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Westdeutscher Rundfunk Köln , 02.12.2021 :

Prozess um "Terror-Gruppe S.": Angeklagter ist sich "keiner Schuld bewusst"

02.12.2021 - 18.07 Uhr

Im Prozess um die so genannte "Terror-Gruppe S." hat am Donnerstag der Angeklagte Tony E. seine Aussage fortgesetzt. Obwohl er laut Anklage als eine der treibenden Kräfte galt, bezeichnete sich E. heute als unschuldig.

"Ich bin mir keiner Schuld bewusst, weder damals noch heute", sagte E. gegen Ende seiner etwa dreistündigen Aussage. Vor dem ominösen Treffen in Minden Anfang Februar 2020, das als Grundlage für die Terrorismus-Vorwürfe des Generalbundesanwalts gilt, sei in seiner Anwesenheit nie konkret darüber gesprochen worden, dass dort eine Gruppe gebildet werden soll, um Terrorakte zu verüben.

Im Vorfeld ging es nicht um Anschläge

Auch um Anschläge oder Gewaltakte sei es im Vorfeld nicht gegangen. Er sei sich sicher, so E., dass sich "ein Großteil der Angeklagten dagegen ausgesprochen hätte" - auch er selbst.

Angeklagte sollen Terroranschläge geplant haben

Bei dem Prozess geht es um insgesamt zwölf Angeklagte. Den Männern aus fünf Bundesländern wird vom Generalbundesanwalt vorgeworfen, eine terroristische Gruppe gegründet oder unterstützt zu haben.

Der Prozess läuft seit April am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim und soll nächste Woche fortgesetzt werden.

"Es ging nur ums persönliche Kennenlernen"

E. führte heute aus, er sei nach Minden gefahren, um dort interessante Menschen persönlich kennen zu lernen, die er vorher durch Chat-Gruppen kannte: "Wenn man politisch etwas erreichen möchte", sei es wichtig, gute Kontakte zu haben.

Insgesamt sprach E. von einer "riesigen Szene". Für ihn sollte in Minden zwar eine neue Gruppe gegründet werden, jedoch als Alternative zu den Gruppen, in denen er sich vorher aufhielt; mögliche Themen seien "Heimat, Asylpolitik, Demonstrationen" gewesen.

"So etwas wie Freundschaft" zu S.

Zu Werner S., dem Namensgeber der mutmaßlichen Terror-Gruppe, habe er "schon so etwas wie Freundschaft" empfunden. Für ihn wäre er der Kopf einer neu zu gründenden Freikorps-Gruppe gewesen, neben ihm selbst und einem weiteren Mann, der dann aber nicht zu dem Mindener Treffen gekommen sei.

E. selbst war nach eigenen Angaben bereits zuvor Führungskraft im so genannten Freikorps Heimatschutz, einer mutmaßlich gewaltbereiten, bürgerwehrähnlichen Gruppe aus der rechten Szene.

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Spiegel Online, 25.11.2021:

Terror-Prozess gegen "Gruppe S."

25.11.2021 - 20.10 Uhr

Altruistisch, ausgeglichen, sozial kompetent - die Selbstwahrnehmung des Rechtsextremisten E.

Tony E. gilt als Mitanführer einer Gruppe mutmaßlicher Rechtsterroristen. Vor Gericht zeichnet er ein harmloses Bild von sich. Doch die Ermittlungen sprechen eine andere Sprache.

Von Julia Jüttner, Stuttgart

Der "Seelenbruder" hat Muffensausen. Zwei Justizwachtmeister führen Tony E. zum Zeugenstand und nehmen ihm die Handfesseln ab. Er hat heute im Saal des Oberlandesgerichts Stuttgart auf dem Gelände des Hochsicherheitstraktes in Stammheim seinen großen Auftritt. Es ist seine Chance, die Richter von seiner Version zu überzeugen.

Die Anklage geht davon aus, dass E. mit der "Gruppe S." einen Bürgerkrieg anzetteln und ein Staats- und Gesellschaftssystem nach seinen menschenverachtenden Vorstellungen etablieren wollte. Tony E. war dem Generalbundesanwalt zufolge die "rechte Hand" des Rädelsführers Werner S., sein "Seelenbruder"; bereit, für die Ziele der Gruppe sein Leben zu opfern.

