sollte nämlich eine Terror-Zelle gegründet werden, die mit Anschlägen auf Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren wollte - die so genannte Gruppe S.; benannt nach Werner S. aus Bayern, dem mutmaßlichen Anführer. Oder, wie er sich selbst in Chats auch nannte: "Teutonico".

Seine Chat-Partner antworten am 17. Januar schnell, die meisten bestätigen: Hans um 12.11 Uhr, Thomas um 12.30 Uhr, Steffen um 12.38 Uhr und etwas später Frank um 15.21 Uhr. Thomas war Thomas N., selbstständiger Fliesenleger aus Minden - in seinem Haus an der Kutenhauser Straße fand das Treffen am 8. Februar statt, an einem Samstagmittag. Die meisten Zusagen waren verbunden mit dem Hinweis, noch jemanden mitzubringen. Auch Markus K. aus Minden kam hinzu, ein Bekannter von Thomas N. - beide wurden von den Behörden der Reichsbürger-Szene zugeordnet; und beide gehören heute zu den Angeklagten in Stuttgart.

Informant Paul U. tummelte sich in den Chat-Gruppen

Werner S. wollte rechtsgerichtete Männer aus ganz Deutschland um sich scharen. Und das Mindener Treffen mit letztlich zwölf Teilnehmern sollte der Auftakt sein. Davon jedenfalls gingen die Behörden aus, die in dem Verfahren federführend ermittelten: die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg in Stuttgart. Sie waren S. und den anderen seit Monaten auf der Spur - durch den Informanten Paul U., der sich in den Chat-Gruppen tummelte. Auch er ist in Stuttgart angeklagt und die Schlüsselfigur des Verfahrens.

Der Informant lieferte fleißig: praktisch täglich habe sie damals neu hereingekommene Chat-Verläufe gesichtet und ausgewertet, berichtete jetzt vor Gericht eine junge Polizistin von ihrer Arbeit im Stuttgarter Landeskriminalamt Anfang 2020. An manchen Tagen seien halbstündig neue Nachrichten übermittelt worden. Ein Berg von Informationen, der erstmal verarbeitet werden musste: "manches habe ich zwischen Tür und Angel bekommen, weil das Personal knapp war", schildert ein ehemaliger LKA-Beamter vor Gericht.

Gruppen wechselten Namen und Zusammensetzung

Was es den Ermittlern nicht leichter machte: es gab nicht nur eine, sondern mehrere Chat-Gruppen, in denen sich die Rechten tummelten und gegenseitig über die aus ihrer Sicht nicht mehr tragbaren Verhältnisse in Deutschland schwadronierten - mit mal mehr, mal weniger deutlich formulierten Aufrufen, Gewalt anzuwenden. Die Gruppen wechselten sowohl ihre Namen als auch ihre Zusammensetzung. Polizei-Informant Paul U. gab irgendwann zu: "Ich habe keinen Durchblick mehr." Oft wurde auf dem Messenger-Dienst Telegram kommuniziert, manchmal auf WhatsApp, auch per SMS und Telefon - die Gespräche wurden längst aufgezeichnet.

Anfang 2020 sollte es schließlich ernst werden: "Die Gruppe muss gesäubert werden. Die sich nicht bewegen, müssen raus", so Thomas N. in einer Nachricht an Markus K. Und so kam es schließlich zum Termin in Minden: Treffen an einem Einkaufsmarkt, dann zu Fuß entlang der Kutenhauser Straße bis zu N.s Wohnhaus. Was die Teilnehmer nicht wussten: Spezialkräfte der Polizei waren längst vor Ort und beobachteten das Treffen. Als der Informant am nächsten Tag aufzufliegen drohte, beendeten die Ermittler das Ganze und nahmen die Männer am 14. Februar fest.

Bildunterschrift: Teutonico - so nannte sich der mutmaßliche Anführer der Terror-Zelle Gruppe S in Chats. Am 17. Januar 2020 verabredeten sich Mitglieder aus ganz Deutschland zu einem Treffen in Kutenhausen.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 02.05.2023:

Prozess Gruppe S.: Polizei-Videos aus Minden werden gezeigt

02.05.2023 - 19.34 Uhr

Beim Stuttgarter Terrorismus-Prozess um die so genannte Gruppe S. sollen bisher unter Verschluss gehaltene Polizei-Videos gezeigt werden. Sie zeigen ein Treffen der Angeklagten im Februar 2020 in Minden, bei dem Terroranschläge geplant worden sein sollen.

Angeklagte sollen Anschläge geplant haben

Der Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart läuft seit April 2021. Zwölf Angeklagten wird vom Generalbundesanwalt vorgeworfen, eine rechtsgerichtete terroristische Vereinigung gegründet oder unterstützt zu haben. Drei von ihnen kommen aus NRW. Bei einem Treffen in Minden soll die Gruppe konkret Bombenanschläge auf Moscheen verabredet haben, um damit einen Bürgerkrieg in Deutschland zu provozieren.

Was vor dem Mindener Treffen besprochen und diskutiert wurde, ist vielfach dokumentiert: Die durch einen Informanten eingeweihte Polizei hatte Telefone abgehört und Nachrichten aus Sozialen Medien zugespielt bekommen. Sie wurden als Beweismittel in den Prozess eingeführt - und im Gerichtssaal über Stunden gezeigt oder vorgespielt.

Polizei überwachte Treffen in Minden

Im Laufe des Prozesses wurde dann immer deutlicher: Auch bei dem für die Anklage entscheidenden Treffen am 8. Februar 2020, im Haus eines Mindener Fliesenlegers, war die Polizei ganz nahe dran - durch Autos, die an der Straße abgestellt waren, aber offenbar auch durch eine Sondereinheit, die in einem Nachbargebäude untergebracht war.

Aufnahmen waren bisher unter Verschluss

Lange hatte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Videos unter Verschluss gehalten - wohl aus Geheimhaltungsgründen. Allerdings drängten sowohl das Gericht als auch Verteidiger darauf, die Aufnahmen zu zeigen - denn sie könnten helfen, wichtige Fragen zu klären, worüber es bisher nur zum Teil widersprüchliche Aussagen der Beteiligten gibt:

Wie genau lief das Treffen ab? In welcher Atmosphäre wurde diskutiert? Wer hat die Initiative übernommen? Und vor allem: Was genau wurde besprochen? Wer hat welche Anschläge ins Spiel gebracht? Wer hat Zusagen über Waffenkäufe und Geld gemacht? Allerdings ist noch nicht klar, ob die Polizei das Treffen nur durch Videos überwachte oder auch akustisch durch Abhöranlagen.

Die Videos könnten den Prozess entscheidend voranbringen - gut zwei Jahre nach seinem Beginn. Noch bis zum Sommer sind Zeugen geladen, so dass die Beweisaufnahme in der zweiten Jahreshälfte abgeschlossen sein könnte. Ein Prozessende noch in diesem Jahr ist zumindest denkbar.

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Stuttgarter Nachrichten Online, 29.03.2023:

Rechtsterrorismus / Warum war der Abschiedsbrief nicht in den Akten?

29.03.2023 - 16.00 Uhr

Franz Feyder

Verteidiger im Verfahren gegen mutmaßliche Rechtsterroristen der Gruppe S. werfen dem Generalbundesanwalt vor, Beweismittel zurückzuhalten: Ein Beschuldigter nahm sich in der Untersuchungshaft vor zweieinhalb Jahren das Leben, seinen letzten Brief übergab die Staatsanwältin erst jetzt dem Gericht.

Als Ulf R. die Frau, in die er sich verliebt hatte, in den ostwestfälischen Clubs zwischen Bielefeld und Minden nicht mehr fand, ging er zur Polizei. Dort deponierte er einen Strauß roter Rosen und einen Brief, schickte der Angebeteten eine Kurznachricht, dass auf einer Polizeiwache Blumen für sie warteten. So fand sich das Paar: Vier Jahre später waren sie verheiratet, bekamen zwei Kinder. Die heile Welt zerbrach vor drei Jahren, am 14. Februar, als Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos das Haus der vier um 6 Uhr stürmten, R. festnahmen. Fünf Monate später war der 47-Jährige tot. Er nahm sich in Untersuchungshaft in Dortmund das Leben: "Mein Schatz, ich wünsche Dir und den Kindern die nötige Kraft, Euren gemeinsamen Lebensweg ohne mich weiterzugehen", schrieb er in einem letzten Brief.

R. gehörte zu den 13 Männern, denen der Generalbundesanwalt (GBA) vorwirft, sie hätten sich zusammengeschlossen, um mit Angriffen auf Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland zu entfachen. In dessen Folge, davon sind die Ankläger überzeugt, hätten sie das politische System stürzen wollen. Seit dem 21. April 2020 bemühen sich Richterinnen und Richter des Stuttgarter Oberlandesgerichtes in jetzt 129 Verhandlungstagen, Licht ins Dunkle dieses sehr komplexen Falles zu bringen. R., so sind Ermittler des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg überzeugt, gehörte zu den Beschuldigten, "die am wenigsten mit dem Fall zu tun haben".

Richter verwerfen Theorie des Generalbundesanwaltes

Die Gruppe, so der Vorwurf, habe sich am 8. Februar 2020 in Minden getroffen, um eine Rechtsterror-Organisation zu gründen. Ursprünglich hatten Ermittler und Staatsanwälte - vor allem auf die größtenteils frei erfundene Aussage eines ebenfalls angeklagten, kriminellen Informanten bauend - angenommen, die Gruppe habe sich bei einem Treffen auf einem Grillplatz bei Schwäbisch Gmünd im September 2019 gefunden. Schon früh verwarfen die Richter diese Theorie.

Zu diesem Treffen kam Ulf R. zu spät. Nur drei anderen der heute zwölf Angeklagten war er vor dem 8. Februar 2020 überhaupt bekannt. Mit einem von ihnen war er befreundet. Mit den anderen tauschte er vor allem Links für eine Video-Plattform und einige Kurznachrichten aus, die Ermittler der "Reichsbürger-Szene" zuschreiben. Ermittler stellten in Chat-Gruppen Bild- und Textnachrichten fest, die Bezüge zum Nationalsozialismus aufweisen. Ob sie von R. stammen oder ob der sie zur Kenntnis nahm, konnten sie nicht feststellen. Im Wesentlichen, sagen Ermittler, hätten sie "Alltagskommunikation" auf seinem Handy gefunden.

Unwohl habe er sich bei dem Treffen gefühlt, sagten mehrere Angeklagten vor den Richtern des 5. Strafsenates aus. Irgendwie, "als sei er da in etwas hineingeraten, mit dem er nichts zu tun haben wollte". Er sei, sagen Menschen, die Ulf R. näher kennen, ein Prepper gewesen. Also jemand, der sich auf mögliche Krisen wie Stromausfälle, Unruhen oder Kriege vorbereitet, indem er Vorräte anlegt, zum Teil in Wäldern versteckt. Der Überlebens-Kurse besucht, in denen er lernt, Wasser trinkbar aufzubereiten oder wie aus Birkenrinde Brot gebacken werden kann. Strafbar ist so etwas nicht. "Dann hätte man ja Rüdiger Nehberg verhaften müssen", sagt ein Kriminaler und spielt auf den international bekannten Überlebenskünstler aus Hamburg an.

Gegen Ulf R. habe das LKA "wenig bis gar nichts in der Hand gehabt". Deshalb habe man im Frühjahr 2020 den Staatsanwältinnen des GBA empfohlen, den Beschuldigten aus der Untersuchungshaft zu entlassen, in die er - wie alle anderen Beschuldigten mit Ausnahme des schwadronierenden Informanten - am 15. Februar 2020 genommen wurde. Der GBA, so eine Sprecherin, äußere sich "zu Fragen der Kommunikation mit anderen Behörden grundsätzlich nicht" und bewerte "auch einzelne Ermittlungsmaßnahmen nicht". Ulf R. war von seiner Unschuld überzeugt. Er sei "weggesperrt wie ein Hochkrimineller. Schatz, ich bin das nicht!", schrieb er zum Abschied. Und: "Ich wollte eine Erklärung dafür, dass ich für etwas, das ich nicht getan habe und nie vorhatte, so bitter, bitter böse bezahlen muss."

Oberstaatsanwältin soll sich erklären

R.s letzten Brief enthielten die Staatsanwältinnen des Generalbundesanwaltes den Richtern, Verteidigern und Angeklagten fast zwei Jahre vor. Er wurde dem Gericht erst übergeben, als Verteidiger beantragten, den Brief als Beweismittel beizuziehen. Oberstaatsanwältin Judith Bellay übergab ihn, wollte ihn aber nur in Auszügen an die Prozessbeteiligten weitergegeben wissen; Rechtsanwalt Günther Herzogenrath-Amelung, von der Witwe R.s mandatiert, hingegen vollständig. Die Verteidiger Jörg Becker und Heiko Hofstätter wollen von der Anklägerin jetzt versichert bekommen, dass sie über keine weiteren Dokumente oder Informationen mehr verfügt, die nicht in die Akten genommen und dem Gericht vorgelegt wurden: "Wir sind empört, dass sie Aktenteile vorsätzlich zurückhält. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang!"

Bildunterschrift: Angeklagte der sogenannten Gruppe S.: Der Informant immer in Freiheit, der 13. Angeklagte nahm sich das Leben.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 07.03.2023:

"Gruppe S.": Informant "schillernde Persönlichkeit - aber nicht krank"

07.03.2023 - 18.56 Uhr

Im Terrorismus-Verfahren um die so genannte Gruppe S. kann der maßgebliche Polizei-Informant als glaubwürdig eingestuft werden.

"Paul U. ist zwar eine schillernde Persönlichkeit, aber von einer krankhaften Störung weit entfernt", urteilte der psychiatrische Sachverständige beim Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart - und übte gleichzeitig deutliche Kritik an Kliniken und Gutachter-Kollegen: U. habe in seinem Leben viel zu lange hinter Gittern gesessen.

Paul U. Schlüsselfigur des Prozesses

U. ist die Schlüsselfigur im Prozess. Auf seinen Aussagen beruht die Anklage. Zwölf Männern - davon drei aus NRW - wird vorgeworfen, eine terroristische Gruppe gegründet zu haben.

21 Jahre hinter Gittern - wegen falscher Gutachten

U. hat eine außergewöhnliche Lebensgeschichte hinter sich. Nach verkorkster Kindheit und Jugend begann eine lange kriminelle Karriere, nach zwei Geiselnahmen wurde er zu 13 Jahren Haft verurteilt. Aber: ein Gutachten stufte ihn als psychisch krank ein, weshalb er insgesamt 21 Jahre hinter Gittern saß, unter anderem in Dortmund, Eickelborn und zuletzt in Stemwede, in einer Klinik für psychisch kranke Straftäter.

Kritik an Gutachtern und Kliniken

Erst 2016 stellte ein Gutachten fest, U. sei nie krank und gefährlich gewesen - viel zu spät, wie der aktuelle Sachverständige jetzt betonte: "Niemand hat die Eingangs-Diagnose in Frage gestellt." Offenbar sei in Kliniken und auch bei weiteren Gutachten nicht beachtet worden, dass sich U. über die Jahre positiv entwickelt habe. 2018 kam er frei. Ein Jahr später diente er sich den Behörden als Hinweisgeber für die so genannte Gruppe S. an - und brachte den Mammut-Prozess damit in Gang.

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Mindener Tageblatt, 11.01.2023:

Ärger mit Ämtern und Justiz

Prozess gegen Gruppe S.: Fliesenleger aus Kutenhausen fiel als Reichsbürger auf

Minden / Stuttgart. Seine manchmal wütenden Briefe an die Behörden unterschrieb der selbstständige Fliesenleger aus Kutenhausen mit "Thomas, aus dem Hause N." - so wie das Reichsbürger oft tun, wenn sie demonstrieren wollen, dass sie ihren bürgerlichen Namen im Personalausweis und überhaupt die gesamte Bundesrepublik Deutschland nicht akzeptieren. Laut Anklage des Generalbundesanwalts wollte Thomas N. aus Minden gemeinsam mit anderen in dieser Republik einen Bürgerkrieg provozieren - vor allem durch Anschläge auf Moscheen. Deshalb sitzen er und elf weitere Angeklagte, benannt als Gruppe S., seit April 2021 in Stuttgart vor Gericht.

Thomas N. hatte immer mal wieder Ärger mit Ämtern und Justiz: mit dem Straßenverkehrsamt beim Kreis Minden-Lübbecke; mit der GEZ; mit der Handwerkskammer Bielefeld - vor allem, wenn es ums Bezahlen ging, verwies er darauf, in einem nicht rechtmäßigen Staat zu leben. Das Verwaltungsgericht Minden sprach gegen ihn ein Waffenverbot aus, das Finanzamt verlangte Steuern in fünfstelliger Höhe. Und obwohl viele Behörden ihn als Reichsbürger sahen, wies seine als Zeugin geladene Lebenspartnerin genau dies vor Gericht zurück: "Nein! Dass sie uns so betitelt haben, hat uns aufgeregt."

Vom Richter wurde die 57-Jährige gebeten, ihren Freund zu beschreiben. "Sehr herzlich. Liebenswürdig. Nett. Großzügig. Freundlich." Als selbstständiger Fliesenleger habe er gut zu tun gehabt, "die Auftragslage war sehr gut. Er ist sehr beliebt bei seinen Kunden." Geldprobleme habe es keine gegeben. Im Haus lagen 35.000 Euro Bargeld. "Das hat er sich über die Jahre zusammengespart. Für schlechte Zeiten."

Alles sei bestens gewesen, bis zum 8. Februar 2020. Als er ein Dutzend Männer zu sich nach Hause eingeladen hatte und eine Woche später die Polizisten kamen, um Thomas N. festzunehmen. Laut Anklage war es das Treffen, bei dem die so genannte Gruppe S. Terror plante.

Und die politische Einstellung ihres Freundes? Die Frage des Richters beantwortete die Zeugin zunächst mit nichts anderem als einem langen Seufzen. Um dann fortzufahren: "Tja, dass man eben nicht alles gut findet, was abläuft. Aber so geht’s ja vielen." Und schließlich: "Ich rede nicht gern über Politik." Ob er über Flüchtlinge gesprochen habe, will der Richter wissen. Antwort: "Mit mir nicht." - "Sprach er über Ausländer?" - "Alles so lange her. Er hat kein Problem mit Ausländern." - "Hat er sich über Muslime geäußert?" - "Nein."

Was war das für ein Mensch, der sich in abgehörten Telefonaten als ausgesprochen fremdenfeindlich zeigte, auch gewaltbereit ("alle töten!!")? Und der als Handwerker unauffällig seiner Arbeit nachging?

Als sich der Prozesstag dem Ende neigte, äußerte sich dann auch Thomas N. noch einmal - und seine Worte sorgten sogar für Heiterkeit. Immer wieder war es um eines seiner Lieblingsthemen gegangen: die so genannte "Entnazifizierung". Reichsbürger verstehen darunter ein kompliziertes Verfahren, das für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist, unter anderem mit Schriftwechseln zu russischen Behörden. Wer das Verfahren nicht verstehe, der - so richtete Fliesenleger N. seine erklärenden Worte unter anderem an mehr als 50 anwesende Juristen - müsse doch nur das Grundgesetz lesen. Das erkläre alles.

Bildunterschrift: Am Oberlandesgericht Stuttgart wird der Prozess verhandelt.

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Mindener Tageblatt Online, 10.01.2023:

Prozess gegen Gruppe S.: Mindener Fliesenleger hatte Ärger mit Ämtern und Justiz

10.01.2023 - 19.50 Uhr

Minden / Stuttgart. Seine manchmal wütenden Briefe an die Behörden unterschrieb der selbstständige Fliesenleger aus Kutenhausen mit "Thomas, aus dem Hause N." - so wie das Reichsbürger oft tun, wenn sie demonstrieren wollen, dass sie ihren bürgerlichen Namen im Personalausweis und überhaupt die gesamte Bundesrepublik Deutschland nicht akzeptieren. Laut Anklage des Generalbundesanwalts wollte Thomas N. aus Minden gemeinsam mit anderen in dieser Republik einen Bürgerkrieg provozieren - vor allem durch Anschläge auf Moscheen. Deshalb sitzen er und elf weitere Angeklagte, benannt als Gruppe S., seit April 2021 in Stuttgart vor Gericht.

