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WebWecker Bielefeld , 05.11.2003 :

Antifa heißt gut aufpassen

Von Robert Schwarz

Auf Grund eines Transparentes mit der Aufschrift "Nazitreffpunkte angreifen" wurde am vergangenen Montag ein Zwanzigjähriger wegen "Aufforderung zu einer Straftat in Tateinheit mit Landfriedensbruch" verurteilt. Das Transparent war bei Demonstrationen gegen den Neonazitreff "Postmeister" am Kesselbrink gezeigt worden. Dem Angeklagten wurde sein politisches und soziales Engagement nicht zu Gute gehalten, vielmehr führte es mit zur Verurteilung.

Die Verhandlung gegen den 20-jährigen Martin L. und den Mitangeklagten Stören W. (19) (Namen geändert) vor dem Bielefelder Amtsgericht wegen "Aufforderung zu einer Straftat und Landfriedensbruch", letzteres, weil "mit der Aufforderung auf eine Menschenmenge" eingewirkt wurde, begann mit einem Umzug. Da sich gut sechzig Zuhörer zu dem Prozess eingefunden hatten, musste das Gericht in seinen größten Verhandlungssaal umziehen.

Der Prozess stieß aus zwei Gründen auf so großes Interesse. Zum einen war er die Folge einer breiten Kampagne gegen das Lokal "Der Postmeister", das seit mehr als zwei Jahren als Treffpunkt der Neonaziszene in der Region diente. Als Folge der von verschiedensten Gruppen von Antifa-West bis Uni-AStA getragenen Aktionen ist die Gaststätte seit August geschlossen. Zum anderen wollten so viele den Prozess verfolgen, weil das Urteil Folgen für die antifaschistische Arbeit in Deutschland haben könnte. Denn neben den beiden Angeklagten saß ein alter Antifa-Slogan auf der Anklagebank. Die Parole "Nazitreffpunkte angreifen" könnte in Zukunft eine strafwürdige Äußerung darstellen.

Für Werner Robbers, Rechtsanwalt von Martin L., steht sogar der Rechtsstaat auf dem Spiel: "Man darf von den vielfältigen Bedeutungen des Wortes "angreifen" keineswegs den schlimmstmöglichen herausgreifen, sonst geht der Rechtsstaat baden", plädierte Robbers und verwies auf die Zuschauer, die größtenteils an der friedlichen Kampagne gegen den "Postmeister" beteiligt waren: "Für die entscheidet sich heute, ob sie an das, was den Rechtsstaat ausmacht, zukünftig glauben oder nicht. Wenn sie an das nicht mehr glauben, werden sie womöglich nicht mehr das tun, was sie bis jetzt im Vertrauen auf den Rechtsstaat gemacht haben, nämlich mit einer friedlichen Kampagne gegen einen Neonazitreffpunkt protestieren", skizzierte Robbers mögliche Folgen einer Verurteilung.

Werner Robbers hatte am Montag erheblich mehr zu tun als sein Kollege Michael Pattberg. Dessen Mandant hatte sich nicht zu den Vorwürfen geäußert, das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt und vertagt. Die Staatsanwältin stimmte der Abtrennung zu. Kein Wunder, wenn Martin L. nicht mehr Angeklagter ist, hat er auch keine Aussageverweigerungsrecht mehr im Prozess gegen seinen Mitangeklagten. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft könnte das der Wahrheitsfindung dienen. "Es könnte der Eindruck entstehen, dass hier ein Zeuge produziert werden soll", kommentierte Rechtsanwalt Robbers die Trennung der Verfahren. Die Staatsanwaltschaft könnte den Zeugen L. auch dringend brauchen, gegen Sören W. hat sie nichts in der Hand, außer dass er auf dem Flur vor seiner Wohngemeinschaft angetroffen wurde, als Polizeibeamte am 29. April diesen Jahres in die WG eindrangen.

Der Grund des Polizeieinsatzes und des Prozesses war, dass während einer der vielen Demonstrationen gegen den "Postmeister" vom Dach eines Gebäudes gegenüber der Gaststätte ein Transparent mit der Aufschrift "Nazitreffpunkte angreifen -Postmeister dichtmachen" hing. Den Angeklagten wird vorgeworfen es aufgehängt zu haben. Martin L. gab in einer Erklärung zu, das Transparent angebracht zu haben. Eine von der Richterin vorgeschlagene Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen lehnte er ab, da er sich keiner Tat schuldig gemacht habe.

In der Erklärung gab er auch Auskunft über seine Beweggründe für die Aktion, die er bereits seit längerer Zeit vorgehabt habe. Bereits als Grundschüler habe er von dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen erfahren und sich gefragt: "Warum tut da niemand etwas dagegen, warum stehen die Leute da herum und klatschen". Schon früh habe er deshalb beschlossen sich aktiv für Demokratie einzusetzen. Weiter beschrieb er, wie er immer mehr die Gefahr wahrgenommen habe, die von dem Nazitreff "Postmeister" ausging. "Ein Besucher unserer WG musste sich einmal im Hinterhof verstecken, weil er von Nazis gejagt wurde." Das Wort "angreifen" habe er nicht wörtlich gemeint, vielmehr sollte das Transparent zu Aktionen gegen den Nazitreff auffordern, wie sie bereits davor stattgefunden hatten.

