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Aufbau , 07.06.2001 :

Aufbauhilfe aus Amerika / Rachel Dohme findet in New York Unterstützung für die neue liberale jüdische Gemeinde in Hameln

Rachel Dohme ist viel unterwegs. Egal, ob es sich um die Eröffnung des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, um das Treffen der "World Union for Progressive Judaism" in Washington oder einen Vortrag in einer New Yorker Synagoge handelt. Unermüdlich tritt sie für ihr Anliegen ein, die Existenz der jüdischen Gemeinde Hameln zu sichern.

Als Rachel Dohme 1982 einen Deutschen heiratete, verließ sie die USA und zog nach Hameln. Lange Zeit war sie die einzige Jüdin in der niedersächsischen Stadt mit ihren rund 60.000 Einwohnern. Gleich zu Beginn suchte sie nach einer Gemeinde, und die nächste Möglichkeit war die Einheitsgemeinde im nahe gelegenen Hannover. "Als ich die Synagoge das erste Mal besuchte, wusste ich, das ist kein Ort für mich. Ich fühlte mich dort nicht willkommen", beschreibt Rachel Dohme ihren Eindruck.

Die Idee, in Hameln eine liberale jüdische Gemeinde zu gründen, kam ihr erst 1990. In jenem Jahr kamen die ersten jüdischen Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion nach Hameln und Umgebung. Anfänglich waren es 20 russische Juden, doch zwischen 1993 und 1994 wuchs die Gruppe auf 200 Personen. Rachel Dohme erfuhr von dieser Gruppe und besuchte sie mit ihren Kindern. Aus dem ersten Kontakt entstand im Laufe der Zeit eine enge Verbindung. "Diese Menschen waren in ihrer Heimat oft von ihrer jüdischen Herkunft abgetrennt und suchten deshalb Orientierungspunkte", sagt sie. Rachel Dohme versuchte, die Gruppe mit deutschen Familien zusammenzubringen, um sie in Deutschland zu integrieren. Sie feierten die jüdischen Feiertage zusammen, und Rachel Dohme unterrichtete die Kinder in jüdischer Religion. Später feierte die Gruppe einmal wöchentlich in Räumen der katholischen Kirche ihren Gottesdienst.

"Es war eine natürliche Konsequenz, eine Gemeinde zu gründen, die unsere religiösen Bedürfnisse befriedigte", sagt Rachel Dohme. "Viele Mitglieder der Einheitsgemeinde in Hannover bezeichnen sich selber als nicht praktizierende Orthodoxe. Wir wollen praktizierende progressive Juden sein." Schließlich gründete Rachel Dohme 1997 zusammen mit einer kleinen Gruppe russischer Immigranten eine liberale jüdische Gemeinde in Hameln, ermutigt durch das Beispiel Hannovers. Auch dort war 1995 eine liberale jüdische Gemeinde entstanden. Heute umfasst die Gemeinde etwa 150 Mitglieder, die meisten von ihnen stammen aus der früheren Sowjetunion.

Wie elf andere progressive Gemeinden ist auch die jüdische Gemeinde in Hameln in der "Union progressiver Juden in Deutschland, Österreich und der Schweiz" organisiert, die seit ihrer Gründung im Jahr 1997 mit dem Zentralrat der Juden um eine rechtliche und finanzielle Gleichberechtigung ihrer Mitglieder streitet. Der Widerstand der etablierten Einheitsgemeinde in Hannover gegen die liberale jüdische Gemeinde in Hameln war nach Dohmes Worten groß. "Wir mussten alles selber organisieren. So haben wir im letzten Sommer ein Sommercamp für mehr als 30 Kinder veranstaltet. Weil sie zu unserer Gemeinde gehören, durften sie nicht zusätzlich am Sommercamp der Einheitsgemeinde teilnehmen."

Besonders die finanzielle Situation in Hameln war und ist schwierig: Viele Mitglieder sind Sozialhilfeempfänger und können der Gemeinde so nur wenig Geld zukommen lassen. Staatliche Unterstützung gibt es so gut wie nicht, denn nur die seit Jahren bestehenden jüdischen Landesverbände mit den Einheitsgemeinden erhalten solche Mittel. Auf der Suche nach einer Lösung für ihre finanziellen Probleme ist Rachel Dohme bei einer amerikanischen Organisation fündig geworden, die in New York ansässig ist.

"Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Hameln ist so inspirierend, weil sie zeigt, dass eine jüdische Gemeinde auch ohne die finanziellen Mittel, die die meisten Menschen für notwendig halten, wachsen kann", sagt Rabbinerin Jo David von der liberalen Jewish Appleseed Foundation. Seit anderthalb Jahren unterstützt sie Rachel Dohme in ihren Bemühungen. "Ein Ziel der Jewish Appleseed Foundation ist es, mit bedrohten, schwachen und isolierten Gemeinden in aller Welt zu arbeiten. Es war für uns eindeutig, dass die jüdische Gemeinde Hameln unter diese Gruppe fällt."
Die Hilfe der Jewish Appleseed Foundation beinhaltet vor allen Dingen finanzielle Unterstützung. Für die russischen Mitglieder bietet die Gemeinde zum Beispiel Deutschunterricht und Unterricht in jüdischer Geschichte auf Russisch an. Auch das Gehalt der Sozialarbeiterin, die die Einwanderer zu den Behörden, zu Rechtsanwälten oder zu Ärzten begleitet, wird hauptsächlich von der Jewish Appleseed Foundation bezahlt. Mit deren Hilfe konnte auch die Homepage der Gemeinde eingerichtet werden. "Wir helfen mit Rat, Vorschlägen und technischer Unterstützung", beschreibt Rabbinerin Jo David die Lage. "Wir helfen ihnen, über traditionelles Fundraising Geld zu bekommen, oder Programme in Deutschland zu finden, die das Projekt finanziell unterstützen."

Mit ihren Spendenaktionen spricht Rabbinerin David hauptsächlich die jüdische Bevölkerung in den USA an und will gleichzeitig die Unwissenheit ihrer Mitbürger abbauen: "Während die Menschen hier sich der Situation von Juden in Russland und in Israel bewusst sind, wissen sie so gut wie gar nichts über die Situation in Deutschland. Wenn eine jüdische Gemeinde in Russland sich so entwickelt hätte, wie die Gemeinde in Hameln, dann würden die Leute jubeln. Aber weil es in Deutschland passiert, ist das Interesse gering. Dabei könnte man aus dieser Geschichte lernen, die amerikanischen Juden könnten sich davon inspirieren lassen."
Ein Rabbiner, den die Jewish Appleseed Foundation stellt, wird in Zukunft die jüdische Gemeinde Hameln mindestens zweieinhalb Wochen im Monat betreuen. Damit erfüllt sich auch Rachel Dohmes Wunsch nach einer geistigen Führung für die Gemeinde. Zur Zeit sammelt sie mit Jo David Geld für den Bau einer Synagoge in Hameln. Freudig stimmt es sie, dass das Verhältnis zur Einheitsgemeinde in Hannover sich verbessert. Sie sieht es als eine normale Entwicklung, dass in Deutschland neben den eher orthodox ausgerichteten Gemeinden auch liberale entstehen: "Liberales Judentum wurde vor 200 Jahren in Deutschland geboren und während des Holocaust ausgelöscht. Es wird seine Heimat wieder in Deutschland finden."

Karoline Bendig


irene.armbruster@aufbauonline.com

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