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Neue Westfälische - Paderborn Kreiszeitung , 13.11.2018 :

Ergreifende Gedenkfeier für Synagoge

Heimatverein und Kirchengemeinden: In Büren wird an die Gewalt gegen Juden erinnert / Stadtführerin und Pennäler führen zurück zu den Ereignissen 1938

Von Herbert Simon

Büren. Rund 150 Menschen haben nach vielen Jahren die erste große Gedenkfeier des Heimatvereins Büren und der Katholischen Kirchengemeinde zur Erinnerung an die Zerstörung der Synagoge und die Gewalt gegen Bürener Juden am 9. November 1938 - vor 80 Jahren - begleitet. Etliche Mitwirkende riefen die Ereignisse in der so genannten Reichspogromnacht wach. Der Heimatvereinsvorsitzende Reinhold von Rüden freute sich über die hohe Zahl der Teilnehmer.

Am Mahnmal für das zerstörte jüdische Gotteshaus (Boedts Parkplatz) machte der Heimatverein mit einer Lichtabbildung auf der großen weißen Wand des Nachbarhauses die Synagoge wieder bildlich sichtbar. Hier wurden auch die Namen der 1938 noch lebenden, verhafteten und ins Konzentrationslager Buchenwald transportierten jüdischen Mitbürger ablesbar. Das 1988 auf Initiative des Hauptschullehrers Bernhard Wolff (anwesend) eingeweihte Bronzewerk auf Sandstein war in warmes Licht getaucht.

"Es waren keine Fremden, sondern Bürener"

"Unmenschlichkeit beginnt mit Worten", sagte Bürens Bürgermeister Burkhard Schwuchow zu der 1938 "staatlich organisierten Verfolgung" - und weiter mit Blick auf die Opfer: "Es waren keine Fremden, sondern Bürener, die ihren festen Platz in der Gesellschaft Bürens hatten. Die Familien Goldschmidt, Silberberg und Levy zählten neben anderen dazu."

Es hätte aber auch Bürener gegeben, "die den betroffenen Familien mutig Herberge und Hilfe anboten". Und mit Blick auf heute: Gruppierung wie die AfD würden mit Tabubrüchen dazu beitragen, "dass offen zur Schau getragene Fremdenfeindlichkeit wieder salonfähig wird". Dagegen würden sich der Heimatverein und alle Anwesenden wehren. Stadtführerin Agnes Ising machte mit einer eindringlichen Lesung aus dem Buch "Juden in Büren" von Hans Liedtke (2002 verstorben) und Heinrich Sprenger (Bonn) das damalige Geschehen wieder lebendig. Carolin Köhler und Tobias Rüther, Pennäler des Mauritiusgymnasiums, versetzten sich mit ihren Textbeiträgen in Bürener jüdische und nicht jüdische Jugendliche der damaligen Zeit.

Kirchenmusiker Stephan Wenzel und der Chor von St. Nikolaus begleiteten die Gedenkfeier musikalisch. Am Ende der Gedenkfeier entzündeten Teilnehmer Grablichter und stellten sie vor das Mahnmal.

Der Heimatverein trägt sich mit dem Gedanken, zukünftig in jedem Jahr an die Gewalttaten gegen jüdische Bürger der Stadt zu erinnern.

Bildunterschrift: Am Mahnmal das Geschehen von 1938 wachgerufen: Der Bürener Bürgermeister Burkhard Schwuchow hält eine der Reden zur Erinnerung an die Pogrome in der Stadt. Über der Sandsteinwand sind in einer Lichtinstallation auf dem Nachbarhaus Namen jüdischer Bürger zu lesen. Hinten (v. l.) Pfarrerin Almuth Reihs-Vetter, Vikar Tobias Schulte und der Heimatvereinsvorsitzende Reinhold von Rüden.

Bildunterschrift: Unter den Gedenkenden: Der frühere Ortsheimatpfleger Bernhard Wolff (im Rollstuhl) hatte das Mahnmal im Jahr 1983 beantragt - fünf Jahre später gelang die Einweihung.

Bildunterschrift: Grablichter für die Ermordeten: Auch Carolin Köhler und Tobias Rüther, die sich mit ihren Texten in Jugendliche von 1938 hineinversetzen, tragen zum Gedenken bei.

Mehr Fotos: www.nw.de/bueren

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Neue Westfälische Online, 09.11.2018:

Als vor 80 Jahren die Synagoge in Büren angezündet wurde

09.11.2018 - 08.40 Uhr

Was am Abend des 9. November 1938 begann, ist in einigen Facetten bekannt / Der Weg bis zu einem Mahnmal war lang und er gelang nicht in allen Schritten

Von Karl Finke

Büren. Der Bürener Paul Vormann (95) stand am Morgen des 10. November 1938 vor der schon "ramponierten" Bürener Synagoge - unter etwa 100 Schaulustigen, so seine Erinnerung im Gespräch mit nw.de. Der damals 15-Jährige erinnert sich an den "denkwürdigen Tag" und seinen damaligen Weg aus der Ringstraße zur Schule gut, weil er später "die Hucke voll bekam". Der Schüler hatte vor dem Gotteshaus die Patronenhülse eines Karabiners aufgehoben und sie dem vor Ort anwesenden Verantwortlichen der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS), beruflich Chauffeur der Kreisverwaltung, ausgehändigt. Diese Beobachtung habe jemand an seinen Vater weitergegeben - mit der Folge der Bestrafung.

