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Bundesjustizministerium , 09.05.2001 :

" ... tatsächlichen Voraussetzungen für eine Auslieferung Deutscher ... "

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin MdB
Bundesministerin der Justiz
Jerusalemer Strasse 27
10117 Berlin
Telefon (030) 2025-9000
Telefax (030) 2025-9043

An das
Mitglied des Deutschen Bundestages
Frau Annelie Buntenbach
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Sehr geehrte Frau Kollegin,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 14. März 2001, mit dem Sie um nähere Angaben darüber bitten, wie und wann die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Auslieferung Deutscher an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschaffen werden.

Die von Ihnen angesprochene Grundgesetzänderung soll neben einer Überstellung an Internationale Strafgerichtshöfe auch die Auslieferung Deutscher an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermöglichen, um der erreichten und noch angestrebten europäischen Integration Rechnung zu tragen.

Bereits das Auslieferungsübereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. September 1996 sieht in seinem Artikel 7 Absatz 1 vor, dass die Auslieferung nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden darf, bei dem Verfolgten handele es sich um einen eigenen Staatsangehörigen. Allerdings ermöglicht Absatz 2 den Mitgliedstaaten die Einlegung eines zeitlich befristeten Vorbehaltes, eigene Staatsangehörige nicht auszuliefern, was auch Deutschland anlässlich der Ratifikation des Übereinkommens im Dezember 1998, also vor der Änderung des Grundgesetzes, getan hat.

Das Übereinkommen ist bisher von einer Reihe wichtiger Partnerstaaten wie Italien, Frankreich, Belgien und Schweden leider immer noch nicht ratifiziert worden. Diejenigen Staaten, die es bisher ratifiziert haben, lehnen entweder die Auslieferung eigener Staatsangehöriger ab (Griechenland und Österreich) oder gestatten sie nach Maßgabe bestimmter Kriterien, die nicht immer ganz eindeutig sind. Ich halte es für unerlässlich, dass für die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Wesentlichen gleiche Bedingungen gelten. Deshalb muss nach der Ratifikation des Übereinkommens durch alle Mitgliedstaaten als nächster Schritt dafür gesorgt werden, dass möglichst identische Bedingungen für die Auslieferung eigener Staatsangehöriger in der Europäischen Union geschaffen werden, damit dann auch deutsche Staatsangehörige an EU-Staaten ausgeliefert werden können.

Die Strafverfolgung mutmaßlicher deutscher NS-Straftäter in Deutschland statt im EU-Tatortstaat – falls die deutschen Strafverfolgungsbehörden von etwaigen Verdachtsmomenten überhaupt Kenntnis haben – ist sicherlich nur die zweitbeste Lösung. Solange allerdings wichtige Partnerstaaten das Auslieferungsübereinkommen nicht ratifizieren und insofern die Voraussetzungen zur Auslieferung eigener Staatsangehöriger nicht schaffen, könnte Deutschland selbst dann, wenn das fragliche Ausführungsgesetz schon erlassen wäre, wegen des Grundsatzes der Gegenseitigkeit deutsche Staatsangehörige nicht ausliefern. Ihr Schreiben und der aus den Medien bekannte Fall Engel hat mich veranlasst, eine europäische Initiative mit dem Ziel anzustreben, endlich eine Ratifikation des Auslieferungsübereinkommens durch alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erreichen.

Mit freundlichen Grüßen


poststelle@bmj.bund.de

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