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Lippische Landes-Zeitung , 26.07.2003 :

Lahme Politik / "Kirchenasyl für Vater Bozkurt", LZ vom 16. Juli

Als Bürger dieser Republik bin ich mit dem geltenden Ausländerrecht und der Ausländerpolitik durchaus unzufrieden. In jahrelanger Mühe wurde von Parteigremien, Hilfsverbänden, besonderen Kommissionen, den Kirchen und in Abstimmung mit Arbeitgebern und Gewerkschaften ein Zuwanderungsgesetz erarbeitet. Es sollte den bisherigen Gesetzes-Wirrwarr beenden und im sich vereinigenden Europa Wege der Vernunft und Gerechtigkeit ebnen.

Kaum liegt der Entwurf auf dem Tisch und ist im Bundestag verabschiedet, da beginnt im Bundesrat ein unsäglich lächerliches Trauerspiel. Die Verabschiedung des notwendigen Gesetzes wird aus wahltaktischen Erwägungen über das Bundesverfassungsgericht verzögert und die weitere parlamentarische Behandlung von der jeweiligen Opposition hintertrieben. Immer mehr Zeit vergeht, der Regelungsbedarf bleibt. Die mittleren und nachgeordneten Instanzen des Staates haben alle Mühe, mit der Anwendung der vorhandenen und mangelhaften Gesetze dem Willen des Volkes und seiner Verfassung nachzukommen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Die Bonner Republik bescherte die Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl. Die Berliner Republik erfand den Greencard-Flop und blieb - von Grün angeregt - gesetzgeberisch auf halbem Weg stecken. Diese lahme Politik macht uns in der Bevölkerung langsam blind für die notwendigen und möglichen Maßnahmen und schwerhörig für die tatsächlichen Bedürfnisse der bei uns angekommenen Flüchtlinge.

Dass die kurdische Familie einfach nur in Ruhe und Frieden leben, arbeiten und ihre Kinder großziehen will, was in ihrem osttürkischen Heimatland erwiesenermaßen nicht möglich ist, das hat die Silixer Bevölkerung verstanden und ernstgenommen. Unsere Politiker und Richter brauchen das nicht zu verstehen. Sie haben die miserablen Gesetze unseres Staates und die dazugehörigen Ausführungsbestimmungen.

Zu bedauern sind in solcher Lage zuerst die geflohenen Ausländer. Zu bedauern sind aber auch die nachgeordneten Instanzen, Ausländerämter und ihre Mitarbeiter. Sie suchen im Verordnungswust oft nach Wegen der Menschlichkeit, aber schließlich fällt ihnen auch nichts anderes ein, als einen unbescholtenen Familienvater in Abschiebehaft zu nehmen. Zu bedauern sind die Polizisten, die bei Nacht und Nebel die Abschiebung der "nicht aufenthaltsberechtigten Ausländer" zu exekutieren haben. So geht Menschenwürde verloren - Stück für Stück.

Da bin ich froh, dass die Kirchen eine andere Sicht der Dinge haben, trotz aller Widerstände eine ausländerfreundliche Praxis anstreben. Der Silixer Bevölkerung und der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde sei für ihren mutigen Einsatz zugunsten der Familie Bozkurt bestens gedankt. Das "Jahr der Bibel 2003" hätte sich gelohnt, wenn der Inhalt des alten Buches als Maßstab des Handelns und Miteinanderlebens dienen würde.

Erhard Goeken
Pfarrer i.R.
Unterer Weg 66
Detmold


Detmold@lz-online.de

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