Der Staatsschutzsenat hat schon durchblicken lassen, dass er zwar Gründungsort und -zeitpunkt anders sieht als die Anklagebehörde, aber ebenso davon ausgeht, dass sich mit der "Gruppe S." tatsächlich eine terroristische Vereinigung zusammenfand.

Alltagspfleger "mit viel Freude"

Tony E. putzt sich die Nase. Er trägt ein blaues Hemd, darüber ein blaues Sakko. Vor sich legt er einen dicken Stapel Papiere, getippt und beidseitig bedruckt. Rechts von ihm setzt sich sein Verteidiger Heiko Hofstätter. "Stellungnahme zu Person und Sache", liest E. ab. Sein Vortrag wird mehrere Stunden dauern und an diesem Tag nicht beendet werden.

Der eine oder andere werde ihn für einen "Verräter" halten, sagt Tony E. an die elf Mitangeklagten gerichtet. Das könne er nur "entschieden negieren", betont E. "Es gibt nichts zu verraten." Es ist der Prolog eines Geständnisses, mit dem er sich selbst in ein gutes Licht rücken will.

Tony E., geboren im thüringischen Nordhausen, zuletzt wohnhaft in Wriedel in der Lüneburger Heide, ist 41 Jahre alt, Vater von zwei kleinen Söhnen und gelernter Industriekaufmann mit beruflicher Achterbahn: Erst war er Zeitsoldat, anschließend arbeitete er als selbstständiger Versicherungsmakler, Ladendetektiv, Sicherheitskraft und als Angestellter in einem Büro. Er jobbte nebenbei als Türsteher und Security-Mitarbeiter und ließ sich nach seiner Elternzeit zum Alltagsbetreuer ausbilden. Bis zu seiner Festnahme arbeitete er bei einem ambulanten Pflegedienst, "mit viel Freude", wie er sagt.

Vom "Querdenker" zum "Freigeist"

Seine Ehefrau sei nach seiner Inhaftierung Anfeindungen ausgesetzt gewesen und habe Zweifel gehegt, wen sie da offensichtlich geheiratet habe; inzwischen habe sie die Scheidung eingereicht.

E. aber beschreibt sich als "ausgeglichenen Zeitgenossen", altruistisch, zuverlässig, prinzipien-, wort- und werttreu; als loyal, sozial kompetent und voller positiver Lebenseinstellung mit der Neigung, Menschen mit "gleicher Einstellung" zu voreilig einen Vertrauensvorschuss zu geben. Er betrachte sich als "Querdenker", sagt E., aber seit Corona sei dieser Begriff negativ besetzt, daher passe wohl besser: "Freigeist".

E. ist nicht vorbestraft, aber ein Rechtsextremist. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft sind seine Feindbilder klar definiert: Menschen jüdischen Glaubens, dunkelhäutige Personen, Asylsuchende und Politiker, die nicht seiner Meinung sind. Auf seinem Handy wurde rechtsextremes Gedankengut sichergestellt, darunter menschenverachtende Karikaturen, Hakenkreuze und Dokumente zur Leugnung des Holocaust.

Anhänger der "Reichsbürger"-Szene

Er bedauere "scharfzüngige Äußerungen", die er in der Vergangenheit getätigt habe, betont E. im Gericht. Welche genau er meint, sagt er nicht. Als einer, der das System der DDR ebenso wie das der BRD kenne, habe ihn ab 2014 "die Entwicklung Deutschlands tiefgreifend bewegt". Mit "aller Vehemenz" aber distanziere er sich von Terrorismus und Nationalsozialismus. Er verurteile Anschläge wie den in Hanau, aber eben auch die islamistischen Anschläge auf den Berliner Weihnachtsmarkt oder in Würzburg im Juni.

E. gehört nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft der "Reichsbürger"-Szene an. Er war Führungsmitglied der rechtsextremen Gruppierung "Freikorps Heimatschutz Division 2016" und Anhänger anderer Gruppen wie der "Bruderschaft Deutschland", einem bürgerwehrähnlichen Zusammenschluss von Rechtsextremisten, Türstehern, Hooligans und Kampfsportlern.

