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Kulturforum der yezidischen Glaubensgemeinschaft e.V. , 09.09.2000 :

Redebeitrag von Telim Tolan auf der Demonstration "Bleiberecht für Yeziden!"

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,

wir sind heute aus Oldenburg hier nach Detmold gekommen, um unsere Solidarität mit den yezidischen Flüchtlingen aus Georgien zu demonstrieren. Wir haben allen Grund zur Sorge und zur Angst. Nach allem, was ich weiß, stehen allein in Nordrhein-Westfalen mindestens 40 Familien auf der Abschiebeliste. Und inzwischen wissen wir sehr genau, was sie in Georgien erwartet: Polizeihaft, Folter, Erpressung und das Schlimmste: Vergewaltigung und Ermordung.

Für alle, die uns Yeziden nicht kennen, möchte ich betonen: Wir gehören einer Religion an, die mindestens 4000 Jahre alt ist. Wir sind keine Sekte. Vor dem Islam waren alle Kurden Yeziden. Doch die Zwangsbekehrung hat die Zahl auf heute etwa 600. bis 800.000 Menschen dezimiert.

Unsere Geschichte ist eine Geschichte der Flucht: aus der Türkei, aus Syrien, dem Irak, dem Iran, aus Armenien und Georgien. Nach Georgien waren Yeziden vor Jahrzehnten aus der Türkei geflüchtet, und so lange die Sowjetunion bestand, konnten sie existieren. Das ist seitdem vorbei. 1989 wurden bei einer Volkszählung noch 33.000 Yeziden in Georgien gezählt, heute sind es vielleicht noch 2000. Viele sind nach Rußland geflüchtet, und auch dort werden sie diskriminiert.

In Georgien haben Yeziden keine Überlebenschance. Wenn ich das sage, kann ich mich auf renommierte Zeugen berufen. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte hat den Verwaltungsgerichten in den Asylverfahren über die Gräueltaten berichtet, die an den Yeziden in Georgien begangen wurden. Nach der Einschätzung dieser anerkannten Menschenrechtsorganisation, die einen Konsultationsstatus bei der UNO innehat, herrscht in Georgien eine Gruppenverfolgung vor.

Ich möchte aus dem Bericht, der elf Seiten lang ist, nur eine Seite vorlesen:

- Drei Polizisten gehörten zu einer Gruppe, die im September 1994 die Wohnung der yezidischen Familie Tscholl A. überfiel, ausraubte und zwei anwesenden Frauen mit
heißem Bügeleisen Brandwunden zufügte. Nach Erstattung einer Anzeige wurde die Familie mit Drohanrufen terrorisiert, im Febraur 1995 wurde ihr Heim angezündet.

- Der 18-jährige Giwi O. wurde 1995 auf dem Polizeirevier erschlagen. Drei Tage später starb sein Bruder Temur infolge einer giftigen Injektion, die er auf dem gleichen
Polizeirevier gewaltsam verabreicht bekam.

- Familie Memeol K.: Vater Memeol wurde im Februar 1995 entführt, bewusstlos geschlagen, ihm wurden die Zähne ausgeschlagen. Polizei verweigerte die Ermittlungen,
weil er Jezide war. Seit 1995 wurde sein Schwiegersohn, Surab Asmanow, mehrmals von der Polizei festgenommen, die von der Familie Lösegeld für seine Freilassung
erpresst. Asmanows Elternhaus wurde niedergebrannt, sein Vater schwer mißhandelt, seiner Mutter schnitt man die Nase ab. Memeols Schwager verstarb an
Mißhandlungen auf der Polizeiwache.

- Im März 1996 wurden Teimuras A. und sein Schwager von Polizisten auf offener Straße entführt, ausgeraubt und bewusstlos geschlagen. Zwei Tage später fand man sie
schwer verletzt auf einem Tifliser Friedhof. Teimuras überlebte die Verletzungen nicht und starb kurz darauf im Krankenhaus. Sein Schwager ist seitdem behindert. Im
Dezember holte die Polizei ihn ab und erklärte der Familie, dass sie ihn gegen 3000 US-Dollars freikaufen könne.

- Im August 1996 überfielen Polizisten, die von der Familie K. regelmäßig Geld erpreßten, die Wohnung der Familie und raubten sie aus. Der anwesenden Mutter, Kubar
K. fügten sie Verbrennungen mit einem Bügeleisen zu.

So geht es noch über mehrere Seiten weiter.

