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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 05.09.2008 :

Tagebuch einer deutschen Palästinenserin / Die Schriftstellerin Sumaya Farhat-Naser las in der Löhner Volkshochschule

Von Ulf Hanke

Löhne. Schwarz-weiß ist das Halstuch. Arafat hat es auf dem Kopf, viele Jugendliche in Deutschland um den Hals getragen. Das Pali-Tuch ist ein Zeichen der Verbundenheit mit dem Schicksal der Palästinenser – und eine einseitige Parteinahme. Am Mittwochabend las die palästinensische Schriftstellerin Sumaya Farhat-Naser aus ihrem Tagebuch. Schwarz und Weiß, das wurde schnell klar, sind nicht ihre Farben.

Es ist ein leiser Beginn. Sumaya Farhat-Naser nimmt im Scheinwerferlicht auf der Bühne im Saal II der Werretalhalle vor 50 Zuhörern Platz. Klein, einsam, fast verloren wirkt die zierliche Frau auf der riesigen Bühne. Die Kulisse, denkt man, ist zu mächtig für die persönlichen, intimen Tagebucheinträge, die diese Frau gleich vortragen wird. Dann beginnt die Schriftstellerin in fließendem Deutsch: "Das, was ich geworden bin, bin ich dank Deutschland."

Sumaya Farhat-Naser ist Friedensvermittlerin in einem Land, das es nicht gibt, um das ein erbitterter Krieg zwischen Besatzern und Besetzten geführt wird. Eigentlich ist die 60-Jährige Botanikerin. Aber alles, was man in Palästina macht, ist irgendwie politisch. Selbst die Wissenschaft von den Pflanzen. Und auch wenn Farhat-Naser ihrem Publikum in Deutschland vor allem das Positive aus Palästina vermitteln will, das Negative verschweigt sie nicht: "Die israelische Besatzung ist eine der brutalsten der Geschichte."

Dann greift die Schriftstellerin zur Lesebrille und liest aus ihrem Tagebuch von Juni 2006 bis März 2007. Es ist ziemlich genau die Zeit, als Israel gegen Libanon Krieg führte. Doch das erwähnt Sumaya Farhat-Naser nicht mit einer Zeile. Stattdessen liest sie ihren Zuhörern die Tagebucheinträge vor, die sie zur Heirat ihres Sohnes geschrieben hat.

Ihr Sohn ist Arzt, hat in Innsbruck studiert. "Er ist in seinem Denken durchaus westlich", sagt Farhat-Naser. Aber in seiner Brautschau bleibt er Palästinenser. Er bittet seine Schwester, die Frau seiner Träume anzusprechen und ein erstes Treffen zu arrangieren, ohne dass der Vater davon etwas mitbekommt. Eine umständliche Prozedur. Und nicht ohne Komik. Schließlich gelingt das Treffen, die Braut willigt ein, die Väter auch, die Hochzeit wird geplant. "In Palästina", sagt Sumaya Farhat-Naser ihrem Sohn, "heiratest du nicht nur eine Frau, sondern ein ganzes Dorf!" Also stehen 600 Leute auf der Einladungsliste, es wird aber für 800 gekocht.

Die Zuhörer im Saal hören die Geschichte von der Hochzeit gern. Sie lachen erleichtert über diesen Funken von Lebensfreude. Sumaya Farhat-Naser spricht aber auch über andere Normalitäten. Sie erzählt von den palästinensischen Kollaborateuren. "Sie werden als Kinder rekrutiert und erpresst", sagt sie.

Dieses Kriegsverbrechen durch Israel sei ein Thema, dass in den Medien verschwiegen werde, ein Tabuthema das auch für sie gefährlich sei. "Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass das aufhört", sagt Sumaya Farhat-Naser. Nach dem Vortrag herrscht minutenlang Stille.

Botanikerin mit zweiter Gabe

Sumaya Farhat-Naser ist Botanikerin. Sie hat in Hamburg studiert. Das evangelische Studienwerk Villigst hat ihr ein Stipendium gewährt. Von 1982 bis 1997 hat sie als Dozentin an der palästinensischen Universität in Bir Zait gelehrt. Bekannt geworden ist die 60-Jährige aber durch ihre Arbeit als Friedensvermittlerin und Schriftstellerin.

Bildunterschrift: Autogrammstunde: Die Löhnerin Jutta Helling (Bildmitte) lässt sich gleich drei Bücher von Sumaya Farhat-Naser (li.) signieren. Vor 15 Jahren hat sie die Schriftstellerin zum ersten Mal gelesen.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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