Thomas N. hatte immer mal wieder Ärger mit Ämtern und Justiz: mit dem Straßenverkehrsamt beim Kreis Minden-Lübbecke; mit der GEZ; mit der Handwerkskammer Bielefeld - vor allem, wenn es ums Bezahlen ging, verwies er darauf, in einem nicht rechtmäßigen Staat zu leben. Das Verwaltungsgericht Minden sprach gegen ihn ein Waffenverbot aus, das Finanzamt verlangte Steuern in fünfstelliger Höhe. Und obwohl viele Behörden ihn als Reichsbürger sahen, wies seine als Zeugin geladene Lebenspartnerin genau dies vor Gericht zurück: "Nein! Dass sie uns so betitelt haben, hat uns aufgeregt."

"Ich rede nicht gern über Politik"

Vom Richter wurde die 57-Jährige gebeten, ihren Freund zu beschreiben. "Sehr herzlich. Liebenswürdig. Nett. Großzügig. Freundlich." Als selbstständiger Fliesenleger habe er gut zu tun gehabt, "die Auftragslage war sehr gut. Er ist sehr beliebt bei seinen Kunden." Geldprobleme habe es keine gegeben. Im Haus lagen 35.000 Euro Bargeld. "Das hat er sich über die Jahre zusammengespart. Für schlechte Zeiten."

Alles sei bestens gewesen, bis zum 8. Februar 2020. Als er ein Dutzend Männer zu sich nach Hause eingeladen hatte und eine Woche später die Polizisten kamen, um Thomas N. festzunehmen. Laut Anklage war es das Treffen, bei dem die sogenannte Gruppe S. Terror plante.

Und die politische Einstellung ihres Freundes? Die Frage des Richters beantwortete die Zeugin zunächst mit nichts anderem als einem langen Seufzen. Um dann fortzufahren: "Tja, dass man eben nicht alles gut findet, was abläuft. Aber so geht’s ja vielen." Und schließlich: "Ich rede nicht gern über Politik." Ob er über Flüchtlinge gesprochen habe, will der Richter wissen. Antwort: "Mit mir nicht". - "Sprach er über Ausländer?" - "Alles so lange her. Er hat kein Problem mit Ausländern." - "Hat er sich über Muslime geäußert?" - "Nein."

Lieblingsthema "Entnazifizierung"

Was war das für ein Mensch, der sich in abgehörten Telefonaten als ausgesprochen fremdenfeindlich zeigte, auch gewaltbereit ("alle töten!!")? Und der als Handwerker unauffällig seiner Arbeit nachging?

Als sich der Prozesstag dem Ende neigte, äußerte sich dann auch Thomas N. noch einmal - und seine Worte sorgten sogar für Heiterkeit. Immer wieder war es um eines seiner Lieblingsthemen gegangen: die so genannte "Entnazifizierung". Reichsbürger verstehen darunter ein kompliziertes Verfahren, das für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist, unter anderem mit Schriftwechseln zu russischen Behörden. Wer das Verfahren nicht verstehe, der - so richtete Fliesenleger N. seine erklärenden Worte unter anderem an mehr als 50 anwesende Juristen - müsse doch nur das Grundgesetz lesen. Das erkläre alles.

Bildunterschrift: Am Oberlandesgericht Stuttgart wird der Prozess verhandelt.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 10.01.2023:

"Gruppe S.": Partnerin weist Vorwürfe gegen Angeklagten zurück

10.01.2023 - 19.47 Uhr

Beim Stuttgarter Terrorismus-Prozess gegen die so genannte "Gruppe S." stand jetzt der Angeklagte Thomas N. aus Minden im Mittelpunkt. Als Zeugin sagte seine Lebensgefährtin aus.

Von Thomas Wöstmann

Die Anklageschrift wirft N. und elf weiteren Angeklagten vor, Terroranschläge vor allem gegen Moscheen geplant zu haben - und zwar im Februar 2020, bei einem Treffen in seinem Haus in Minden. Seit April 2021 läuft deshalb ein Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart.

Als Zeugin sagte nun die Lebensgefährtin des Angeklagten N. aus. Sie wies dabei Vorwürfe zurück, ihr Partner sei fremdenfeindlich und gewaltbereit.

"Ein herzlicher, netter, hilfsbereiter und liebenswerter Mensch"
Lebensgefährtin von N. im Terrorismus-Prozess

In abgehörten Telefongesprächen hatte N. mehrmals eindeutig über Gewalt gegen Ausländer gesprochen. Seine Partnerin zeichnete ein anderes Bild: Er sei ein herzlicher, netter, hilfsbereiter und liebenswerter Mensch. Er habe nichts gegen Ausländer - und dass es unter nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen zu viele junge Männer gebe, das würden doch so viele so sehen, erklärte die 57-Jährige. Sein Geschäft als selbstständiger Fliesenleger sei gut gelaufen - die bei ihm im Haus gefundenen 35.000 Euro Bargeld habe er über die Jahre zusammengespart, für schlechte Zeiten.

N. unterschrieb wie ein Reichsbürger

Briefe unterschrieb der Fliesenleger mit "Thomas aus dem Hause N." - eine unter Reichsbürgern oft genutzte Formulierung, um zu demonstrieren, dass der Name im Personalausweis als Dokument der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt wird. Dennoch sei ihr Partner kein Reichsbürger, so wie ihn mehrere Behörden einordnen: "Wir wurden so betitelt. Das hat uns aufgeregt."

Als am 8. Februar 2020 nach und nach Männer zu Hause eingetroffen seien, habe sie davon nur wenige gekannt. Zum vermeintlichen Kopf der Gruppe Werner S. habe ihr Freund allerdings ein spezielles Verhältnis gehabt: "Ich hatte das Gefühl, dass er ihm hörig war."

Der Prozess wird Donnerstag fortgesetzt. Dann soll unter anderem die Lebenspartnerin des zweiten Mindener Angeklagten Markus K. aussagen.

Über das Thema berichtet die Lokalzeit OWL am 11.01.2023 im Hörfunk.

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Mindener Tageblatt Online, 02.12.2023:

Prozess um die Gruppe S.: Protokoll von Markus K. aus Minden wird verlesen

02.12.2022 - 18.52 Uhr

Stuttgart / Minden. Um 19.17 Uhr kam die brisante Nachricht per Telefon. Anrufer Paul U. war vor die Tür einer Gaststätte in Minden gegangen: "Bingo! Es sind Anschläge auf Moscheen geplant. Sie wollen 50.000 Euro sammeln und Waffen kaufen", berichtete er von einem Treffen wenige Stunden zuvor, im Haus von Fliesenleger Thomas N. in Kutenhausen. Es war der 8. Februar 2020 und der angerufene leitende Ermittler des Landeskriminalamtes in Stuttgart hatte von seinem Informanten damit das, was er hören wollte. Das Verfahren gegen die so genannte Gruppe S. kam ins Rollen.

Die Nummer des LKA-Beamten hatte U. eingespeichert. Immer wieder hatten die beiden in den Monaten zuvor telefoniert. Der Informant lieferte, was er zu hören und zu lesen bekam. Alles lief auf das Mindener Treffen zu. Sowohl "Spitzel" U. als auch sein Kontaktmann beim LKA sagten jetzt beim Prozess über ihre Zusammenarbeit aus - einer von beiden hat dabei wohl gelogen. Beim jüngsten Prozesstag stritt der Ermittler alles das ab, was ihm U. inzwischen vorwirft: dass er ihn zu Falschaussagen gedrängt habe, um bessere Beweismittel für die Anklage zu haben; dass er ihm eine milde Strafe in Aussicht gestellt habe, wenn er sich darauf einlasse, formell als Beschuldigter geführt zu werden und nicht als V-Mann. Und auch, dass er ihn in eine inszenierte Polizeikontrolle mit anschließendem Strafverfahren gelockt habe, um etwas in der Hand zu haben, damit der zwischenzeitlich zögerliche Informant weiter "liefert". Vor Gericht machte der LKA-Beamte einen nervösen Eindruck: gereizt reagierte er auf bohrende Fragen der Verteidiger, verwickelte sich in Widersprüche und offenbarte Wissenslücken. So will er jetzt zum ersten Mal von einem damals erstellten internen Polizeibericht über eine Observationspanne erfahren haben - obwohl diese Panne die Polizeiarbeit damals entscheidend beeinflusste und er dafür verantwortlich war.

Macht das LKA Fehler?

Viele Verteidiger glauben inzwischen, dass das LKA entweder falschspielt oder große Fehler machte: "Es stinkt zum Himmel", so Rechtsanwalt Alexander Kist (Karlsruhe). Ein Antrag, das gesamte Verfahren einzustellen und die Angeklagten freizulassen, dürfte allerdings wenig Chancen haben.

Auch Angeklagter Markus K. aus Minden spielte in dieser Woche eine Rolle. Vor Gericht wurde das Protokoll seiner Vernehmung beim Haftrichter kurz nach der Festnahme verlesen. Demnach will K. geschockt gewesen sein, dass bei dem Treffen über Anschläge, Waffen und viel Geld gesprochen worden sei. Eingeladen von seinem Bekannten Thomas N. sei er davon ausgegangen, dass dort über politische Aktionen, wie Demos oder Plakatekleben, geredet werden sollte.

Seine Anwältin bezweifelt, dass bei der Vernehmung korrekt protokolliert worden sei. Die bei K.`s Aussage festgehaltene Vokabel "spezifisch" gehöre nicht zu dessen Wortschatz. Was Markus K. mit einem Nicken bestätigte.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 01.12.2022:

Vorwürfe an die Ermittler im Prozess um rechtsextremistische "Gruppe S."

01.12.2022 - 19.37 Uhr

Im Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart um die rechtsextremistische so genannte "Gruppe S." haben Verteidiger der Polizei massive Fehler vorgeworfen.

Der leitende Ermittlungsbeamte des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg musste sich als Zeuge bohrende Fragen gefallen lassen, verwickelte sich dabei in Widersprüche und offenbarte überraschende Wissenslücken. Zwölf Männern, darunter zwei aus Minden und einer aus Hamm, wird vorgeworfen, im Februar 2020 Anschläge gegen Moscheen geplant zu haben.

Überraschende Unkenntnis des leitenden Ermittlers

"Es stinkt zum Himmel", bilanzierte ein Verteidiger die Zeugenaussage des LKA-Beamten; und ein Kollege kritisierte: "Ich fühle mich verarscht". Tatsächlich warfen die Aussagen des Ermittlers Fragen auf: So konnte er sich zunächst an bestimmte Gespräche nicht erinnern, um dann wenige Minuten später detailgenau darüber zu berichten.

In einem anderen Fall überraschte seine Unkenntnis über den internen Bericht eines anderen Polizeibeamten, in dem eine Observationspanne dokumentiert war, die das gesamte Verfahren damals maßgeblich verändert hatte.

Sofortiges Verfahrensende gefordert

Die im Vorfeld vom damaligen Polizei-Informanten geäußerten Vorwürfe gegen ihn stritt der leitende Ermittler ab. Er habe den Kontaktmann nicht zu Falschaussagen gedrängt, um stärkere Beweismittel für die Anklage zu haben. Er habe ihm auch nicht immer wieder subtil eine milde Strafe in Aussicht gestellt, wenn er umfassend Informationen liefere.

Und schließlich: der Informant sei immer als Beschuldigter geführt worden und nicht, wie von der Verteidigung vermutet, rechtswidrig als V-Mann.

Am Ende des Prozesstages dann noch ein überraschender Antrag, der allerdings kaum eine Chance haben dürfte: Das Verfahren sei einzustellen und alle Angeklagten freizulassen, so ein Verteidiger, auf Grund "rechtsstaatswidriger Verfahrensfehler". Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

Über das Thema berichtet der WDR am 02.12.2022 im Hörfunk.

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Mindener Tageblatt Online, 25.11.2022:

Zeuge im Gruppe S.-Prozess: "Ich bin da in etwas reingerutscht"

25.11.2022 - 18.24 Uhr

Stuttgart / Minden. "Ich dachte, in Minden sollte es um Mittelalter gehen." Thorsten W. aus Hamm tat unschuldig, als er am 14. Februar 2020 frühmorgens von Ermittlerinnen der Polizei gefragt wurde - am Küchentisch sitzend, während seine Wohnung von Spezialkräften durchsucht wurde. "Ich bin da in etwas reingerutscht, was ich nicht wollte" - und meinte damit das Treffen von zwölf Männern sechs Tage zuvor, im Haus von Thomas N. in Kutenhausen. Beim Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen die so genannte Gruppe S. geht es derzeit genau um diese Fragen: was genau wurde an diesem Samstag besprochen? Ging es um Anschläge gegen Moscheen? Wer wollte Waffen besorgen? Wer wollte Geld geben? Hatte sich im Haus von N. gerade eine Terror-Zelle gebildet?

Thorsten W. sprach bei der Vernehmung am Küchentisch mit Kolleginnen. Denn er war damals auch Polizist; ein Sachbearbeiter aus dem Hinterzimmer, zuständig für Straßenverkehrsdelikte. Was dann bei ihm in der Wohnung gefunden wurde, ließ auf ein rechtsextremes Weltbild mit stark nationalsozialistischen Bezügen schließen: zwei Ausgaben von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf", Plakate und Literatur über die SS und die Wehrmacht, Hakenkreuze auf Badehandtuch und als Bügelperlen-Deko auf der Fensterbank. Vor Gericht sagte W., er sei historisch interessiert. Über seinen Anwalt ließ er sagen, dass die Polizei einseitig nach belastendem Material gesucht hätte. Und seine beiden "Mein Kampf"-Bücher seien für Beweis-Fotos demonstrativ vorn im Regal platziert worden.

Kennengelernt über gemeinsames Hobby

Mit Handwerker Thomas N. aus Minden verband Polizist W. eine lose Freundschaft - eine Urlaubsbekanntschaft vom Campingplatz auf der Ostseeinsel Fehmarn. Über das gemeinsame Hobby, nämlich Mittelalter, habe man sich näher kennengelernt. Und darum sollte es auch beim Treffen am 8. Februar 2020 in Minden gehen. So sagte es W. den Ermittlerinnen. Was dann aber im Haus von Thomas N. thematisiert wurde, habe ihn erschrocken; der Umgangston und der Grundtenor seien schlimm gewesen.

Klare Antworten über die Inhalte der Gespräche blieb W. dann offenbar schuldig. So schildert es die zuhörende Polizeibeamtin: Waffenkäufe? Vermutlich, aber nicht sicher! Geldzusagen? Nur vage Angaben. Am Ende des Tages wurde Thorsten W. von Hamm nach Porta Westfalica gebracht - vom dortigen Flugplatz ging es zum Ermittlungsrichter nach Baden-Württemberg. Das Verfahren gegen die so genannte Gruppe S., zu der neben Thomas N. auch Markus K. aus Minden gehören soll, nahm seinen Lauf.

Ein für Freitag ebenfalls nach Stuttgart geladener Zeuge aus Bad Oeynhausen war mit dem Hinweis auf gesundheitliche Probleme nicht erschienen. Die Staatsanwältin beantragt daraufhin in Ordnungsgeld. Ralf N. aus Düsseldorf, bekannt als Kopf der rechtsextremen Bruderschaft Deutschland, verweigerte vor Gericht die Aussage. Er sollte im Februar 2020 auch zu dem Treffen nach Minden kommen - hatte damals aber kurzfristig und überraschend abgesagt. Das Gericht belehrte ihn darüber, dass er als Zeuge nicht aussagen müsse, wenn er damit strafrechtlich belastet werden könnte. Er mache keine Angaben, sagte N., und verließ nach wenigen Minuten wieder den Gerichtssaal. Der Prozess in Stuttgart läuft seit April 2021 und wird vermutlich noch lange dauern.

Bildunterschrift: Über was bei dem Treffen in Minden konkret gesprochen wurde, blieb in der Aussage von Thorsten W. offen. Der Prozess gegen die Gruppe S. dürfte sich noch einige Zeit hinziehen.

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Mindener Tageblatt Online, 25.11.2022:

"Wie im Tunnel": Schlüsselfigur im "Gruppe S."-Prozess spricht über Zusammenarbeit mit dem LKA

25.11.2022 - 00.09 Uhr

Stuttgart / Minden (mt). An den Abend des 7. Februar 2020 in Kutenhausen kann sich Paul U. noch recht gut erinnern. Thomas N. und seine Lebensgefährtin seien spendable Gastgeber gewesen. "Es gab mehrere Sorten Met zu trinken. Und die haben wir reichlich probiert. Am Ende war ich abgefüllt!". Die darauffolgende Nacht sei für ihn kurz gewesen: Betrunken und total aufgeregt habe er kaum schlafen können. Der Grund dafür: Am nächsten Morgen sollten sich im Hause von N. die Männer treffen, denen derzeit als "Gruppe S." am Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gemacht wird - und die in Minden Terror-Pläne geschmiedet haben sollen.

U. ist in diesem Prozess die Schlüsselfigur. Auf seinen Aussagen beruhen in großen Teilen die Anklagevorwürfe, die Thomas N. und Markus K. aus Minden hinter Gitter brachten. Seit vergangener Woche spricht U. jetzt auch vor Gericht - zum einem über seine außergewöhnliche Lebensgeschichte, zum anderen über eine mindestens fragwürdige Zusammenarbeit mit den Behörden.

Das Wochenende in Minden sollte für Paul U. Schlusspunkt einer engen Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg sein. "Es war mir zu viel. Es war Stress ohne Ende", so der "Spitzel" jetzt im Gerichtssaal. Außerdem habe er das Gefühl gehabt, dass es für ihn gefährlich wird. Die Männer, die sich bei Thomas N. trafen, schienen nicht ohne: Ihre internen Chats und abgehörten Telefongespräche deuteten auf eine hohe Gewaltbereitschaft hin.

Über Monate hinweg lieferte er dem LKA Informationen

Monatelang hatte U. zuvor "geliefert". In die rechtsradikalen Kreise sei er durch Zufall geraten - unbedarft, durch die für ihn (nach 21 Jahren hinter Gittern) gänzlich neuen Sozialen Medien. Nach den ersten Gesprächen mit LKA-Beamten in Gießen und in Stuttgart habe er sich dann bald ganz auf die neue "Aufgabe" konzentriert, die Polizei mit Informationen zu versorgen: "Nachrichten sortiert. Screenshots gemacht. Gefühlt 24 Stunden am Tag. Ich war wie im Tunnel. Ich war nur auf diese Sache fixiert. Das war mein Lebensinhalt."

Sogar Falschaussagen habe er für die Polizei gemacht, so Paul U. Nach seinem ersten persönlichen Kennenlernen mit dem mutmaßlichen Gruppen-Chef Werner S. habe ihm sein Kontaktbeamter außerhalb des Protokolls gesagt: "Es wäre gut, wenn Sie bei ihm eine Waffe gesehen hätten." Und obwohl dies nicht der Fall gewesen sei, habe er es in der "offiziellen" Aussage schließlich bestätigt.

Im Gegenzug hätten ihm die Beamten die Zeit danach schmackhaft gemacht: eine neue Identität, ein neues Leben, im Ausland. Alles, was bisher war, hätte er hinter sich lassen können - nach einem bis dahin ziemlich verkorksten Leben mit unsteter Kindheit, frühen Heimaufenthalten, viel Kriminalität und letztlich 21 Jahren hinter Gittern - davon lange Zeit auch in der forensischen Klinik Schloss Haldem in Stemwede.

Dass er von vornherein als Beschuldigter und nicht - wie wohl naheliegend - als Zeuge geführt wurde, sei ihm vom Landeskriminalamt so erklärt worden: "Es hieß: Als Zeuge müsste ich vor Gericht die Wahrheit sagen. Als Angeklagter hätte ich mehr Rechte." Und wenn er vernommen worden sei, habe der Beamte wortlos mit einem Finger auf einen Passus im Gesetzbuch gezeigt, der ihm eine milde Strafe in Aussicht stelle.

Die anderen Angeklagten, wie Thomas N. und Markus K., verfolgen die Aussagen U.s oft kopfschüttelnd.

Bildunterschrift: Die Mitglieder der "Gruppe S." sollen in Minden Terror-Pläne geschmiedet haben - in Stuttgart stehen sie deshalb vor Gericht.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 17.11.2022:

Prozess um "Gruppe S": Polizei soll Falschaussagen provoziert haben

17.11.2022 - 17.44 Uhr

Beim Prozess gegen die so genannte Gruppe S. hat der wichtigste Kontaktmann der Polizei schwere Vorwürfe gegen das Landeskriminalamt Baden-Württemberg erhoben. Ermittler sollen ihn zu Falschaussagen aufgefordert haben.

