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Schaumburger Zeitung , 05.11.1998 :

Abschiebung droht: Mitschüler kämpfen für Ermina und Aldijana

Von Frank Werner

Bückeburg. Für Elena Hermann, Klassensprecherin der 7d der Herder-Realschule, ist Politik etwas Absurdes. Da leben ihre Mitschülerinnen Ermina Skamo (12) und Aldijana Basic (13) schon seit Jahren in Deutschland, haben Freunde gefunden und in der Schule Fuß gefaßt. Und plötzlich soll alles vorbei sein. Die beiden bosnischen Mädchen und ihre Familien, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen waren, sollen ausgewiesen werden.

Elena Hermann und Gül Say aus der 7d haben an die 500 Protest-Unterschriften gegen die drohende Abschiebung gesammelt. Ihre Chancen allerdings stehen schlecht: Der Innenausschuss des Niedersächsischen Landtages ließ sich gestern nicht auf eine Verlängerung des Bleiberechtes ein.

Ermina Skamo ist seit dem Kindergarten in Deutschland, spricht Deutsch besser als ihre Muttersprache und hat laut Klassenlehrer Uwe Wilharm alle Chancen, die Realschule zu meistern. Danach möchte sie auf's Gymnasium und eine Ausbildung beginnen. Doch am 30. November läuft die Aufenthaltserlaubnis für ihre Familie ab. Es droht der kalte bosnische Winter, das Zittern in einem überfüllten Auffanglager nahe Sarajevo. Die Familie müsste dort in Zelten leben, denn vom eigenen, dreistöckigen Haus steht nach dem Krieg nur noch die Garage.

Am meisten Angst hat Ermina aber davor, im fremden Heimatland keinen Anschluß mehr zu finden. "Ich habe doch mein halbes Leben hier verbracht und alle Freunde hier." Ähnlich geht es ihren Brüdern: Einer hat eine Lehre als Friseur begonnen, der andere als Einzelhandelskauf mann. Auch der Vater stand in Lohn und Brot – bis ihm die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Elena Hermann und Gül Say, die Mitschülerinnen aus der 7d, wollen nichts unversucht lassen, um die Abschiebung zu verhindern.

"Es war wie eine Initialzündung", erinnert sich Uwe Wilharm an den Moment, als er seinen Schülern von der drohenden Ausweisung der beiden Mädchen berichten musste. "Sie haben plötzlich registriert, dass das, was in Bonn geschieht, zwei Schülerinnen ihrer Klasse betrifft." An die 500 Unterschriften haben die Siebtklässler der Herderschule seit Beginn der Herbstferien in Bückeburg gesammelt. Und Briefe geschrieben, die den Landtagsabgeordneten Alfred Reckmann (SPD), Innenminister Heiner Bartling, Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Zeit schrift "Bravo" erreichen sollen.

Besonders von Bartling erhoffen sie sich Hilfe: Schließlich war der frischgebackene Minister ehemals selbst ein Herderschüler. Doch die Chancen, dass wenigstens ein Aufschub gewährt wird, sind gleich Null. Es gilt der Erlass von Ex-Bundesinnenminister Kanther, der die Rückführung der Bosnien-Flüchtlinge aus Deutschland regelt. Hoffnung keimte allein auf, als der Landtag eine Petition der Familie Skamo auf Drängen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen nicht von vornherein abtat, sondern zur Beratung in den Innenausschuss verwies. Dort stand Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, gestern allerdings allein auf weiter Flur: CDU und SPD wiegelten ab, als es um einen Aufschub des Ausweisungstermins ging. Stokar hatte eine Verlängerung des Bleiberechtes um ein Jahr gefordert, denn sie hält es für "Irrsinn", dass die Abschiebung mitten in der Ausbildung erfolgen soll.

Dass der Landtag angesichts der Gesetzeslage machtlos sei, wie Alfred Reckmann (SPD) unserer Zeitung erklärt, will die Grünen-Politikerin so nicht hinnehmen: Die Rechtslage lasse viele Interpretationen zu. Ihr geht es darum, keine Tatsachen zu schaffen, bevor im November die nächste Innenminister-Konferenz getagt hat. Nachdem der Ausschuß das Thema gestern allerdings ins Plenum zurückverwies, kann auch Stokar nur auf ein "Wunder" hoffen, damit Familie Skamo Weihnachten noch in Bückeburg erlebt.


sz@schaumburger-zeitung.de

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