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Thomas Becker , 06.05.2003 :

Der kleine Führer / Rede auf der Kundgebung anläßlich der Buchvorstellung (1) Jürgen W. Möllemanns am 6. Mai 2003 im Boulevard, Bielefeld

Jürgen Möllemanns "Jungfernrede" im Bundestag, so erzählt er auf den ersten beiden Seiten seines Buchs, war eine "flammende Rede gegen den Krieg der USA in Vietnam". (2) Ihn allein deshalb schon als Brandstifter zu bezeichnen wäre sicher zu billig, doch ist es auffällig, dass Möllemann selbst bis heute auf dieses ansteckende Moment seiner Reden besondern Wert legt. Sein Mitstreiter Fritz Goergen erinnerte im vergangenen November in einem längeren Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung daran, wie Möllemann seine Partei im Juni 2000 in Nürnberg mit einer "rhetorischen Spitzenrede", wie Goergen sie bezeichnete, für seine "Strategie 18" begeisterte. Möllemann habe "die Delegierten in einer so unglaublichen Weise besoffen geredet", dass die Zuhörerschaft schließlich "nur noch Masse" gewesen sei: Und so wie sie Möllemann "zujubelten, ja zugrölten", berichtet Goergen weiter, so hatten sie danach "Ruth Wagner niedergebrüllt. Die entfesselte Masse wollte ihren ganz anderen Standpunkt nicht hören. Sie wollte überhaupt keine Argumente hören. Sie wollte mit Emotionen gefüttert werden. In diesem Saal war keine Toleranz mehr". Goergen selbst stellte sich damals die Frage: "War es so im Sportpalast?" (3)

Ich will hier heute keine flammende Rede halten, denn meine Absicht ist es nicht, ein Pogrom zu initiieren, sondern über die Propaganda-Methoden Möllemanns aufzuklären.

Ich behaupte trotzdem, dass man hier draußen mehr über Möllemann erfährt als dort drinnen im Boulevard, wo er persönlich daraus vorliest.

Sollte der Titel von Möllemanns Buch, das er heute hier vorstellt, dessen Inhalt zum Ausdruck bringen, so hätte dieser Mein Kampf lauten müssen; denn Möllemann schreibt in der Ersten Person Singular über seinen Kampf als deutscher Politiker für, wie er selbst versichert, den "Mann auf der Straße". (4) Der Titel lautet indes "Klartext.", ein Begriff, der an sich keinen Inhalt hat. Er macht lediglich Hoffnung darauf, dass über einen zunächst unbestimmten Inhalt später noch offen und ehrlich gesprochen werde. Der Untertitel des Buches scheint auf den ersten Blick das bis dahin leere Versprechen mit einem bestimmten Inhalt zu füllen, er lautet: "Für Deutschland Möllemann.". Wir erfahren jetzt also: es geht um Deutschland und Möllemann. Unbefriedigend ist aber auch daran, dass wir noch immer nicht erfahren sollen, was Möllemann für Deutschland zu tun gedenkt - nur dass er es tun wird scheint klar. Natürlich könnte man sagen, dass es etwas kleinlich ist, so viel von einem Buchtitel zu erwarten, dass man das Buch ja schließlich erst lesen müsse, um es zu beurteilen, während der Umschlag doch gerade nur die Funktion habe, die Neugier auf seinen Inhalt zu erregen. Dieses Zugeständnis sei gerne gemacht, wäre da nicht ein weiterer auffälliger Umstand, der einem zu denken gibt. Beide, Titel und Untertitel, enden jeweils mit einem Punkt, ganz so, als handele es sich bei "Klartext" und "Für Deutschland Möllemann" um vollständige Sätze mit Subjekt und Prädikat. Durch den abschließenden Punkt kommt das, was an sich Parolen sind, wie regelrechte Aussagen daher, von denen man gewöhnlich erwarten würde, dass sie einen selbständigen Inhalt haben, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Es kommt einem dabei unwillkürlich der Verdacht in den Sinn, als solle auf diese Weise etwas vorgetäuscht werden, von dem man allerdings nicht so recht weiß, was dieses Etwas sein sollte; eine irgendwie geartete Vollständigkeit, etwas Fertiges, über dessen Inhalt aber keine Klarheit herrscht, so dass man das Gefühl bekommt, auf den Inhalt käme es gar nicht so sehr an als auf das Faktum der Vollständigkeit und Fertigkeit selbst. Man meint, man müsse sich über den Inhalt eigentlich gar keine großen Gedanken mehr machen, weil alles schon auf den ersten Blick so aussieht, als sei es bereits von jemandem vollständig und fertig durchgedacht worden. Man soll mit einem Wort meinen: Möllemann weiß schon, was für Deutschland zu tun ist. Mit dem Versprechen, Klartext zu reden, kann sich der Leser dann über die Unklarheit hinwegtrösten, die er empfindet, wenn er noch gar nicht versteht, wovon überhaupt die Rede ist. Der Führer wird schon wissen, wo's langgeht, soll man denken, bei ihm ist man in guten Händen, denn er will ja offen und ehrlich über alles reden, was den Mann auf der Straße bedrückt: Klartext Für Deutschland Möllemann - so gesehen, wie wir gleich feststellen werden, wenn wir das Buch aufschlagen, spricht schon der Umschlag Bände über seinen Inhalt.