Von Thomas Wöstmann

Um besseres Beweismaterial zu erhalten, drängten ihn die Ermittler zu Falschaussagen, schilderte Paul U. heute am Oberlandesgericht Stuttgart. Zwölf Männern, davon drei aus Nordrhein-Westfalen, wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben.

Über Monate hatte der Informant 2019 das LKA auf dem Laufenden gehalten - vielfach wurde er vernommen. Wenn die Kameras ausgeschaltet waren, sollen ihn dann Beamte aufgefordert haben: er möge bestimmte Aussagen machen oder andere Dinge weglassen. Außerdem seien ihm Versprechungen über eine milde Strafe und über ein Zeugenschutzprogramm gemacht worden.

LKA inszeniert Kontrolle im Bahnhof

Inzwischen steht auch fest, dass das Landeskriminalamt 2019 eine Kontrolle der Bahnpolizei inszeniert hatte, bei der bei U. eine illegale Waffe gefunden worden war; nach Ansicht von Verteidigern "ein Druckmittel, damit U. weiter Informationen liefert".

Anderthalb Jahre lang hatte U. vor Gericht nicht über sein Verhältnis zur Polizei gesprochen. Jetzt brach er sein Schweigen. Er gilt als die Schlüsselfigur des gesamten Verfahrens. Vor allem auf seine Aussagen stützt sich die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft.

Über das Thema berichtete der WDR am 17.11.2022 in der Lokalzeit auf WDR 2.

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Stuttgarter Nachrichten Online, 17.11.2022:

Rechtsterrorismus / Der Kronbeschuldigte

17.11.2022 - 06.30 Uhr

Seit 100 Verhandlungstagen versuchen Richter, Verteidiger und Staatsanwälte zu klären, was rund um die mutmaßliche Rechtsterror-Gruppe S. geschah. Die Ermittlungen im Fall eines Beschuldigten werfen Fragen auf. Die anfänglich gute Arbeitsatmosphäre zwischen Richtern und Anwälten ist zunehmend vergiftet.

1.005 Tage Leben stehen da. Eingepackt in einem blauen Köfferchen, wie es Geschäftsreisende rollen, wenn sie über Nacht in eine andere Stadt jetten. Und in einer braunen Papiertüte, in die im Supermarkt der Einkauf für drei, vier Tage gepackt wird. Das Gepäck ist zu groß für die Fächer, in denen Justizwachtmeister die Habseligkeiten von Besuchern des Stuttgarter Oberlandesgerichts (OLG) in Stammheim schließen.

Köfferchen und Tüte, die Habe eines Mannes, der am 100. Verhandlungstag des Prozesses gegen die mutmaßliche Rechtsterror-Gruppe aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Einer jener zwölf, deren Wohnungen am frühen 14. Februar 2020 von Elite-Polizisten gestürmt wurden. Sie sollen, so will es der Generalbundesanwalt wissen, Terroranschläge geplant, Moscheen und die Grünen-Spitzenpolitiker Anton Hofreiter und Robert Habeck ins Visier genommen haben. Sie hätten einen Bürgerkrieg auslösen wollen. Einer der zwölf ist tot - er erhängte sich im Sommer 2020 in seiner Zelle im Dortmunder Gefängnis.

Besitz von Kinderpornos bleibt folgenlos

Ein 13. Mann ist angeklagt. Seine Wohnung im nordbadischen Mosbach stürmte kein Polizist. Stattdessen wurde sie drei Tage vor der bundesweiten Razzia von Ermittlern des baden-württembergischen Landeskriminalamtes (LKA) durchsucht. Diskret. Sie fanden eine beschossene Zielscheibe, die Rechnung für eine Gasdruckpistole und kinderpornografisches Material auf einem Rechner. Aber Paul-Ludwig U. versorgte die Sicherheitsbehörden seit April 2019 mit teilweise zusammengereimten Informationen über frei erfundene, rechte Terror-Gruppen. U. wurde - im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten - nicht in Untersuchungshaft genommen. Die Kinderpornos blieben folgenlos.

Die Staatsanwälte werfen ihm vor, Mitglied der Gruppe S. gewesen zu sein. U. selbst antwortete in seiner letzten Vernehmung im April 2020 auf die Frage des künftigen Stuttgarter Kripo-Chefs Alexander Stalder: "Ich war der Regisseur."

Drei bis dreieinhalb Millionen Euro hat die Suche nach der Wahrheit vor dem 5. Strafsenat des OLG seit April 2021 gekostet, sind sich Verteidiger sicher. Es ist eine schwierige, komplexe Suche, auf der fünf Richterinnen und Richter, 24 Verteidiger, mal zwei, mal drei Staatsanwältinnen sind. Hinzu kommen ein Psychiater als Sachverständiger, zwei Richter, die einspringen, sollte einer der amtierenden das Verfahren gesundheitlich nicht mehr fortsetzen können.

Zwei Geiselnahmen, einmal einen Polizisten

Im Fokus des Verfahrens steht zweierlei. Zum einen die Rolle U.s: War er nun eine Vertrauensperson der Ermittler oder nicht? Zum anderen die Ermittlungsarbeit des LKA Baden-Württemberg, bei der es in diesem Fall viele Ungereimtheiten gibt.

Der Leiter der Ermittlungsgruppe Valenz im LKA nennt U. scherzhaft einen "Kronbeschuldigten". Ein Wortspiel bestehend aus Kronzeuge, dem Zeugen der Krone, dem von jeher besonderer Schutz angedeiht, und einer Endung, die bereits impliziert, dass U. eine Straftat vorgeworfen wird: 21 Jahre lang saß U. wegen verschiedener Straftaten bereits ein, ein Großteil davon in psychiatrischer Unterbringung. Zweimal nahm er Geiseln, einmal einen Polizisten.

Der 50-Jährige belastete mit zum Teil erfundenen Vorwürfen Menschen. In Bayern legten Staatsanwälte seine nahezu wortgleichen Rechtsterror-Geschichten zu den Akten. In Baden-Württemberg verfingen dieselben Erzählungen.

Schlampige Ermittlungen

Genau das charakterisiert diesen Prozess: Die schlampige Ermittlungsarbeit des LKA Baden-Württemberg in diesem Fall. Die Nähe des Ermittlungsleiters und seiner Stellvertreterin zu U., dem sie zuschauten, wenn er Straftaten beging. "Wir sind Zeuge, wie ein leicht manipulierbarer Schwerverbrecher vom LKA am langen Zügel geführt, durch Zurückhaltung von Informationen getäuscht und durch geschicktes Fragen zum Spitzeln und Zündeln veranlasst wird. So wird das gewünschte Ziel unter dem Deckmantel angeblich seriöser Ermittlungsarbeit erreicht, um nicht zu sagen, erschwindelt", kritisiert Verteidiger Werner Siebers.

Bei einem observierten Treffen im Herbst 2019 erschien U. als Einziger mit einer Pistole, wie Ermittler dokumentierten. Angeblich eine Schreckschusswaffe. Oder eine scharfe? Überprüft hat das niemand. Damit der die Waffe nicht weitergab, observierten Polizisten ihn, fingierten seine Kontrolle im Heidelberger Bahnhof im Oktober 2019. Die Waffe wurde sichergestellt. Dass der Scoop durch das LKA arrangiert war, kam dann zufällig heraus: Weil U. unerlaubt die Waffe mit sich führte, wurde er angeklagt und zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt - trotz seiner Vorstrafen. Er habe, urteilte die zuständige Heidelberger Richterin, verdeckt für das LKA ermittelt.

Er besorgte sich eine zweite Waffe. Dies und eine nach Stuttgart ins LKA weitergeleitete Anzeige des LKA Rheinland-Pfalz gegen U., der einen SS-Totenkopf bei Facebook gepostet hatte, wurde offenbar bislang nicht weiterbearbeitet. Der Freiburger Rechtsanwalt Dubravko Mandic beantragte, U.s Vernehmungen und die Aussagen einer Hauptkommissarin nicht zu verwerten: "Es ist dringend Aufklärung darüber geboten, inwieweit das tatprovozierende Verhalten des Angeklagten U. dem Staat zuzurechnen ist." U. habe sich nicht darauf beschränkt, andere zu rechtswidrigen Taten zu provozieren, sondern vielmehr sein eigenes Verhalten als das seiner Mitangeklagten hingestellt.

Bundesanwältin mit dem Ton eines Hauptfeldwebels

Immer wieder ist bei U. von Absprachen mit und von Gefälligkeiten des Generalbundesanwalts und der Ermittler die Rede. Sie, betonte jetzt Bundesanwältin Cornelia Zacharias als Zeugin, habe im Oktober 2019 deutlich gemacht, dass U. nicht zum Informanten der Polizei oder gar in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird. Auch werde sie nicht zur Fürsprecherin in anderen Verfahren.

Über diese Entscheidungen ließ die Vize-Ermittlungsführerin U. jedoch noch im Januar 2020 im Unklaren, als dieser drängelte, Zacharias solle wegen der Waffe ein gutes Wort für ihn einlegen. Auch die Vernehmung U.s am 14. Oktober 2019, als es um seinen Status als Vertrauensperson und späteren Zeugenschutz ging, wirft Fragen auf. Die Vernehmung führten nur die beiden leitenden Ermittler. "Eine Vernehmung, in der U. die Entscheidung Zacharias zu seinem Status übermittelt werden sollte. Keine weitere Zeugen. Das Protokoll des Gespräches ist ein eigenwilliger Wechsel zwischen wörtlicher und sinngemäßer Rede. Kein Mitschnitt. Diese Vernehmung verlief völlig anders als alle anderen Vernehmungen U.s. Warum?", fragt Verteidiger Harald Stehr.

"Eine Sternstunde der deutschen Justiz", war die Zeugenaussage der Bundesanwältin für Siebers. "Frau Oberstaatsanwältin hat geradezu im Ton eines Hauptfeldwebels herausgekehrt, dass sie das Verfahren allein und souverän führte, sich in ihrer Professionalität geradezu gesuhlt. Gleichzeitig hat sie kleinlaut eingeräumt, sie habe im angeblichen Stress leider mal vergessen, dass allen Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zuzuordnen war, als sie deren Vorführung vor den Ermittlungsrichter anordnete. Wer sie erlebt hat, glaubt ihr vieles. Aber ganz sicher nicht, dass ihr dieser Verstoß gegen grundlegende Verteidigungsrechte durchgerutscht ist."

Überraschend will der "Kronbeschuldigte" aussagen

Zufällig wurde jetzt bekannt, dass die das Verfahren betreuende Staatsanwältin Judith Bellay Informationen aus dem laufenden Verfahren an das LKA gibt. Dort wird das Wissen auch an Beamte weitergegeben, die als Zeugen in dem Verfahren aussagen müssen. Fünf der elf inhaftierten Angeklagten befinden sich seit Prozessbeginn wieder auf freiem Fuß. Vieles spricht dafür, dass die Richter sie entließen, als die möglichen Haftstrafen mit der Untersuchungshaft abgegolten waren.

Das Verhältnis zwischen Richtern und Verteidigern hat sich vergiftet: Kürzlich fragte ein Anwalt den Senat, ob sein Mandant nach einer weiteren Aussage dieses Jahr aus der Untersuchungshaft entlassen werde. Dies sei nur dann wahrscheinlich, teilte ihm der Vorsitzende Herbert Anderer mit, wenn sich der Angeklagte deutlich substanziell zur Sache äußere. Ende Oktober übermittelten die Richter dem Anwalt die Punkte, in denen sie den Angeklagten bislang nicht als geständig bewerten.

Verteidiger Jörg Becker lehnt für seinen Mandaten die fünf Richterinnen und Richter deshalb als befangen ab: "Besonders brisant ist, dass der Senat nicht nur allgemein eine Erweiterung der geständigen Einlassung des Angeklagten vorschlägt, sondern hierzu in höchst ungewöhnlicher Art und Weise "Segelanweisungen" zum genauen Inhalt des Geständnisses gibt, indem er dem Verteidiger mitteilt, dass "die Einlassungen des Angeklagten zu den folgenden Punkten noch nicht als Geständnis gewertet werden" könnten." Über den Antrag wird noch entschieden.

Überraschend kündigte U. an, an diesem Donnerstag in der Hauptverhandlung zu seiner Zusammenarbeit mit dem LKA aussagen zu wollen. Bislang hatte er geschwiegen. Er ist der einzige Angeklagte in diesem Verfahren, dessen Leben jetzt 1.007 Tage lang in keinem Köfferchen, in keiner Papiertüte war.

Bildunterschrift: Als Einziger mit Pistole zum Gruppentreffen an die Hummelgautsche bei Schwäbisch Gmünd: Polizisten fotografierten Spitzel Paul-Ludwig U. mit Waffe.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 11.11.2022:

Prozess um "Gruppe S.": Zwei weitere Angeklagte freigelassen

11.11.2022 - 18.19 Uhr

Im Stuttgarter Prozess um die so genannte Gruppe S. kommen zwei weitere Angeklagte auf freien Fuß. Sechs Angeklagte, darunter Thomas N. aus Minden, bleiben weiter im Gefängnis. Der mitangeklagte Polizeiinformant Paul U. kündigte an, auszusagen.

Von Thomas Wöstmann

Thorsten W. aus Hamm und Marcel W. aus Bayern können am Montag die Untersuchungshaft verlassen. Damit befinden sich dann nur noch sechs der zwölf Angeklagten im Gefängnis - darunter auch Thomas N. aus Minden.

Hinweis auf Strafmaß?

Die Freilassungsankündigung für Thorsten W. und Marcel W. am Ende des 99. Prozesstages war eine Überraschung. Beide waren - wie alle anderen - am 14. Februar 2020 festgenommen - und auf den Tag genau zwei Jahre und neun Monate später kommen sie frei.

Der Zeitpunkt ist aus Sicht mancher Verteidiger ein Fingerzeig auf ein mögliches Strafmaß für die Angeklagten zu Prozessende. Ähnlich wie vor drei Monaten, als zwei Angeklagte genau zweieinhalb Jahre nach Festnahme die Untersuchungshaft verlassen durften.

Entscheidende Aussage durch Informanten?

Spannend dürfte werden, wie die Aussage von Paul U. nächste Woche den Prozess verändert. U., der auch zu den zwölf Angeklagten zählt, war Hauptinformant der Behörden - auf seine Informationen stützt sich die Anklageschrift in wesentlichen Punkten. Bisher hatte er im Prozess geschwiegen - jetzt will er reden.

Unter anderem über das Treffen in Minden, im Februar 2020, bei dem die Angeklagten Terror-Pläne geschmiedet haben sollen. Außerdem über sein Verhältnis zu den Beamten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg.

Die Verteidiger glauben, dass U. und die Behörden Absprachen getroffen hatten, die über das bisher Bekannte hinaus gehen.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 05.09.2022:

Prozess um Gruppe S.: Zeuge schildert Mordauftrag

05.09.2022 - 16.44 Uhr

In Stuttgart wurde am Montag der Prozess gegen zwei mutmaßliche Rechtsterroristen aus Minden fortgesetzt. Der Gruppen-Chef soll aus dem Gefängnis heraus einen Mord geplant haben.

Von Thomas Wöstmann

"Es ging definitiv darum, jemanden zu töten!" Der Polizeibeamte, der beim Prozess um die so genannte Gruppe S. am Oberlandesgericht Stuttgart als Zeuge aussagte, war sich sicher - ein Missverständnis sei auszuschließen.

Es sei um einen Mordauftrag gegangen. Werner S., mutmaßlicher Kopf der Gruppe, suchte im Gefängnis nach einem Killer, der den "Verräter" Paul U. umbringen sollte.

"Verräter" sollte ausgeschaltet werden

U. war Informant der Behörden - er hatte Monate lang die Polizei mit Informationen darüber versorgt, wie Werner S. versucht hatte, Gleichgesinnte aus allen Teilen Deutschlands um sich zu scharen. Laut Anklage wollte der mit seiner Gruppe einen Bürgerkrieg provozieren - unter anderem durch Anschläge auf Moscheen.

Im Februar 2020 trafen sich dann zwölf Männer in Minden - wenige Tage danach wurden sie festgenommen. Seit April 2021 läuft in Stuttgart der Prozess gegen sie.

Mordpläne im Gefängnis

Im Herbst 2020, im Gefängnis, soll Werner S. dann versucht haben, einen Mithäftling als Killer zu gewinnen. Unter den Gefangenen galt dieser als "wilder Hund": ein mehrfach verurteilter Gewalttäter mit langer krimineller Vergangenheit, Süditaliener, möglicherweise sogar mit einer Nähe zur Mafia.

Werner S. legte ihm Informationen über U. vor: Foto, Name, Wohnadresse - sogar Hinweise auf seine Gepflogenheiten; auf ein Krankenhaus, in dem das potentielle Opfer ein- und ausginge und wo man ihn gut abpassen könne. "Es wäre gut, wenn der nicht mehr da wäre", soll Werner S. seinem Haftgenossen mit auf den Weg gegeben haben.

"Geld spielt keine Rolle"

Nur zum Schein will der Mithäftling auf das Angebot eingegangen sein, mit dem Hinweis, dass "so etwas nicht billig sei". Im Raum habe eine niedrige, fünfstellige Summe gestanden. Die Antwort von Werner S. sei gewesen: Geld spiele keine Rolle - es könne in bar bei seinen Vertrauenspersonen in Deutschland und Italien abgeholt werden.

All das schildert der vermeintliche Killer später der Polizei - in einer schlüssigen und glaubwürdigen Aussage, wie der Beamte vor Gericht betonte. Auch die Anstaltsverantwortlichen und seine Anwältin wurden informiert. Paul U. erfuhr nach eigenen Angaben aus den Medien von den Mordplänen.

Über dieses Thema hat die Lokalzeit OWL am 05.09.22 im Hörfunk auf WDR 2 berichtet.

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Mindener Tageblatt, 11.08.2022:

"Dann bin ich dran"

Am letzten Prozesstag vor der Sommerpause geht es im Verfahren um die rechtsterroristische Vereinigung "Gruppe S." auch darum, dass ein Mindener in abgehörten Telefonaten seine Festnahme ahnte

Stuttgart / Minden. "Dann holen sie mich. Dann bin ich dran". Als Thomas N. aus Minden am 12. Februar 2020 mit seinem alten Freund Tony E. telefonierte, ahnte er wohl, was passieren könnte: Zwei Tage später, an einem Freitagmorgen um sechs Uhr, holte ihn die Polizei tatsächlich. Von da an war er Beschuldigter in einem Verfahren, bei dem es darum geht, dass eine terroristische Gruppe gegründet worden sein soll - im Haus von Thomas N., bei einem Treffen mit Tony E. und zehn weiteren Personen. Die meisten von ihnen stehen derzeit in Stuttgart vor Gericht.

Am letzten Prozesstag vor der Sommerpause wurde eines der vielen abgehörten Telefongespräche des Mindeners vorgespielt. N. hatte Verdacht geschöpft - bei dem Treffen in seinem Haus am Samstag vorher war irgendwas schief gelaufen. Ein Auto mit einer Panne vor seiner Haustür habe dort viel zu lange gestanden, viele Stunden - obwohl es einen Pannendienst ganz in der Nähe gebe. Tatsächlich war es eine fingierte Panne - die Polizei beobachtete von dort das Geschehen rund um N.’s Haus an der Kutenhauser Straße.

Das ermittelnde Landeskriminalamt Baden-Württemberg hatte einen Informanten unter den Teilnehmern des Treffens. Wie genau die Behörden die Zusammenkunft in dem Mindener Haus verfolgten, darüber wollen die damaligen Ermittler vor Gericht bisher nicht reden. Es sei beobachtet, aber nicht abgehört worden, heißt es bisher. Immerhin wurden unterschiedliche Perspektiven eingestanden - was dafürspreche, dass auch in benachbarten Wohnhäusern Beamte postiert waren.

Nach der Sommerpause wird es eine der spannendsten Fragen sein, ob die von der Polizei erstellten Aufnahmen des Mindener Treffens doch noch öffentlich gemacht werden. Bisher werden sie behördlich zurückgehalten. Verteidiger der Angeklagten drängen darauf. Sie wollen Belege dafür, dass ihre These stimmt: In Minden hätten sich zwar Menschen mit einem ähnlichen, rechten Weltbild getroffen. Die aber hätten sich teilweise gar nicht gekannt - von einer terroristischen Gruppe könne deshalb nicht die Rede sein. Und das, was im Haus von N. gesprochen wurde, sei sehr unkonkret gewesen. Anschläge auf Moscheen hätte vor allem ausgerechnet der Polizei-Informant ins Spiel gebracht.

