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Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger , 27.03.2020 :

Reichsbürger-Razzia: Ermittlungen laufen

Beschlagnahmte Gegenstände werden derzeit noch von den Sicherheitsbehörden ausgewertet

Bünde (flow). Eine Woche nach der Durchsuchung bei einem Reichsbürger in Holsen laufen die Ermittlungen weiter. Bei der Razzia wurde ein Einfamilienhaus unter die Lupe genommen, in dem einer der führenden Köpfe der Szene wohnen soll. Die Beamten trugen zahlreiche Unterlagen aus dem Haus, kratzten Aufkleber von einem Auto und stellten auch eine Fahne sicher.

Welche Gegenstände genau sichergestellt wurden, darüber geben die Ermittler derzeit keine Auskünfte. Zudem ist noch nicht klar, ob es sich um Material handelt, das gegen Gesetze verstoßen habe. "Die beschlagnahmten Asservate werden aktuell von den Sicherheitsbehörden ausgewertet", teilt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Nachfrage der Neuen Westfälischen mit. Zudem habe es an dem Tag keine Festnahmen gegeben, erklärt der Ministeriumssprecher. Weitere Einzelheiten zu dem Einsatz gibt das Bundesinnenministerium auf Grund "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht bekannt. Zudem äußern sich die Ermittler "grundsätzlich nicht zu operativen Einzelsachverhalten", wie der Sprecher erklärt.

Hintergrund der Aktion war ein Schlag gegen die Reichsbürger-Vereinigung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" sowie der Teilorganisation "Osnabrücker Landmark", die von Innenminister Horst Seehofer verboten wurden. Allein in NRW waren 150 Polizisten zu Objekten in Holsen, Preußisch Oldendorf und Gummersbach ausgerückt.

Bildunterschrift: Fahne aus Garten in Bünde-Holsen entfernt: Der Schriftzug war nicht erkennbar.

Bildunterschrift: In Holsen kam es zu einem Einsatz der Polizei im Rahmen einen Vereinsverbotes.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 25.03.2020:

Post vom Reichsbürger

Nur einen Tag nach der Durchsuchung in Holsen landet Propaganda-Material in heimischen Briefkästen / Darin werden Holsens Einwohner zu Bürger Preußens erklärt

Florian Weyand

Bünde. Polizisten mit Sturmhauben durchsuchten am vergangenen Donnerstag ein Haus in einer Wohnsiedlung in Holsen. Der Einsatz war Teil eines bundesweiten Schlags gegen die Reichsbürger-Szene. Doch nur einen Tag nach der Razzia taucht ein Flugblatt der Reichsbürger in der Stadt auf - und landet auch im Briefkasten eines NW-Mitarbeiters.

In dem krude formulierten Schreiben, das von einem so genannten "Stellvertretenden Ortsvorsteher und Gebietsverweser im Notstand der Gemeinde Holsen" unterschrieben ist, werden die Einwohner des Bünder Ortsteils zu Bürgern Preußens erklärt. Wörtlich heißt es: "Die Gemeindeversammlung unter berechtigten Bürgern hat die Gemeinde Holsen unter Beachtung des am 4. August 1914 aufgerufenen Burgfriedens aktiviert. Der Staat Preußen ist damit wieder aktiv."

Das Schreiben, das als Absender eine Adresse in Holsen trägt, ist nicht neu. Als Versanddatum ist auf dem Schriftstück der 12. August 2017 angegeben. In der Adresszeile findet sich der Vordruck "Stadtratsmitglied der Firma Bünde". Das lässt vermuten, dass die Briefe erstmals vor mehr als zwei Jahren an Kommunalpolitiker versandt worden waren. Nach der Razzia im Umfeld der Reichsbürger tauchten die Schreiben jetzt wieder auf. Doch wer steckt hinter dem Absender?

Laut Verfassungsschutz gehören Anhänger der im Brief geäußerten Ansichten zur Gruppe mit dem Namen "Freistaat Preußen". Diese sieht sich als legitimer Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs in seinen Grenzen von 1937 und lehnt die Souveränität und Existenz der Bundesrepublik Deutschland ab. Die Gruppe versuche verstärkt, eine hierarchische Struktur aufzubauen und nachgeordnete "Provinzen" zu etablieren, heißt es von den Verfassungsschützern. "Die zahlreiche Bildung dieser Untergruppen deutet aus Behördensicht auf einen hohen Grad an Werbungsaktivitäten hin."

In NRW zählt der Verfassungsschutz rund 3.200 Reichsbürger, davon 264 in OWL. Der Kreis Herford gilt mit ungefähr 105 Mitgliedern als eine der Hochburgen der Verschwörungstheoretiker.20 Reichsbürger und Selbstverwalter werden allein in Bünde gezählt. In Holsen lebt ein führendes Mitglied der Gruppe, dessen Haus am vergangenen Donnerstag von Polizisten durchsucht worden ist.

Bei der Razzia in Holsen entfernten Polizisten auch Aufkleber von einem Auto. Ein Schriftzug lautete: "Landschaft Westfalen - GdVuSt, Gemeinde Holsen". Das Kürzel steht für "Geeinte deutsche Völker und Stämme", eine Gruppe die dem "Freistaat Preußen" nahe steht. Da die Gruppe vom Bundesinnenministerium verboten wurde, musste das Zeichen durch Polizisten entfernt werden. Auch eine Fahne wurde eingezogen.

