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Neue Westfälische , 04.09.2000 :

Gedenken und nachdenken / "Blumen für Stukenbrock": Zeichen setzen gegen wachsenden Neonazismus

Schloß Holte-Stukenbrock (kap). "Im neuen Jahrhundert muss Frieden sein". Unter dieses Motto stellte der Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock" die Mahn- und Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag 2000 auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof in Stukenbrock-Senne, an der rund 300 Menschen teilnahmen.

Mit der Veranstaltung sollte neben dem Gedenken an die 65.000 sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsverschleppten aus Polen, Frankreich, Italien und Jugoslawien, die in der Senne starben, auch ein Zeichen gegen den wachsenden Neonazismus gesetzt werden. Werner Höner, Vorsitzender des Arbeitskrei- ses "Blumen für Stukenbrock", forderte die Anwesenden auf, den verbrecherischen Aktivitäten neonazistischer Kräfte nicht weiter tatenlos zuzusehen.

"Kriegsgräberstätten sind Mahnmal vor allem für die Jugend", unterstrich auch Landesinnenminister Fritz Behrens. Es dürfe aber nicht bei Kranzniederlegungen und Mahnveranstaltungen bleiben. Denn allein hierdurch "wird es nicht gelingen, die Entstehung neuen Neonazitums zu vermeiden", insbesondere was die Übergriffe auf Ausländer betreffe.

"Wir alle müssen uns aktiv und konsequent wehren", forderte Behrens. Nur so könne den Neonazis der Boden für ihre Taten dauerhaft entzogen werden. Dies sei eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, "aber auch jedes einzelnen".

"Nachsicht gegen Neonazis wird es nicht geben", betonte Behrens weiter, dessen Rede mehrfach von Zwischenrufen gestört wurde. "Wir werden mit allen Mitteln, die der Rechtsstaat zur Verfügung hat, hart durchgreifen." Dies sei eine Seite, die andere sei die Arbeit für den Frieden, wie etwa die Versöhnung über den Gräbern.

Der Paderborner Universitätsprofessor Dr. Arno Klönne erinnerte in seiner Gedenkansprache an die "brutale Interessenpolitik" des Hitler-Regimes. Antikommunismus und Antisemitismus hätten sich als Massenfeindbilder nutzen lassen. Bei dem Tod von zigtausenden Gefange- ner "handelte es sich aber nicht um Zufälligkeiten, sondern um programmierte Unmenschlichkeit".

Der heute stets geforderte Ruck gegen Rechts sei zwar richtig, so Klönne. Er helfe jedoch nicht viel weiter, wenn man sich die selbstkritische Frage stelle, was den Neonazismus gefördert habe. Dieser sei "nicht jetzt erst wieder aufgekommen", etwa durch irgendwelche "Dumpfbacken in Ostdeutschland", rückte Klönne die Fakten zurecht. "Gedenken ohne Nachdenken hilft nicht weiter." Die Gewöhnung an eine neue hochtechnologische Kriegsführung und militärische Interventionen als weltwirtschaftliche Interessendurchsetzung: "Diese Politik kommt fast lautlos daher." Und das alles nach dem Motto: "Friede den Palästen, Krieg den Hütten." "Wir sind weit entfernt von einer Welt ohne Rassismus und Krieg", be- tonte Klönne. "Wer sich auf die da oben verlässt, der ist verlassen. Tun wir selbst etwas."

Er werde oft gefragt, "ob denn eine solche Veranstaltung 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder sinnvoll" sei, hatte Werner Höner zu Beginn geschildert. Nur so aber "sind wir in der Lage, unsere Zukunft friedlich und menschenwürdig zu gestalten." Im Hinblick auf die Gefahren des Neonazismus forderte er "mehr Transparenz der politischen Entscheidungen." Denn Neonazis seien nicht nur in der NPD und Schlägertrupps zu Hause.

Der Boden werde ihnen in der Gesellschaft bereitet. "Von wem ist denn die Losung, 'Kinder statt Inder'?", fragte Höner. Polizei und Verfassungsschutz seien offensichtlich "sehbehindert auf dem rechten Auge". Wegsehen aber sei der absolut falsche Weg.

Neben Vertretern der Bot- schaften Weißrusslands, Polens, Frankreichs, der Ukraine und Jugoslawiens nahmen erstmals Abordnungen aus Kuba und Moldawien an der Veranstaltung teil.


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