Das Buch, das Mitte März auf den Markt kam, gibt es jetzt bereits in der 2. Auflage. Es ist ein Kassenschlager. Zum Umschlag bleibt nur noch anzuführen, daß auf der Vorderseite natürlich der Kopf von Möllemann abgebildet ist. Wer es sich kaufen will, muß also bloß hier in den Buchladen gehen und direkt hinter dem Eingang rechts in das Regal mit den Sachbuch-Bestsellern nach dem Gesicht Möllemanns greifen - aber Vorsicht, es ist, wenn man nicht genau hinsieht und zu sehr auf den arabisch frisierten Schnurrbart fixiert ist, leicht zu verwechseln mit einer ganzen Palette von Büchern über Saddam Hussein, die im selben Regal stehen. Es kann allerdings auch sein, daß Möllemann zeitweilig aus dieser Bestsellerliste herauskonkurriert worden ist, die seit geraumer Zeit von Michael Moores Stupid White Men angeführt wird. Das liegt dann u.a. daran, daß es in dieser Liste von dummen weißen Männern nur so wimmelt, so daß es der Bewegung für Deutschland gegen Amerika und Israel offensichtlich nicht leicht fällt, sich für nur einen der vielen sich anbietenden Wortführer zu entscheiden. Man stellt sich deshalb lieber gleich mehrere davon zuhause ins Bücherregal, um für alle Fälle gerüstet zu sein. In der Liste ändern sich so schon mal die Namen, nicht jedoch der Inhalt.

Ich zögere sowieso, den Kauf des Buches zu empfehlen. Schließlich möchte ich weder den Bertelsmännern, die das Buch produzieren und verkaufen, noch den Möllemännern das Wort reden. Man könnte höchstens behaupten, dass es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, wenn schon vor 1933 mehr aufgeklärte und demokratisch eingestellte Menschen Mein Kampf gelesen hätten. Aber noch das Argument ist fraglich: statistisch gesehen ist in Deutschland die Wahrscheinlichkeit wohl größer, dass das Buch in die falschen Hände gerät.

Möllemanns Kampf gilt den Sorgen der "Millionen kleiner Leute". (5) Wie sie, darauf weist er gleich im ersten Satz des Buchs hin, trägt er lieber einen "Rollkragenpulli" statt "Krawatte". (6) Er unterscheidet sich von denen, die ihm folgen sollen, allein dadurch, dass er der geborene Führer ist. In dieser Rolle mahnt er die Gefolgschaft gleich zu Anfang, dass es "höchste Zeit" sei - "Ihr seid das Volk! Steht auf! Lasst euch dieses Spiel nicht mehr gefallen! Schließt euch zusammen" gegen die in Deutschland regierenden "Egoisten und Feiglinge" und gegen die in den Medien und der Politik vorherrschende "Feigheit und Hinterhältigkeit" (7). Die Politiker, die Feinde aber warnt er: "Wagt nicht, uns vorzuschreiben, was wir denken und sagen dürfen. Wir sind das Volk! Ihr sollt uns repräsentieren, nicht kommandieren. Denn ihr lebt von unserem Geld, nicht wir von eurem!" (8)

Wir wollen hier kein Seminar veranstalten, aber es ist vermutlich trotzdem eine kurze Erläuterung angebracht, wenn ich behaupte, dass schon hier, auf den ersten fünf Seiten des Buches der Boden für faschistische Propaganda gelegt ist. Denn dass man sich beispielsweise nicht vorschreiben lassen will, was man zu denken und zu sagen hat, klingt so urdemokratisch, dass man sich nicht einmal wundern würde, etwas ähnliches in einem antifaschistischen Flugblatt zu lesen. Der Faschismus-Vorwurf mutet geradezu absurd an.