In der Anklage des Generalbundesanwalts klingt das ganz anders. Da ist von konkreten Plänen die Rede, von Anschlägen auf Moscheen, bei denen muslimische Gläubige getötet oder verletzt werden sollten. Kopf der Gruppe sei Werner S. aus dem bayerischen Mickhausen, seine rechte Hand Tony E. Thomas N. habe seinem Anführer S. "Treue bis in den Tod" versprochen.

Weitreichende Vorwürfe - doch auf welcher Grundlage wurden sie so formuliert? Es gibt eine Vielzahl von Chat-Verläufen mit markigen Aussagen ("Die Zeichen stehen auf Krieg" - "Die werden alle bluten. Nur noch töten. Weg mit dem Dreck") - aber reichen die allein aus? Womöglich haben die Ermittler tatsächlich noch mehr Nachweise in der Hinterhand, als bisher öffentlich bekannt ist. Dass mit "dem Vogel" etwas nicht stimme, will Thomas N. gleich gewusst haben - er meinte den Polizei-Informanten. "Bei ihm hatte ich ein schlechtes Gefühl. Und ich habe mich noch nie getäuscht", so der Mindener am Telefon. Tatsächlich flog der "Vogel" kurz nach dem Mindener Treffen auf - wegen einer Panne der Polizei.

"Wir dürfen jetzt keine Fehler mehr machen", so N. am Telefon, "ruhig bleiben. Wir halten zusammen." Er und sein alter Freund E. verabredeten sich für den übernächsten Tag, um alles zu besprechen, was zu tun ist. Am übernächsten Tag kam die Polizei. Im September wird der Prozess in Stuttgart fortgesetzt.

Bildunterschrift: Angeklagte sitzen kurz vor Beginn des Prozesses gegen die rechtsterroristische Vereinigung "Gruppe S." in einem Saal im Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim. Die Angeklagten sollen Angriffe auf Moscheen geplant haben.

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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 11.08.2022:

"Dann bin ich dran"

Im Prozess gegen die "Gruppe S." geht es auch darum, dass ein Mindener seine Festnahme ahnt

Stuttgart / Kreis Minden-Lübbecke. "Dann holen sie mich. Dann bin ich dran." Als Thomas N. aus Minden am 12. Februar 2020 mit seinem alten Freund Tony E. telefonierte, ahnte er wohl, was passieren könnte: zwei Tage später, an einem Freitagmorgen um sechs Uhr holte ihn die Polizei tatsächlich. Von da an war er Beschuldigter in einem Verfahren, bei dem es darum geht, dass eine terroristische Gruppe gegründet worden sein soll - im Haus von Thomas N., bei einem Treffen mit Tony E. und zehn weiteren Personen. Die meisten von ihnen stehen derzeit in Stuttgart vor Gericht.

Am letzten Prozesstag vor der Sommerpause wurde eines der vielen abgehörten Telefongespräche des Mindeners vorgespielt. N. hatte Verdacht geschöpft - bei dem Treffen in seinem Haus am Samstag vorher war irgendwas schief gelaufen. Ein Auto mit einer Panne vor seiner Haustür habe dort viel zu lange gestanden, viele Stunden - obwohl es einen Pannendienst ganz in der Nähe gebe. Tatsächlich war es eine fingierte Panne - die Polizei beobachtete von dort das Geschehen rund um N.’s Haus an der Kutenhauser Straße.

Das ermittelnde Landeskriminalamt Baden-Württemberg hatte einen Informanten unter den Teilnehmern des Treffens. Wie genau die Behörden die Zusammenkunft in dem Mindener Haus verfolgten, darüber wollen die damaligen Ermittler vor Gericht bisher nicht reden. Es sei beobachtet, aber nicht abgehört worden, heißt es bisher. Immerhin wurden unterschiedliche Perspektiven eingestanden - was dafür spräche, dass auch in benachbarten Wohnhäusern Beamte postiert waren.

Nach der Sommerpause wird es eine der spannendsten Fragen sein, ob die von der Polizei erstellten Aufnahmen des Mindener Treffens doch noch öffentlich gemacht werden. Bisher werden sie behördlich zurückgehalten. Verteidiger der Angeklagten drängen darauf. Sie wollen Belege dafür, dass ihre These stimmt: in Minden hätten sich zwar Menschen mit einem ähnlichen, rechten Weltbild getroffen. Die aber hätten sich teilweise gar nicht gekannt - von einer terroristischen Gruppe könne deshalb nicht die Rede sein. Und das, was im Haus von N. gesprochen wurde, sei sehr unkonkret gewesen. Anschläge auf Moscheen hätte vor allem ausgerechnet der Polizei-Informant ins Spiel gebracht.

In der Anklage des Generalbundesanwalts klingt das ganz anders. Da ist von konkreten Plänen die Rede, von Anschlägen auf Moscheen, bei denen muslimische Gläubige getötet oder verletzt werden sollten. Kopf der Gruppe sei Werner S. aus dem bayerischen Mickhausen, seine rechte Hand Tony E. Thomas N. habe seinem Anführer S. "Treue bis in den Tod" versprochen.

Weitreichende Vorwürfe - doch auf welcher Grundlage wurden sie so formuliert? Es gibt eine Vielzahl von Chat-Verläufen mit markigen Aussagen ("die Zeichen stehen auf Krieg" - "Die werden alle bluten. Nur noch töten. Weg mit dem Dreck") - aber reichen die allein aus? Womöglich haben die Ermittler tatsächlich noch mehr Nachweise in der Hinterhand, als bisher öffentlich bekannt ist. Dass mit "dem Vogel" dem etwas nicht stimme, will Thomas N. gleich gewusst haben - er meinte den Polizei-Informanten. "Bei ihm hatte ich ein schlechtes Gefühl. Und ich habe mich noch nie getäuscht", so der Mindener am Telefon. Tatsächlich flog der "Vogel" kurz nach dem Mindener Treffen auf - wegen einer Panne der Polizei.

"Wir dürfen jetzt keine Fehler mehr machen", so N. am Telefon, "ruhig bleiben. Wir halten zusammen." Er und sein alter Freund E. verabredeten sich für den übernächsten Tag, um alles zu besprechen, was zu tun ist. Am übernächsten Tag kam die Polizei.

Bildunterschrift: Angeklagte sitzen kurz vor Beginn des Prozesses gegen die rechtsterroristische Vereinigung "Gruppe S." in einem Saal im Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim. Die Angeklagten sollen Angriffe auf Moscheen geplant haben.

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Mindener Tageblatt, 05.08.2022:

Sonderbare Fundstücke

Anwalt verteidigt den Besitz von Schriften mit rechtsextremem Inhalt

Minden / Stuttgart. "Nur weil jemand "Mein Kampf" liest, gerät er gleich in den Verdacht, Nazi zu sein ... " - das sei nicht richtig, sagte Rechtsanwalt Günther Herzogenrath-Amelung jetzt im Prozess um die so genannte Gruppe S. Und für das Verfahren am Oberlandesgericht Stuttgart sei es deshalb auch nicht von Bedeutung, dass die beiden Bände des Buches von Adolf Hitler im Bücherregal eines Angeklagten gefunden wurden.

Herzogenrath-Amelung ist in Deutschland dafür bekannt, vor Gericht Menschen zu verteidigen, die der rechten Szene zugeordnet werden - so wie jetzt auch in Stuttgart, wo neben den Mindenern Thomas N. und Markus K. zehn weitere Männer angeklagt sind. Sie sollen eine terroristische Vereinigung gegründet haben.

Hitlers Buch wurde bei Thorsten W. aus Hamm gefunden - neben anderer Literatur mit Bezug zur SS, zum Nationalsozialismus und zur Wehrmacht. Neben reichlich Hakenkreuzen (eines davon auf einem Bügelperlen-Bild, als Deko auf der Fensterbank), neben der Reichsflagge und der bei rechtsextremen Gruppen populären so genannten Wirmer-Flagge. Die Flaggen standen weit sichtbar auf dem Balkon - der Polizeibeamte W. hatte offenbar kein Problem damit, seine Gesinnung zu zeigen.

Einer, mit dem er sich gut verstand, lebte in Minden: Thomas N., selbstständiger Handwerker und bekennender Reichsbürger. Man will sich auf Mittelalter-Märkten kennengelernt haben.

Angeblich ging es um das Mittelalter und nicht um Terror

W. wurde im Februar 2020 festgenommen, kurz nachdem er seinen Bekannten in Minden besucht hatte; für ein Treffen mit Gleichgesinnten. Nach W.’s Angaben sei er davon ausgegangen, dass es dabei um Mittelalter gehen sollte, nicht um Terror, wie es ihm die ermittelnden Behörden vorwerfen.

Bei seiner Festnahme, an einem Freitagmorgen um sechs Uhr, sei alles registriert worden, was auf eine rechte Ideologie hindeute, erklärte eine Polizistin, die in Stuttgart als Zeugin befragt wurde - eben auch "Mein Kampf". Ein Angeklagter wollte daraufhin wissen: "Ist Ideologie strafbar?"

Beim Prozesstag am Donnerstag warfen andere Verteidiger darüber hinaus neue Fragen auf: Es sei nicht nachvollziehbar, warum Aufnahmen vom Treffen in Minden der Öffentlichkeit vorenthalten würden, sagte Verteidiger Jörg Becker.

Und sein Kollege André Picker kündigte einen Beweisantrag zu demjenigen an, der dem Verfahren seinen Namen gab: Werner S. aus Mickhausen bei Augsburg, laut Anklageschrift so etwas wie der Kopf der Gruppe. Er soll vor gut 20 Jahren enge Kontakte zur Polizei in München gehabt haben, als Informant aus der Rauschgift-Szene.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 24.06.2022:

Prozess Gruppe S.: "Für dumm verkauft"

24.06.2022 - 18.53 Uhr

Beim Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart um die mutmaßliche Terror-Gruppe S. wird die Arbeit der Polizei zunehmend in Frage gestellt. Auch den Bundestag erreicht das Thema.

Mehrere Verteidiger gehen offenbar davon aus, dass Verbindungsleute das Geschehen rund um das Treffen der Angeklagten im Februar 2020 in Minden maßgeblich mit beeinflusst haben könnten. Auch der Bundestag beschäftigt sich jetzt mit der Polizeiarbeit rund um die Gruppe S.

Scharfe Kritik an Polizeizeugen

Er fühle sich für dumm verkauft, fasste Verteidiger Daniel Sprafke (Karlsruhe) die Aussagen eines Polizeibeamten zusammen, der am Donnerstag am Oberlandesgericht als Zeuge aussagt. Sein Kollege Heiko Hofstätter (Heidelberg) zeigte sich überzeugt, nicht die Wahrheit gehört zu haben.

Andere Anwälte forderten, dem Polizisten ein Ordnungsgeld zu verpassen und seine Aussagen zu vereidigen - beide Anträge wurden abgelehnt. Was die Verteidiger so erzürnte: der Zeuge konnte viele ihrer Fragen nicht beantworten. Er berief sich auf fehlende Erinnerung oder Schweigepflicht.

Wie viele V-Männer gab es?

Hintergrund: immer häufiger tauchen rund um den Prozess die Namen möglicher Verbindungsleute von Polizei oder Verfassungsschutz auf. Schon vor Wochen war durch die Zeugenaussage eines anderen LKA-Beamten Thorsten K. aus Bad Bramstedt bei Hamburg als möglicher V-Mann ins Spiel gebracht worden - was die Fraktion der Linken jetzt zu einer Kleinen Anfrage im Bundestag veranlasste. Kernfrage: welche Rolle spielte K. bei den Ermittlungen rund um die Gruppe S.?

Der 60-Jährige hatte nachweislich Kontakt zu Angeklagten gehabt, wollte eigentlich auch zum Treffen in Minden anreisen, sagte dann aber kurzfristig und überraschend ab.

Vorwurf: Planung von Bombenanschlägen

Während des jüngsten Prozesstages konfrontierten Verteidiger den Zeugen mit zwei weitere Namen angeblicher V-Leute: Ralf N. aus Düsseldorf, von der so genannten Bruderschaft Deutschland und Mario Sch. aus Schönberg an der Elbe - er hatte einem der Angeklagten eine Waffe verkauft. Der Polizeibeamte schwieg dazu.

Zwölf Männern aus sechs Bundesländern wird vorgeworfen, bei einem Treffen in Minden im Februar 2020, Bombenanschläge in mehreren deutschen Städten geplant zu haben. Der Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart läuft seit April 2021.

Über dieses Thema berichtet die Lokalzeit am 27.06.2022 im Radio auf WDR 2.

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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 23.06.2022:

Fantasien vom Bürgerkrieg

Im Prozess gegen die mutmaßlich terroristische Gruppe S. sagt ein Angeklagter, er habe die Treffen in Minden für "Gesprächsrunden" gehalten / Eine Tätowierung auf seinem Bein zeigt Adolf Hitler

Minden / Stuttgart. Im Prozess gegen die Mitglieder der so genannten Gruppe S. geht es um mutmaßlich geplante Terroranschläge mit vielen Toten. Umso erstaunlicher, dass ein Verhandlungstag wie am Dienstag geradezu komische Momente enthalten kann.

Weil einer der Angeklagten eingeschlafen war, kam es im Gerichtssaal zu einem lautstarken Eklat.

Zwölf Angeklagten - zwei von ihnen aus Minden - wird am Oberlandesgericht Stuttgart vorgeworfen, gewalttätige Attacken geplant zu haben. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt:

Die Männer wollten einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren. Seit April vergangenen Jahres müssen sich die Angeklagten dafür verantworten.

Was ist am jüngsten Verhandlungstag geschehen? Ein Polizist sagte als Zeuge aus. Er berichtete, wie er den Angeklagten Steffen B. im Februar 2020 in Nienburg (Saale) festgenommen und danach vernommen hatte.

In dem Gespräch war es vor allem darum gegangen, wie das ominöse Treffen der Männer wenige Tage vorher im Kutenhauser Wohnhaus des Angeklagten Thomas N. abgelaufen war.

Der Vorsitzende Richter erfragte wie so häufig viele Details, was für die Zuhörer mitunter ermüdend sein kann. Der Angeklagte Michael B. aus Kirchheim / Teck jedenfalls muss bei den vielen Fragen irgendwann mindestens eingenickt, wenn nicht gar - wie es der Richter formulierte - "in einen Tiefschlaf" gefallen sein.

Weil er über Dauer und Tiefe seines Nickerchens aber zunächst keine Rechenschaft ablegen wollte und danach aus Sicht des Gerichts unglaubhaft versicherte, alles Gesagte mitbekommen zu haben, blieb der Richter kompromisslos. Er kündigte unter lautem Aufstöhnen der Verfahrensbeteiligten an, er werde alle Fragen der vorherigen halben Stunde noch einmal stellen. Ein Angeklagter soll schließlich alle Details des Prozesses mitverfolgen können.

Dem Verteidiger von Steffen B. platzte daraufhin der Kragen - und es wurde laut im Saal: ein "Kasperletheater" sei das. Michael B. würde durch sein Verhalten den Prozess unnötig verlängern.

Der Gescholtene konterte: "Du bist selbst ein Kasper!" Sein Anwalt warf dem Richter vor, "verantwortlich für die Eskalation" zu sein.

Erstaunliches hatte auch Steffen B. von sich gegeben, als er dem Beamten des Landeskriminalamt nach seiner Festnahme Rede und Antwort stand.

Er, in dessen Haus Hakenkreuze und Literatur mit nationalsozialistischem Inhalt gefunden worden war, sehe sich nicht als rechtsradikal, sondern politisch eher "Mitte-Rechts". Dass er den Kopf von Adolf Hitler auf dem Oberschenkel tätowiert trägt, sei eine "Jugendsünde", so der 37-Jährige.

Das Treffen in Minden habe er als "patriotische Gesprächsrunde" gesehen. Man habe zwar darüber gesprochen, dass der Anteil der "Neubürger" in Deutschland zu groß werde und dass dagegen etwas getan werden müsse. Thema war auch, dass "diese Neubürger" angeblich Frauen auf offener Straße vergewaltigen würden.

Und dass es einen Bürgerkrieg geben könnte, falls jemand losziehe, dessen Frau vergewaltigt wurde. All das schildert Steffen B. dem Polizeibeamten in seiner ersten Vernehmung.

Wortführer des Treffens sei Werner S. gewesen. "Teutonico" sei er genannt worden, so sein Name aus den Chat-Gruppen. Ein "kerniger Typ, sehr dominant, ein Anführer, vor dem alle Respekt hatten - aber auch verbittert und wütend". Aber auch Werner S. habe nicht konkret von radikaleren Maßnahmen gesprochen.

Auch nicht von Anschlägen auf Moscheen, deren Planung den Angeklagten vorgeworfen wird. Vielmehr sei die Rede davon gewesen, Demonstrationen zu besuchen und Plakate zu drucken. "Ich habe ihm das nicht geglaubt", sagte der Polizeibeamte.

Steffen B. schweigt im Prozess. Seiner Frau, die im Zuschauerbereich saß, warf er dagegen Kusshände zu.

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Mindener Tageblatt Online, 22.06.2022:

Prozess gegen Gruppe S: Fantasien vom Bürgerkrieg und "Gesprächsrunde" in Minden

22.06.2022 - 08.00 Uhr

Minden / Stuttgart (mt). Im Prozess gegen die Mitglieder der so genannten Gruppe S. geht es um mutmaßlich geplante Terroranschläge mit vielen Toten. Umso erstaunlicher, dass ein Verhandlungstag wie am Dienstag geradezu komische Momente enthalten kann. Weil einer der Angeklagten eingeschlafen war, kam es im Gerichtssaal zu einem lautstarken Eklat.

Zwölf Angeklagten - zwei von ihnen aus Minden - wird am Oberlandesgericht Stuttgart vorgeworfen, gewalttätige Attacken geplant zu haben. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Die Männer wollten einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren. Seit April vergangenen Jahres müssen sich die Angeklagten dafür verantworten.

Was ist am jüngsten Verhandlungstag geschehen? Ein Polizist sagte als Zeuge aus. Er berichtete, wie er den Angeklagten Steffen B. im Februar 2020 in Nienburg (Saale) festgenommen und danach vernommen hatte. In dem Gespräch war es vor allem darum gegangen, wie das ominöse Treffen der Männer wenige Tage vorher im Kutenhauser Wohnhaus des Angeklagten Thomas N. abgelaufen war.

Der Vorsitzende Richter erfragte wie so häufig viele Details, was für die Zuhörer mitunter ermüdend sein kann. Der Angeklagte Michael B. aus Kirchheim / Teck jedenfalls muss bei den vielen Fragen irgendwann mindestens eingenickt, wenn nicht gar - wie es der Richter formulierte - "in einen Tiefschlaf" gefallen sein. Weil er über Dauer und Tiefe seines Nickerchens aber zunächst keine Rechenschaft ablegen wollte und danach aus Sicht des Gerichts unglaubhaft versicherte, alles Gesagte mitbekommen zu haben, blieb der Richter kompromisslos. Er kündigte unter lautem Aufstöhnen der Verfahrensbeteiligten an, er werde alle Fragen der vorherigen halben Stunde noch einmal stellen. Ein Angeklagter soll schließlich alle Details des Prozesses mitverfolgen können.

Dem Verteidiger von Steffen B. platzte daraufhin der Kragen - und es wurde laut im Saal: ein "Kasperletheater" sei das. Michael B. würde durch sein Verhalten den Prozess unnötig verlängern. Der Gescholtene konterte: "Du bist selbst ein Kasper!" Sein Anwalt warf dem Richter vor, "verantwortlich für die Eskalation" zu sein.

Kopf von Adolf Hitler als Tätowierung

Erstaunliches hatte auch Steffen B. von sich gegeben, als er dem Beamten des Landeskriminalamt nach seiner Festnahme Rede und Antwort stand. Er, in dessen Haus Hakenkreuze und Literatur mit nationalsozialistischem Inhalt gefunden worden war, sehe sich nicht als rechtsradikal, sondern politisch eher "Mitte-Rechts". Dass er den Kopf von Adolf Hitler auf dem Oberschenkel tätowiert trägt, sei eine "Jugendsünde", so der 37-Jährige.