Reichsbürger besitzt Waffenschein

Nicht unwahrscheinlich ist es, dass Reichsbürger mehreren Gruppen angehören - also zeitgleich im "Freistaat Preußen", aber auch in der Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" aktiv sind. "Die heterogene Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter besteht aus einer Vielzahl von Kleingruppierungen, die zum Teil miteinander kooperieren", erklärt eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. Neben kleinen, sektenartigen Gruppen, die stark organisiert sind, gebe es auch lose Zusammenschlüsse und Einzelpersonen, die nur im Internet aktiv sind oder sich an Behörden wenden. "Die Szene wandelt sich stetig", erklärt die Sprecherin.

Ein Reichsbürger aus Bünde besitzt laut Innenministerium auch einen Kleinen Waffenschein. "Ein Verfahren zum Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis konnte bisher nicht eingeleitet werden", teilt die Landesregierung mit. Ob es sich bei dem Besitzer des Kleinen Waffenscheins um den Mann handelt, bei dem die Durchsuchung stattgefunden hatte, beantwortet der Staatsschutz nicht - aus Persönlichkeitsrechten.

Bereits Anfang März sorgten Reichsbürger in OWL für Aufregung. Zahlreiche Kitas in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke erhielten Post von einem "Amt Harlinghausen". Erzieherinnen fanden in den Briefumschlägen ein 16-seitiges Flugblatt mit dem Titel "Impffrei". Es ließen sich Verbindungen in die Reichsbürger-Szene nachweisen.

Nach Recherchen der NW steht hinter dem Absender, der die 3,30 Euro pro Brief bezahlt hat, die mittlerweile verbotene Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Ein Stempel mit der Abkürzung dieser Gruppe ziert in grüner Tinte den Briefumschlag und den Briefkopf. Das Innenministerium behält die Reichsbürger auch nach der groß angelegten Durchsuchungsaktion weiter im Auge. Grund ist das "erhebliche Gefahrenpotenzial", das von der Gruppe ausgehe. Laut Innenministerium sei es nicht auszuschließen, dass "sich Aktionismus und Aggression weiter verstärke und es zu Radikalisierungseffekten" komme.

Bildunterschrift: In den Flugblättern der Reichsbürger wird für einen preußischen Staat geworben.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 20.03.2020:

Razzia bei Reichsbürgern

Dutzende Polizeibeamte sind am Donnerstagmorgen an mehreren Orten in ganz Deutschland in Einsatz / Unter anderem wird ein Wohnhaus in Holsen durchsucht

Noah Brümmelhorst, Ulf Hanke, Lukas Brekenkamp

Bünde / Pr. Oldendorf. Großeinsatz der Polizei am frühen Donnerstagmorgen in Bünde und in Pr. Oldendorf im Nachbarkreis Minden-Lübbecke. Hintergrund sind Ermittlungen gegen die so genannten Reichsbürger. Unter anderem ein Haus in Holsen wurde durchsucht.

Ein Mann aus Pr. Oldendorf steht nach Informationen der NW im Fokus der Behörden. Er hat vor wenigen Wochen noch einen verstörenden Brief - per Einschreiben - an zahlreiche Kindertagesstätten in Bünde und in ganz Ostwestfalen-Lippe verschickt. Darin lag eine mehrseitige Broschüre, die mit gezielten Falschinformationen Stimmung gegen das Impfen machen wollte. Der Absender gab seiner Anti-Impf-Propaganda einen offiziellen Anschein. Der Briefumschlag war mit dem Stempel "Amtssache" versehen. In seinem Anschreiben, das der Mann mit blauer Tinte und vollem Namen unterzeichnet hat, gab sich der Mann aus Pr. Oldendorf als "bestimmter Gemeindevertreter" einer Fantasie-Organisation namens "Indigenat der Gemeinde Harlinghausen" aus. Hinter dieser Mimikry steckt offensichtlich die Reichsbürger-Organisation "Geeinte deutsche Völker und Stämme".

Gut ein Dutzend Polizeifahrzeuge, vermummte Beamte und eine Einheit des Staatsschutzes waren Donnerstagmorgen in dem kleinen Pr. Oldendorfer Ortsteil Harlinghausen im Einsatz. Der Ort des Geschehens: Ein großer Hof an der Hauptstraße, in dem der vermutliche Reichsbürger wohnen soll. In einem Carport neben dem Haus steht das mutmaßliche Fahrzeug des Mannes. Die Eingangstür des Wohnhauses steht offen, überall brennt Licht. Immer wieder betreten Beamte das Haus. Rot-weißes Flatterband markiert das Grundstück des Mannes, das nur noch die Beamten betreten dürfen. Um das gesamte Anwesen stehen Polizeifahrzeuge. Immer wieder gibt es Lagebesprechungen der Beamten vor Ort. Die wenigen Menschen, die an diesem Morgen auf den Straßen sind, scheinen überrascht, fahren langsam an dem Haus entlang. Zwei Anwohner stehen zusammen und sprechen über den Einsatz.

Hintergrund der Ermittlungen ist die Entscheidung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, der den Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" und ihre Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" verboten und aufgelöst hat. Damit wird auf Bundesebene erstmals eine Reichsbürger-Vereinigung verboten.

Seit den frühen Morgenstunden durchsuchen über 400 Einsatzkräfte die Wohnungen von 21 führenden Vereinsmitgliedern in zehn Bundesländern. Die Durchsuchungen erfolgen zeitgleich in Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen. Dabei wurden Schusswaffen, Baseballschläger, Propaganda-Materialien sowie geringe Mengen Betäubungsmittel sichergestellt.

In Bünde sind die Beamten mit mehreren Fahrzeugen an einem Haus in Holsen vorgefahren. Auch dieses Grundstück wird durchsucht, eine im Garten gehisste Fahne stellen die Beamten sicher.

