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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt , 17.02.2018 :

Belastete Straßennamen: Anwohner werden befragt

Verkehrsausschuss: Nächste Sitzung am 22. Februar befasst sich mit dem Thema

Bünde (nw/bo). In die Diskussion um Straßennamen, die unter anderem durch ihre Namensgeber oder Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus belastet sind, kommt Bewegung: CDU und FDP wollen ermitteln lassen, um wie viele Straßen es geht und wie die Anwohner zu ihren Straßennamen stehen.

Für die nächste Sitzung des Verkehrsausschusses haben die beiden Fraktionen einen entsprechenden Antrag gestellt. Man stehe einer Umbenennung von Straßen "grundsätzlich kritisch" gegenüber, heißt es in einem gemeinsamen Schreiben von Georg Kruthoff (CDU) und Martin Lohrie (FDP) an den Bürgermeister. Allerdings würde man eine Umbenennung mittragen, "falls sie ausdrücklich von einer Mehrheit der betroffenen Anlieger unterstützt wird".

Zustimmung für das Vorgehen signalisieren bereits die Grünen. Bünde sei eine von nur sieben verbliebenen Städten, die noch eine Lettow-Vorbeck-Straße haben, während mindestens 13 Städte bereits Umbenennungen durchgeführt hätten. Gemeinsam mit der SPD habe man bereits öffentlich zur Person Paul von Lettow-Vorbeck informiert und einen gemeinsamen Antrag zur Umbenennung gestellt. "Nach ausführlichen Diskussionen wurde der unbefriedigende Kompromiss von Zusatzschildern zur Erläuterung beschlossen", so die Grünen. Und weiter: "Die in dem jetzt vorliegenden Antrag vorgeschlagene Befragung der Anlieger kann sinnvoll sein. Allerdings muss der Rat im Interesse aller Bünder Bürger über Straßennamen entscheiden. Die Meinungen der Anlieger der betroffenen Straßen können als Hinweise zur Entscheidungsfindung dienen, es dürfen aber nicht Einzelinteressen über das allgemeine Interesse gestellt werden."

Wie mehrfach berichtet, stehen die Namensgeber mehrerer Straßen in Bünde in Bezug zum Nationalsozialismus oder taten sich dadurch hervor, dass sie - wie Paul von Lettow-Vorbeck - in damaligen deutschen Kolonien aktiv waren. Im Fall von Lettow-Vorbeck stellte später ein Gericht fest, dass dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe. Auch Carl Diem, nach dem in Dünne eine Straße benannt ist, steht in der Kritik. Er organisierte die Olympischen Spiele 1936 in Berlin und führte unter anderem das Sportabzeichen in der Gesellschaft ein - zugleich war er allerdings ein Anhänger des Nazi-Regimes.

Der Verkehrsausschuss befasst sich mit dem Thema am kommenden Donnerstag, 22. Februar, ab 19 Uhr. Die Sitzung findet im Kleinen Sitzungssaal des Rathauses statt.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 10./11.02.2018:

Wenn Straßennamen zum Politikum werden

Hintergrund: Bünde wird wohl seine Lettow-Vorbeck-Straße auch in den kommenden Jahren behalten / Die Stadt Osnabrück geht einen anderen Weg: Eine Carl-Diem-Straße gibt es dort nicht mehr - in Dünne schon

Von Stefan Boscher

Bünde. Wie gehen Kommunen mit Entscheidungen um, die ihre politischen Entscheider vor Jahren und Jahrzehnten getroffen haben? Es gibt mehrere Möglichkeiten: Man hält an ihnen fest, man ändert sie oder man versucht sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen, indem man sich nicht wirklich festlegt. Wie unterschiedlich zwei Städte mit der Bewältigung und Einordnung von Entscheidungen umgehen, die vor vielen Jahren getroffen wurden, zeigen Bünde und Osnabrück.

Bünde

Emotional wurde sie im vergangenen Jahr geführt, die Diskussion um die Lettow-Vorbeck-Straße. Benannt ist sie nach Paul von Lettow-Vorbeck (1870 - 1964), einem deutschen General und Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg. Verehrt wurde er in den Jahrzehnten danach, heute wird seine Rolle in der Geschichte wesentlich kritischer gesehen. Ein deutsches Gericht hat ihm sogar Sklaverei und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachgewiesen.