Im Gericht zählt E. namentlich seine Freundschaften zu Menschen mit Migrationshintergrund auf und schwärmt, wie gern er beim Pakistaner einkaufe, sich beim Orientalen frisieren lasse, beim Asiaten esse und die Thai-Massage besuche. In Untersuchungshaft helfe er Mitgefangenen beim Verfassen von Schreiben. Er habe "ein Problem mit der zunehmenden Islamisierung" und fürchte eine Bedrohung für Deutschland und Europa, trotzdem sei er ein Befürworter der Demokratie. Er gibt sich Mühe, glaubhaft zu klingen und er genießt es, seine Eloquenz zur Schau zu stellen.

Im Chat herrschte Hitler-Verbot

Seinen Kontakt zum mutmaßlichen Initiator der "Gruppe S.", Werner S., redet E. klein. So hätten sie anfangs lediglich Gespräche am Telefon geführt, "es ging um Hunde und Politik". Anschlagspläne und Waffen seien kein Thema gewesen. Erst im Juli 2019 sei man sich erstmals persönlich begegnet.

Über unterschiedliche Messenger-Dienste soll sich Tony E. mit Werner S. und anderen über Pläne zum Umsturz des Staatssystems ausgetauscht haben. Die Regeln waren strikt: Keine Bilder von Waffen oder Adolf Hitler, keine Nazi-Sprüche oder Aufrufe. Die Codewörter für Waffen lauteten "E-Bike", "Akku" oder "Hardware".

Er habe sich für die Inhalte der verschiedenen Chat-Gruppen nicht interessiert, behauptet Tony E. Das erste Treffen mit anderen, späteren Unterstützern der "Gruppe S." Ende September 2019 am Grillplatz "Hummelgautsche" im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald spielt E. herunter. Auf Grund des steigenden Alkoholpegels sei am ersten Abend keine Konversation möglich gewesen. Auch am Tag darauf sei nicht wirklich etwas besprochen worden.

"Tief in die Augen sehen"

Beim Treffen in Minden im Februar 2020 sei S. der Tonangebende gewesen, sagt E. Dieser habe auf dem Weg zu der Verabredung angekündigt, er werde allen Teilnehmern "eine Frage stellen und ihnen tief in die Augen sehen". E. will nicht nachgefragt haben. Auch will er "irritiert" gewesen sein, als S. der Truppe mitgeteilt habe, man sei längst aus dem Stadium raus, mit Plakaten und Flyern etwas zu bewegen. E. spricht von "Stimmungswechsel" und veränderter "Atmosphäre". Paul-Ludwig U., der fragwürdige Kronzeuge in diesem Verfahren, habe schließlich eine Debatte ausgelöst, indem er gerufen habe, man müsse Moscheen anzünden. Eine Zustimmung habe es dafür jedoch nicht gegeben.

Vielmehr habe S. nach einer Runde Brötchen mit Mett und Käse zweimal gefragt, wer wie viel Geld zur Verfügung habe und wer Waffen besorgen könne. Mehr sei nicht passiert. Seine Schilderung widerspricht massiv den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft, die dem rechtsgesinnten Dutzend die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten zurechnet. Nach Ansicht der Ankläger bestand eine reale Terrorgefahr: Die Männer sollen Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Muslime geplant haben, um möglichst viele Menschen zu töten und einen Bürgerkrieg zu entfachen.

Als Tony E. auf Seite 57 seiner Stellungnahme ist, unterbricht ihn der Senatsvorsitzende. Einem der anderen Angeklagten gehe es nicht gut. Die Verhandlung wird für diesen Tag beendet. Die restlichen 29 Seiten dürften vermutlich auch anderen Prozessbeteiligten noch auf den Magen schlagen.

Bildunterschrift: Angeklagte in Stuttgart-Stammheim: Wollte die "Gruppe S." das Staats- und Gesellschaftssystem stürzen?

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 25.11.2021:

Terror-Gruppe S.: Zwei weitere Treffen in OWL?

25.11.2021 - 14.58 Uhr

Mitglieder der so genannten Terror-Gruppe S. sollen sich zwei weitere Male in OWL getroffen haben. Das berichtete einer der Angeklagten heute beim Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart.

Die so genannte Terror-Gruppe S. soll im Februar 2020 nach weiteren möglichen Mitgliedern in OWL Ausschau gehalten haben. Ein Angeklagter berichtete heute am Oberlandesgericht in Stuttgart, dass es neben dem bisher bekannten Treffen in Minden zwei weitere Zusammenkünfte gegeben haben soll.

