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Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt , 13.11.2018 :

Wenn die Nazis zurückkehren

Demo-Recht: Die Anhänger von Ursula Haverbeck haben angekündigt, wiederzukommen / Verwaltungsrechtler Burkhard Zurheide erklärt, warum ein Verbot solcher Auftritte nahezu unmöglich ist

Von Jens Reichenbach

Bielefeld. So lange Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld hinter Gittern sitzt, wollen die Neonazis weitere Demos in Bielefeld abhalten. Viele Bürger fordern dagegen endlich ein Verbot dieser Nazi-Märsche. Burkhard Zurheide, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, erklärt, warum das nahezu unmöglich ist.

"Das Demonstrationsrecht und die Versammlungsfreiheit sind ein Grundrecht. Verankert in Artikel 8 des Grundgesetzes." Das Bundesverwaltungsgericht sei bei der Durchsetzung dieser Grundrechte "sehr, sehr rigide". Das heißt: Verbote, wie erst vor wenigen Tagen in Berlin, werden im Eilverfahren gekippt.

Berlins Innensenator, Andreas Geisel, hatte einer rechtspopulistischen Vereinigung ausgerechnet am 9. November den Marsch durch Berlin untersagt. Doch das Oberverwaltungsgericht kippte das Verbot: "Es sei nicht zu erwarten, dass bei der Demonstration die Schwelle des aggressiven, provokativen, die Bürger einschüchternden Verhaltens erreicht werde", hieß es vom Gericht.

Die Polizei genehmigt also Demos nicht, sondern sie prüft Verbotsgründe. Zurheide erklärt: Der Staat dürfe eine "Demonstration unter freiem Himmel" nur einschränken, wenn es unabweisbare Gründe dafür gibt. Er nennt ein Beispiel: "Wenn ein Anmelder auf der A2 demonstrieren will, wären dadurch eine wichtige Verkehrsader blockiert und die Freizügigkeit aller Autofahrer stark eingeschränkt". In einer Innenstadt mit zahlreichen Ausweichmöglichkeiten sei so ein Verbot kaum mehr zu erwirken." Auch wenn so eine Demo die Rechte von deutlich mehr Bürgern beschränke als Demo-Teilnehmer auftauchten. Merkantile Argumente zählten genauso wenig.

Ein Verbot ist laut Zurheide nur denkbar, "wenn ich vorher weiß, dass verfassungsfeindliche Straftaten begangen werden oder dass die Anmelder verfassungsfeindlich sind". Nur wie soll man Straftaten voraussagen? Auch, dass in Bielefeld die beiden Anmelder Mitglied einer Partei sind, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, reiche nicht für Einschränkungen. Diese Partei ist nicht verboten.

Trotzdem registrierte die Polizei am Samstag Straftaten der Neonazis. Hätten die ausgereicht, um die Versammlung aufzulösen? Zurheide sagt nein. "Ein Hitlergruß allein rechtfertigt das nicht." Die Entscheidung einer Auflösung müsse nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit getroffen werden. Hier spricht er vom Opportunitätsprinzip.

Viel kritisiert wurde auch die lange Strecke. Die Polizei hatte deutlich gemacht, dass der angemeldete Hauptkundgebungsort, das Landgericht, bei der Kompromissfindung nicht zu ändern war. Da die Demonstranten mit der Bahn kamen, war die Länge der Strecke quasi vorgegeben. Auch Zurheide hält das symbolische Ziel der Demonstranten, die ein Justiz-Urteil kritisieren wollten, für nachvollziehbar.

Bleibt der der Polizei nur eine Verbotsoption: wenn die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist. Dabei müsse abzusehen sein, so Zurheide, dass die Polizei Demonstranten und unbeteiligte Passanten nicht mit vertretbaren Mitteln schützen kann. Eine allgemeine Besorgnis um die Sicherheit der Menschen auf der Straße reiche dazu ebenso wenig aus, wie die Sorge vor Randale anderer Gruppen: "Zu leicht könnte man sonst die Auftritte politischer Gegner verhindern."

Realistisch gesehen sieht der Fachanwalt nur in einer Änderung des Grundgesetzes oder in der Erweiterung der Einschränkungsmöglichkeiten eine Chance. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit stamme aus der Mentalität des 19. Jahrhunderts. "Damals wollte man sicherstellen, dass alle Deutschen ihre Meinung äußern können." Heute könne man durchaus die Frage stellen, ob eine solche Gesetzgebung noch zeitgemäß ist.

Für Zurheide selbst war es auch "unerträglich" zu sehen, wie ein bekannter Neonazi mit einem T-Shirt-Spruch den Holocaust in Frage stellt, und der Staat muss es hinnehmen. "Ändern kann man das aber nur auf politischer Ebene."