Dass diese Aktionen der Initiative Courgage gegen Rechts friedlich verlaufen waren, führte Werner Robbers zu Gunsten seines Mandanten ins Feld: "Das Angreifen geschah durch eine Postkartenaktion an den Verpächter, ein HipHop-Konzert, ein klassisches Konzert und viele andere gewaltfreie Aktionen. Über viele Monate der Kampagne hinweg gab es keine gewalttätige Aktion", beschrieb Robbers die Proteste gegen den Postmeister. Auch in den Broschüren und Flugblättern der Initiative Courage gegen Rechts sei nicht zu Gewalt aufgerufen worden. "Wären bei vorhergehenden Demonstrationen gegen die Kneipe Gewalt angewandt und etwa Steine geworfen worden, und einer, der dabei war, hängt so ein Transparent auf, dann wäre das was anderes", so Robbers.

Außerdem stelle das Wort "angreifen" keine Aufforderung zur Gewalt dar, führte Robbers aus und dafür das Duden-Herkunftswörterbuch und den "Wahrig", eines der Standardwörterbücher der deutschen Sprache, als Beweis an. Minutenlang verlas er die Bedeutungen, die das inkriminierte Wort haben kann. Danach ist eine von einem Dutzend Bedeutungen "den Kampf beginnen". Nicht einmal diese Bedeutung inkludiere automatisch Gewalt, so Robbers. Das Wort komme zudem von greifen, berühren. Erst seit dem 16. Jahrhundert enthalte es den Aggressionsgehalt, den die Staatsanwaltschaft in dem Wort sieht.

Die sah den Straftatbestand vor allem darin gegeben, dass der Begriff öffentlich verwendet wurde. "Der Angeklagte hat das Transparent nicht in seinem Wohnzimmer aufgehängt, sondern öffentlich und es damit Leuten zugänglich gemacht, die dem durchaus gewaltsam hätten Folge leisten können." Der Duden, Band 10 - Bedeutungswörterbuch, nennt als Beispielsatz für "angreifen" im Sinne von Kritik "jemanden öffentlich angreifen".

Ebenso umstritten wie das böse Wort war zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Bedeutung der Persönlichkeit des Angeklagten Martin L., der sich selbst als Pazifist bezeichnet. Der Mann, der zu Gewalttaten aufgerufen haben soll, machte seinen Zivildienst in Bethel, eine Ausbildung zum Krankenpfleger, Praktika in Heimen für Autisten und Schlaganfallpatienten. "Diesen Mann hier hin zu setzen und zu sagen, "du hast zur Gewalt aufgerufen", das geht so nicht", forderte Robbers energisch Freispruch für Martin L.

Auch die Staatsanwältin zeigte Sympathien für Martin L. und sein soziales und politisches Engagement. Dass er ein - wie die Staatsanwältin mehrfach betonte - "intelligenter junger Mann ist", wirkte sich für ihn jedoch negativ aus: "Ich glaube ihm nicht, dass er bei der Parole nicht bedacht hat, dass Teile der linken Szene das als Aufforderung zur gewaltsamen Angriffen zum Nachteil von Neonazitreffpunkten sehen können", so die Staatsanwältin.

Das haben "Teile der linken Szene" zwar nicht, trotzdem habe L. das "billigend in Kauf genommen", begründete die Staatsanwältin ihren Strafantrag von sechzig Stunden gemeinnütziger Arbeit. Richterin Wienand blieb in ihrem Urteil nach dem Jugendstrafrecht mit fünfzig Stunden knapp unter dem Antrag. Ein Grund dafür war, dass L. keine Gewalt gewollt habe.

Auf die Frage, ob er auf die Rechtsmittelbelehrung verzichten wolle, entgegenete Rechtsanwalt Robbers knapp: "Auf die Belehrung, ja". Gegenüber dem WebWecker bestätigte der Anwalt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Der Sreit um die Bedeutung der Formulierung "Nazitreffpunkte angreifen" geht also in die nächste Instanz. Vielleicht kann die auch die Frage klären, die Rechtsanwalt Pattberg stellte: "Was soll ein Mensch in Zukunft machen, der auf einer Demonstration ein Transparent trägt?" Die Staatsanwältin hatte darauf eine Antwort parat: "Nicht zu Straftaten aufrufen." In Zukunft muss wohl jedes Demo-Transparent von mehreren Anwälten und Sprachwissenschaftlern geprüft werden. Auf jeden Fall heißt es für Demonstranten nach dem Urteil, gut bei der Formulierung von Parolen aufzupassen.


webwecker@aulbi.de

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