In den letzten Jahren fiel der "GdVuSt" durch aggressive Sprache und teils drastische Drohungen auf. Diese umfassten insbesondere eine "Inhaftierung" der Adressaten, "Strafgebühren" in hohen Summen und "Sippenhaft". Der Verein leugnet die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und strebt ein eigenes "naturstaatliches" Rechtssystem an. Dabei wird die Bundesrepublik Deutschland als "niedrigste Staatsform" und "Handelskonstrukt" diskreditiert. Die Vereinsmitglieder schrecken auch vor der Begehung von Straftaten nicht zurück.

Bildunterschrift: Auch ein Wohnhaus im Bünder Ortsteil Holsen wird am Donnerstagmorgen durchsucht.

Bildunterschrift: Fahne aus Garten in Bünde-Holsen entfernt: Der Schriftzug war nicht erkennbar.

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Neue Westfälische, 20.03.2020:

Schlag gegen Reichsbürger

Bundesinnenminister Seehofer (CSU) hat erstmals eine Reichsbürger-Vereinigung verboten / Die Polizei rückte zu Razzien aus, gleich zwei liefen in Ostwestfalen-Lippe

Florian Pfitzner, Ulf Hanke und Lukas Brekenkamp

Bünde / Preußisch Oldendorf. Das Einfamilienhaus im Bünder Stadtteil Holsen wirkt beschaulich. In dem gepflegten Garten steht ein Klettergerüst für Kinder, erste Blumen blühen hinter der noch kahlen Hecke. Es ist ruhig in dem kleinen Ort. Doch der Schein trügt. Aus dem Haus kommen Polizisten mit Sturmmasken, inspizieren das Grundstück. Eines von bundesweit vielen Objekten, das früh am Donnerstagmorgen kontrolliert wird. Der Grund: Razzien gegen "Reichsbürger" - zwei Einsätze laufen in OWL.

Insgesamt fahren an diesem Morgen 400 Einsatzkräfte in zehn Bundesländern bei Mitgliedern der inzwischen verbotenen Vereinigung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" sowie der Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" vor. In NRW sind 150 Polizisten zu Objekten in Holsen, Preußisch Oldendorf und Gummersbach ausgerückt.

Landesweit zählt der Verfassungsschutz rund 3.200 Reichsbürger, davon 264 in der Region Ostwestfalen-Lippe. Dreiviertel von ihnen sind laut Innenministerium 40- bis 60-jährige Männer. Der Kreis Herford gilt mit ungefähr 105 Mitgliedern als eine der Hochburgen der Verschwörungstheoretiker. In Holsen lebt ein führendes Mitglied.

Im Garten des Einfamilienhauses steht ein Mast, kahl ohne Fahne. Kurz zuvor soll an der Stange noch eine blaue "einschlägige" Flagge geweht haben. So erzählen es Nachbarn. Sie ließe Rückschlüsse auf die Gesinnung des Mannes zu. Die Polizei habe die Fahne am Morgen eingeholt.

Dass der Mann den so genannten Reichsbürgern anhänge, ist im Ort kein Geheimnis. Er habe sich schon vor längerem offen dazu bekannt, sei aber "nie wirklich auffällig" gewesen, sagt ein Anwohner. Ein anderer beschreibt ihn als "ganz netten Typen".

Während der Razzien werden Schusswaffen, Baseballschläger, Propaganda-Material und Drogen sichergestellt - was bei den Hausdurchsuchungen in OWL beschlagnahmt wurde, will der Verfassungsschutz auf Anfrage nicht sagen.

Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden verstößt der Verein gegen die verfassungsmäßige Ordnung, läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung.

Der Kampf gegen rechten Extremismus werde "auch in Krisenzeiten unerbittlich fortgesetzt", versichert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). In Düsseldorf sagt NRW-Innenminister Herbert Reul: "Gerade jetzt, in Zeiten der Corona-Krise, müssen wir gegen Leute vorgehen, die solche Verschwörungstheorien verbreiten und die den Staat unterhöhlen wollen." Der CDU-Politiker lobt das "konsequente Vorgehen gegen diese braune Soße".

Die "Vereinigung deutscher Völker und Stämme" leugnet die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen. Ideologisch gehört sie damit zu den Reichsbürgern sowie zu den so genannten Selbstverwaltern. Insgesamt zählt sie nach bisherigen Erkenntnissen 21 Mitglieder, drei von ihnen leben in NRW. Zu ihrem bundesweiten Umfeld sollen über 100 Menschen gehören.

Preußisch Oldendorf, ein paar Kilometer weiter nördlich von Holsen. Absperrbänder wurden weiträumig um ein Grundstück gezogen. Hühner scharren im Vorgarten, ein Hahn kräht. Auch hier ist die Polizei mit mehreren Einsatzfahrzeugen vorgefahren.

Im Visier der Sicherheitsbehörden steht ein Mann, der erst vor wenigen Wochen auffällig geworden ist. Per Einschreiben soll er einen verstörenden Brief an Kitas in der Region geschickt haben. Es lag eine mehrseitige Broschüre bei, die mit gezielten Falschinformationen Stimmung gegen das Impfen machen wollte.

In dem Ort nahe der niedersächsischen Grenze ist der Mann bekannt. Eine Anwohnerin beschreibt ihn als "nicht sonderlich angenehm". In dem Garten hinter dem Flatterband soll ebenfalls eine Reichsbürger-Fahne gehangen haben.

In der NRW-Opposition hält man das Verbot für längst überfällig. Die Innenexpertin der Grünen, Verena Schäffer, sagt, die "Reichsbürger-Bewegung" sei teils schwer bewaffnet, "sie lehnt unsere Verfassung ab und ist im Kern rechtsextrem und rassistisch". Von ihr gehe große Gefahr aus.