Das Treffen in Minden habe er als "patriotische Gesprächsrunde" gesehen. Man habe zwar darüber gesprochen, dass der Anteil der "Neubürger" in Deutschland zu groß werde und dass dagegen etwas getan werden müsse. Thema war auch, dass "diese Neubürger" angeblich Frauen auf offener Straße vergewaltigen würden. Und dass es einen Bürgerkrieg geben könnte, falls jemand losziehe, dessen Frau vergewaltigt wurde. All das schildert Steffen B. dem Polizeibeamten in seiner ersten Vernehmung.

Wortführer des Treffens sei Werner S. gewesen. "Teutonico" sei er genannt worden, so sein Name aus den Chat-Gruppen. Ein "kerniger Typ, sehr dominant, ein Anführer, vor dem alle Respekt hatten - aber auch verbittert und wütend". Aber auch Werner S. habe nicht konkret von radikaleren Maßnahmen gesprochen. Auch nicht von Anschlägen auf Moscheen, deren Planung den Angeklagten vorgeworfen wird. Vielmehr sei die Rede davon gewesen, Demonstrationen zu besuchen und Plakate zu drucken. "Ich habe ihm das nicht geglaubt", sagte der Polizeibeamte.

Steffen B. schweigt im Prozess. Seiner Frau, die im Zuschauerbereich saß, warf er dagegen Kusshände zu.

Bildunterschrift: Der Prozess findet im besonders gesicherten Oberlandesgericht Stuttgart statt. Es befindet sich auf dem gleichen Areal wie die Justizvollzugsanstalt Stammheim.

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Mindener Tageblatt, 22.06.2022:

Fantasien vom Bürgerkrieg

Im Prozess gegen die mutmaßlich terroristische Gruppe S. sagt ein Angeklagter, er habe die Treffen in Minden für "Gesprächsrunden" gehalten / Eine Tätowierung auf seinem Bein zeigt Adolf Hitler

Minden / Stuttgart (mt). Im Prozess gegen die Mitglieder der so genannten Gruppe S. geht es um mutmaßlich geplante Terroranschläge mit vielen Toten. Umso erstaunlicher, dass ein Verhandlungstag wie am Dienstag geradezu komische Momente enthalten kann. Weil einer der Angeklagten eingeschlafen war, kam es im Gerichtssaal zu einem lautstarken Eklat.

Zwölf Angeklagten - zwei von ihnen aus Minden - wird am Oberlandesgericht Stuttgart vorgeworfen, gewalttätige Attacken geplant zu haben. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Die Männer wollten einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren. Seit April vergangenen Jahres müssen sich die Angeklagten dafür verantworten.

Was ist am jüngsten Verhandlungstag geschehen? Ein Polizist sagte als Zeuge aus. Er berichtete, wie er den Angeklagten Steffen B. im Februar 2020 in Nienburg (Saale) festgenommen und danach vernommen hatte. In dem Gespräch war es vor allem darum gegangen, wie das ominöse Treffen der Männer wenige Tage vorher im Kutenhauser Wohnhaus des Angeklagten Thomas N. abgelaufen war.

Der Vorsitzende Richter erfragte wie so häufig viele Details, was für die Zuhörer mitunter ermüdend sein kann. Der Angeklagte Michael B. aus Kirchheim / Teck jedenfalls muss bei den vielen Fragen irgendwann mindestens eingenickt, wenn nicht gar - wie es der Richter formulierte - "in einen Tiefschlaf" gefallen sein. Weil er über Dauer und Tiefe seines Nickerchens aber zunächst keine Rechenschaft ablegen wollte und danach aus Sicht des Gerichts unglaubhaft versicherte, alles Gesagte mitbekommen zu haben, blieb der Richter kompromisslos. Er kündigte unter lautem Aufstöhnen der Verfahrensbeteiligten an, er werde alle Fragen der vorherigen halben Stunde noch einmal stellen. Ein Angeklagter soll schließlich alle Details des Prozesses mitverfolgen können.

Dem Verteidiger von Steffen B. platzte daraufhin der Kragen - und es wurde laut im Saal: ein "Kasperletheater" sei das. Michael B. würde durch sein Verhalten den Prozess unnötig verlängern. Der Gescholtene konterte: "Du bist selbst ein Kasper!" Sein Anwalt warf dem Richter vor, "verantwortlich für die Eskalation" zu sein.

Erstaunliches hatte auch Steffen B. von sich gegeben, als er dem Beamten des Landeskriminalamt nach seiner Festnahme Rede und Antwort stand. Er, in dessen Haus Hakenkreuze und Literatur mit nationalsozialistischem Inhalt gefunden worden war, sehe sich nicht als rechtsradikal, sondern politisch eher "Mitte-Rechts". Dass er den Kopf von Adolf Hitler auf dem Oberschenkel tätowiert trägt, sei eine "Jugendsünde", so der 37-Jährige.

Das Treffen in Minden habe er als "patriotische Gesprächsrunde" gesehen. Man habe zwar darüber gesprochen, dass der Anteil der "Neubürger" in Deutschland zu groß werde und dass dagegen etwas getan werden müsse. Thema war auch, dass "diese Neubürger" angeblich Frauen auf offener Straße vergewaltigen würden. Und dass es einen Bürgerkrieg geben könnte, falls jemand losziehe, dessen Frau vergewaltigt wurde. All das schildert Steffen B. dem Polizeibeamten in seiner ersten Vernehmung.

Wortführer des Treffens sei Werner S. gewesen. "Teutonico" sei er genannt worden, so sein Name aus den Chat-Gruppen. Ein "kerniger Typ, sehr dominant, ein Anführer, vor dem alle Respekt hatten - aber auch verbittert und wütend". Aber auch Werner S. habe nicht konkret von radikaleren Maßnahmen gesprochen. Auch nicht von Anschlägen auf Moscheen, deren Planung den Angeklagten vorgeworfen wird. Vielmehr sei die Rede davon gewesen, Demonstrationen zu besuchen und Plakate zu drucken. "Ich habe ihm das nicht geglaubt", sagte der Polizeibeamte.

Steffen B. schweigt im Prozess. Seiner Frau, die im Zuschauerbereich saß, warf er dagegen Kusshände zu.

Bildunterschrift: Der Prozess findet im besonders gesicherten Oberlandesgericht Stuttgart statt. Es befindet sich auf dem gleichen Areal wie die Justizvollzugsanstalt Stammheim.

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Stuttgarter Nachrichten Online, 03.06.2022:

Meinung / Terrorismus / Nichts dazu gelernt

03.06.2022 - 17.00 Uhr

Franz Feyder

Im unmittelbaren Umfeld der mutmaßlichen Rechtsterror-Gruppe S. soll ein V-Mann gewesen sein. Die deutschen Sicherheitsbehörden, kommentiert Franz Feyder, haben aus dem Spitzel-Desaster im Umfeld der Terror-Gruppe NSU nichts gelernt.

Schon wieder? Schon wieder! Im direkten Umfeld der mutmaßlichen Rechtsterror-Gruppe S. soll ein V-Mann eines Verfassungsschutzamtes operiert haben. Das ist als solches weder verwerflich noch juristisch zu beanstanden. Dass aber ein Richter des Stuttgarter Oberlandesgerichtes beiläufig über diesen Umstand stolpert, dass weder das Landeskriminalamt noch der die Ermittlungen führende Generalbundesanwalt ihr "mehr oder weniger" bestätigtes Wissen den Richtern mitteilen, das ist bezeichnend.

Als hätte es nie ein Verfahren um die rechte Terror-Gruppe NSU gegeben, bei denen V-Leute des Verfassungsschutzes und Informanten der Polizei die Ermittlungen behinderten und den Blick auf das Terror-Trio verstellte, das zehn Menschen ermordete.

Als hätten die Abgeordneten des Landtages in ihren beiden NSU-Untersuchungsausschüssen nie analysiert, bewertet und empfohlen, wie mit Spitzeln bei Verfassungsschutz und Polizei umzugehen sei: Bei jedem V-Mann, bei jeder V-Person der Polizei ist vor Gericht zu prüfen, ob und wieweit sie angeklagte Personen überhaupt erst anstifteten, Straftaten zu begehen. Im Verfahren um die "Gruppe S." ist das deshalb kompliziert, weil ein Beschuldigter mit weitgehenden Sonderrechten die Ermittler mit größtenteils erlogenen Informationen versorgte. Vor allem auf diese Lügen bauten Kriminale und Bundesanwälte ihre Nachforschungen in dem Fall. Schon wieder? Schon wieder!

Bildunterschrift: Angeklagte der "Gruppe S." im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart: War ein V-Mann des Verfassungsschutzes in ihrer Mitte?

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Stuttgarter Nachrichten Online, 03.06.2022:

Terrorismus / Der Fremdenlegionär

03.06.2022 - 17.00 Uhr

Franz Feyder

Thorsten K. gehörte zum engen Kreis der mutmaßlichen Rechtsterror-Gruppe S.. Vieles spricht dafür, dass er gleichzeitig den Verfassungsschutz mit Informationen versorgt. Der wahrscheinliche Spitzel sollte der "Gruppe S." wohl Waffen besorgen.

Eigentlich wollte ein Richter des Stuttgarter Oberlandesgerichts mit dem baden-württembergischen Landeskriminalamt nur abklären, wann ein Polizist als Zeuge geladen werden könnte. Beiläufig erwähnte der Beamte in dem Telefonat jedoch, dass die Ermittler davon ausgingen, dass der im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt lebende Thorsten K. als Vertrauensmann für einen deutschen Inlandsgeheimdienst arbeite. Ein anderen LKAler berichtete dem Juristen dann drei Tage später, der Verdacht habe sich "mehr oder weniger" bestätigt.

Die Information ist explosiv: Seit April 2021 versuchen die Richter des 5. Strafsenates dienstags und donnerstags in bislang 70 Verhandlungstagen, Licht ins Dunkle um die mutmaßlich rechtsterroristische "Gruppe S." zu bringen: 13 Männer, die - ist der Generalbundesanwalt überzeugt - mit Anschlägen auf Moscheen und Politiker einen Bürgerkrieg in Deutschland auslösen und so die Bundesregierung stürzen wollten. Immer wieder taucht im unmittelbaren Umfeld dieser Gruppe Thorsten K. auf, gegen den die Bundesanwälte in einem eigenen Verfahren ermitteln.

Einer der in Stuttgart Angeklagten tötete sich in Untersuchungshaft. Bei einem anderen wurde die Haft außer Vollzug gesetzt. Ein dritter genießt unbehelligt seine Freiheit, weil er sich den Ermittlern schon im Frühjahr 2019 als Informant andiente und sie unentwegt bis zur Festnahme der anderen Beschuldigten am 14. Februar 2020 mit ein wenig Wahrheit und vielen Lügen fütterte.

Fremdenlegionär mit Diplomatenstatus

K., 60 Jahre alt, organisierte in Norddeutschland Demonstrationen gegen die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), kümmert sich bis heute darum, dass AfD-Treffen vom Parteitag bis zum Bootsausflug auf dem Nord-Ostsee-Kanal in Schleswig-Holstein ungestört verlaufen. Fremdenlegionär soll er gewesen sein, es bis zum Major gebracht haben, deshalb nahezu unangreifbar sein, "Diplomatenstatus" haben - zumindest für die aus der "Gruppe S.". Ob K. wirklich in der französischen Truppe diente, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass er zu Beginn der 1980er-Jahre seinen Wehrdienst ableistete und als Obergefreiter die Bundeswehr verließ. Fest steht auch: Zum Offizier, gar zum Major hat er es in der Legion definitiv nicht gebracht. "Aus den Reihen der Legion gewinnen wir nur selten Offiziere, nur in absoluten Ausnahmefällen Stabsoffiziere", sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Paris. K. gehört dazu nicht. Der Ministeriale lacht, als er vom "Diplomatenstatus" hört.

Der stämmige Norddeutsche ist eng an der "Gruppe S." dran: Vor dem Brandenburger Tor ließ er sich am 3. Oktober 2019 mit etlichen der Angeklagten fotografieren. Der Kopf der nach ihm benannten Gruppe, Werner S., richtete in einer Chat-Gruppe "beste Grüße von Major K." aus; in drei der virtuellen, internen Besprechungsgruppen war K. Mitglied. Ungezählte Telefonate der Angeklagten drehten sich um ihn. Er sollte an den wenigen Treffen der Gruppe teilnehmen, auch an dem am 8. Februar 2020 in Minden, das - so bewerten es die Richter vorläufig - das Gründungstreffen der "Gruppe S." gewesen sein könnte. An die Weser gereist ist K. jedoch nicht. Tony E., für den Generalbundesanwalt die rechte Hand von S., soll K. noch zwei Tage vor der Festnahme der "Gruppe S." gefragt haben, ob er Waffen besorgen könne, berichtete K. selbst der Polizei.

Nur ein Sperrvermerk aus dem Innenministerium

Leichter wird die Wahrheitsfindung nicht für die Richter, wenn nun ein V-Mann im direkten Umfeld der "Gruppe S." auftaucht. Das Verfahren gegen die Rechtsterror-Gruppe NSU hat gezeigt, dass die Juristen im Prozess sauber herausarbeiten müssen, ob und was genau ein Polizei- oder Geheimdienst-Spitzel gesagt und getan hat. Ob er möglicherweise aktiv dazu beigetragen hat, dass sich eine Gruppe in die eine oder andere Richtung entwickelte. Das bestimmt, wie die zahlreichen NSU-Untersuchungsausschüsse der Parlamente feststellten, nicht zuletzt die Art und Weise der Richter, wie sie Zeugen befragen. Gerade der geschwätzige und fantasievolle, seine Mitangeklagten belastende Paul-Ludwig U. ist bereits eine Herausforderung.

Aber auch das Innenministerium Baden-Württembergs. Das halte Videomaterial von Treffen der Gruppe mit einem Sperrvermerk unter Verschluss, sagte der Vorsitzende Richter Herbert Anderer in der Hauptverhandlung. Eher zufällig hatte ein als Zeuge vernommener Kriminaler ausgeplaudert, dass das Mindener Treffen "ins Lagezentrum nach Stuttgart" übertragen worden sei. Dieses Material - wie auch das weitere, das bei den Observationen der "Gruppe S." entstand - wollen die Verteidiger unbedingt sehen. Gerade jetzt.

Bildunterschrift: Thorsten K. (li.) bei einer Demonstration neben Tony E. (re.). E. ist Angeklagter im Terror-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart.

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Mindener Tageblatt, 21./22.05.2022:

"Über Paul kann ich nur Gutes sagen"

Prozess gegen die Gruppe S. erlebt einen außergewöhnlichen Zeugen

Stuttgart / Minden /Porta Westfalica. Gerichtsprozesse können für Zuhörer mühevoll sein - manchmal auch langweilig. Erst recht, wenn sie, wie beim Prozess gegen die Gruppe S., schon ein Jahr lang dauern. Wenn sie komplexe Zusammenhänge aufklären sollen - in diesem Fall rund um eine mutmaßliche Terror-Zelle. Wenn es um zwölf Angeklagte geht - unter anderem zwei Mindener. Aber: selbst nach einem Jahr Prozess fördern sie auch immer wieder Spannendes und Neues zutage - wie jetzt, als das Gericht einen Zeugen befragte, dessen Seriosität zumindest Zweifel ließ.

André S. (42 / Name von der Redaktion geändert) aus Hagen kommt unsicheren Schrittes in den Gerichtssaal. Bleiches, eingefallenes Gesicht, kahl geschorener Schädel - und seine ersten, fast lallenden Worte verraten: dieser Mann hat es schwer, sich zu artikulieren und zu konzentrieren. André S. - daraus machte er keinen Hehl - kämpft seit vielen Jahren gegen seine Drogensucht.

Als Zeuge wurde er geladen, weil er ein guter Freund von Paul U. ist - der Schlüsselfigur in dem Prozess und in dem ganzen Verfahren. U. gilt als der Verräter, der die Gruppe S. auffliegen ließ, der die Polizei monatelang mit Interna fütterte. Seit Prozessbeginn versuchen die meisten Verteidiger, U. zu diskreditieren - ihn mit allen juristischen Mitteln in die Ecke des unglaubwürdigen, womöglich sogar kranken Selbstdarstellers mit Größenwahn zu stellen. Auch Pädophilie wird immer wieder in den Raum gestellt. Weil U. selbst nicht aussagt, versucht das Gericht auf verschiedensten Wegen seine Persönlichkeit zu ergründen.

Und dann dies: "Paul ist der gutherzigste Mensch und Freund." "Er ist aufrichtig und loyal." "Er war immer jemand, der an die anderen gedacht hat und nicht an sich." "Er ist kein Geschichten-Erzähler." André S.’s Worte über seinen Freund zeichnen ziemlich genau das gegenteilige Bild von dem, was die Verteidiger über U. denken. Und aus den Bänken der Angeklagten, wo auch Thomas N. und Markus K. aus Minden sitzen, ist immer wieder ungläubiges Raunen zu vernehmen.

Zeuge wirkt klar und reflektiert, zuweilen aber auch überfordert

Ja, Paul habe auch von dieser Gruppe erzählt, in die er zufällig übers Internet reingeraten war. Davon, dass das Rechtsradikale waren, die Bomben in Moscheen werfen wollten. "Als er verstanden hat, was das für Leute sind, wollte er da raus", so André S. Und dann habe Paul die Polizei darüber informiert, als er gehört hat, "dass die unschuldige Kinder töten wollen".

Interessant dabei: Der Zeuge wirkt in seinen Antworten bisweilen sehr klar, durchaus reflektierend - und keinesfalls verwirrt; jedenfalls anders als es der erste Eindruck hätte vermuten lassen. Um dann allerdings immer mal wieder in der Zeugenbank zusammenzusinken, wenn ihm die Fragerei des Gerichts oder der Rechtsanwälte zu viel scheint.

Aber: Wie sehr sind diese Worte ernst zu nehmen? Manche Verteidiger deuten ihre Zweifel an: Wie sehr kann man einem Menschen trauen, der von sich selbst sagt, er könne sich oft nicht erinnern, was wann genau war?

Und manche wollen ihn durch Fragen in die Ecke drängen: Ob er dem Paul denn noch etwas schulde? Aus der gemeinsamen Knast-Zeit, als ihm sein Freund doch damals aus der Patsche geholfen habe. Ob man sich womöglich abgesprochen habe über das, was er am besten vor Gericht erzähle. Ob er Geld für die Aussage bekommen würde? Ob er schon mal gehört hätte, dass U. angeblich pädophil sei.

André S. ist sauer über all das: "Pädophil - wer kommt denn auf so etwas?" Absprachen? Nein, schon lange habe man nicht mehr telefoniert. Geld? Nein, natürlich nicht. "Ich muss überhaupt keine Absprachen machen. Ich muss überhaupt nicht die Unwahrheit sagen. Über Paul kann ich nur Gutes sagen!" Mit dem Daumen hoch zu seinem alten Freund gewandt verlässt ein außergewöhnlicher Zeuge den Gerichtssaal.

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Mindener Tageblatt, 12.05.2022:

Verborgene Finanzströme

Konzerte wie am Wochenende in Veltheim haben für die rechtsextreme Szene große Bedeutung / Oft wird Geld gesammelt, um Waffenkäufe zu ermöglichen / Die Behörden scheinen machtlos

Porta Westfalica-Veltheim (mt/szlz). Nach dem erneuten Konzert von Neonazis in einer ehemaligen Gärtnerei in Veltheim wird immer deutlicher: Die Strafverfolgungsbehörden scheinen nahezu machtlos, um dagegen etwas zu unternehmen. Sowohl Staatsschutz als auch Kriminalbeamte der Polizei waren am vergangenen Samstag zwar vor Ort, als zwischen 40 (Angabe der Polizei) und 100 (Angabe von linken Beobachtern) Menschen aus der rechtsextremen Szene zum Konzert der ebenfalls rechtsextremen Band "Oidoxie" anreisten. Wirklich eingreifen konnten die Beamten nach eigenen Angaben aber nicht.