Erstmals Aussagen von Tony E. vor Gericht

Mit Spannung war die Aussage von Tony E. vor Gericht erwartet worden. Er gilt als "rechte Hand" des mutmaßlichen Chefs der Gruppe, Werner S. Zwei Stunden berichtete E. über sich und die Vorwürfe aus der Anklageschrift. Der gelernte Industriekaufmann war zuletzt Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes. Er bestätigte, dass bei dem Treffen in Minden darüber gesprochen worden sei, Moscheen anzugreifen.

Auch Geld sollte gesammelt werden und über Waffenkäufe sei gesprochen worden - letzteres allerdings nicht im Zusammenhang mit Terrorakten, sondern, um sich zu verteidigen, sollte es einen "Tag X" geben. Er selber habe sich eher gewundert über die Inhalte, die bei dem Treffen besprochen worden seien und sich zurückgehalten.

"Gegen Gewalt und Terrorismus"

Wie schon andere Angeklagte stellte sich E. gegen den Vorwurf, rechtsradikal zu sein. Er sei gegen Terrorismus und Nationalsozialismus und würde niemals zu Gewalt aufrufen. Er habe aber ein Problem mit zunehmender Islamisierung, weil der Islam nicht ohne weiteres mit "unserer Kultur" zu vereinbaren sei.

Gleichzeitig gab E. in seiner Aussage aber an, Führungsmitglied und Geschäftsführer des Freikorps Heimatschutz gewesen zu sein, einer mutmaßlich gewaltbereiten, bürgerwehrähnlichen Gruppe. Sie stellt sich in ihren Aussagen "gegen Migranten und für das deutsche Volk".

E.: Treffen mit möglichen Kandidaten

Überraschend ist auch E.s Aussage über den Tag nach dem Mindener Treffen: Werner S. und er hätten sich demnach in Minden und Bad Oeynhausen mit möglichen weiteren Kandidaten für die Gruppe getroffen. Die beiden Männer aus OWL wären aus Sicht von S. interessant gewesen. Die Treffen seien aber eher oberflächlich und unspektakulär verlaufen. Wenige Tage später nahm die Polizei S. und elf weitere Männer fest.

Gutachter berichtet über den Polizeiinformanten

Zuvor hatte ein psychiatrischer Gutachter aus Bielefeld über Paul U. berichtet - den Polizeiinformanten, dessen Aussagen die Gruppen hatten auffliegen lassen. Er hatte U. vor sechs Jahren als forensischer Patient begutachtet.

Der Gutachter schilderte ihn als intelligenten, reflektierenden und glaubhaften Menschen. Dennoch attestierte er ihm damals eine gestörte Persönlichkeit und eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. Durch ein anderes Gutachten wurde U. aber frei gelassen und kam Jahre später in Kontakt zur so genannten Gruppe S.

Zwölf Männer sind in Stuttgart angeklagt, weil sie in Minden Terroranschläge geplant haben sollen. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

Wenige Tage später flog die mutmaßliche Terror-Gruppe auf. Zwölf Männer sitzen seit April in Stuttgart vor Gericht.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 18.11.2021:

Terror-Gruppe S.: Angeklagter aus Minden äußert sich erstmals

18.11.2021 - 14.39 Uhr

Beim Terror-Prozess gegen die so genannte Gruppe S. am Oberlandesgericht Stuttgart hat sich am Donnerstag ein weiterer Angeklagter und vermeintlicher Rechtsterrorist aus Minden geäußert.

Markus K. aus Minden ließ seine Aussagen von seiner Anwältin verlesen - und zeichnete darin von sich das Bild eines eher unpolitischen Menschen. Der Generalbundesanwalt wirft ihm vor, mit elf anderen Männern Terroranschläge geplant zu haben, um einen Bürgerkrieg in Deutschland zu provozieren.

"Ich habe NPD-Plakate weggeworfen"

Als Jugendlicher und junger Mann, so ließ K. verlesen, sei er in die Gruppe der Skinheads geraten - "ich wollte etwas Besonders darstellen", so der Angeklagte. Später sei er dann in der rechten Szene tätig gewesen, habe Plakate geklebt und Flugblätter verteilt.

Dies habe sich jedoch vor ungefähr elf Jahren geändert, nachdem er seine jetzige Lebensgefährtin kennengelernt habe und er bei einer festen Arbeitsstelle untergekommen sei. Er habe sogar 100 NPD-Plakate weggeworfen - "seitdem war ich nicht mehr politisch".

