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Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 03.12.2005 :

Soldaten aus Augustdorf im Friedenseinsatz im Kosovo

Ein Land der Gegensätze / Große Armut, teures Benzin, Geld aus dem Ausland

90 Prozent der Bevölkerung im Kosovo sind albanisch, nur zehn Prozent sind Serben; daneben existieren kleinere Gruppen von Türken, moslemischen Splittergruppen und Christen. Unter ihnen gibt es kein Zusammenleben. Insbesondere die Serben leben in Enklaven, die von der KFOR (Kosovo Force) beschützt werden. Sie geben sich nicht öffentlich zu erkennen. Noch immer ist die Feindschaft unter den ethnischen Gruppen spürbar. Alle haben Angst, dass der Hass noch einmal ausbrechen könnte wie 1998, als der Krieg begann und Tausende vertrieben und ermordet wurden.

Das Land befindet sich in einem Vakuum, solange der künftige Status der serbischen Provinz nicht geklärt ist. Verhandlungen darüber sollen in Kürze beginnen. An ihrem Ausgang hängt die Zukunft des Landes. Sie könnten all den Hass wieder heraufbeschwören und eskalieren lassen; zugleich sind sie die einzige Hoffnung. Denn erst wenn der Status geklärt ist, werden sich ausländische Firmen für den Kosovo interessieren und wirtschaftlichen Aufschwung bringen.

Heute ist der Kosovo ein Land der Gegensätze. Die organisierte Kriminalität hat im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Euro-Millionäre hervorgebracht als in Deutschland.

Zugleich leben ganze Familien auf 20 Quadratmetern ohne Strom und fließendes Wasser. Die meisten Familien können sich nicht aus eigener Kraft ernähren. Der Gemüseanbau reicht allenfalls für den Eigenbedarf, Industrie gibt es so gut wie nicht. Viel Geld lässt sich dagegen mit Benzin verdienen, der pro Liter ein Euro kostet. Beliebt ist auch illegaler Holzschlag, weil Holz zum Heizen gebraucht wird.

So leben die meisten Kosovaren vom Geld, das Angehörige in Deutschland, der Schweiz und Österreich verdienen.

Sie bestimmen einen Lebensrhythmus, den Bataillonskommandeur Jahn die "vier Jahreszeiten im Kosovo" nennt: Im Sommer kommen die im Ausland arbeitenden Familienangehörigen nach Hause. Sie bringen Geld mit, von dem gelebt werden kann. Im Herbst ist Ernte und Hausbau an der Tagesordnung. 15.000 Euro kostet ein Haus im Rohbau, das oft erst im nächsten Sommer – wenn wieder Geld herein kommt – weiter gebaut wird. Im Winter werden die Vorräte eingelagert und vielfach illegal Holz geschlagen. Man überwintert mit den Vorräten und dem Geld aus dem Ausland. Im Frühjahr beginnt die karge Zeit. Geld und Vorräte sind verbraucht. Jetzt gilt es, die Zeit bis zur Wiederankunft der Geldverdiener im Ausland zu überbrücken.

Bildunterschrift: Straßenbau: Neben der Friedenssicherung gehört auch der Wiederaufbau zu den Aufgaben der Soldaten. Hier helfen sie mit Tatkraft und Geld, eine Straße mitten in Prizren zu befestigen.

Bildunterschrift: Heimatgefühle: Kompaniechef Jan T. (l.) und Spieß Michael Sch. von der 3. Kompanie des Augustdorfer Panzergrenadierbataillons 212 am Ortsschild, das ihnen der Bürgermeister ihrer Patenstadt Bad Salzuflen für den Auslandseinsatz geschenkt hat.




Serben-Mönche unter deutschem Schutz / Zehn Soldaten bewachen ein "Symbol"

Stacheldraht, Wachtürme: Im serbisch-orthodoxen Erzengel-Kloster vor den Toren Prizrens leben sechs Mönche. Nach den Märzunruhen im Jahr 2004 wurde die Anlage als "Main Area of Interest" (höchste Sicherheitsempfindlichkeit) eingestuft.

Damals marschierten 250 albanische Demonstranten auf das Kloster zu, forderten freien Zutritt und warfen Brandsätze. Das Wirtschaftsgebäude wurde zerstört, das Wohngebäude evakuiert. "Als letzten Stachel im Fleisch von Prizren", bezeichnet Kompaniechef Christian G. das im Jahr 1348 gegründete Kloster. Mit zehn Männern bewacht er das Gebäude rund um die Uhr. Denn es ist ein "Symbol für lange serbische Geschichte im Kosovo und dem damit verbundenen Machtanspruch".