Dabei sind diese strafrechtlich auf den ersten Blick harmlosen Konzerte mehr als nur Musik: Rechtsextreme Bands und ihre Konzerte sind nicht nur ein wichtiger Identifikationspunkt der Szene. Der Handel mit Musik, Fan-Artikeln und vor allem die oft konspirativ veranstalteten Konzerte sind ein wichtiger Faktor für die Finanzierung der rechtsextremen Szene. Am Ende werden mit dem Geld teilweise auch Waffen gekauft. Darauf wies zuletzt eine Studie der gemeinnützigen Organisation "Counter Extremism Project" (CEP) hin. Auch der Verfassungsschutz, der unter anderem die Veranstalter der Veltheimer Konzerte - die "Mindener Jungs" um die überregional bekannten Neonazis Marcus W. aus Minden und Dirk F. aus Leese (Niedersachsen) - beobachtet, stuft solche Konzerte grundsätzlich als essenziell für die Finanzierung der Szene ein.

Demnach versuchen Neonazis erfolgreich, ihre Geschäfte zu verschleiern. Auch bei dem Konzert in Veltheim habe der Staatsschutz "keine Hinweise auf den Verkauf von Eintrittskarten oder Getränken", teilte am Montag ein Sprecher der Behörde in Bielefeld mit.

Auch Ulf R. aus Porta soll Geld für Waffenkäufe angeboten haben

Wurde das Konzert mit professioneller Veranstaltungstechnik und einer von auswärts angereisten Band also aus reiner Menschenfreundlichkeit ausgerichtet? Vermutlich nicht. Ein häufig verwendeter Trick ist laut der CEP-Studie, statt eines Eintrittspreises oder den Kosten für Getränke nur eine vermeintliche "Spende" zu nehmen. So lassen sich Geldflüsse verschleiern, aber trotzdem große Beträge umsetzen. Ob es solche Spendensammlungen auch in Veltheim gegeben hat, ist derzeit unklar.

Und das unter den Augen des Staatsschutzes: Dort fehle laut Alexander Ritzmann, Leiter des Counter Extremism Project, oft die notwendige Expertise über Steuerrecht, Gewerbe-Auflagen und Finanzströme. Er fordert daher eine engere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit den Finanz- und den Ordnungsämtern, um solche Verschleierungstaktiken zur Finanzierung der rechtsextremen Szene besser aufdecken zu können.

Denn bis heute, das geht auch aus dem von Timo Büchner geschriebenen Buch "Rechtsrock. Business, Ideologie und militante Netzwerke", hervor, ist die Musik eine zentrale Säule der Identifikation und vor allem Finanzierung der militanten rechtsextremen Szene. Autor Büchner betont, dass die Erlöse aus Eintrittskarten und vom Musik-Verkauf oft direkt in die politische Arbeit der Rechtsextremisten fließen - für Miete von Veranstaltungsorten, Anwaltskosten oder gar den Kauf von Waffen.

Das CEP rechnete auch modellhaft auf, mit wie viel Gewinn Rechtsextreme bei so einem Konzert rechnen können. So blieben etwa schon bei nur 50 Besuchern etwa 250 Euro für den Veranstalter, bei 150 Besuchern steige die Gewinnspanne auf bis zu 1.150 Euro. Großkonzerte wie etwa der so genannte "Rock gegen Überfremdung" in Thüringen könnten dann sogar über 100.000 Euro in die Kassen der rechtsextremen Veranstalter spülen.

Geld, das am Ende möglicherweise genutzt wird, um Waffen für mutmaßliche Terroranschläge zu kaufen. So saßen zuletzt die beiden Mindener Thomas N. und Markus K. in Stuttgart als Angeklagte als Mitglieder der mutmaßlichen Terror-Zelle "Gruppe S." vor Gericht. Sie sollen mit zehn anderen Angeklagten Terroranschläge geplant haben, um einen Bürgerkrieg zu provozieren (MT berichtete mehrfach).

Der ebenfalls angeklagte Ulf R. aus Kleinenbremen soll nach Informationen der Justiz der Gruppe angeboten haben, 50.000 Euro für Waffenkäufe beizusteuern. Bei seiner Festnahme in Kleinenbremen fanden die Polizeibeamten Waffen und selbst gebaute Handgranaten in seinem Haus. Ebenfalls unweit seines Wohnhauses entdeckten Ermittler später ein mutmaßliches Lebensmitteldepot in einem Waldstück nahe des Sportplatzes. Auch dieses soll nach MT-Informationen aus gut informierten Kreisen zur "Gruppe S." gehört haben. Noch läuft der Mammutprozess in Stuttgart.

Doch Ulf R. erlebte den Prozessauftakt nicht. Er verübte in der Haft Selbstmord.

Bildunterschrift: Konzerte wie der "Rock gegen Überfremdung" hier im Juli 2017 in Thüringen gelten für die Neonazi-Szene als gute Einnahmequelle, um Geld etwa für Waffenkäufe zu generieren. Ob das auch in Veltheim der Fall war, ist unklar.

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Mindener Tageblatt, 08.04.2022:

Gewaltfantasien am Telefon

Im Prozess gegen die Gruppe S. nahm sich das Gericht jetzt die von der Polizei abgehörten Gespräche vor / Ein wichtiger Teil des Materials entstand in dem Mindener Haus eines der Angeklagten

Minden / Stuttgart (mt/sk). Als vor zwei Jahren die mutmaßlichen Mitglieder eines rechtsextremistischen Netzwerkes - bekannt unter der Bezeichnung "Gruppe S." - in Minden anscheinend eine Art Bürgerkrieg planten, hörte die Polizei mit. Das konnte deshalb gelingen, weil ein Informant aus ihren Reihen den entscheidenden Tipp gegeben haben soll. Wie bei einem der jüngsten Prozesstage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart bekannt wurde, war deshalb die Ermordung des Betreffenden geplant. Rechtzeitig griff die Polizei ein, nahm zwölf Mitglieder fest - darunter drei Tatverdächtige aus der Mindener Region.

Im Internet hatten sich die Tatverdächtigen um den Gründer der Terror-Zelle, Werner S. aus dem Landkreis Augsburg, im Jahr 2019 kennengelernt. Ihr Ziel war nach Ermittlungen der Polizei am Ende, die bestehende Ordnung der Bundesrepublik zu zerstören. Dazu sollte es in mehreren Bundesländern Anschläge auf Moscheen geben, um einen gewaltsamen Konflikt zwischen Muslimen und der übrigen Bevölkerung auszulösen. Diesen Plan besprach dann der harte Kern der Gruppe am 7. und 8. Februar 2020 in Minden in dem Haus von Thomas N., einem Fliesenleger, der dem Reichsbürger-Milieu nahe stand. Doch der Generalbundesanwalt war schneller. Am 14. Februar ließ er Wohnungen und andere Räume an 13 Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt durchsuchen. Auch in Minden und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen kam es zu Festnahmen, weil die Polizei die Tatverdächtigen zuvor belauscht hatte.

Der Mindener Fliesenleger war lange auf Facebook aktiv, teilte dort unter anderem rassistische und antisemitische Bilder, Texte und Videos, in denen auch der Staat abgelehnt wurde. Die Kreispolizei Minden-Lübbecke hatte ihn bereits zwei Jahre vor seiner Festnahme auf dem Schirm. 2018 wurde gegen ihn ein Waffenverbot ausgesprochen. Nach Angaben des Verwaltungsgerichts Minden hatte er dagegen geklagt und in erster Instanz verloren. Gegen das Urteil legte der 57-Jährige Rechtsmittel ein. Bei der Razzia in seinem Haus fand die Polizei unter anderem einen Revolver, ein Gewehr und 50 Stichwaffen. Außerdem mehrere Gold- und Silberbarren.

Als weiterer Tatverdächtiger aus Minden steht seit dem Prozessauftakt am 13. April vergangenen Jahres auch Markus K. in Stuttgart vor Gericht. Er war lange in der Neonazi-Szene unterwegs. Der 37-Jährige soll zum Beispiel zum Organisationsteam mehrerer rechtsextremer Demonstrationen im niedersächsischen Bad Nenndorf gehört haben. 2009 soll er an einem Überfall auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt gewesen sein.

Für den Prozess sind weitere 102 Verhandlungstage angesetzt

Ins Netz der Fahnder ging vor zwei Jahren auch Ulf R. aus Porta Westfalica. Die Beamten fanden bei ihm scharfe Waffen, unter anderem mehrere selbst gebaute Handgranaten. Diese waren so instabil, dass Spezialkräfte zu ihrer Sicherung erforderlich waren. Im Juli 2020 wurde der Tatverdächtige tot in der Zelle gefunden. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in der JVA Dortmund in Untersuchungshaft.

Seit mehr als 50 Prozesstagen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhellt sich das Bild aus dem Inneren der Terror-Zelle. Vor allem spielen dabei jetzt die von der Polizei abgehörten Gespräche eine Rolle, die in den Verhandlungen wiedergegeben werden. Ein wichtiger Teil des Materials ist dabei in Minden entstanden.

Wie der WDR, der den Prozess verfolgt, kürzlich berichtete, soll Thomas N. ein paar Tage nach dem konspirativen Treffen im Februar 2020 in seinem Haus in Minden ein Autotransporter merkwürdig vorgekommen sein, sodass er annahm, es handele sich um die Polizei, die verdeckt ermittele. Das teilte er Markus K. am - ebenfalls von der Polizei belauschten - Telefon mit. Aus den Gesprächen ging hervor, dass der Verdacht auf den Informanten fiel und er damit enttarnt war. Die Terror-Zelle beschloss, dass er "weggemacht" werden müsse. Und das so schnell wie möglich.

Schon monatelang hatte der Betreffende Tipps aus dem Innenleben der später inhaftierten Gruppierung an die Polizei weitergegeben. Bevor er zur Gruppe S. gestoßen war, hatte er viele Jahre in einer forensischen Klinik verbracht, die er dann aber mit einem für ihn positiven Gutachten verlassen durfte. Derzeit lebt er auf freiem Fuß. Zur Motivation seiner Tätigkeit als Spitzel vor Gericht befragt gab ein Beamter im Februar an, dass er vermutlich der Gesellschaft etwas zurückgeben und Anschläge verhindern wollte.

Anders stellt sich Thomas N. dar. Im Februar wurden vor Gericht auch Mitschnitte der Telefongespräche vorgespielt, die er kurz vor dem Treffen der Gruppe in seinem Haus mit dem Mindener Markus K. und einer anderen Person führte. Er äußerte Verfolgungsfantasien und sah sich als Bürger des Deutschen Reiches. "Die wollen uns verknechten und versklaven", schwurbelte der Fliesenleger am Telefon. Seine Rede war von "Kanaken", "Moslems" und denen von "der Antifa". Der 57-Jährige befürchtete, dass Deutschland überfremdet werde und formulierte, "es wird immer schlimmer, die müssen alle raus".

"Gewaltfrei geht gar nichts mehr"

Auch über den Weg zu diesem Ziel machte der Angeklagte konkrete Angaben: "Es geht nur mit Gewalt, gewaltfrei geht gar nichts mehr", zitiert der WDR den Gesprächsmitschnitt. "Die werden alle bluten! Nur noch töten! Weg mit dem Dreck!", waren weitere Worte, die in dem vor dem Oberlandesgericht vorgespielten Gesprächsmitschnitt gefallen waren. Des Weiteren sollten auch Kinder sterben.

Markus K., einer der Mindener Gesprächspartner des offenbar gewaltbereiten Thomas N., hatte bereits im November vergangenen Jahres seine Aussagen von seiner Anwältin verlesen lassen. Er gab sich demnach als ein eher unpolitischer Mensch aus, der als Jugendlicher in eine Gruppe von Skinheads geraten sei, um "etwas Besonderes" darzustellen. Später habe er dann in der rechten Szene Plakate geklebt und Flugblätter verteilt. Vor elf Jahren wollte er sich aber von rechtsradikalen Kreisen distanziert haben. Zu den Vorwürfen, Terroranschläge gegen Moscheen geplant zu haben, äußerte er sich nicht.

Der Marathon-Prozess gegen die Gruppe S. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ist noch lange nicht beendet. Bis zum 6. Juli 2023 sind weitere 102 Verhandlungstage angesetzt, in denen kleckerweise weitere Details an das Licht der Öffentlichkeit gelangen. Bei Bedarf kann der Zeitrahmen auch überschritten werden. Die Angeklagten sind derweil in Stammheim und weiteren Haftanstalten untergebracht.

Bildunterschrift: Seine schräge Weltsicht verbarg der Mindener Thomas N. in der Öffentlichkeit nicht. Die Aufkleber auf seinem Wagen fabulieren von einem "Bruderkrieg" zwischen dem Deutschen Reich und Russland.

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Mindener Tageblatt, 08.04.2022:

Gruppe S. wollte Informanten ermorden

Die rechtsextreme Gruppe S. - auch zwei Mitglieder aus Minden müssen sich seit einem Jahr vor Gericht verantworten - hatte offenbar die Ermordung eines Polizeiinformanten geplant.

Seite 5

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Neue Westfälische Online, 07.04.2022:

Mindener ließ am Telefon Gewaltfantasien freien Lauf - Polizei hörte mit

07.04.2022 - 14.50 Uhr

Gruppe S. vor Gericht

Das rechtsextremistische Netzwerk wollte die bestehende Ordnung der Bundesrepublik zerstören. Dazu sollte es in mehreren Bundesländern Anschläge auf Moscheen geben. Doch der Generalbundesanwalt war schneller.

Minden / Stuttgart. Als vor zwei Jahren die mutmaßlichen Mitglieder eines rechtsextremistischen Netzwerkes - bekannt unter der Bezeichnung "Gruppe S." - in Minden anscheinend eine Art Bürgerkrieg planten, hörte die Polizei mit. Das konnte deshalb gelingen, weil ein Informant aus ihren Reihen den entscheidenden Tipp gegeben haben soll. Wie bei einem der jüngsten Prozesstage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart bekannt wurde, war deshalb die Ermordung des Betreffenden geplant. Rechtzeitig griff die Polizei ein, nahm zwölf Mitglieder fest - darunter drei Tatverdächtige aus der Mindener Region.

Im Internet hatten sich die Tatverdächtigen um den Gründer der Terror-Zelle Werner S. aus dem Landkreis Augsburg 2019 kennen gelernt. Ihr Ziel war nach Ermittlungen der Polizei am Ende, die bestehende Ordnung der Bundesrepublik zu zerstören. Dazu sollte es in mehreren Bundesländern Anschläge auf Moscheen geben, um einen gewaltsamen Konflikt zwischen Muslimen und der übrigen Bevölkerung auszulösen. Diesen Plan besprach dann der harte Kern der Gruppe am 7. und 8. Februar 2020 in Minden in dem Haus von Thomas N., ein Fliesenleger der dem Reichsbürger-Milieu nahe stand. Doch der Generalbundesanwalt war schneller. Am 14. Februar ließ er Wohnungen und andere Räume an 13 Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt durchsuchen. Auch in Minden und anderen Städten Nordrhein-Westfalen kam es zu Festnahmen, weil die Polizei die Tatverdächtigen zuvor belauscht hatte.

Der Mindener Fliesenleger war lange auf Facebook aktiv, teilte dort unter anderem rassistische und antisemitische Bilder, Texte und Videos, in denen auch der Staat abgelehnt wurde. Die Kreispolizei Minden-Lübbecke hatte ihn bereits zwei Jahren vor seiner Festnahme auf dem Schirm. 2018 wurde gegen ihn ein Waffenverbot ausgesprochen. Nach Angaben des Verwaltungsgerichts Minden hatte er dagegen geklagt und in erster Instanz verloren. Gegen das Urteil legte der 57-Jährige Rechtsmittel ein. Bei der Razzia in seinem Haus fand die Polizei unter anderem einen Revolver, ein Gewehr und 50 Stichwaffen. Außerdem mehrere Gold- und Silberbarren.

Als weiterer Tatverdächtige aus Minden steht seit dem Prozessauftakt am 13. April vergangenen Jahres auch Markus K. in Stuttgart vor Gericht. Er war lange in der Neonazi-Szene unterwegs. Der 37-Jährige soll zum Beispiel zum Organisationsteam mehrerer rechtsextremer Demonstrationen im niedersächsischen Bad Nenndorf gehört haben. 2009 soll er an einem Überfall auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt gewesen sein.

Scharfe Waffen und selbstgebaute Handgranaten in Porta Westfalica

Ins Netz der Fahnder ging vor zwei Jahren auch Ulf R. aus Porta Westfalica. Die Beamten fanden bei ihm scharfe Waffen, unter anderem mehrere selbstgebaute Handgranaten. Diese waren so instabil, dass Spezialkräfte zu ihrer Sicherung erforderlich waren. Im Juli 2020 wurde der Tatverdächtige tot in der Zelle gefunden. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in der JVA Dortmund in Untersuchungshaft.

Seit mehr als 50 Prozesstagen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhellt sich das Bild aus dem Inneren der Terror-Zelle. Vor allem spielen dabei jetzt die von der Polizei abgehörten Gespräche eine Rolle, die in den Verhandlungen wiedergegeben werden. Ein wichtiger Teil des Materials ist dabei in Minden entstanden.

Wie der WDR, der den Prozess verfolgt, kürzlich berichtete, soll Thomas N. ein paar Tage nach dem konspirativen Treffen im Februar 2020 in seinem Haus in Minden ein Autotransporter merkwürdig vorgekommen sein, so dass er annahm, es handele sich um die Polizei, die verdeckt ermittele. Das teilte er Markus K. am - ebenfalls von der Polizei belauschten - Telefon mit. Aus den Gesprächen ging hervor, dass der Verdacht auf den Informanten fiel und er damit enttarnt war. Die Terror-Zelle beschloss, dass er "weggemacht" werden müsse. Und das so schnell wie möglich.

Schon monatelang hatte der Betreffende Tipps aus dem Innenleben der später inhaftierten Gruppierung an die Polizei weitergegeben. Bevor er zur Gruppe S. gestoßen war, hatte er viele Jahre in einer forensischen Klinik verbracht, die er dann aber mit einem für ihn positiven Gutachten verlassen durfte. Derzeit lebt er auf freiem Fuß. Zur Motivation seiner Tätigkeit als Spitzel vor Gericht befragt gab ein Beamter im Februar an, dass er vermutlich der Gesellschaft etwas zurück geben und Anschläge verhindern wollte.

"Es geht nur mit Gewalt, gewaltfrei geht gar nichts mehr"

Anders stellt sich Thomas N. dar. Im Februar wurden vor Gericht auch Mitschnitte der Telefongespräche vorgespielt, die er kurz vor dem Treffen der Gruppe in seinem Haus mit dem Mindener Markus K. und einer anderen Person führte. Er äußerte Verfolgungsfantasien und sah sich als Bürger des Deutschen Reiches. "Die wollen uns verknechten und versklaven", schwurbelte der Fliesenleger am Telefon. Seine Rede war von "Kanaken", "Moslems" und denen von "der Antifa". Der 57-Jährige befürchtete, dass Deutschland überfremdet werde und formulierte, "es wird immer schlimmer, die müssen alle raus".

Auch über den Weg zu diesem Ziel machte der Angeklagte konkrete Angaben: "Es geht nur mit Gewalt, gewaltfrei geht gar nichts mehr", zitiert der WDR den Gesprächsmitschnitt. "Die werden alle bluten! Nur noch töten! Weg mit dem Dreck!", waren weitere Worte, die in dem vor dem Oberlandesgericht vorgespielten Gesprächsmitschnitt gefallen waren. Desweiteren sollten auch Kinder sterben.

Angeblich unpolitischer Mensch

Markus K., einer der Mindener Gesprächspartner des offenbar gewaltbereiten Thomas N., hatte bereits im November vergangenen Jahres seine Aussagen von seiner Anwältin verlesen lassen. Er gab sich danach als ein eher unpolitischer Mensch aus, der als Jugendlicher in eine Gruppe von Skinheads geraten sei, um "etwas Besonderes" darzustellen. Später habe er dann in der rechten Szene Plakate geklebt und Flugblätter verteilt. Vor elf Jahren wollte er sich aber von rechtsradikalen Kreisen distanziert haben. Zu den Vorwürfen, Terroranschläge gegen Moscheen geplant zu haben, äußerte er sich nicht.

Der Marathon-Prozess gegen die Gruppe S. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ist noch lange nicht zu Ende. Bis zum 6. Juli 2023 sind weitere 102 Verhandlungstage angesetzt, in denen kleckerweise weitere Details an das Licht der Öffentlichkeit gelangen. Bei Bedarf kann der Zeitrahmen auch überschritten werden. Die Angeklagten sind derweil in Stammheim und weiteren Haftanstalten untergebracht.

