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WebWecker Bielefeld , 18.02.2004 :

Schreckliche Bilanz: Drei Selbstmorde in 2003

"Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen 302 Flüchtlinge ums Leben – durch rassistische Übergriffe starben 78 Flüchtlinge." Dies ist das Fazit einer umfangreichen Untersuchung für den Zeitraum von 1993 bis 2003 der Berliner "Antirassistische(n) Initiative", die ihre Dokumentation "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen" in der 11. aktualisierten Auflage veröffentlicht hat.

Die Dokumentation belege, schreibt die Antirassistische Initiative, die Auswirkungen einer rigorosen Asylverweigerungspolitik. Die Untersuchung beschreibt dabei in 3.400 Einzelgeschehnissen die Folgen einer "Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik für die Flüchtlinge".

In Ostwestfalen-Lippe gab es im vergangenen Jahr aus Angst vor Abschiebung drei Selbsttötungen:

Am 16. Januar 2003 erhängte sich der yezidische Flüchtling David Mamedov in seiner Wohnung in Schloß Holte. Er hinterlässt eine Frau und zwei minderjährige Söhne. Die Familie war 1996 nach schweren Mißhandlungen aus Georgien geflohen. Am 10. Februar wurde sie als aslyberechtigt anerkannt. Das Verwaltungsgericht Minden hat jedoch diese Anerkennung nach einer Klage des Bundesbeuaftragten für Asyl-Angelegenheiten aufgehoben. Am 30. Juni, kein halbes Jahr nach dem Tod des Ehemannes und Vaters, wurden Frau Mamedov und die Kinder von der Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh aufgefordert, "das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen". Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Am 31. Juli 2003 übergiesst sich der 33 Jahre alte Türke Hüseyin Dikec in einer Außenstelle der Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh mit Grillanzünder und setzt sich in Flammen. Er läuft brennend über den Flur, bis er von zwei Polizeibeamten und Mitarbeitern der Ausländerbehörde mit Pfefferspray überwältigt wird. Dann gelingt es, die Flammen mit Jacken, Decken und Feuerlöschern zu löschen. Schwer verletzt am Kopf und Oberkörper kommt Hüseyin Dikec zunächst ins Krankenhaus Rheda-Wiedenbrück, später in die Spezialklinik Bergmannsheil nach Gelsenkirchen.

Seiner Verzweiflungstat ist eine verbale Auseinandersetzung seiner Frau mit dem zuständigen Sachbearbeiter vorausgegangen, weil am Vortag das Oberverwaltungsgericht Münster die Beschwerde ihres Mannes gegen eine Abschiebungsverfügung abgelehnt hat. Zu diesem Streitgespräch ist Hüseyin Dikec hinzugekommen und hat sich in einer Ecke des Raumes in Flammen gesetzt. Dabei wird auch seine Frau leicht verletzt, so dass sie ins Städtische Krankenhaus Gütersloh eingeliefert werden muss. Am 24. August erliegt Hüseyin Dikec seinen Verletzungen.

Hüseyin Dikec hatte seine Selbsttötungsabsicht seinem Anwalt mitgeteilt, der dieses an die Behörde weitergab. Aus diesem Grunde waren die Polizeibeamte in der Ausländerbehörde relativ schnell zur Stelle. Der Gütersloher Landrat Sven-Georg Adenauer kommentierte am 31. Juli diese Verzweiflungstat wie folgt: "Es ist unglaublich, mit welchen Mitteln die Ausreise verhindert werden sollte. ( ... ) Wir lassen uns auch künfig nicht unter Druck setzen, erst Recht nicht durch solche Aktionen."

Am 23. September geht der 51 Jahre alte Georgier David Kapadnadze in Hiddenhausen (Kreis Herford) zur Tankstelle und kauft sich Benzin. Im Vorgarten seines Wohnhauses giesst er es über Kopf und Körper und zündet sich an. Er stirbt am folgenden Tag an seinen Verbrennungen.

David Kapadnadze, studierter Betriebswirt, hatte 1992 in Georgien aus politischen Gründen seine Arbeit in den Kommissionen für Wirtschaft und Soziales verloren und wurde fortan immer wieder von der Polizei abgeholt und aufs Schwerste mißhandelt und gefoltert. 1999 war er nach Deutschland geflohen und hatte politisches Asyl beantragt. Durch die erlebte Folter litt er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und war immer wieder suizidgefährdet.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge entschied seinen Antrag positiv. Der Bundesbeauftragte klagte allerdings umgehend gegen diese Entscheidung.

David Kapadnadze musste erneut alle drei Monate zur Ausländerbehörde des Kreises Herford, immer in der Angst, abgeschoben zu werden. Im Juni erfuhr er, dass zwei seiner Neffen in Georgien unter ungeklärten Umständen erstochen wurden. Im Juli erging vom Ausländeramt die Abschiebungsverfügung für seinen 18 Jahre alt gewordenen Sohn.

Das Detmolder "Internationale Beratungszentrum" (ibz), dass für den Bereich Ostwestfalen-Lippe der Antirassistischen Initiative zugearbeitet hatte, weist in diesem Zusammenhang auch auf eine "erfreuliche Nachricht" hin: Der in Detmold lebende kurdische Flüchtling Muhsin Sit, der im Mai 2002 einen Suizidversuch überlebte, ist nun endgültig als politischer Flüchtling anerkannt. Der Familienvater war in der Türkei mehrfach festgenommen und schwer gefoltert worden und litt an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit begleitender Suizidgefährdung. Obwohl dies fachärztlich mehrfach attestiert war, versuchte die Stadt Detmold, die Familie im Mai 2002 in die Türkei abzuschieben. Gegen die Anerkennung als politisch Verfolgter durch das OVG Münster im Dezember vergangenen Jahres, hatte der Bundesbeautftragte kein Rechtsmittel mehr eingelegt.


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