Die Mönche leben dort völlig zurückgezogen und meiden Prizren aus einer Mischung aus Angst und nationalistischem Stolz. Einkäufe erledigen sie in weiter entfernten Serben-Ortschaften. Als einer der Mönche vor drei Wochen am Blinddarm operiert werden musste, wollte er lieber sterben, als sich im Krankenhaus in Prizren behandeln zu lassen. Er wurde im Feldlazarett der Soldaten gerettet.

Bildunterschrift: Abgeschirmt: Wie eine Festung ist das Kloster gesichert.

Bildunterschrift: Umringt von Kindern: Wo deutsche Soldaten mit ihren KFOR (Kosovo Force)-Fahrzeugen auftauchen, bildet sich ein Pulkvon Kindern. Sie bewundern die Männer in Uniform und rufen ihnen schüchtern-freundlich "Mir Dita" (Guten Tag) zu. Hier haben die Bundeswehr-Soldaten ihre gepanzerten Autos in der Has-Region südwestlich von Prizren abgestellt, um eine Fußpatrouille zu abgelegenen Bergdörfern zu starten.




Soldaten sorgen für Sicherheit / Mit verbesserter Ausrüstung ist die Bundeswehr für den Ernstfall gewappnet

Über holprige Straßen führt die zweistündige Autofahrt vom Flughafen Pristina über die Dörfer nach Prizren im Süden der serbischen Provinz Kosovo. Unzählige im Rohbau befindliche Häuser säumen den Weg, kleinere Gemüsefelder und immer wieder Müll. Es gibt keine Müllentsorgung im Kosovo; der einzige Müllberg im Süden des Landes schwelt seit Jahren vor sich hin und vergiftet die Atemluft. Doch das ist nur eines der Probleme, die die serbische Provinz seit Jahren belasten. Organisierte Kriminalität, Waffenbesitz und andauernde Feindschaften zwischen Serben und Albanern gefährden die innere Sicherheit im Kosovo.

"Die Situation ist ruhig, aber nicht stabil", sagen die deutschen Soldaten. Jederzeit kann die Lage wieder eskalieren, wie im März 2004, als bei Ausschreitungen 19 Menschen ums Leben kamen, Häuser, Kirchen und Klöster beschädigt und zerstört wurden. Damals hagelte es Kritik am Verhalten der deutschen Soldaten im Kosovo. Erst danach wurden die Konsequenzen gezogen und die Bundeswehr besser ausgerüstet.

Um einen Ernstfall zu demonstrieren, sind am Sonntagmorgen etwa 100 Soldaten aus Augustdorf im "Camp Casablanca" nördlich von Prizren angetreten. Kompaniechef Jan T.* erklärt die "Bedrohungslage": Gewalttätige Demonstranten müssen in Schach gehalten und zur Ruhe gebracht werden. Für jede Stufe der Eskalation werden Verhaltensmuster geübt, damit sie in einer Echt-Situation fast automatisch abgerufen werden können. "Entscheidend ist, dass im Ernstfall jeder Griff und jeder Schritt automatisch sitzt", erklärt der Kompaniechef den anwesenden Journalisten.

Anders als früher sind die Soldaten mit dem so genannten CRC (Crowd-Riot-Control, Kontrolle von Massen-Aufständen)-System ausgerüstet. Diese Ausrüstung besteht aus verschiedenen Waffen, die alle nicht tödlich sind, den Gegner aber außer Gefecht setzen. Je nach Eskalationsgrad werden Tränengas, Pfefferspray, Gummigeschosse, Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen Angreifer eingesetzt. Erst im schlimmsten Fall – und immer erst nach entsprechendem Befehl – greifen die Soldaten zur Schusswaffe.

Die CRC-Ausrüstung tragen die Soldaten nicht ständig am Körper, sondern nur Anlass bezogen – bei Ausschreitungen, gewalttätigen Demonstrationen. Die CRC-Truppe ist aber beispielsweise auch in Bereitschaft, wenn sich Serben eine Immobilie ansehen.