Warnung vor rechter Gewalt

Erst vor wenigen Wochen wurde ein Verbot gegen die rechtsterroristische "Gruppe S." verhängt. Ihre Mitglieder werden größtenteils den "Reichsbürgern" zugerechnet. Grünen-Innenexpertin Schäffer geht von weiteren Gruppierungen aus, die zu schweren Straftaten bereit seien. Sie sieht die Landesregierung in der Pflicht, dass "die Entwaffnung der Reichsbürger vordringlich weitergeführt wird".

Bildunterschrift: In Ostwestfalen-Lippe rückte die Polizei zu zwei groß angelegten Razzien bei so genannten Reichsbürgern aus.

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Mindener Tageblatt Online, 08.03.2020:

Staatsschutz ermittelt: Reichsbürger machen Stimmung gegen die Impfpflicht

08.03.2020 - 17.37 Uhr

Ulf Hanke

Hille / Herford. Hauswurfsendungen landen oft ungelesen im Papiermüll. Bei Einschreiben ist das anders. Da schaut man näher hin, sie könnten wichtig sein. Der Absender hat auch deutlich mehr fürs Porto bezahlt.

Die Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen in der Gemeinde Hille sowie teilweise in den Kreisen Herford und im Altkreis Lübbecke haben in den vergangenen Tagen solche Post von einem "Amt Harlinghausen" bekommen und gelesen. Es geht um die Masern-Impfpflicht. Der Brief verbreitet jedoch Falschinformationen und versucht, Angst zu säen. Absender ist ein polizeibekannter Mann aus Preußisch Oldendorf.

Dahinter stecken offensichtlich Reichsbürger. Zahlreiche Erzieher und Erzieherinnen innen fanden in den Briefumschlägen ein 16-seitiges Flugblatt mit dem Titel "Impffrei". Aus dem Inhalt lassen sich Verbindungen in die Szene nachweisen. Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld ermittelt.

Nach Recherchen der Neuen Westfälischen steht hinter dem Absender, der die 3,30 Euro pro Brief bezahlt hat, offenbar die Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Ein Stempel mit der Abkürzung dieser Gruppe ziert in grüner Tinte den Briefumschlag und den Briefkopf.

Die Gruppierung wird von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet. Im September durchsuchten Ermittler vier Wohnungen in drei Bundesländern von vermeintlichen Anhängern der Gruppe. Der Briefeschreiber aus Preußisch Oldendorf bekam nach Stand der Dinge wohl keinen unangemeldeten Besuch. Der Absender ist der Polizei in Minden-Lübbecke ein Begriff. Sprecher Ralf Steinmeyer sagt: "Der Mann ist uns als Reichsbürger bekannt."

Warum der Mann aus Preußisch Oldendorf gegen die Impfpflicht agitiert, wird aus dem Inhalt seiner Schreiben nicht klar. Darin ist eine Mischung aus Falschinformation und Angstmacherei zu lesen. Das Ziel ist offenbar Verunsicherung. Wie viele Einschreiben verschickt wurden, ist ebenfalls unklar - in der Gemeinde Hille waren es zwölf. Fast alle haben die krude Post an die Polizei weitergeleitet.

Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld prüft das Schreiben derzeit auf strafrechtlich relevante Inhalte. Nach Auskunft von Polizeisprecher Michael Kötter landen in Kitas "immer mal wieder Mails von Impf-Gegnern". Bisher habe der Staatsschutz jedoch keine strafrechtlich relevanten Inhalte festgestellt. Eine Statistik werde darüber nicht geführt. Zu Querverbindungen zwischen dem Absender des Einschreibens und der Autorin des Anti-Impf-Flyers konnte der Sprecher bislang noch nichts sagen.

Den Recherchen zufolge ist dem Absender des Flyers bereits vor einiger Zeit der Waffenschein entzogen worden. Der Mann soll tief in der Reichsbürger-Szene verwurzelt sein. Wie alle Reichsbürger glaubt er zum Beispiel, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Firma sei. Die seit Anfang März geltende Pflicht zur Masern-Impfung ist für ihn offenbar eine Haftungsfrage.

Der 16-seitige Flyer ist von der bekannten Reichsbürgerideologin Heike W. verfasst und verbreitet worden, die wohl aus dem Osnabrücker Land stammt und derzeit in Berlin lebt. Szene-Kenner beschreiben die Frau als Milieu-Managerin, die offenbar die Verbreitung kruder Verschwörungstheorien zum Geschäftsmodell gemacht hat. Sie ist nach wie vor auf zahlreichen Kanälen im Internet präsent.

Der Anti-Impf-Flyer ist bereits am 1. Dezember 2019 auf ihrem Facebook-Kanal angekündigt worden. Das 16-seitige Pamphlet wurde auf Anfrage gedruckt und verkauft. 50 Flyer sollten 15 Euro kosten. Wer mehr kaufte, bekam Rabatt. Mit der Flyer-Aktion verband die Frau auch einen Spendenaufruf. Womöglich hatte das Team um sie herum eine Finanzspritze bitter nötig, nachdem Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wenige Monate zuvor Wohnungen der Gruppe durchsucht hatten.

Bildunterschrift: Die Masern-Impfung ist seit dem 1. März gesetzlich vorgeschrieben.