Keine Äußerung zu den Vorwürfen

Im Internet habe er sich dann über "Entnazifizierung" informiert. Unter Reichsbürgern wird der Begriff verwendet, um ihre Zugehörigkeit zum deutschen Kaiserreich zu dokumentieren. Dies sei aber nur ein "seltsames Hobby" von ihm gewesen.

Nach seiner Festnahme habe er sich in den Gefängnissen entwürdigt gefühlt. Er habe das Gefühl gehabt, alle wollten "mich in den Dreck treten". Fragen ließ K. nicht zu. Zu den Vorwürfen der Anklage, Terroranschläge gegen Moscheen geplant zu haben, wollte er sich nicht äußern.

Weiterer Angeklagter kündigt Aussage an

Der Prozess gegen die so genannte Gruppe S. läuft seit April. Die meisten der zwölf Angeklagten haben sich bisher nicht geäußert. Allerdings kündigte jetzt Tony E., laut Anklage die rechte Hand des mutmaßlichen Gruppenchefs Werner S., noch für diesen Monat eine Aussage an.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 16.11.2021:

Terror-Prozess um Gruppe S.: Abgehörte Telefonate zeigen Gewaltbereitschaft

16.11.2021 - 18.08 Uhr

Von Thomas Wöstmann

Aufgezeichnete Telefongespräche haben im Prozess um die so genannte Terror-Gruppe S. für Kopfschütteln gesorgt. Zwölf Männern wird vorgeworfen, Terroranschläge geplant zu haben.

Das Telefon von Thomas N. aus Minden war von den Behörden abgehört worden - im Gespräch mit einem Bekannten trat sein Weltbild offen zu Tage. Im Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wurden nun Teile der Telefon-Gespräche vorgespielt.

Zum einen wurde deutlich, dass N. der so genannten Reichsbürger-Szene angehört: "Das Deutsche Kaiserreich existiert heute noch", so der Mindener.

Telefonate offenbaren hohe Gewaltbereitschaft

Zum anderen ließen seine Worte auf eine hohe Gewaltbereitschaft schließen: Politikern der Grünen "kannst du doch nur den Kopfschuss geben", sie gehörten "totgeschlagen". Deutsche Politiker, wie Bundeskanzlerin Merkel, "nehmen uns die Heimat und wollen unseren Nationalstolz brechen", sagte N. in den abgehörten Telefongesprächen.

Zudem zeigte sich N. ausländerfeindlich und antisemitisch und bezeichnete mehrere internationale Politiker als "Juden".

Die Aussagen von Thomas N. sorgten vor dem Oberlandesgericht Stuttgart für Kopfschütteln: "Es fällt schwer, diese Person ernst zu nehmen", so einer der Verteidiger. Insofern sei N. auch nicht in der Lage, terroristische Gewaltakte zu planen oder zu verüben.

Enger Austausch zwischen Behörden und Polizei-Informant

Weiterhin offenbarte sich heute erneut, wie eng der Austausch zwischen der Schlüsselfigur des Prozesses, Paul U. und den Ermittlern war. U., der als Mitglied der Gruppe auch angeklagt ist, informierte immer wieder telefonisch Polizeibeamte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg über die nächsten Schritte. Auch diese Gespräche wurden im Prozess am Dienstag vorgespielt.

Aussagen angekündigt

Für die nächsten Prozesstage haben zwei weitere Angeklagte Aussagen angekündigt. Zum einen Tony E. - er gilt als rechte Hand des vermeintlichen Gruppenchefs Werner S.. Und Markus K. aus Minden, seine Angaben sollen am Donnerstag (18.11.2021) verkündet werden.

Zwölf Männern wird vorgeworfen, Terroranschläge geplant zu haben, um einen Bürgerkrieg in Deutschland zu provozieren. Der Prozess läuft seit April.

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 06.08.2021:

Terror-Prozess Gruppe S.: Weiterer Angeklagter frei

06.08.2021 - 14.47 Uhr

Von Thomas Wöstmann

Beim letzten Prozesstag gegen die rechte so genannte Terror-Gruppe S. vor der Sommerpause gab es eine Überraschung. Das Gericht hatte den Haftbefehl gegen einen Angeklagten außer Vollzug gesetzt.