Man fragt sich: Was muß noch an Beweisen geliefert werden, damit die Gerichte überzeugt werden, dass die Yeziden in Georgien Opfer zahlreicher Menschenrechtsverletzungen sind? Den Yeziden und yezidischen Organisationen wird nicht geglaubt, weil diese Betroffene seien. Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen werden einfach als Gefälligkeitsgutachten abgestempelt und es wird einer Auseinandersetzung mit dem erdrückenden Material aus dem Wege gegangen. Erwarten etwa die Gerichte, dass asylbegehrende Yeziden zur Glaubhaftmachung des ihnen angetanen Unrechts, die Unterschrift ihrer Peiniger vorlegen?

Das Auswärtige Amt hat über seine Botschaft in Georgien eine Liste mit ermordeten Yeziden überprüfen lassen. Bei seiner Recherche wurden georgische Behörden einbezogen. Man muß kein Hellseher sein, um zu erraten, zu welchem Ergebnis diese Untersuchungen geführt haben. Glaubt man wirklich, dass der georgische Staat ernsthaft an einer Aufdeckung dieser Morde interessiert ist?

Wir haben berechtigte Sorgen, dass die Yeziden Opfer außenpolitischer Interessen geworden sind. Man will Georgien nicht an den Pranger stellen, fühlt man sich doch dem Staatspräsidenten Eduard Schewardnadse für seine "Verdienste" um die deutsche Einheit verpflichtet.

Man kann resignieren und an dieser menschlichen Kälte zerbrechen oder man kämpft für die Menschenrechte. Wir können jedenfalls nicht tatenlos zusehen, wie Menschen in die Arme ihrer Peiniger ausgeliefert werden!

Ich habe am Dienstag ein älteres yezidisches Ehepaar besucht, das jetzt abgeschoben werden soll. Beide sind schwer krank. Der Hausarzt hat in einer Bescheinigung bestätigt, dass eine Abschiebung aufgrund der schlechten ärztlichen Versorgung in Georgien nicht vertretbar sei. Diese Bescheinigung wurde von der Ausländerbehörde nicht anerkannt. Stattdessen wurde das Gesundheitsamt eingeschaltet, das nach einer Eiluntersuchung zu einem ganz anderen Ergebnis kam.

Muß es erst dazu kommen, dass abgeschobene Yeziden in Georgien wieder Opfer von Übergriffen werden, damit es zu einem Umdenken kommt? Wir wissen doch, dass hier lebende Yeziden immer wieder Anrufe von Angehörigen aus Georgien bekommen, dass sich die Sicherheitsbehörden nach ihnen erkundigen und sie bei der Rückkehr ernsthafte Schwierigkeiten erwarten!

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser Dank gilt den zahlreichen Organisationen, die sich für die Yeziden einsetzen und auch heute zum Gelingen der Demonstration beigetragen haben. Es ist ermutigend, dass es in Deutschland Menschen und Organisationen gibt, denen das Schicksal der Yeziden nicht gleichgültig ist. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Internationalen Beratungszentrum in Detmold. Die Mitarbeiter haben in den letzten Wochen gewaltige Anstrengungen unternommen. Das ist praktizierende Nächstenliebe!

Der Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte ist das höchste und wichtigste Gut in einer Gesellschaft! Viele Politiker, die heute regieren, haben früher Bereitschaft gezeigt, sich für Flüchtlinge einzusetzen. Wir haben nicht vergessen und sind dankbar, dass die Politiker gerade in Nordrhein-Westfalen bereit waren, uns als Yeziden aus der Türkei ein Bleiberecht zu geben. So war es Herbert Schnoor, der 1989 als Innenminister von Nordrhein-Westfalen mit Professor Wießner in die Türkei fuhr und die Lage der Yeziden dort untersucht hat. Auch damals wurden die Asylanträge der Yeziden abgelehnt, weil man nicht an eine Verfolgung der Yeziden glaubte. Bis zur Anerkennung als Flüchtlinge hat es mehr als 10 Jahre gedauert.

Wir hoffen, dass der heutige NRW-Innenminister, Herr Dr. Fritz Behrens und die anderen Politiker, die heute Regierungsverantwortung tragen, auch heute die Verantwortung für Flüchtlinge nicht vergessen. Dafür müssen wir uns nachdrücklich einsetzen. Nur wenn sich von unten etwas bewegt haben wir die Chance gehört zu werden. Darum wird es auch nicht bei dieser Kundgebung bleiben.

Unsere Forderung nach einem Abschiebestopp und Bleiberecht für die Yeziden bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als das Einklagen eines selbstverständlichen Menschenrechts: Das Recht auf Leben! Das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit!

Und wir bitten alle, gemeinsam mit uns zu verhindern, dass es zu Abschiebungen nach Georgien kommt.

Diese Demonstration können wir als kleinen Erfolg werten, aber ohne kleine Erfolge gibt es auch keine großen Erfolge.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie alle sehr herzlich, den Yeziden beizustehen!


info@yeziden.de

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