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Neue Westfälische - Löhner Nachrichten, 07./08.03.2020:

Reichsbürger-Post an Kitas: Sorge vor Stimmungsmache

Reaktionen der Träger: Pfarrer Rolf Bürgers lobt aufmerksame Kita-Leiterinnen und die AWO-OWL rechtfertigt die Impfpflicht

Ulf Hanke

Löhne. Die ungewollte Post der dubiosen Reichsbürger-Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" an zahlreiche Kitas in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke hat entschiedene Reaktionen der Kita-Träger ausgelöst. Der Löhner Pfarrer Rolf Bürgers ist besorgt über die Stimmungsmache, die sich über die Kitas offensichtlich direkt an die Eltern richte. Für die Arbeiterwohlfahrt in Ostwestfalen-Lippe lobte Pressesprecher Erwin Tälkers das Verhalten der Kita-Leitungen, die die Briefe unverzüglich der Polizei weitergeleitet haben.

Nach Angaben von Pfarrer Rolf Bürgers könnten allein beim evangelischen Kirchenkreis Herford 56 Kitas betroffen sein. Auch Bürgers lobte die Kita-Leitungen für ihre Aufmerksamkeit. Wie viele Kitas Post bekommen haben, ist noch unklar. Bürgers: "Wir haben noch keinen Überblick."

Der Obernbecker Pfarrer ist zugleich Vorsitzender des kreiskirchlichen Kita-Leitungsausschusses und damit für alle Kitas im Kirchenkreis zuständig. Bürgers sieht in dem Serienbrief den Versuch, über das Thema Impf-Kritik rechte Positionen in die kirchlichen Kitas und damit direkt bei den Eltern anzubringen. "Wir erleben momentan eine Alarmstimmung auch wegen des Coronavirus. Ich habe Sorge, dass das auf fruchtbaren Boden fällt." Mit Blick auf das Reichsbürger-Gedankengut betonte der Pfarrer, dass der evangelische Kirchenkreis dagegen halten werde. Es gehe um ein demokratisches Miteinander und Respekt, so Bürgers: "Wir werden solchen Ideen den Boden entziehen."

Die Arbeiterwohlfahrt betonte die Notwendigkeit der Masern-Impfung. Der Vorstand der AWO OWL, Thorsten Klute, stellte sich hinter die Impfpflicht und sagte: "Die persönliche Freiheit Einzelner stößt dort an Grenzen, wo die Gesundheit vieler anderer gefährdet werden kann." Pressesprecher Erwin Tälkers verwies darauf, dass Eltern frühzeitig informiert worden seien und lobte mit Blick auf das Reichsbürger-Netzwerk hinter der vorgeschobenen Impf-Kritik: "Die Kita-Leitungen haben richtig gehandelt und unverzüglich die Polizei eingeschaltet."

Bildunterschrift: Dieser Anti-Impf-Flyer vom "Amt Harlinghausen" ist per Einschreiben an zahlreiche Kitas verschickt worden. Dahinter stecken Reichsbürger.

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Neue Westfälische - Löhner Nachrichten, 07./08.03.2020:

Löhne: Reaktionen auf Reichsbürger-Post

Löhne. Zwei Träger von Kindertagesstätten reagieren auf die ungewollte Post einer dubiosen Reichsbürger-Gruppe. Zahlreiche Kitas hatten Einschreiben mit krudem Inhalt bekommen.

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Neue Westfälische, 06.03.2020:

Reichsbürger agitieren gegen Impfpflicht

Der Staatsschutz ermittelt wegen dubioser Einschreiben an Kitas in Herford und Minden-Lübbecke / Es gibt Verbindungen zu einer Gruppe, die Holocaust-Leugner Horst Mahler freipressen wollte

Ulf Hanke

Löhne. Hauswurfsendungen landen oft ungelesen im Papiermüll. Bei Einschreiben ist das anders. Da schaut man näher hin, sie könnten wichtig sein. Der Absender hat auch deutlich mehr fürs Porto bezahlt. Zahlreiche Kitas in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke haben in den vergangenen Tagen solche Post von einem "Amt Harlinghausen" bekommen und gelesen. Es geht um die Masern-Impfpflicht. Der Brief verbreitet jedoch Falschinformationen und versucht, Angst zu säen. Absender ist ein polizeibekannter Mann aus Preußisch Oldendorf.

Dahinter stecken offensichtlich Reichsbürger. Zahlreiche Erzieherinnen fanden in den Briefumschlägen ein 16-seitiges Flugblatt mit dem Titel "Impffrei". Aus dem Inhalt lassen sich Verbindungen in die Szene nachweisen. Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld ermittelt.

Nach Recherchen unserer Zeitung steht hinter dem Absender, der die 3,30 Euro pro Brief bezahlt hat, offenbar die Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Ein Stempel mit der Abkürzung dieser Gruppe ziert in grüner Tinte den Briefumschlag und den Briefkopf.

Die Gruppierung wird von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet. Im September durchsuchten Ermittler vier Wohnungen in drei Bundesländern von vermeintlichen Anhängern der Gruppe. Der Briefeschreiber aus Preußisch Oldendorf bekam nach Stand der Dinge wohl keinen unangemeldeten Besuch. Der Absender ist der Polizei in Minden-Lübbecke ein Begriff. Sprecher Ralf Steinmeyer sagt: "Der Mann ist uns als Reichsbürger bekannt."

Warum der Mann aus Preußisch Oldendorf gegen die Impfpflicht agitiert, wird aus dem Inhalt seiner Schreiben nicht klar. Darin ist eine Mischung aus Falschinformation und Angstmacherei zu lesen. Das Ziel ist offenbar Verunsicherung. Wie viele Einschreiben verschickt wurden, ist ebenfalls unklar. Nicht alle Kitas haben die krude Post an die Polizei weitergeleitet.