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Mindener Tageblatt Online, 07.04.2022:

Gruppe S. vor Gericht

07.04.2022 - 12.00 Uhr

Mindener ließ am Telefon seinen Gewaltfantasien freien Lauf und die Polizei hörte mit

Minden / Stuttgart (mt/sk). Als vor zwei Jahren die mutmaßlichen Mitglieder eines rechtsextremistischen Netzwerkes - bekannt unter der Bezeichnung "Gruppe S." - in Minden anscheinend eine Art Bürgerkrieg planten, hörte die Polizei mit. Das konnte deshalb gelingen, weil ein Informant aus ihren Reihen den entscheidenden Tipp gegeben haben soll. Wie bei einem der jüngsten Prozesstage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart bekannt wurde, war deshalb die Ermordung des Betreffenden geplant. Rechtzeitig griff die Polizei ein, nahm zwölf Mitglieder fest - darunter drei Tatverdächtige aus der Mindener Region.

Im Internet hatten sich die Tatverdächtigen um den Gründer der Terror-Zelle Werner S. aus dem Landkreis Augsburg 2019 kennen gelernt. Ihr Ziel war nach Ermittlungen der Polizei am Ende, die bestehende Ordnung der Bundesrepublik zu zerstören. Dazu sollte es in mehreren Bundesländern Anschläge auf Moscheen geben, um einen gewaltsamen Konflikt zwischen Muslimen und der übrigen Bevölkerung auszulösen. Diesen Plan besprach dann der harte Kern der Gruppe am 7. und 8. Februar 2020 in Minden in dem Haus von Thomas N., ein Fliesenleger der dem Reichsbürger-Milieu nahe stand. Doch der Generalbundesanwalt war schneller. Am 14. Februar ließ er Wohnungen und andere Räume an 13 Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt durchsuchen. Auch in Minden und anderen Städten Nordrhein-Westfalen kam es zu Festnahmen, weil die Polizei die Tatverdächtigen zuvor belauscht hatte.

Der Mindener Fliesenleger war lange auf Facebook aktiv, teilte dort unter anderem rassistische und antisemitische Bilder, Texte und Videos, in denen auch der Staat abgelehnt wurde. Die Kreispolizei Minden-Lübbecke hatte ihn bereits zwei Jahren vor seiner Festnahme auf dem Schirm. 2018 wurde gegen ihn ein Waffenverbot ausgesprochen. Nach Angaben des Verwaltungsgerichts Minden hatte er dagegen geklagt und in erster Instanz verloren. Gegen das Urteil legte der 57-Jährige Rechtsmittel ein. Bei der Razzia in seinem Haus fand die Polizei unter anderem einen Revolver, ein Gewehr und 50 Stichwaffen. Außerdem mehrere Gold- und Silberbarren.

Als weiterer Tatverdächtige aus Minden steht seit dem Prozessauftakt am 13. April vergangenen Jahres auch Markus K. in Stuttgart vor Gericht. Er war lange in der Neonazi-Szene unterwegs. Der 37-Jährige soll zum Beispiel zum Organisationsteam mehrerer rechtsextremer Demonstrationen im niedersächsischen Bad Nenndorf gehört haben. 2009 soll er an einem Überfall auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt gewesen sein.

Ins Netz der Fahnder ging vor zwei Jahren auch Ulf R. aus Porta Westfalica. Die Beamten fanden bei ihm scharfe Waffen, unter anderem mehrere selbstgebaute Handgranaten. Diese waren so instabil, dass Spezialkräfte zu ihrer Sicherung erforderlich waren. Im Juli 2020 wurde der Tatverdächtige tot in der Zelle gefunden. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in der JVA Dortmund in Untersuchungshaft.

Seit mehr als 50 Prozesstagen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhellt sich das Bild aus dem Inneren der Terror-Zelle. Vor allem spielen dabei jetzt die von der Polizei abgehörten Gespräche eine Rolle, die in den Verhandlungen wiedergegeben werden. Ein wichtiger Teil des Materials ist dabei in Minden entstanden.

Wie der WDR, der den Prozess verfolgt, kürzlich berichtete, soll Thomas N. ein paar Tage nach dem konspirativen Treffen im Februar 2020 in seinem Haus in Minden ein Autotransporter merkwürdig vorgekommen sein, so dass er annahm, es handele sich um die Polizei, die verdeckt ermittele. Das teilte er Markus K. am - ebenfalls von der Polizei belauschten - Telefon mit. Aus den Gesprächen ging hervor, dass der Verdacht auf den Informanten fiel und er damit enttarnt war. Die Terror-Zelle beschloss, dass er "weggemacht" werden müsse. Und das so schnell wie möglich.

Schon monatelang hatte der Betreffende Tipps aus dem Innenleben der später inhaftierten Gruppierung an die Polizei weitergegeben. Bevor er zur Gruppe S. gestoßen war, hatte er viele Jahre in einer forensischen Klinik verbracht, die er dann aber mit einem für ihn positiven Gutachten verlassen durfte. Derzeit lebt er auf freiem Fuß. Zur Motivation seiner Tätigkeit als Spitzel vor Gericht befragt gab ein Beamter im Februar an, dass er vermutlich der Gesellschaft etwas zurück geben und Anschläge verhindern wollte.

Anders stellt sich Thomas N. dar. Im Februar wurden vor Gericht auch Mitschnitte der Telefongespräche vorgespielt, die er kurz vor dem Treffen der Gruppe in seinem Haus mit dem Mindener Markus K. und einer anderen Person führte. Er äußerte Verfolgungsfantasien und sah sich als Bürger des Deutschen Reiches. "Die wollen uns verknechten und versklaven", schwurbelte der Fliesenleger am Telefon. Seine Rede war von "Kanaken", "Moslems" und denen von "der Antifa". Der 57-Jährige befürchtete, dass Deutschland überfremdet werde und formulierte, "es wird immer schlimmer, die müssen alle raus".

Auch über den Weg zu diesem Ziel machte der Angeklagte konkrete Angaben: "Es geht nur mit Gewalt, gewaltfrei geht gar nichts mehr", zitiert der WDR den Gesprächsmitschnitt. "Die werden alle bluten! Nur noch töten! Weg mit dem Dreck!", waren weitere Worte, die in dem vor dem Oberlandesgericht vorgespielten Gesprächsmitschnitt gefallen waren. Desweiteren sollten auch Kinder sterben.

Markus K., einer der Mindener Gesprächspartner des offenbar gewaltbereiten Thomas N., hatte bereits im November vergangenen Jahres seine Aussagen von seiner Anwältin verlesen lassen. Er gab sich danach als ein eher unpolitischer Mensch aus, der als Jugendlicher in eine Gruppe von Skinheads geraten sei, um "etwas Besonderes" darzustellen. Später habe er dann in der rechten Szene Plakate geklebt und Flugblätter verteilt. Vor elf Jahren wollte er sich aber von rechtsradikalen Kreisen distanziert haben. Zu den Vorwürfen, Terroranschläge gegen Moscheen geplant zu haben, äußerte er sich nicht.

Der Marathon-Prozess gegen die Gruppe S. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ist noch lange nicht zu Ende. Bis zum 6. Juli 2023 sind weitere 102 Verhandlungstage angesetzt, in denen kleckerweise weitere Details an das Licht der Öffentlichkeit gelangen. Bei Bedarf kann der Zeitrahmen auch überschritten werden. Die Angeklagten sind derweil in Stammheim und weiteren Haftanstalten untergebracht.

Bildunterschrift: Seine schräge Weltsicht verbarg der Mindener Thomas N. in der Öffentlichkeit nicht. Die Aufkleber auf seinem Wagen fabulieren von einem "Bruderkrieg" zwischen dem Deutschen Reich und Russland.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 30.03.2022:

Gruppe S.: Mordpläne gegen Polizeiinformant

30.03.2022 - 10.46 Uhr

Bei der Gruppe S. gab es offenbar konkrete Mordpläne gegen ein Mitglied der Gruppe. Ein Polizeiinformant sollte getötet werden, weil die mutmaßlichen Terroristen observiert worden waren.

Nachdem bekannt wurde, dass das Treffen der mutmaßlichen Terroristen in Minden vor zwei Jahren von der Polizei observiert worden war, sollte der Polizeiinformant so schnell wie möglich umgebracht werden, hieß es jetzt beim Prozess gegen die Gruppe am Oberlandesgericht in Stuttgart.

Der Gruppe wird vorgeworfen, in Minden Terroranschläge geplant zu haben. Sie steht in Stuttgart vor Gericht.

Informant war enttarnt worden

Der Autotransporter vor seiner Haustür sei ihm gleich merkwürdig vorgekommen, sagte der Mindener Thomas N. ein paar Tage nach dem Treffen am Telefon. Und tatsächlich war es die Polizei, die die Zusammenkunft in Minden observiert hatte. "Jetzt ist der Ofen aus", so der zweite Mindener Angeklagte Markus K.

Polizei hörte mit

Der Verdacht fiel auf Paul U. - er informierte die Polizei schon seit Monaten. Unter den Teilnehmern wurde sich darauf geeinigt, dass U. "weggemacht" werden müsse. Auch das wurde von der Polizei mitgehört - sie nahm daraufhin alle Teilnehmer fest.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 24.02.2022:

Prozess um Gruppe S.: Was wusste die Polizei?

24.02.2022 - 15.35 Uhr

Im Prozess um die so genannte Gruppe S. geht es derzeit um die Rolle der Polizei. Im Raum steht der Vorwurf, die Behörde habe das Geschehen um die vermeintliche Terror-Gruppe mit beeinflusst.

Zwölf Männern wird am Oberlandesgericht Stuttgart vorgeworfen, Terroranschläge geplant zu haben, vor allem bei einem Treffen im Februar 2020. Zwei Angeklagte kommen aus Minden, einer aus Hamm. Schlüsselfigur im Prozess ist aber Paul U. - auch er ist Angeklagter. Er hatte die Behörden monatelang darüber informiert, wer sich in rechten Gruppen wie für wann verabredete. Er überließ der Polizei Chat-Protokolle und wurde vom Landeskriminalamt regelmäßig vernommen.

Polizeibeamter betont Freiwilligkeit U.`s

Viele Verteidiger vermuten aber, dass U. noch eine aktivere Rolle spielte. Dass er es war, der Anschlagspläne mit forciert hat - und das womöglich mit dem Wissen der Polizei. Dass er von den Ermittlern möglicherweise beauftragt gewesen sei, dass auch Geld geflossen sein könnte und eine Zusage, dass U. später anonym in den Zeugenschutz entlassen werde.

Laut seinem Kontaktmann stimmt das alles nicht - "Paul U. hat alles von sich aus und freiwillig gemacht", so seine Kernaussage: "Zu 100 Prozent hat es keinerlei Aufträge an ihn gegeben, auch nicht außerhalb des Protokolls, so wahr ich hier sitze."

"Er wollte etwas zurück geben"

Auf die Frage des Gerichts, aus welcher Motivation U. gehandelt habe, antwortete der Beamte: er habe den Eindruck gehabt, dass der Informant Anschläge verhindern wollte, um der Gesellschaft etwas zurück zu geben. U. war wegen verschiedenster Straftaten mehrfach verurteilt worden und hatte deswegen lange im Gefängnis gesessen.

Nicht ganz klar blieb allerdings, welche Absprachen es zwischen dem LKA-Beamten und dem Informanten bezüglich eines (für U. unerlaubten) Waffengebrauchs gegeben hatte. Der Beamte betonte zwar, dass er ihn darauf hingewiesen hatte, sich nicht strafbar zu machen und eine Waffe anzunehmen. Gleichzeitig habe er ihn aber instruiert, für den Fall einer nicht vermeidbaren Annahme, die Waffe unschädlich zu machen und das Magazin herauszunehmen.

Informant sollte evakuiert und geschützt werden

Ein Zeugenschutzprogramm sei für U. nicht vorgesehen gewesen; allerdings Maßnahmen, um ihn zu seinem Schutz zu "evakuieren" und "wegzubringen" - genau das, was dann schließlich auch im Februar 2020 passierte, als nach einem Treffen der so genannten Gruppe S. in Minden der Informant aufzufliegen drohte und er an eine zunächst unbekannte Adresse gebracht wurde. Wenige Tage nach dem Mindener Treffen erfolgten die Festnahmen.

Der Prozess am Oberlandesgericht läuft seit April 2021 und wird Anfang März fortgesetzt.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 15.02.2022:

Terror-Prozess um Gruppe S.: "Nur noch töten! Die werden alle bluten"

15.02.2022 - 19.39 Uhr

Im Staatsschutzprozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen die so genannte Gruppe S. standen am Dienstag Aussagen des Angeklagten Thomas N. aus Minden im Mittelpunkt.

Von Thomas Wöstmann

Das Gericht ließ abgehörte Telefongespräche von N. vorspielen - in drastischen Worten sprach der selbstständige Handwerker über Gewalt gegen Andere.

Abgehörte Telefongespräche mit erschreckenden Aussagen

Thomas N. am Telefon zu folgen, ist nicht leicht. Er spricht sehr schnell, manchmal undeutlich, und er springt gedanklich immer wieder hin und her. Die abgehörten Gespräche, die am Dienstag vor Gericht vorgespielt wurden, geschahen kurz vor dem ominösen Treffen der Angeklagten in Minden Anfang Februar 2020.

N. sprach darin mit dem zweiten Mindener Angeklagten Markus K. und seinem Bruder; konkret über das bald anstehende Treffen, aber auch über seine Sicht auf das Leben in Deutschland. Die Bundesrepublik lehnte N. ab, er sah sich als Bürger des Deutschen Reichs.

Gespräche vermitteln diffuse Feindbilder

"Die wollen uns verknechten und versklaven": Wenn N. in den Telefonaten über "die" spricht, bleibt er unkonkret. Seine Feindbilder erscheinen diffus: natürlich die damalige Bundeskanzlerin Merkel, aber auch "die Kanaken", "die Moslems", "die von der Antifa". N. hat offensichtlich etwas gegen Ausländer, er fürchtet, dass Deutschland überfremdet wird: "Es wird immer schlimmer, die müssen alle raus."

Darüber, wie das erreicht werden soll, lässt Thomas N. keinen Zweifel: "Es geht nur mit Gewalt, gewaltfrei geht gar nichts mehr", heißt es im Gespräch mit seinem Bruder. "Die werden alle bluten! Nur noch töten! Weg mit dem Dreck!" Kinder sollten sterben, sagte N. in erschreckenden Worten.

Verdeckter Ermittler sagt aus

Die für Dienstag angekündigte Aussage des verdeckten Ermittlers vom Landeskriminalamt verzögerte sich zunächst sehr lange; die komplizierte Technik streikte. Der Ermittler wurde im Gerichtssaal vernommen, während er in einem anderen Raum saß - Stimme und Äußeres wurden verfremdet in den Saal überspielt.

Zudem entschied sich das Gericht dafür, die Öffentlichkeit auszuschließen, obwohl die Mehrheit der Verteidiger dagegen war. Nach den Worten des Vorsitzenden Richters bestehe die Gefahr, dass der Ermittler trotz verfremdeter Stimme und Gestalt von Zuschauern erkannt werden könnte. Dies gefährde seine künftige Einsetzbarkeit als Ermittler.

Hintergrund zum Prozess der Terrorgruppe S.

Zwölf Männern wird am Oberlandesgericht Stuttgart vorgeworfen, Terroranschläge geplant zu haben. Der Prozess läuft seit April 2021.

Über dieses Thema haben wir am 15. Februar 2022 bei WDR 2 berichtet: Lokalzeit OWL, 09.31 Uhr.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 20.01.2022:

Eklat beim Prozess um Gruppe S.: "Totaler Quatsch"

20.01.2022 - 16.48 Uhr

Im Staatsschutz-Prozess um die so genannte Gruppe S. am Oberlandesgericht Stuttgart hat einer der zwölf Angeklagten umfassend über das entscheidende Treffen in Minden ausgesagt.

Als Marcel W. aus Bayern den mitangeklagten Polizeiinformanten Paul U. als treibende Kraft für die Anschlagspläne nannte, sorgte dies für einen Eklat. Die Vertreterin des Generalbundesanwalts bezeichnete W.`s Aussage als "totalen Quatsch".

Wer brachte Anschläge auf Moscheen ins Spiel?

Zwölf Männer trafen sich an einem Samstagnachmittag, Anfang Februar 2020, in Minden - als Vertreter szenebekannter rechtsgerichteter Gruppen, oder sie waren Bekannte der vorher von Werner S. ausgewählten Teilnehmer. Der hatte in mehreren Gruppen-Chats nach Gleichgesinnten gesucht und angekündigt: "Bei Brot und Wein wird Krieg besprochen". Marcel W. war als Vertreter von "Wodans Erben Germanien" nach Minden gefahren - einer bürgerwehrähnlichen Gemeinschaft.

Als bei dem Treffen zunächst über Demonstrationen gesprochen wurde, habe Werner S. mit deutlichen Worten das Heft in die Hand genommen. Über Demos sei er längst hinweg. Es müsse Geschichte geschrieben worden - so oder ähnlich habe S. formuliert, und dann abgefragt, wer von den Anwesenden offensiv und wer defensiv agieren wolle. Wieder etwas später sei dann über Anschläge auf Moscheen gesprochen worden - Paul U. habe Köln als Anschlagsort ins Spiel gebracht, S. sei für kleinere Städte gewesen.

Welche Rolle spielte Paul U.?

Interessant dabei: laut W. war Paul U. einer der treibenden Kräfte in der Diskussion; ausgerechnet jener Mitangeklagte, der zum Zeitpunkt des Treffens bereits seit Monaten das Landeskriminalamt mit Informationen über das Geschehen innerhalb der mutmaßlichen Terror-Gruppe informierte. Als dann der Richter W. darauf hinwies, dass er bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung wenige Wochen nach dem Treffen kaum über U. gesprochen hatte, platzte es der Vertreterin des Generalbundesanwalts plötzlich und überraschend heraus: "Sie reden totalen Quatsch."

Zwölf Männer aus sechs Bundesländern, drei von ihnen aus Minden und Hamm, sind am Oberlandesgericht Stuttgart angeklagt, eine terroristische Vereinigung gegründet oder unterstützt zu haben. Der Prozess läuft seit April 2021 und sollte nächste Woche fortgesetzt werden.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 13.01.2022:

Terror-Prozess: "Bei Brot und Wein wird Krieg besprochen"

13.01.2022 - 19.02 Uhr

Von Thomas Wöstmann

Im Staatsschutz-Prozess um die so genannte Gruppe S. in Stuttgart hat einer der zwölf Angeklagten umfassend ausgesagt. Die Gruppe soll bei Treffen, unter anderem in Minden, Terroranschläge geplant haben, um einen Bürgerkrieg anzuzetteln.

Fünf Stunden lang wurde Marcel W. aus Bayern am Donnerstag vom Vorsitzenden Richter ausgiebig befragt. Vor allem ging es um das, was er im Internet geschrieben hatte, vor dem Treffen der zwölf im Februar 2020 in Minden. Immer wieder hatte sich W. in Sozialen Medien mit Werner S., dem mutmaßlichen Kopf der Gruppe, ausgetauscht.

"Sturm der Gerechtigkeit"

Er selbst sei davon ausgegangen, dass es bei dem Mindener Treffen nur darum gehe, gemeinsame Aktionen mit anderen rechten Gruppen gegen die Antifa zu besprechen, sagte W. - er selber würde Gewalt ablehnen und "nie Moscheen angreifen".

Die heute vorgestellten Chat-Verläufe lassen anderes vermuten. "Bei Brot und Wein wird Krieg besprochen", hatte S. angekündigt. Es sei "die letzte Chance, einen Sturm der Gerechtigkeit herbeizuführen". Und: "Dieses Jahr wird es geschehen!"

Mitglied von Wodans Erben

W. war führendes Mitglied von Wodans Erben, einer rechtsextremen, bürgerwehrähnlichen Gruppe. So hatte er S. kennen gelernt, der im Netz nach Mitstreitern gesucht hatte. Auch als das Gericht W. seine eigenen Chats vorhielt ("Deutschland und der Widerstand muss leben. Wir sind das letzte Bataillon"), blieb er bei seiner Aussage, dass er in Minden mit einem eher harmlosen Treffen gerechnet habe: "Das war viel Dicke-Hose-Gemache".

