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Lippische Rundschau , 02.02.1981 :

Regierungspräsident Stich: Was sollen die Eltern von solchen Lehrern halten?

Detmold (hof). Regierungspräsident Walter Stich hat auf eine "öffentliche Erklärung" von 111 lippischen Lehrern nach der Räumung der besetzten Klingenberg-Fabrik durch die Polizei mit einem Brief reagiert. Die Pädagogen hatten in einer Anzeige der Lippischen Landes-Zeitung in dem Polizeieinsatz "einen weiteren Beweis für die gefährliche Tendenz" gesehen, "dass die Behörden politische Konflikte mit massiver Gewalt 'lösen'". Diese "Tendenz, gesellschaftspolitische Konflikte mit Gewalt zu lösen", erschwere ihnen ihre Aufgabe, betonten die 111 Lehrer, die - eigenem Bekunden zufolge - "die Ermutigung zu selbstbestimmten politischen Handeln in einer demokratischen Gesellschaft" im Vordergrund ihrer Arbeit sehen. Der Dienstherr der Lehrer, Regierungspräsident Walter Stich, hat in dem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben nach Auskunft seines persönlichen und Presse-Referenten, Regierungsrat Dr. Albrecht Peter Pohle, betont, dass bei der ganzen Aktion nicht die Rede davon sein könne, dass politische Konflikte mit Gewalt gelöst werden sollten und würden. Die Besetzer hätten freiwillig das Klingenberg-Gebäude verlassen, zur Anwendung von Gewalt sei es gar nicht gekommen.

Mit Blick auf die Schüler, die den Lehrern anvertraut seien, schreibt Stich weiter, "selbstbestimmtes politisches Handeln" könne sich immer nur im Rahmen der rechtstaatlichen Ordnung bewegen. Dazu gehöre auch, dass die von den parlamentarischen und sonstigen Gremien getroffenen Entscheidungen von denen respektiert würden, die in der Sache anderer Meinung seien. "Hierfür auch bei Schülern einzutreten, sollte wesentliches Anliegen auch bei Erziehern sein."

Insbesondere - so Stich weiter - dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass Lehrer in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stünden, dessen wesentliches Element und Fundament die Rechtsordnung sei.

Der Regierungspräsident lässt in seinem Schreiben keinen Zweifel an der Auffassung, dass die Hausbesetzung auf jeden Fall den strafrechtlichen Tatbestand des Hausfriedensbruches erfülle. Eine Solidarisierung durch die öffentliche Erklärung der lippischen Lehrer sei "problematisch". Der RP fügt den Hinweis hinzu, dass die Schule zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten im politischen und gesellschaftlichen Leben befähigen solle. Dazu gehöre die Achtung vor dem Gesetz, insbesondere vor dem Grundgesetz. Auch im Grundgesetz werde das Eigentum unter Schutz gestellt. Wer dagegen verstoße, handle widerrechtlich. Das rechtswidrige Handeln der Besetzer sei von den Lehrern nicht erwähnt worden. Der RP habe - so informierte Dr. Pohle die LR weiter - ferner die Frage gestellt, was denn die Eltern von Erziehern halten sollten, die sich so verhielten.

Dr. Pohle bestätigte ferner, dass von betroffenen Eltern inzwischen Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben worden sei. Dr. Pohle: "Die Beschwerde wird verhältnismäßig normal behandelt. Die Lehrer werden aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen." Es gelte zu prüfen, ob eine Pflichtverletzung vorliege. Das Mittel des Disziplinarrechts sehe Maßnahmen vor, die von der Ermahnung über die Geldstrafe bis hin zum Ausscheiden aus dem Dienst reichten. Das letztgenannte Mittel dürfte indes wohl kaum in Betracht kommen, schätzte der Referent die Situation ein.

Film wird in der Schule gezeigt

Nicht unkritisch wird zur Zeit in Elternkreisen auch die Tatsache vermerkt, dass offenbar ein Klingenberg-Film nicht nur außerhalb Lippes - so an der Kollegschule neben der Bielefelder Universität -, sondern auch an lippischen Schulen gezeigt wird bzw. noch gezeigt werden soll. Dr. Pohle sagte, der Film, der auch in der Nacht der Räumung entstand, werde offenbar zur Zeit auch Detmolder Schulen angeboten. Auf dem in Bielefeld gezeigten Streifen seien - von den Akteuren geschickt in Szene gesetzt - die "zu Herzen gehenden" Schreie der 30 weiblichen Hausbesetzer sowie Hilferufe der jungen Leute zu hören, die beim Vorgehen des Spezial-Einsatzkommandos (SEK) auf das Dach der Fabrik geklettert seien.

Zwei Lehrer, die bereits am Blomberger Stadtgymnasium den Film einer Volkshochschul-Arbeitsgemeinschaft "Lippe-Ost" über Klingenberg gezeigt haben, begründeten dies am Wochenende gegenüber der LR. Rolf Eikmeier (Extertal) sagte, getreu dem "Aktualisierungsprinzip" und unter der Fragestellung "Wie kann man einen Unterricht interessanter gestalten?" habe sich angeboten, im sozialwissenschaftlichen Kurs der Oberstufe den Film einzusetzen, der - so bestätigte der Lehrer - auch in der Klingenberg-Fabrik gezeigt und auch von den Besetzern mitgestaltet worden sei. Im übrigen habe man auch Veröffentlichungen, so LR-Kommentare und Leserbriefe, zum Thema "Klingenberg" herangezogen. Es sei auch darum gegangen, die rechtliche Frage abzuklären. Ergänzend habe man dazu einen Amtsrichter eingeladen. Eikmeier betonte, der Film sei lediglich Teil
einer "Unterrichtseinheit".

Dieter Machentanz, der dem Wunsch der Schüler des Sozialwissenschaftlichen Kursus am Blomberger Gymnasium nachkam und die Vorführung des größten Teiles des Films erlaubte, betonte, in seinem Kurs sei in einem ergänzenden Gespräch klar die Meinung deutlich geworden, dass es sich bei der Besetzung um eine rechtswidrige Handlung gehandelt habe. Die einzige Frage, die sich gestellt habe, sei die nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel gewesen, fügte der auch in der CDU kommunalpolitisch engagierte Oberstudienrat hinzu. Auch in einer gemeinsamen Diskussion mit dem sozialwissenschaftlichen Kursus am Freitagmorgen, an der er und Eikmeier als Beobachter teilgenommen hätten, habe am Ende "auch bei denen, die möglicherweise etwas Sympathie für die Besetzer hegten, die klare Erkenntnis eines Rechtsbruches gestanden". Insofern habe sich eine "positive Entwicklung" abgespielt. Er meine, dass sich die Lehrer in einem solchen Fall "der Sache stellen" sollten, fügte Machentanz hinzu.


wb@westfalen-blatt.de

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