Der Staatsschutz der Polizei Bielefeld prüft das Schreiben derzeit auf strafrechtlich relevante Inhalte. Nach Auskunft von Polizeisprecher Michael Kötter landen in Kitas "immer mal wieder Mails von Impf-Gegnern". Bisher habe der Staatsschutz jedoch keine strafrechtlich relevanten Inhalte festgestellt. Eine Statistik werde darüber nicht geführt. Zu Querverbindungen zwischen dem Absender des Einschreibens und der Autorin des Anti-Impf-Flyers konnte der Sprecher bislang noch nichts sagen.

Nach Informationen unserer Zeitung ist dem Absender des Flyers bereits vor einiger Zeit der Waffenschein entzogen worden. Der Mann soll tief in der Reichsbürger-Szene verwurzelt sein. Wie alle Reichsbürger glaubt er zum Beispiel, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Firma sei. Die seit Anfang März geltende Pflicht zur Masernimpfung ist für ihn offenbar eine Haftungsfrage.

Der 16-seitige Flyer ist von der bekannten Reichsbürgerideologin Heike W. verfasst und verbreitet worden, die wohl aus dem Osnabrücker Land stammt und derzeit in Berlin lebt. Szene-Kenner beschreiben die Frau als Milieu-Managerin, die offenbar die Verbreitung kruder Verschwörungstheorien zum Geschäftsmodell gemacht hat. Sie ist nach wie vor auf zahlreichen Kanälen im Internet präsent.

Der Anti-Impf-Flyer ist bereits am 1. Dezember 2019 auf ihrem Facebook-Kanal angekündigt worden. Das 16-seitige Pamphlet wurde auf Anfrage gedruckt und verkauft. 50 Flyer sollten 15 Euro kosten. Wer mehr kaufte, bekam Rabatt. Mit der Flyer-Aktion verband die Frau auch einen Spendenaufruf. Womöglich hatte das Team um sie herum eine Finanzspritze bitter nötig, nachdem Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wenige Monate zuvor Wohnungen der Gruppe durchsucht hatten.

Ermittelt wurde bei der Razzia am 5. September gegen mehr als zehn Beschuldigte, der Hauptvorwurf lautete: Bildung einer kriminellen Vereinigung und versuchte Nötigung von Verfassungsorganen, heißt es in einer Pressemitteilung. Anhänger der Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" hatten dem Justizminister des Landes Brandenburg Gewalt angedroht. Es ging offenbar darum, den bekannten Holocaust-Leugner Horst Mahler aus dem Gefängnis freizupressen.

Seit 1. März gilt neue Regelung

Zum stärkeren Schutz vor hoch ansteckenden Masern gilt seit vergangenem Sonntag Impfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen. Eltern müssen nun vor der Aufnahme nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind. Für Kinder, die schon zur Kita oder zur Schule gehen, muss der Nachweis bis zum 31. Juli 2021 erfolgen.

Bei Verstößen drohen bis zu 2.500 Euro Bußgeld.

Greifen soll die Impfpflicht auch für Lehrkräfte und Erzieher sowie für Personal in medizinischen Einrichtungen.

Bildunterschrift: Dieser Anti-Impf-Flyer vom "Amt Harlinghausen" ist per Einschreiben an zahlreiche Kitas verschickt worden. Dahinter stecken Reichsbürger.

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Mindener Tageblatt, 06.03.2020:

Post vom Reichsbürger

Ein polizeibekannter Pr. Oldendorfer schreibt alle Kindergärten und Schulen in der Gemeinde Hille an / Sein Brief steckt voller Desinformation / Nun ermittelt der Staatsschutz

Karsten Schulz und Stefanie Dullweber

Hille / Lübbecke. Große Verunsicherung herrscht aktuell in vielen Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen in der Gemeinde Hille. Sie alle erhielten kürzlich ungewöhnliche Post. Ein der Polizei und dem Staatsschutz bestens bekannter Reichsbürger aus Pr. Oldendorf hatte sich mit dem neuen Masernschutzgesetz befasst. In dem Brief, der dem Mindener Tageblatt vorliegt, schreibt der Verfasser, dass der Staat nicht das Recht habe, ein solches Gesetz zu erlassen. Die Adressaten des Schreibens - also die Leiterinnen und Leiter der Kitas und Schulen - müssten für die Folgen der Impfungen geradestehen, behauptet der Verfasser.

Seit 1. März müssen laut Gesetz alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten Masern-Impfungen vorweisen. Die meisten Einrichtungen hatten sich nach Erhalt des Briefes zunächst an ihre jeweiligen Träger gewandt und auch mit den übrigen Leitungen Kontakt aufgenommen. Ein mit dem Siegel "Amt Harlinghausen" versehenes Schreiben verbunden mit einem "Impffrei-Flyer" landete in den Briefkästen der betroffenen Einrichtungen, den meisten wurde es als Einschreiben zugestellt. Nicht nur in der Gemeinde Hille, sondern auch im Altkreis Lübbecke sind mittlerweile etliche Fälle bekannt - aus dem Mindener Raum hingegen noch nicht. Die Einrichtungsleitungen kamen überein, das Schreiben samt Flyer an die Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke zu schicken.

Als "völligen Blödsinn" bezeichnete Ulrich Schlomann, Verwaltungsleiter im Kirchenkreis Minden, im MT-Gespräch dieses Schreiben. Schlomann sammelt derzeit die Briefe der kirchlichen Einrichtungen wie beispielsweise der Kindergärten Hille, Südhemmern, Hartum, Oberlübbe und Rothenuffeln. Etwas Vergleichbares sei ihm bisher nicht untergekommen. Allerdings sorgten die Formulierungen für Verunsicherung. Dass die Impfpflicht grundsätzlich über den Gesetzgeber geregelt sei, darüber habe man alle Einrichtungen aus gegebenem Anlass noch einmal informiert.

