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Neue Westfälische / Bielefelder Tageblatt , 08.12.1986 :

120-Kilo-Bombe sollte morgen früh hochgehen

Student verhaftet / Anschlag auf Bielefelder Siemens-Haus vereitelt / Gezielte BKA-Aktion gegen linksteroristisches Umfeld der RAF

Von unserem Redaktionsmitglied

Bielefeld / Karlsruhe (Eig. Ber./khs). Einen für morgen früh, 4 Uhr geplanten Bombenanschlag auf das Bürogebäude des Elektrokonzerns Siemens in Bielefeld haben die Sicherheitsbehörden in der vergangenen Woche vereitelt. In einer überraschenden Aktion hatten Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) in der Nacht zum Freitag (unsere Zeitung berichtete) den 24 Jahre alten Studenten Jens K. in seiner Wohnung in der Nordstraße 32 unter dem dringenden Tatverdacht festgenommen, am morgigen Dienstag einen Anschlag auf das Bürohochhaus geplant zu haben. Bei der Hausdurchsuchung wurden ein handgeschriebener Bekennerbrief, Zündmechanismen und Anleitungen zum Bau einer Bombe gefunden. Gegen Jens K. erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof auf Antrag von Generalbundesanwalt Kurt Rebmann am Samstag Haftbefehl.

Jens K. hatte insgesamt vier je 30 Kilogramm schwere Gasflaschen und einen Feuerlöscher außerhalb der zusammen mit seiner Freundin gemieteten Wohnung deponiert. Mindestens 120 Kilo schwer wäre die Bombe gewesen, die nach den Vorbereitungen morgen früh im Keller des Siemens-Hauses explodieren sollte. Es wäre auch möglich gewesen, aus den Materialien mehrere Sprengsätze zu bauen. Die Behörden gehen davon aus, dass Jens K. noch mehrere Helfer gehabt haben muss.

Nach den gesicherten Erkenntnissen gehört der Verhaftete, der am Oberstufenkolleg in Bielefeld studiert, einer linksterroristischen Vereinigung an, die in engem Kontakt zur Rote Armee Fraktion (RAF) steht. Jens K. selbst hatte schriftliche Verbindungen zu in nordrhein-westfälischen Gefängnissen einsitzenden RAF-Häftlingen. Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden in Bielefeld sind noch nicht abgeschlossen, es wird noch immer nach den Helfern von Jens K. gefahndet.

Nach Angaben des Sprechers der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, Hans-Jürgen Förster, ist in der Wohnung von Jens K. ein dreiseitiger handschriftlicher Entwurf eines "sogenannten Selbstbezichtigungsschreibens" für den vorbereiteten Siemens-Anschlag gefunden worden. Der "Bekennerbrief" beginnt folgendermaßen: "Wir haben am 9.12.1986 auf das Bürogebäude der Siemens AG in Bielefeld einen Sprengstoffanschlag verübt ... " Das Schreiben endet mit der Forderung nach "Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand" und ist unterschrieben mit "Kämpfende Einheit Philipp Müller". Es folgen das Datum des Anschlags und ein fünfzackiger Stern. Der Arbeiter Müller soll Försters Angaben zufolge 1952 bei einer Demonstration in Essen erschossen worden sein.

Das Bombenattentat ist professionell vorbereitet worden und beim Eintreffen der Beamten vom Bundeskriminalamt bis auf die Sekunde durchgeplant gewesen. Jens K. und seine mindestens zwei Komplizen wollten den Sprengsatz durch einen Schacht in die Kellerräume des Elektrokonzerns schaffen. Gegen 4 Uhr morgens sollte die 120-Kilo-Bombe durch Fernzündung explodieren. Um diese Zeit wäre keiner der rund 60 Arbeiter und Angestellten in dem Gebäude gewesen.

Dass die Behörden so kurz vor einem geplanten Attentat von Terroristen haben zuschlagen können, verdanken sie offenbar einem gezielten Hinweis aus der Bevölkerung. Jens K. lieferte nach seiner Festnahme den Fahndern die letzten Tipps zum Auffinden der versteckten Gasflaschen. Inzwischen ist Jens K. voll geständig. Ein zweiter Verdächtiger, der vom BKA bei der Durchsuchung in dem Haus in der Nordstraße festgenommen wurde, ist inzwischen wieder frei. Gegen ihn liegt nichts vor. (Siehe auch den Bericht auf der Seite Meinung und Nachricht)


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