Bildunterschrift: Warten auf die Nazis: Knapp 3.000 Gegendemonstranten erwarteten am Hauptbahnhof die Ankunft der Neonazis. Von hier zogen die Demonstranten anschließend weiter, um die acht anderen Protestversammlungen in der Stadt zu stärken. Doch die starren Polizeisperrungen sorgten dabei für reichlich Unmut.

Bildunterschrift: Verwaltungsrechtler: Burkhard Zurheide.

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Bielefeld stellt sich quer - Bündnis gegen Rechts, 11.11.2018:

Pressemitteilung und Stellungnahme

Pressemitteilung und Stellungnahme des "Bündnis gegen Rechts" zu den Demos und dem Polizeieinsatz bei den Demos am 10.11.2018 in Bielefeld

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts bedankt sich bei allen Bielefelderinnen / Bielefeldern, die den Aufrufen zu unseren Kundgebungen und Demonstrationen gefolgt sind. Rund 10.000 Menschen haben erneut ein klares und eindrucksvolles Zeichen für unsere bunte und vielfältige Stadt und gegen Antisemitismus, Holocaust-Leugnung sowie jede Form von Menschenfeindlichkeit gesetzt.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das für alle gilt. Es steht für Demokratinnen / Demokraten nicht zur Disposition, auch wenn es, wie beim gestrigen Aufzug der Neonazis, nur schwer erträglich ist, dass Demokratie-Feinde dieses Grundrecht ebenfalls in Anspruch nehmen.

Wir üben jedoch entschiedene Kritik an Taktik und Strategie der Polizei.

Bereits im Vorfeld hat sie ein Bedrohungsszenarium aufgebaut, um die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und sie von einer Teilnahme an unseren Aktivitäten abzuhalten. Es wurde versucht, legitimen Protest gegen Nazis zu kriminalisieren. Durch den Einsatz von Wasserwerfern, Räumpanzern, Pferdestaffeln und die 1.700, teilweise paramilitärisch ausgerüsteten, Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesgebiet wurde die Innenstadt über mehrere Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt.

Dieses für unsere Stadt bisher beispiellose Einsatzkonzept der Polizei hat viele Bielefelderinnen / Bielefelder sehr verstört. Wir fühlten uns bei den von uns angemeldeten Demonstrationen von der Polizei nicht beschützt, sondern eindeutig feindselig bedroht und kriminalisiert. Räumpanzer und Wasserwerfer waren präventiv auf unsere Demonstrationsteilnehmerinnen / Demonstrationsteilnehmer gerichtet. Die Arbeit von Anwältinnen / Anwälten wurden von Anfang an massiv eingeschränkt, durch Falschinformationen verhindert oder durch rüden Polizeieinsatz unterbunden.

Die im Vorfeld getroffenen Vereinbarungen, damit die Demo-Teilnehmerinnen / -Teilnehmer zu den Kundgebungsstandorten kommen konnten, wurden nicht eingehalten, indem Kontrollstellen früher als zugesagt geschlossen wurden. Auch die vereinbarten Möglichkeiten zwischen den einzelnen Orten wechseln zu können, wurden nicht eingehalten. Wir fühlen uns in unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschnitten. Mehrere tausend Menschen konnten die gewünschten Kundgebungen nicht erreichen. (1)

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts war sowohl in der Vergangenheit, als auch am vergangenen Samstag, ein verlässlicher Veranstalter des zivilgesellschaftlichen Protests, welches gut mit der Polizei kooperiert und stets die Gewähr für den gewaltfreien Verlauf der Veranstaltungen übernommen hat. Wir sehen uns aber nicht als "Servicepartner" der Polizei, damit diese es einfacher hat, Faschisten einen Weg durch die Stadt zu ermöglichen. Mit dem gestrigen Einsatz hat die Polizei der Zivilgesellschaft geschadet und den geübten Weg des Konsenses verlassen.

Wir werden in den nächsten Wochen eine politische und auch gegebenenfalls rechtliche Aufarbeitung des überzogenen, unverhältnismäßigen und unangemessenen Einsatzes der Polizei vorantreiben und über Konsequenzen beraten.

(1) Durch die Sperrzone waren Wechsel zwischen den Versammlungsorten nur nördlich über die Beckhausstraße und südlich über die Sparrenburg-Promenade möglich. Daraus resultieren zum Beispiel folgende unverhältnismäßige und unangemessene Entfernungen:

Bahnhof zum Kesselbrink: circa 4,7 Kilometer über Beckhausstraße, statt circa 200 Meter direkt.

Jahnplatz zum Rathaus: circa 3,0 Kilometer über die Sparrenburg-Promenade, statt circa 200 Meter direkt.


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