"Ich war entsetzt über die Form des Schreibens und auch darüber, dass mein Name darauf stand", sagt Elke Borcherding, Leiterin des AWO-Familienzentrums "Abenteuerland" in Espelkamp, auf Nachfrage. Die Sprache sei "sehr seltsam", dennoch habe es auf den ersten Blick "stark amtlichen Charakter", sodass man zunächst "darauf hereinfallen könnte". Sie habe das Schreiben gleich wieder eingesteckt und zur Polizei geschickt. Sie und ihre Kolleginnen der anderen Kitas hielten sich an Recht und Gesetz. "Alle Kinder müssen jetzt eine Impfung nachweisen. Wir machen da einfach unsere Arbeit", so Borcherding weiter.

Malin Adler vom Kindergarten Hartum waren insbesondere die vielen Rechtschreibfehler und das ungewöhnliche Vokabular aufgefallen. In einem ersten Impuls wäre das Schreiben beinahe im Papierkorb gelandet. Allerdings finde sie es wichtig, dass der Sache nachgegangen werde - deshalb habe sie den Brief an den Träger weitergegeben. Dirk Schubert, Leiter der Verbundschule Hille, erklärte, dass er dieses Schreiben als Belästigung und Anmaßung empfinde. Er hoffe, dass der Sache rechtlich nachgegangen werde.

Polizei-Pressesprecher Ralf Steinmeyer bestätigte den Eingang mehrerer Scheiben mit "Impffrei-Flyer" an Kindertageseinrichtungen. "Das war der einzige richtige Weg, den die Kindergärten und Familienzentren hier gegangen sind", sagt Steinmeyer. Sie hätten alles richtig gemacht, darauf aufmerksam zu machen und sich untereinander auszutauschen. Als sie das Schreiben in die Hände bekamen, sei ihnen sofort klar gewesen, dass dies "klare Züge der Reichsbürger trägt". "Es werden zielgenau bestimmte Menschen angesprochen oder angeschrieben, um diese in einer bestimmten Situation zu verunsichern", so Steinmeyer.

Alles, was man bekommen habe, sei nunmehr unterwegs nach Bielefeld. Staatsschutz und anschließend Staatsanwaltschaft werden die Schreiben einschließlich des Flyers daraufhin untersuchen, ob hier eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung begangen worden sei. Erst wenn dies positiv beantwortet worden sei, könne man Strafanzeige erstatten. Steinmeyer bestätigte, dass sich im Inhalt des Anschreibens und des beigelegten Flyers Formulierungen finden, die "in der Reichsbürger-Szene üblich sind". So wird das "Amt Harlinghausen" als "Hoheitsgebiet" entsprechend der UN-Charta Kapitel 73-792 bezeichnet.

Außerdem sei von der "Firma Bundesrepublik Deutschland" und der "Firma Bundesgesundheitsministerium" die Rede. Üblich sei auch, den Betroffenen Rechtsunsicherheit zu vermitteln oder ein schlechtes Gewissen einzureden. Steinmeyer verwies in diesem Zusammenhang auf den Satz: "Sie haben hiermit für die Folgen der Impfungen geradezustehen".

Reichsbürger

Reichsbürger sind Einzelpersonen oder Gruppierungen, die aus unterschiedlichen Motiven - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, Verschwörungstheorien oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend.

Bildunterschrift: Zum Masernschutzgesetz hat ein Reichsbürger Kitas und Schulen angeschrieben.

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Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger, 05.03.2020:

So viele Reichsbürger zählen Ermittler im Kreis Herford

In einer Antwort auf eine Anfrage gibt das Innenministerium Einblicke in die Szene - und zeigt, in welcher Kommune die meisten Mitglieder ansässig sind

Lukas Brekenkamp

Kreis Herford. Sie bestreiten die Existenz der Bundesrepublik, lehnen deren Rechtsordnung ab oder können gar zu einer Gefahr werden. Besonders im Kreis Herford sollen in Ostwestfalen-Lippe viele Reichsbürger und Selbstverwalter ansässig sein, wie es von Seiten des Staatsschutzes heißt. Nun hat das NRW-Innenministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der SPD konkrete Zahlen veröffentlicht.

Demnach zählen das Landeskriminalamt (LKA) sowie der NRW-Verfassungsschutz kreisweit 105 Reichsbürger und Selbstverwalter - die meisten in Herford selbst (34). Auch in Löhne (30) und Bünde (20) scheinen viele Reichsbürger und Selbstverwalter ansässig zu sein. In Hiddenhausen wurden derweil fünf Personen dieser Szene gezählt, jeweils vier weitere in Vlotho, Kirchlengern und Rödinghausen. In Enger soll es drei Reichsbürger und Selbstverwalter geben, in Spenge einen.

Eine dieser Personen aus Bünde verfüge außerdem über eine waffenrechtliche Erlaubnis in Form eines Kleinen Waffenscheins. In der Antwort heißt es: "Ein Verfahren zum Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis konnte bisher nicht eingeleitet werden, da in diesem Fall die Erkenntnisse nicht ausreichen, um einen gerichtsfesten Widerrufsbescheid zu erlassen. Die Zuverlässigkeit der betroffenen Person wird jedoch mindestens einmal jährlich geprüft."

