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Bielefelder Tageblatt / Neue Westfälische , 02.12.1992 :

Welche Rolle spielen Nichtdeutsche in Wirtschaft und Gesellschaft? / Gießerei Tweer hat 65 Prozent Gastarbeiter / "Ohne Ausländer stünden bei uns viele Räder still"

Bielefeld (vdH). Sie werden zu Objekten von Missgunst und Hass: Ausländer, Gastarbeiter. Wir haben führende Köpfe in Wirtschaft und Verwaltung gefragt, wie Bielefeld ohne Ausländer leben könnte. Erheblich schlechter als heute, antworteten die Befragten.

Klaus-Dieter Tweer, Inhaber einer Gießerei in Sennestadt mit rund 300 gewerblichen Arbeitnehmern, redet nicht lange drumherum: "Wenn ich meine ausländischen Mitarbeiter nicht mehr hätte, müsste ich mein Unternehmen schließen." 65 Prozent seiner Beschäftigten im gewerblichen Bereich haben keinen deutschen Pass - die meisten sind Türken. "Das Gießereigewerbe hat seit altersher ein schlechtes Image." Obwohl sich zwar die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten verbessert hätten, finden sich vorwiegend nur Gastarbeiter für die anlernbaren, schlichten Aufgaben. Vorurteilen über verminderte Arbeitsmotivation der ausländischen Arbeiter tritt er entgegen. Unterschiede finden sich zwar in der Hierarchie der Arbeitnehmer (beispielsweise feiert ein Facharbeiter im Schnitt weniger krank als ein angelernter Arbeiter) - Unterschiede gebe es aber nicht zwischen Deutschen und Ausländern.

Karl-Heinz Neu, Kreisvorsitzender des DGB, weiß, dass Tweer kein Einzelfall ist. "Viele Unternehmen im produzierenden Bereich, vor allem der Metall- und Textilbranchen, haben 50 Prozent und mehr ausländische Arbeitnehmer. In der Wirtschaft stünden viele Räder still", so Neu. Nach seinen Erfahrungen sind es vor allem Arbeitsplätze, die durch stark belastende Faktoren wie verschmutzte Luft, Hitze, Lärm und Nachtarbeit geprägt sind. Kurzum: "Sie verrichten vielfach Arbeiten, die deutsche Mitbürger erst gar nicht annehmen."

Nach den Zahlen von Stadtdirektor Jürgen Heinrich leben heute 37.263 Ausländer in Bielefeld, das sind 11,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. 528 von ihnen zählen zu den insgesamt 6.716 Arbeitern und Angestellten der Stadt. "Ohne Ausländer wären wir ärmer", meint Heinrich, "nicht nur materiell - wir wären auch weniger weltoffen". 62 Ausländer wirken allein bei den Städtischen Bühnen in Orchsester oder Theater mit. Elf lehren in Musikschulen, 14 sind Pädagogen, es gibt zehn Erzieherinnen in Kindergärten - Mitarbeiter, die Horizonte erweitern helfen. Unter vielen hundert Reinigungskräften hat jeder fünfte Mitarbeiter keinen deutschen Pass. "Sie alle zahlen mehr in unsere Sozialversicherungen ein, als sie herausbekommen", so Heinrich.

Dr. Werner Efing, Geschäftsführer des Arbeitgeberbundes, ist davon überzeugt, dass die Bielefelder Wirtschaft schon dann "schweren Schaden nehmen würde", wenn nur ein geringer Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung wegen zunehmender Ausländerfeindlichkeit zurück in die Heimat ziehen würde. Seine Erfahrungen sprechen übrigens dagegen, dass deutsche Staatsbürger sich selbst in einer wirtschaftlichen Krise um solche Arbeit bemühen, für die sie sich sonst zu "schade sind".

IHK-Präsident Dr. Peter von Möller zählt insgesamt 12.000 ausländische Beschäftigte (vorwiegend Arbeiter) in Bielefelder Betrieben; das sind 8,3 Prozent aller Arbeitnehmer. "Ohne sie müsste die Produktion reduziert oder teilweise gar ins Ausland verlagert werden." Sie stützen somit auch einen entsprechenden Arbeitnehmeranteil in den Angestellten- oder Chefetagen, denn reduzierte Produktion würde auch dort mit Entlassungen zu Buche schlagen.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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