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Lippische Landes-Zeitung , 31.01.1981 :

Lehrer-Erklärung zu Klingenberg

Die Anfeindungen und Versuche einer Maßregelung als Reaktion auf unsere Unterschrift zur öffentlichen Erklärung vom 17. Januar 1981 rufen bei uns großes Befremden hervor. Dadurch ist eine Sitaution entstanden, in der sachliche Argumentation sehr schwierig geworden ist. Dennoch soll der Versuch gemacht werden, auf Polemik, Unterstellungen und Einschüchterungsversuche nicht mit gleichen Mitteln zu reagieren, sondern ein Gespräch zu suchen.

Für die Mehrheit der heutigen Jugendgeneration scheinen folgende Grundeinstellungen charakteristisch: verbreitetes "politisches Desinteresse" und "Rückzug in die Privatheit". "Daneben lassen sich auf der anderen Seite gut 15 Prozent Jugendliche ausmachen, die nicht in das Modell der obrigkeitlichen Wohlstandsdemokratie passen, die sich auch nicht eingepaßt haben." (Die ZEIT vom 05.09.1980 nach einer EMNID-Untersuchung)

Auf diese Situation hat man sich derzeit einzustellen, obwohl Jugendliche in der Schule zu "selbstbestimmten politischen Handeln in einer demokratischen Gesellschaft" ermutigt werden (öffentl. Erkl.) und dazu "politische Konflikte nach den Regeln der Verfassung und des Rechts auszutragen und auch eine nach ihrer Überzeugung falsche endgültige Entscheidung der Volksvertretung zu ertragen" (Leserbrief von H. Isenbeck, LZ vom 24.01). In ähnlicher Form heißt es z.B. in den Richtlinien zum Politik-Unterricht: "Erkennen, dass es politische Konflikte gibt, die sich nicht für alle Beteiligten gleich gerecht und befriedigend lösen lassen und deshalb bereit sein, auch begrenzte Lösungen anzuerkennen." Genau das beinhaltet der Zusatz der öffentlichen Erklärung: "in einer demokratischen Gesellschaft".

Welche Gründe können nun für politische Apathie auf der einen und Selbstausbürgerung auf der anderen Seite verantwortlich gemacht werden? Für politisches Desinteresse werden in der ZEIT folgende Ursachen angegeben:
- Die Jugendlichen wachsen heute in einem immer perfekter betreuenden Wohlfahrtsstaat auf;
- staatlich-bürokratische Strukturen expandieren immer mehr.

Resignierend-apathische Jugendliche fallen nicht auf und wirken angepaßt; das kritische Potential ergibt sich aus den 15 Prozent oder 1,3 Milllionen jugendlicher "Aussteiger" und "Alternativer". Auch sie erfahren die Zwänge einer immer perfekteren Industriegesellschaft, aber sie reagieren auf die "Fertigkeit der Welt" (Baacke) mit dem Wunsch nach "Rissen, Nischen, Löchern, Altmodischem" in unserer Gesellschaft (Bopp). Sie engagieren sich in "alternativen Projekten, von denen man Schutz vor Einzwängung in öde Berufsroutine, Hierachie, aufreibende Karriere, starre Rollenzuweisung und versteinerte Kommunikation erwartet" (Bopp).

Die Klingenberg-Besetzer lassen sich den Letztgenannten zuordnen. Wie übereinstimmend von Besuchern berichtet wird, haben die Jugendlichen dort sehr viel Kreativität und Originalität in friedlicher und produktiver Weise geleistet, etwas, was wohl ebenso als Kulturarbeit einzuschätzen ist wie die zahlreichen Veranstaltungen (Leserbrief von F. Kohring, LZ vom 24.01.).

Diese Gruppe von Jugendlichen läßt sich nicht für unsere parlamentarische Demokratie (zurück-)gewinnen durch massive Konfrontation mit der Staatsmacht als Reaktion auf einen ungesetzlichen Akt, der nach dem Selbstverständnis der Jugendlichen durchaus legitim war: ein intaktes Haus vor dem Abriß zu schützen und Chancen einer unreglementierten Kulturarbeit zu nutzen.

Diese Jugendliche brauchen unser Verständnis, unsere Hilfe und auch unsere Nachsicht. Brutalität führt dazu, dass ihr Demokratieverständnis völlig zerstört wird (Leserbrief von M. Schmidt u.a., LZ vom 24.01.). Strafverfolgung (die ja nur auf einen entsprechenden Antrag hin einsetzt) führt zu einem Prozess weiterer Kriminalisierung, da die Besetzer sich zu Unrecht bestraft fühlen werden. Hilfreich hingegen sind konstruktive Wege, auf denen man den Jugendlichen entgegen kommt. Nur so ist ein Dialog mit ihnen möglich. Gehört es nicht zur Pflicht der Lehrer, ihren pädagogischen Auftrag ernst zu nehmen? Ist nicht gerade jetzt ein Signal der Verständigung wichtig? Ich meine wohl und glaube, dass meine Unterschrift deswegen auch wichtig war.

Horst Peterjürgens
Arminiusweg 2b
Detmold

31.01./01.02.1981
Detmold@lz-online.de

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