Zwölf Angeklagte stehen seit April 2021 in Stuttgart. Sie waren nach dem Treffen in Minden im Februar 2020 festgenommen worden.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 02.12.2021:

Prozess um "Terror-Gruppe S.": Angeklagter ist sich "keiner Schuld bewusst"

02.12.2021 - 18.07 Uhr

Im Prozess um die so genannte "Terror-Gruppe S." hat am Donnerstag der Angeklagte Tony E. seine Aussage fortgesetzt. Obwohl er laut Anklage als eine der treibenden Kräfte galt, bezeichnete sich E. heute als unschuldig.

"Ich bin mir keiner Schuld bewusst, weder damals noch heute", sagte E. gegen Ende seiner etwa dreistündigen Aussage. Vor dem ominösen Treffen in Minden Anfang Februar 2020, das als Grundlage für die Terrorismus-Vorwürfe des Generalbundesanwalts gilt, sei in seiner Anwesenheit nie konkret darüber gesprochen worden, dass dort eine Gruppe gebildet werden soll, um Terrorakte zu verüben.

Im Vorfeld ging es nicht um Anschläge

Auch um Anschläge oder Gewaltakte sei es im Vorfeld nicht gegangen. Er sei sich sicher, so E., dass sich "ein Großteil der Angeklagten dagegen ausgesprochen hätte" - auch er selbst.

Angeklagte sollen Terroranschläge geplant haben

Bei dem Prozess geht es um insgesamt zwölf Angeklagte. Den Männern aus fünf Bundesländern wird vom Generalbundesanwalt vorgeworfen, eine terroristische Gruppe gegründet oder unterstützt zu haben.

Der Prozess läuft seit April am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim und soll nächste Woche fortgesetzt werden.

"Es ging nur ums persönliche Kennenlernen"

E. führte heute aus, er sei nach Minden gefahren, um dort interessante Menschen persönlich kennen zu lernen, die er vorher durch Chat-Gruppen kannte: "Wenn man politisch etwas erreichen möchte", sei es wichtig, gute Kontakte zu haben.

Insgesamt sprach E. von einer "riesigen Szene". Für ihn sollte in Minden zwar eine neue Gruppe gegründet werden, jedoch als Alternative zu den Gruppen, in denen er sich vorher aufhielt; mögliche Themen seien "Heimat, Asylpolitik, Demonstrationen" gewesen.

"So etwas wie Freundschaft" zu S.

Zu Werner S., dem Namensgeber der mutmaßlichen Terror-Gruppe, habe er "schon so etwas wie Freundschaft" empfunden. Für ihn wäre er der Kopf einer neu zu gründenden Freikorps-Gruppe gewesen, neben ihm selbst und einem weiteren Mann, der dann aber nicht zu dem Mindener Treffen gekommen sei.

E. selbst war nach eigenen Angaben bereits zuvor Führungskraft im so genannten Freikorps Heimatschutz, einer mutmaßlich gewaltbereiten, bürgerwehrähnlichen Gruppe aus der rechten Szene.

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Spiegel Online, 25.11.2021:

Terror-Prozess gegen "Gruppe S."

25.11.2021 - 20.10 Uhr

Altruistisch, ausgeglichen, sozial kompetent - die Selbstwahrnehmung des Rechtsextremisten E.

Tony E. gilt als Mitanführer einer Gruppe mutmaßlicher Rechtsterroristen. Vor Gericht zeichnet er ein harmloses Bild von sich. Doch die Ermittlungen sprechen eine andere Sprache.

Von Julia Jüttner, Stuttgart

Der "Seelenbruder" hat Muffensausen. Zwei Justizwachtmeister führen Tony E. zum Zeugenstand und nehmen ihm die Handfesseln ab. Er hat heute im Saal des Oberlandesgerichts Stuttgart auf dem Gelände des Hochsicherheitstraktes in Stammheim seinen großen Auftritt. Es ist seine Chance, die Richter von seiner Version zu überzeugen.

Die Anklage geht davon aus, dass E. mit der "Gruppe S." einen Bürgerkrieg anzetteln und ein Staats- und Gesellschaftssystem nach seinen menschenverachtenden Vorstellungen etablieren wollte. Tony E. war dem Generalbundesanwalt zufolge die "rechte Hand" des Rädelsführers Werner S., sein "Seelenbruder"; bereit, für die Ziele der Gruppe sein Leben zu opfern.

Der Staatsschutzsenat hat schon durchblicken lassen, dass er zwar Gründungsort und -zeitpunkt anders sieht als die Anklagebehörde, aber ebenso davon ausgeht, dass sich mit der "Gruppe S." tatsächlich eine terroristische Vereinigung zusammenfand.

Alltagspfleger "mit viel Freude"

Tony E. putzt sich die Nase. Er trägt ein blaues Hemd, darüber ein blaues Sakko. Vor sich legt er einen dicken Stapel Papiere, getippt und beidseitig bedruckt. Rechts von ihm setzt sich sein Verteidiger Heiko Hofstätter. "Stellungnahme zu Person und Sache", liest E. ab. Sein Vortrag wird mehrere Stunden dauern und an diesem Tag nicht beendet werden.

Der eine oder andere werde ihn für einen "Verräter" halten, sagt Tony E. an die elf Mitangeklagten gerichtet. Das könne er nur "entschieden negieren", betont E. "Es gibt nichts zu verraten." Es ist der Prolog eines Geständnisses, mit dem er sich selbst in ein gutes Licht rücken will.

Tony E., geboren im thüringischen Nordhausen, zuletzt wohnhaft in Wriedel in der Lüneburger Heide, ist 41 Jahre alt, Vater von zwei kleinen Söhnen und gelernter Industriekaufmann mit beruflicher Achterbahn: Erst war er Zeitsoldat, anschließend arbeitete er als selbstständiger Versicherungsmakler, Ladendetektiv, Sicherheitskraft und als Angestellter in einem Büro. Er jobbte nebenbei als Türsteher und Security-Mitarbeiter und ließ sich nach seiner Elternzeit zum Alltagsbetreuer ausbilden. Bis zu seiner Festnahme arbeitete er bei einem ambulanten Pflegedienst, "mit viel Freude", wie er sagt.

Vom "Querdenker" zum "Freigeist"

Seine Ehefrau sei nach seiner Inhaftierung Anfeindungen ausgesetzt gewesen und habe Zweifel gehegt, wen sie da offensichtlich geheiratet habe; inzwischen habe sie die Scheidung eingereicht.

E. aber beschreibt sich als "ausgeglichenen Zeitgenossen", altruistisch, zuverlässig, prinzipien-, wort- und werttreu; als loyal, sozial kompetent und voller positiver Lebenseinstellung mit der Neigung, Menschen mit "gleicher Einstellung" zu voreilig einen Vertrauensvorschuss zu geben. Er betrachte sich als "Querdenker", sagt E., aber seit Corona sei dieser Begriff negativ besetzt, daher passe wohl besser: "Freigeist".

E. ist nicht vorbestraft, aber ein Rechtsextremist. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft sind seine Feindbilder klar definiert: Menschen jüdischen Glaubens, dunkelhäutige Personen, Asylsuchende und Politiker, die nicht seiner Meinung sind. Auf seinem Handy wurde rechtsextremes Gedankengut sichergestellt, darunter menschenverachtende Karikaturen, Hakenkreuze und Dokumente zur Leugnung des Holocaust.

Anhänger der "Reichsbürger"-Szene

Er bedauere "scharfzüngige Äußerungen", die er in der Vergangenheit getätigt habe, betont E. im Gericht. Welche genau er meint, sagt er nicht. Als einer, der das System der DDR ebenso wie das der BRD kenne, habe ihn ab 2014 "die Entwicklung Deutschlands tiefgreifend bewegt". Mit "aller Vehemenz" aber distanziere er sich von Terrorismus und Nationalsozialismus. Er verurteile Anschläge wie den in Hanau, aber eben auch die islamistischen Anschläge auf den Berliner Weihnachtsmarkt oder in Würzburg im Juni.

E. gehört nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft der "Reichsbürger"-Szene an. Er war Führungsmitglied der rechtsextremen Gruppierung "Freikorps Heimatschutz Division 2016" und Anhänger anderer Gruppen wie der "Bruderschaft Deutschland", einem bürgerwehrähnlichen Zusammenschluss von Rechtsextremisten, Türstehern, Hooligans und Kampfsportlern.

Im Gericht zählt E. namentlich seine Freundschaften zu Menschen mit Migrationshintergrund auf und schwärmt, wie gern er beim Pakistaner einkaufe, sich beim Orientalen frisieren lasse, beim Asiaten esse und die Thai-Massage besuche. In Untersuchungshaft helfe er Mitgefangenen beim Verfassen von Schreiben. Er habe "ein Problem mit der zunehmenden Islamisierung" und fürchte eine Bedrohung für Deutschland und Europa, trotzdem sei er ein Befürworter der Demokratie. Er gibt sich Mühe, glaubhaft zu klingen und er genießt es, seine Eloquenz zur Schau zu stellen.

Im Chat herrschte Hitler-Verbot

Seinen Kontakt zum mutmaßlichen Initiator der "Gruppe S.", Werner S., redet E. klein. So hätten sie anfangs lediglich Gespräche am Telefon geführt, "es ging um Hunde und Politik". Anschlagspläne und Waffen seien kein Thema gewesen. Erst im Juli 2019 sei man sich erstmals persönlich begegnet.

Über unterschiedliche Messenger-Dienste soll sich Tony E. mit Werner S. und anderen über Pläne zum Umsturz des Staatssystems ausgetauscht haben. Die Regeln waren strikt: Keine Bilder von Waffen oder Adolf Hitler, keine Nazi-Sprüche oder Aufrufe. Die Codewörter für Waffen lauteten "E-Bike", "Akku" oder "Hardware".

Er habe sich für die Inhalte der verschiedenen Chat-Gruppen nicht interessiert, behauptet Tony E. Das erste Treffen mit anderen, späteren Unterstützern der "Gruppe S." Ende September 2019 am Grillplatz "Hummelgautsche" im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald spielt E. herunter. Auf Grund des steigenden Alkoholpegels sei am ersten Abend keine Konversation möglich gewesen. Auch am Tag darauf sei nicht wirklich etwas besprochen worden.

"Tief in die Augen sehen"

Beim Treffen in Minden im Februar 2020 sei S. der Tonangebende gewesen, sagt E. Dieser habe auf dem Weg zu der Verabredung angekündigt, er werde allen Teilnehmern "eine Frage stellen und ihnen tief in die Augen sehen". E. will nicht nachgefragt haben. Auch will er "irritiert" gewesen sein, als S. der Truppe mitgeteilt habe, man sei längst aus dem Stadium raus, mit Plakaten und Flyern etwas zu bewegen. E. spricht von "Stimmungswechsel" und veränderter "Atmosphäre". Paul-Ludwig U., der fragwürdige Kronzeuge in diesem Verfahren, habe schließlich eine Debatte ausgelöst, indem er gerufen habe, man müsse Moscheen anzünden. Eine Zustimmung habe es dafür jedoch nicht gegeben.

Vielmehr habe S. nach einer Runde Brötchen mit Mett und Käse zweimal gefragt, wer wie viel Geld zur Verfügung habe und wer Waffen besorgen könne. Mehr sei nicht passiert. Seine Schilderung widerspricht massiv den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft, die dem rechtsgesinnten Dutzend die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten zurechnet. Nach Ansicht der Ankläger bestand eine reale Terrorgefahr: Die Männer sollen Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Muslime geplant haben, um möglichst viele Menschen zu töten und einen Bürgerkrieg zu entfachen.

Als Tony E. auf Seite 57 seiner Stellungnahme ist, unterbricht ihn der Senatsvorsitzende. Einem der anderen Angeklagten gehe es nicht gut. Die Verhandlung wird für diesen Tag beendet. Die restlichen 29 Seiten dürften vermutlich auch anderen Prozessbeteiligten noch auf den Magen schlagen.

Bildunterschrift: Angeklagte in Stuttgart-Stammheim: Wollte die "Gruppe S." das Staats- und Gesellschaftssystem stürzen?

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 25.11.2021:

Terror-Gruppe S.: Zwei weitere Treffen in OWL?

25.11.2021 - 14.58 Uhr

Mitglieder der so genannten Terror-Gruppe S. sollen sich zwei weitere Male in OWL getroffen haben. Das berichtete einer der Angeklagten heute beim Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart.

Die so genannte Terror-Gruppe S. soll im Februar 2020 nach weiteren möglichen Mitgliedern in OWL Ausschau gehalten haben. Ein Angeklagter berichtete heute am Oberlandesgericht in Stuttgart, dass es neben dem bisher bekannten Treffen in Minden zwei weitere Zusammenkünfte gegeben haben soll.

Erstmals Aussagen von Tony E. vor Gericht

Mit Spannung war die Aussage von Tony E. vor Gericht erwartet worden. Er gilt als "rechte Hand" des mutmaßlichen Chefs der Gruppe, Werner S. Zwei Stunden berichtete E. über sich und die Vorwürfe aus der Anklageschrift. Der gelernte Industriekaufmann war zuletzt Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes. Er bestätigte, dass bei dem Treffen in Minden darüber gesprochen worden sei, Moscheen anzugreifen.

Auch Geld sollte gesammelt werden und über Waffenkäufe sei gesprochen worden - letzteres allerdings nicht im Zusammenhang mit Terrorakten, sondern, um sich zu verteidigen, sollte es einen "Tag X" geben. Er selber habe sich eher gewundert über die Inhalte, die bei dem Treffen besprochen worden seien und sich zurückgehalten.

"Gegen Gewalt und Terrorismus"

Wie schon andere Angeklagte stellte sich E. gegen den Vorwurf, rechtsradikal zu sein. Er sei gegen Terrorismus und Nationalsozialismus und würde niemals zu Gewalt aufrufen. Er habe aber ein Problem mit zunehmender Islamisierung, weil der Islam nicht ohne weiteres mit "unserer Kultur" zu vereinbaren sei.

Gleichzeitig gab E. in seiner Aussage aber an, Führungsmitglied und Geschäftsführer des Freikorps Heimatschutz gewesen zu sein, einer mutmaßlich gewaltbereiten, bürgerwehrähnlichen Gruppe. Sie stellt sich in ihren Aussagen "gegen Migranten und für das deutsche Volk".

E.: Treffen mit möglichen Kandidaten

Überraschend ist auch E.s Aussage über den Tag nach dem Mindener Treffen: Werner S. und er hätten sich demnach in Minden und Bad Oeynhausen mit möglichen weiteren Kandidaten für die Gruppe getroffen. Die beiden Männer aus OWL wären aus Sicht von S. interessant gewesen. Die Treffen seien aber eher oberflächlich und unspektakulär verlaufen. Wenige Tage später nahm die Polizei S. und elf weitere Männer fest.

Gutachter berichtet über den Polizeiinformanten

Zuvor hatte ein psychiatrischer Gutachter aus Bielefeld über Paul U. berichtet - den Polizeiinformanten, dessen Aussagen die Gruppen hatten auffliegen lassen. Er hatte U. vor sechs Jahren als forensischer Patient begutachtet.

Der Gutachter schilderte ihn als intelligenten, reflektierenden und glaubhaften Menschen. Dennoch attestierte er ihm damals eine gestörte Persönlichkeit und eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. Durch ein anderes Gutachten wurde U. aber frei gelassen und kam Jahre später in Kontakt zur so genannten Gruppe S.

Zwölf Männer sind in Stuttgart angeklagt, weil sie in Minden Terroranschläge geplant haben sollen. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

Wenige Tage später flog die mutmaßliche Terror-Gruppe auf. Zwölf Männer sitzen seit April in Stuttgart vor Gericht.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 18.11.2021:

Terror-Gruppe S.: Angeklagter aus Minden äußert sich erstmals

18.11.2021 - 14.39 Uhr

Beim Terror-Prozess gegen die so genannte Gruppe S. am Oberlandesgericht Stuttgart hat sich am Donnerstag ein weiterer Angeklagter und vermeintlicher Rechtsterrorist aus Minden geäußert.

Markus K. aus Minden ließ seine Aussagen von seiner Anwältin verlesen - und zeichnete darin von sich das Bild eines eher unpolitischen Menschen. Der Generalbundesanwalt wirft ihm vor, mit elf anderen Männern Terroranschläge geplant zu haben, um einen Bürgerkrieg in Deutschland zu provozieren.

"Ich habe NPD-Plakate weggeworfen"

Als Jugendlicher und junger Mann, so ließ K. verlesen, sei er in die Gruppe der Skinheads geraten - "ich wollte etwas Besonders darstellen", so der Angeklagte. Später sei er dann in der rechten Szene tätig gewesen, habe Plakate geklebt und Flugblätter verteilt.

Dies habe sich jedoch vor ungefähr elf Jahren geändert, nachdem er seine jetzige Lebensgefährtin kennengelernt habe und er bei einer festen Arbeitsstelle untergekommen sei. Er habe sogar 100 NPD-Plakate weggeworfen - "seitdem war ich nicht mehr politisch".

Keine Äußerung zu den Vorwürfen

Im Internet habe er sich dann über "Entnazifizierung" informiert. Unter Reichsbürgern wird der Begriff verwendet, um ihre Zugehörigkeit zum deutschen Kaiserreich zu dokumentieren. Dies sei aber nur ein "seltsames Hobby" von ihm gewesen.

Nach seiner Festnahme habe er sich in den Gefängnissen entwürdigt gefühlt. Er habe das Gefühl gehabt, alle wollten "mich in den Dreck treten". Fragen ließ K. nicht zu. Zu den Vorwürfen der Anklage, Terroranschläge gegen Moscheen geplant zu haben, wollte er sich nicht äußern.

Weiterer Angeklagter kündigt Aussage an

Der Prozess gegen die so genannte Gruppe S. läuft seit April. Die meisten der zwölf Angeklagten haben sich bisher nicht geäußert. Allerdings kündigte jetzt Tony E., laut Anklage die rechte Hand des mutmaßlichen Gruppenchefs Werner S., noch für diesen Monat eine Aussage an.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 16.11.2021:

Terror-Prozess um Gruppe S.: Abgehörte Telefonate zeigen Gewaltbereitschaft

16.11.2021 - 18.08 Uhr

Von Thomas Wöstmann

Aufgezeichnete Telefongespräche haben im Prozess um die so genannte Terror-Gruppe S. für Kopfschütteln gesorgt. Zwölf Männern wird vorgeworfen, Terroranschläge geplant zu haben.

Das Telefon von Thomas N. aus Minden war von den Behörden abgehört worden - im Gespräch mit einem Bekannten trat sein Weltbild offen zu Tage. Im Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wurden nun Teile der Telefon-Gespräche vorgespielt.

Zum einen wurde deutlich, dass N. der so genannten Reichsbürger-Szene angehört: "Das Deutsche Kaiserreich existiert heute noch", so der Mindener.

Telefonate offenbaren hohe Gewaltbereitschaft

Zum anderen ließen seine Worte auf eine hohe Gewaltbereitschaft schließen: Politikern der Grünen "kannst du doch nur den Kopfschuss geben", sie gehörten "totgeschlagen". Deutsche Politiker, wie Bundeskanzlerin Merkel, "nehmen uns die Heimat und wollen unseren Nationalstolz brechen", sagte N. in den abgehörten Telefongesprächen.

Zudem zeigte sich N. ausländerfeindlich und antisemitisch und bezeichnete mehrere internationale Politiker als "Juden".

Die Aussagen von Thomas N. sorgten vor dem Oberlandesgericht Stuttgart für Kopfschütteln: "Es fällt schwer, diese Person ernst zu nehmen", so einer der Verteidiger. Insofern sei N. auch nicht in der Lage, terroristische Gewaltakte zu planen oder zu verüben.

Enger Austausch zwischen Behörden und Polizei-Informant

Weiterhin offenbarte sich heute erneut, wie eng der Austausch zwischen der Schlüsselfigur des Prozesses, Paul U. und den Ermittlern war. U., der als Mitglied der Gruppe auch angeklagt ist, informierte immer wieder telefonisch Polizeibeamte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg über die nächsten Schritte. Auch diese Gespräche wurden im Prozess am Dienstag vorgespielt.

Aussagen angekündigt

Für die nächsten Prozesstage haben zwei weitere Angeklagte Aussagen angekündigt. Zum einen Tony E. - er gilt als rechte Hand des vermeintlichen Gruppenchefs Werner S.. Und Markus K. aus Minden, seine Angaben sollen am Donnerstag (18.11.2021) verkündet werden.

Zwölf Männern wird vorgeworfen, Terroranschläge geplant zu haben, um einen Bürgerkrieg in Deutschland zu provozieren. Der Prozess läuft seit April.

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