SPD und Grüne wollten eine Änderung des Straßennamens in der Bünder Innenstadt durchsetzen, CDU, FDP und UWG traten dafür ein, alles so zu lassen, wie es ist. Und so kommt es nun auch: Die rund 600 Meter lange Straße wird weiterhin den Namen Lettow-Vorbeck tragen, allerdings soll an den Straßenschildern auf den Namensgeber hingewiesen werden.

Osnabrück

Die niedersächsische Stadt macht kurzen Prozess mit historisch belasteten Namen und benennt jetzt auf einen Schlag gleich drei Straßen im Stadtgebiet um, die die Namen von Männern tragen, die zwischen 1933 und 1945 offensiv hinter Hitlers Ideologie standen: die Giesbert-Bergerhoff-Straße, den Heinrich-Röper-Weg und die Carl-Diem-Straße. Vor allem letztere ist interessant, da es auch in Bünde im Stadtteil Dünne eine Carl-Diem-Straße gibt. Im Vorfeld der Ratsentscheidung gab es eine lebhafte Debatte in der Stadt, unter anderem waren Vereine und Institutionen in das Verfahren eingebunden, es wurden Bürgerforen veranstaltet. Und auch die Anwohner wurden angehört und konnten eigene Vorschläge für neue Namen ihrer Straße machen. Der Weg zur Umbenennung der Carl-Diem-Straße war gleichwohl lang: Bereits 2002 stand das Thema auf der Tagesordnung der politischen Entscheider. Damals waren insbesondere die Anwohner gegen eine Umbenennung. Auch ein neuer Vorstoß im Jahr 2012 führte nicht zum Erfolg.

Die Kosten, die Anwohnern durch die Umbenennung der Straßen entstehen, will übrigens die Stadt Osnabrück tragen. Dort geht man von rund 3.100 Euro aus, die für alle drei Straßen anfallen. Anwohner müssen unter anderem neue Ausweise und Fahrzeugscheine bekommen, Schilder werden geändert.

Carl Diem

Wer war Carl Diem? Er gilt als Gründer des organisierten Sports in Deutschland, er organisierte die Olympischen Spiele 1936 in Berlin und führte das Sportabzeichen in Deutschland ein. Carl Diem diente aber auch den Nationalsozialisten an prominenter Stelle, er fiel mit antisemitischen Äußerungen auf und er war ab 1943 über den Holocaust informiert. Und, so schreibt die Neue Osnabrücker Zeitung: "Bei einer Rede auf dem Olympiagelände in Berlin forderte er die Hitlerjugend im März 1945 zum "finalen Opfergang für den Führer" auf." In den folgenden Tagen kamen in Berlin bis zum Kriegsende hunderte Jugendliche bei dem Versuch um, sowjetische Panzerverbände aufzuhalten.

Neue Diskussion

Die Entscheidung des Bünder Verkehrsausschusses, die Lettow-Vorbeck-Straße nicht umzubenennen, fiel im vergangenen Jahr äußerst knapp aus. Noch ist unklar, ob die Parteien oder auch Bürgerinitiativen einen neuen Vorstoß wagen wollen. In diesem Zuge könnte auch die Carl-Diem-Straße in Dünne noch einmal betrachtet werden.

Bildunterschrift: In Dünne: Die Straße zum Sportplatz ist nach Carl Diem benannt, dem Organisator der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.

Kommentar / Aussitzen ist der falsche Weg

Stefan Boscher

Bünde hat eine ganze Reihe von Straßen und Wegen, deren Namensgebungen zumindest nicht glücklich gewählt sind.

Mit dem heutigen historischen Wissen um die beiden Personen würde vermutlich niemand im Stadtrat auf die Idee kommen, eine Straße nach Paul von Lettow-Vorbeck oder Carl Diem zu benennen. Warum ist es dann so schwierig für manche Ratsmitglieder, eine jahrzehntealte Entscheidung zu widerrufen und dafür zu sorgen, dass in Bünde nur an ehrenhafte Personen erinnert wird?

Es mag ernstere Probleme geben, aber das Auseinandersetzen mit der eigenen Vergangenheit ist alles andere als unwichtig. Es ist an der Zeit, das Bünde aufarbeitet, wie viele Straßennamen im Stadtgebiet eine vorbelastete Vergangenheit haben, denn da gibt es noch wesentlich mehr als diese beiden. Die eigene politische Verantwortung nur auszusitzen, ist der falsche Weg.

stefan.boscher@ihr-kommentar.de

17./18.02.2018

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