Der faschistische Führer aber identifiziert sich nicht mit dem kleinen Mann um sich mit ihm auf eine Stufe zu stellen. Vielmehr soll die Kleine-Mann-Propaganda eine Identifikation in der umgekehrten Richtung bewirken: Der Kleine Mann, der die Welt nicht versteht, in der er nichts zu melden hat, und der sich deshalb von "denen da Oben" betrogen und belogen fühlt, soll in seinem Führer den großen Mann erkennen, der seine Nöte versteht. Der Führer, soll der Kleine Mann meinen, leidet unter dem selben egoistischen, feigen, hinterhältigen Pack, den Parteien, die, laut Möllemann "mit den Interessengruppen unter einer Decke stecken und immer nur reden, statt zu handeln" , den "Lobbyisten und Experten", den Gewerkschaftsfunktionären und den Intellektuellen. "Ich", verkündet Möllemann deshalb mit Stolz, "bin kein Theoretiker und will es nicht sein" (9) - der faschistische Führer ist immer ein Mann der Tat und macht nie viel Federlesen. Die Feinde des Führers, die feigen Westerwellen und hinterhältigen Friedmänner, Bush und Sharon sind auch die Feinde des Volkes. Der Führer wird sich schon noch um all diese Gangster auf seine Weise kümmern - das ist die zentrale Botschaft der Kleine-Mann-Propaganda.

Wir sind bisher noch kaum über die ersten fünf Seiten des Buches hinaus gekommen, kommen aber doch schwer um eine weitere kurze Erläuterung herum. Ich meine Möllemanns wiederholten, fast penetranten Appelle zur Eigeninitiative der Massen, zu mehr Mut und Tatkraft. Man könnte es die Steh-Auf-Propaganda nennen - steht auf, spielt nicht mehr mit, wir sind das Volk usw. Laut Möllemann wächst die Zahl derer, die nichtg mehr mitspielen wollen, von Tag zu Tag, die Bewegung wird angeblich immer größer und mächtiger. Seine ständig anwachsende und selbstbewußtere Bewegung rufe den Oberen schon jetzt entgegen: "Haltet euch raus aus unserem Leben und nehmt die Finger aus unseren Taschen. Dann sorgen wir für uns selbst - in der Familie, unter Freunden und Nachbarn, im Viertel und in der Gemeinde in unseren eigenen freiwilligen Zusammenschlüssen". (10) Man meint hier spricht Bakunin höchstpersönlich, Che Guevara oder wenigstens Jutta Ditfurth. Aber es ist Möllemann himself, der so redet, und dieser Aspekt seiner Propaganda scheint für ihn eine zentrale Rolle zu spielen. Immer wieder ist in seinem Buch die Rede von direkter Demokratie und Volksnähe. Er erblickt in den Gemneinden und Städten die Antwort auf die Globalisierung, Denn, so Mölleman, "in den Gemeinden und Städten hat man einen direkten Zugang zu den Bedürfnissen, Wünschen und Nöten der Menschen". (11) Er spielt sogar mit dem Gedanken, das Finanzamt und den Staat auf Bundes- und Landesebene ganz abzuschaffen, und er verwirft diesen Gedanken nur, weil er, wie er mutmaßt, für viele Leute "zu früh" komme und deshalb noch "zu kühn" erscheine. (12)

Was so anarchistisch daherkommt ist indes ein so bekannter wie zwingender Bestandteil jeder faschistischen Propaganda. Der Appell zur Eigeninitiative soll nicht nur die Masse in Bewegung setzen, ihre Tatkraft herausfordern (und die faschistische Bewegung schließlich, wenn sie erstmal in Gang gekommen ist, zum Pogrom antreiben); sie dient auch dazu, die Gefolgschaft enger an den Führer zu binden. Die Gefolgschaft soll sich von den etablierten Eliten abwenden und stattdessen dem Führer die Geschäfte überlassen, der ja, wie es die Kleine-Mann-Propaganda lehrte, genau weiß, was zu tun ist. Die Aufforderung, die etablierten Gesetze zu ignorieren und sich stattdessen zu einer eigenmächtigen Masse zusammenzuschließen, ist also in Wahrheit keine Aufforderung zu selbstbewußtem Denken und Handeln. Möllemann bedient damit nur das kleinbürgerliche Ressentiment seiner Zuhörerschaft. Dem Kleingeist dünkt das Hemd näher als die Jacke, dem Bauer schmeckt nicht, was er nicht kennt, weil ihm alles fremd vorkommt, was er nicht begreifen kann, und weil ihm alles Fremde Angst einjagt, weil er nichts begreifen will. Möllemanns Steh-Auf-Propaganda ist die allgemeine Mobilmachung, die Aufforderung an die ressentimentgeladene Masse, das ihr Unbegreifliche zur Strecke zu bringen.

Seine Behauptung, dass die Bewegung von Tag zu Tag anwachse, dient lediglich dazu, dem "Zauderer" (13), den Möllemann wie wenig anderes verachtet, einen Schrecken einzujagen - wer nicht mitmacht oder zu lange zögert muss damit rechnen, dass er später auf der Strecke bleibt, wenn die Sache in Fahrt gekommen ist.