Einer der Zugführer ist Thomas K. aus dem Kreis Höxter. Er ist zum zweiten Mal im Auslandseinsatz im Kosovo. Die verbesserte Ausrüstung gibt den Soldaten Sicherheit und Selbstbewusstsein. Dennoch sieht der Alltag – gottseidank – anders aus. "Die Menschen hier sehen uns nicht als Besatzer, sie fühlen sich durch unsere Anwesenheit beschützt", beschreibt der 39-Jährige, der zum ersten Mal im Jahr 2000 im Kosovo war. Als damals seine heute fünfjährige Tochter geboren wurde, konnte er nicht Zuhause sein. Jetzt ist er wieder für vier Monate weg –über Weihnachten und Neujahr. Thomas K. weiß, dass dies insbesondere für seine Familie eine Belastung darstellt. Dennoch hat er sich wieder gemeldet für den Auslandseinsatz. "Das Gefühl, etwas zu leisten, zu helfen und gebraucht zu werden, ist eine Bereicherung."

* Die Nachnamen der Soldaten sind aus Sicherheitsgründen abgekürzt. Das ist eine Vorschrift der Bundeswehr.

Bildunterschrift: Rollenspiel einer "Bedrohungslage": Mit Schilden, feuerfesten Anzügen und nicht-tödlichen Waffen ausgerüstet, gehen die Soldaten aus Augustdorf gegen die Demonstranten (gespielt von Soldaten) vor.

Bildunterschrift: Prizren im Blick: 200 Meter oberhalb der 100.000-Einwohner-Stadt liegt der Beobachtungspunkt "Auge". Rund um die Uhr beobachten deutsche Soldaten das Geschehen in der Stadt.

Bildunterschrift: Zum zweiten Mal im Kosovo: Thomas K. aus dem Kreis Höxter sieht den Einsatz als Bereicherung.

Bildunterschrift: Sie schützen eine serbische Enklave: In Sredska leben 250 Serben unter sich, gestützt durch ein Rücksiedlungsprojekt des Arbeiter-Samariter-Bundes. In einer ehemaligen Schule im Ort sind im 48-Stunden-Wechsel
deutsche Soldaten stationiert, um die serbische Minderheit vor Übergriffen zu schützen. Unser Foto zeigt (v. l.) Carsten S, Sebastian H., Christian G., David B., Gordon K., Tobias L., Paul W., Marcel T. und Juri S. Sie kommen aus den Bereichen Bielefeld, Paderborn undDetmold.

Bildunterschrift: Kontrolle: An so genannten temporären Check-Points durchsuchen deutsche Soldaten Einheimische nach Waffen und Drogen. Die meisten lassen es bereitwillig über sich ergehen, auch weil die Kontrollen die innere Sicherheit stärken. Check-Points und Patrouillen mehrmals am Tag gehören zu den alltäglichen Hauptaufgaben der Uniformierten.




Bundeswehr im Kosovo

Seit 1999 sind deutsche Soldaten unter der Verwaltung der Vereinten Nationen im Friedenseinsatz im Kosovo. Mit 12 anderen Nationen bilden sie die Multinationale Brigade Süd-West mit Hauptsitz in Prizren und drei weiteren Standorten im Süden der serbischen Provinz. Insgesamt gehören der Brigade 7.029 Soldaten an, darunter sind zurzeit 2.555 deutsche Soldaten und wiederum etwa 850 Soldaten der Panzerbrigade 21 aus dem lippischen Augustdorf.

Vier Monate – seit Anfang September bis Ende Januar – absolvieren sie ihren Auslandseinsatz. Der Verantwortungsbereich der Multinationalen Brigade Süd-West umfasst 42 Prozent der Fläche des Kosovo.

Bildunterschrift: Vor Ort im im Kosovo: Barbara Glosemeyer (l.) und Stefan Boscher besuchten für fünf Tage die Soldaten aus Augustdorf in Prizren. Noch mehr Fotos vom Besuch stehen im Internet unter nw-news.de/kosovo




Verhandlungen

Die Verhandlungen über den endgültigen Status des Kosovo können nach Einschätzung des UN-Vermittlers Martti Ahti Anfang des Jahres beginnen. Die serbische Provinz wird überwiegend von Albanern bewohnt, die ihre Unabhängigkeit fordern. Die serbische Regierung lehnt dies kategorisch ab.

Bildunterschrift: Funker im Feldlager: Sergej D. und einige der wenigen Frauen unter den deutschen Soldaten, Sonja F. (hinten).

03./04.12.2005
lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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