Michael B. aus Kirchheim / Teck in Baden-Württemberg war der einzige Angeklagte, der nicht beim Treffen der mutmaßlichen Terror-Gruppe im Februar 2020 in Minden dabei war. Das ist vermutlich der Grund, warum er jetzt auf freien Fuß kam. Angeklagt ist er, weil er engen Kontakt zum mutmaßlichen Kopf der rechtsextremen Gruppe, Werner S., hatte und mehrfach zugesagt hatte, die Gruppe zu unterstützen. Das belegen abgehörte Telefongespräche.

Mindener gilt nicht mehr als Mitglied der Gruppe

Für die Angeklagten scheint sich die Lage insgesamt verbessert zu haben. Das Gericht geht inzwischen davon aus, dass eine Gruppe erst im Februar 2020 bei besagtem Mindener Treffen gegründet wurde - und nicht, wie in der Anklage formuliert - im September 2019.

Auch Markus K. aus Minden darf inzwischen auf ein eher mildes Urteil hoffen: Er wird nicht mehr als Mitglied der Gruppe, sondern als Unterstützer eingestuft. Anders sieht es für Thomas N. aus Minden aus: er fiel in der ersten Prozessphase vor allem dadurch auf, dass er dem mitangeklagten Polizei-Informanten Paul U. lautstark Gewalt angedrohte. U. gilt in der Gruppe als der Verräter - er hatte ein halbes Jahr lang der Polizei Interna über das Geschehen und die Kommunikation in der Gruppe weiter geleitet.

Hauptbelastungszeuge Paul U. als Schlüsselfigur

U. ist ohne Zweifel die Schlüsselfigur im Prozess. Die Anwälte der anderen Angeklagten bezeichnen ihn als unglaubwürdig, als jemand "der die Rolle seines Lebens" spiele. Ein Großteil der Anklage basiert auf seinen Informationen. Und die, so Tenor der Verteidigung, seien in vielen Punkten übertrieben oder ausgedacht.

Welche Rolle spielen die Ermittlungsbehörden?

Immer wieder geht es vor Gericht um die Rolle der ermittelnden Behörden. Abgehörte Telefongespräche deuten darauf hin, dass U. einen sehr engen Kontakt zum Generalbundesanwalt und zum Landeskriminalamt Baden-Württemberg hatte.

Hier stellt sich die Frage: Wurde er angeleitet oder handelte er auf eigene Initiative? Um das zu klären sollen demnächst eine Vertreterin des Generalbundesanwalts und ein Ermittler des Landeskriminalamts als Zeugen aussagen. Ein Verteidiger geht inzwischen von einem "Justizskandal" aus.

Gruppe S. soll Anschläge in Deutschland geplant haben

Der Gruppe S. wird vorgeworfen, Terroranschläge in Deutschland geplant zu haben. Nach einem Treffen in Minden im Februar 2020 wurden die mutmaßlichen Gruppenmitglieder festgenommen. Einer der Beschuldigten aus Porta Westfalica nahm sich in der Zwischenzeit das Leben.

Neben Thomas N. und Markus K. ist auch der Polizei-Angestellte Thorsten W. aus Hamm angeklagt. Der Prozess läuft seit April und soll im September fortgesetzt werden. Die Anwälte des Angeklagten Tony E. kündigten eine umfasse Erklärung ihres Mandanten nach der Sommerpause an.

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Am 13. April 2021 wurde beim OLG Stuttgart der Prozess gegen die terroristische Vereinigung "Gruppe S.", auch gegen die Akteure Thomas Niemann (einer der Haupttäter) und Markus Krüper aus Minden eröffnet.

Am 4. November 2020 hat die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart Anklage, gegen "elf mutmaßliche Mitglieder" - so wie "einen mutmaßlichen Unterstützer" der "Gruppe S.", erhoben.

Am 13. Juli 2020 wurde der am 14. Februar 2020 in Porta Westfalica - wegen mutmaßlicher Unterstützung der terroristischen Vereinigung "Gruppe S." - verhaftete Ulf Rösener tot in der JVA Dortmund aufgefunden.

Am 14. Februar 2020 wurden zwölf Neonazis der in Alfdorf gegründeten "Gruppe S." beziehungsweise "Der harte Kern", dabei Thomas Niemann, Markus Krüper, Minden; Ulf Rösener aus Porta Westfalica, verhaftet.

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