"Parteigenossen und Nicht-Parteigenossen", so Vormann standen an dem Morgen vor der Synagoge, die noch nicht gebrannt hätte. Draußen hätten schon zahlreiche Einrichtungsgegenstände gelegen. Jüdische Bürger wären nicht vor Ort gewesen. Elf wohnten in der so genannten Reichpogromnacht noch in Büren, zwei in Brenken und vier in Weiberg - hat Hans-Josef Dören für das Stadtarchiv und den Heimatverein aktuell zusammengestellt. Sie wurden am 10. November nachweisbar verhaftet und zumeist am 12. November in das Konzentrationslager Buchenwald transportiert. Nur noch Franziska Goldschmidt (Bergstraße 6) überlebte.

Nichtjüdische Kinder entweihten die Gebetsrollen

Was mit der Bürener Synagoge (erbaut 1859 / 1860) in den Tagen vom 9. bis 11. November passierte, hat der pensionierte Journalist Heinrich Sprenger (in Büren geboren) in der Neubearbeitung des Buches "Juden in Büren" zusammengefasst. Bereits in der Abendstunden wurden die Scheiben eingeworfen. Am Vormittag drangen Jugendliche in das Gotteshaus und die innen liegende Wohnung von Hermann, Adele und Erwin Levy ein. Kultgegenstände und Haushaltsgeräte wurden auf die Straße geworfen und verbrannt. Nichtjüdische Kinder liefen mit entweihten Gebetsrollen in der Stadt herum.

Am Nachmittag kletterten Männer auf das Dach der Synagoge, warfen die Kuppel und die Türmchen hinunter. In der Nacht zum 11. November ging die schon schwer demolierte Synagoge in Flammen auf. Die Täter wollten schon am Abend den Brand legen. Da es nicht zu einem richtigen Feuer kam, behalf man sich später mit einem Fass Benzin.

Mit einem Vertrag vom 19. Dezember 1938 wurden sowohl die Synagoge als auch der jüdische Friedhof (Siddinghäuser Straße) an die Stadt Büren übertragen - zum Kaufpreis von zunächst 1.200, später 100 Reichsmark. Der Abriss und das Abräumen der Ruine sind nach Einschätzung von Sprenger wohl erst nach Kriegsende erledigt worden.

50 Jahre vergingen bis zur Einweihung des Mahnmals

Es dauerte 45 Jahre bis ein Bürener die Initiative für ein Mahnmal als Erinnerung an diese Gewalttaten gegen die jüdische Synagoge ergriff. Der Hauptschullehrer und Heimatpfleger Bernhard Wolff (90, Initiator des Schulmuseums) stellte am 22. Februar 1983 einen offiziellen Antrag an die Stadt zur Errichtung einer Gedenktafel (und eine Instandsetzung des Friedhofs). Die politischen Widerstände in der Stadt gegen das Projekt werden auch durch den Zeitraum bis zur Realisierung des Mahnmals sichtbar.

Am 1. November 1988 wurde auf Weiner Sandstein eine Bronzetafel des Danziger Künstlerehepaares Elsbieta Szcodrowska-Peplinska und Robert Peplinska eingeweiht. Abgebildet ist eine auseinander brechende Synagoge, der siebenarmige Leuchter (Menora) und dieser Text: "Hier stand von 1862 bis 1938 die Synagoge der Jüdischen Kultusgemeinde. Am 10.11.1938, während der Juden-Verfolgung in Deutschland, wurde - unter vielen anderen - diese Synagoge niedergebrannt." Das Erbauungsjahr war seinerzeit nicht besser bekannt. Der Text-Einschub ("unter ... ") soll in der ursprünglichen Fassung nicht vorgesehen gewesen sein.

In Brenken und Weiberg, wo ebenso jüdische Mitbürger wohnten, gibt es bis heute keine Gedenktafeln an die Gewalttaten 1938. In Brenken, wo vor ein paar Jahren eine entsprechende Initiative kurz vor der Verwirklichung stand, verhinderte eine bekannte Persönlichkeit die Umsetzung. Dort waren die Geschäftsräume der Familie Steinberg geplündert und demoliert worden.

In Weiberg sollen nach Erinnerung eines Gemeindearbeiters in der genannten Nacht Bürger eine versuchte Plünderung des Hauses der Familie Rosenthal durch Nazis verhindert haben.

Erinnerung in Büren

An den 9. November vor 80 Jahren, als die Synagoge in Büren in Brand gesetzt, jüdische Wohnungen geplündert und jüdische Männer in das Konzentrationslager (KZ) Buchenwald deportiert wurden, erinnert der Heimatverein Büren unter dem neuen Vorsitz von Reinhold von Rüden mit einem Gedenken am Samstag, 10. November, um 18 Uhr vor dem Mahnmal auf Boedts Parkplatz in der Detmarstraße.

Dazu lädt auch die Katholische Kirche nach dem Gottesdienst ein, ebenso ist die Evangelische Kirche beteiligt.

Der Parkplatz in der Detmarstraße ist während der Veranstaltung für Fahrzeuge gesperrt.

Bildunterschrift: Blick vom Balkon des Hauses Michels: Eine komplette (Front) Ansicht der Bürener Synagoge ist bislang nicht bekannt.

Bildunterschrift: Zeichnerische Rekonstruktion: So könnte die niedergebrannte Synagoge in der Detmarstraße in Büren (Boedts Parkplatz) von vorn ausgesehen haben.

Bildunterschrift: Bernhard Wolff stellte als Ortsheimatpfleger 1983 den Antrag an die Stadt Büren.


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