Diese wenigen Andeutungen über Möllemanns Propagandamethode müssen vorerst genügen, denn wir dürfen auf keinen Fall vergessen, noch auf das Thema zu kommen, auf das Möllemanns Propaganda notwendig zusteuert. In gewisser Weise war der Jude, ohne daß der Name überhaupt hätte erwähnt werden müssen, schon die ganze Zeit mit im Spiel. Es ist eine wohlbekannte sozialpsychologische Tatsache, dass der Führer den Namen nicht auszusprechen braucht, dass Andeutungen vollends genügen um von der Gefolgschaft verstanden zu werden. Das hat damit zu tun, dass der Antisemitismus in der Volksseele unbewußt fest verankert ist. Möllemann muss nur Feigling, Zauderer, Inetellektueller, Hinterhältigkeit, Geldgier usw. sagen, und dieser Typisierung die Worte Mut, Klartext, Schlichtheit, Volk usw. gegenüberstellen. Die Volksgemeinschaft versteht das sehr genau. Faschistische Propaganda beruht zu einem guten Teil auf solchen selbstverständlichen Andeutungen, denn sie erfüllen den zusätzlichen Zweck, der Zuhörerschaft das Gefühl der Verschworenheit zu vermitteln; sie wirken auf die faschistische Gemeinde wie Männerwitze über Frauen, über die nur die lachen können, die zur Gruppe dazugehören.

Wenn Möllemann in seinem Buch erzählt, wie er 1979 im Libanon das erste Mal mit Arafat zusammenkommt, betont er scheinbar belanglose Dinge, etwa dass der Palästinenser-Führer "zwar einfach, aber viel ißt". (14) Für Möllemann ist es aber keine Nebensächlichkeit. Es ist die Kleine-Mann-Propaganda, die er auf den Mittleren Osten ausweitet, wo Arafat als der "Volkstribun" (15) erscheint, als der Möllemann in Deutschland auftritt. Und so wie die beiden Füherer aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, so sollen sich die Deutschen mit den Palästinensern identifizieren. Diese Gleichstellung verleiht den ständigen Hinweisen Möllemanns auf die "PLO-Leute mit durchgeladenen Maschinenpistolen", die ihn durch die Straßen Beiruts begleiten und einen unwilligen Friseur dazu zwingen, dem Deutschen die Haare zu schneiden, eine besondere Note. Die Sympathie für die palästinensische Militanz paßt dazu, dass Möllemann nicht nur in seinem Buch nie müde wird, sich als "Reserveoffizier der Fallschirmjäger" darzustellen. Die Deutschen sollen sich nicht nur mit den Palästinensern identifizieren, weil ihnen selbst das "Selbstbestimmungsrecht" bis 1990 verwehrt wurde; sie sollen sich auch deren Kampfeswillen zu eigen machen. Die Deutschen sollen sich zugleich die palästinensischen Selbstmordattentäter zum Vorbild nehmen und Möllemann, von dem wir schon vor einem Jahr gehört haben, dass er ein solches Himmelfahrtskommando jederzeit anzuführen bereit wäre.

Wäre Möllemanns "Strategie 18" im vergangenen Jahr erfolgreich gewesen, und hätte sich somit sein sehnlichster Wunsch, Außenminister Deutschlands zu werden, erfüllt, so hätte er - mit seinen eigenen Worten - dafür gesorgt, dass Deutschland "seine eigenen, wohlverstandenen nationalen Interessen im Ton freundlich, aber knallhart in der Sache" (16) wahrgenommen und durchgesetzt hätte. "Deutschland muss dringend wieder aufsteigen" (17), lautet Möllemanns Programm für die Deutsche Außenpolitik. Und wer den Deutschen den verdienten Platz an der Sonne verweigert, ist für jeden Antisemiten seit 100 Jahren klar - Juden und Amerikaner. "So ist das in der Welt", klagt Möllemann: "Was die ganz Großen dürfen, steht den Kleinen noch lange nicht zu". (18)

So gefällt er mir eigentlich am besten, der kleine Führer, wenn er Rotz und Wasser weint.

(1) Jürgen W. Möllemann, Klartext. Für Deutschland Möllemann., 2003 C. Bertelsmann Verlag, 2. Auflage
(2) S. 7 - 8
(3) S. 89
(4) S. 11
(5) S. 61
(6) S. 7
(7) S. 10 - 11
(8) S. 12
(9) S. 11 u. 13
(10) S. 12
(11) S. 65
(12) S. 67
(13) S. 70
(14) S. 37
(15) S. 89
(16) S. 43
(17) S. 10
(18) S. 43


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