Im gesamten Kreis Herford gebe es außerdem insgesamt 4.637 waffenrechtliche Erlaubnisse (Waffenbesitzkarte sowie Kleiner Waffenschein).

Wie der Staatsschutz Bielefeld vor wenigen Wochen auf Anfrage vonnw.de mitteilte, sind aktuell insgesamt 264 Reichsbürger und Selbstverwalter in OWL ansässig. Zum Vergleich: 2018 waren es nach Angaben der Polizei noch 241 Menschen in OWL, die zum Kern dieser Szene gezählt wurden.

Insgesamt seien in der Region bei 456 Personen Hinweise bekannt, die auf die Zugehörigkeit der Reichsbürger- sowie Selbstverwalter-Szene schließen ließen.

Der Staatsschutz betont, dass man jeden Hinweis prüfe. Derweil zählen LKA und NRW-Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen insgesamt etwa 3.200 Reichsbürger. Im Vergleich zum Vorjahr stagniere die Zahl aber, heißt es in der Antwort. Zuvor waren die Zahlen zwischen 2016 und 2018 deutlich gestiegen: Vor vier Jahren wurden demnach NRW-weit 2.000 Reichsbürger gezählt. "Dass die Zahlen nun stagnieren, lässt darauf schließen, dass die repressiven Maßnahmen der Polizeibehörden bei Straftaten, die Aufklärung über Personen und Aktionen der Szene durch den Verfassungsschutz sowie konsequentes Vorgehen der kommunalen Behörden im Umgang mit Reichsbürgern und Selbstverwaltern Wirkung zeigen", heißt es in der Antwort des Ministeriums.

Bildunterschrift: Das Landesinnenministerium zählt aktuell 105 Reichsbürger im Kreis Herford. Im Jahr 2014 gab’s noch in Löhne die "Botschaft Germanitien". Dieses Fantasiegebilde ist aber längst Geschichte.

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Mindener Tageblatt, 14.01.2020:

Keine Entwarnung

Die Polizei schreitet gegen Reichsbürger ein / Doch immer noch gibt es ein besonderes Problem

Frank Hartmann und Stefan Koch

Minden / Lübbecke. Mit einer Kleinen Anfrage hatte sich die Mindener SPD-Landtagsabgeordnete Christina Weng über die Zahl der den Ermittlungsbehörden bekannten Reichsbürger und Selbstverwalter im Kreis Minden-Lübbecke im vergangenen Jahr informiert. Demnach waren von den NRW-weit etwa 3.200 Anhängern dieser Bewegungen 81 im Mühlenkreis ansässig - mit 20 die meisten in Porta Westfalica sowie in Minden (18) und Bad Oeynhausen (9), wie aus der schriftlichen Antwort der Landesregierung hervorging. "Ich werde das Problem weiter im Auge behalten, weil es mir nicht einleuchtet, dass es immer noch bekannte Personen aus der rechtsextremen Szene gibt, die Waffen besitzen", erklärte Weng gestern auf MT-Anfrage.

Im Kreisgebiet wohnt mehr als nur der eine, wegen zahlreicher bis heute verschwundener Waffen polizeibekannte Reichsbürger aus Stemwede, der keiner sein will, obwohl er diverse der für diese Personengruppe typischen Thesen vertritt. Unter anderem, dass Deutschland noch besetzt sei und das Recht der Alliierten gelte. Auch verweigert er Richtern die Anerkennung, es sei denn, sie können ihm beweisen, dass sie tatsächlich für ein Gericht tätig sind und nicht für eine Firma.

Die Zahlen, die Weng erhalten hatte, stammten vom August vergangenen Jahres und bezogen sich auf Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen und demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen. Im Lübbecker Land leben die meisten von ihnen in Espelkamp (6), gefolgt von Hüllhorst, Pr. Oldendorf und Stemwede (jeweils 4), sowie Rahden (3) und Lübbecke (2).

Auch zu Wengs Nachfragen nach Waffenbesitz von Reichsbürgern enthielt die Antwort des NRW-Innenministeriums Informationen. Demzufolge ist der Kreispolizeibehörde ein Reichsbürger bekannt, der über eine waffenrechtliche Erlaubnis in Form eines Kleinen Waffenscheins verfügt. Seit 2016 wurden drei Verfahren zum Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis im Mühlenkreis eingeleitet und fünf davon bestandskräftig widerrufen.

Etliche Personen aus der rechtsextremen Szene besitzen registrierte Waffen

Aufgefallen waren Reichsbürger beispielsweise in der Pr. Oldendorfer Nachbarkommune Bad Essen, wo sie im Januar 2017 mit Flugblättern für sich warben, die sie anonym verteilt hatten. Auf dem Flugblatt riefen die Verfasser unter anderem dazu auf, einen "Staatsangehörigkeitsausweis" zu beantragen. Diesen für 25 Euro auszustellen boten die Reichsbürger an. "Der Bundespersonalausweis oder der deutsche Reisepass sind kein Nachweis über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Sie begründen lediglich die Vermutung, dass der Ausweisinhaber die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt", so die Argumentation.

Zu einem gravierenden Vorfall war es in Bad Essen ein Jahr zuvor gekommen. Im Februar 2016 war ein Gerichtsvollzieher von einem Reichsbürger mit einem Baseballschläger angegriffen worden. Bei der folgenden Gerichtsverhandlung wurde der Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auch dessen Ehefrau ist seitdem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte vorbestraft.

Wie ein langjähriger Beobachter der extremen rechten Szene auf MT-Anfrage erklärte, sei im Raum Ostwestfalen-Lippe von einer Zahl von 470 bis 490 Reichsbürgern auszugehen - das prominenteste Mitglied sei die zur Zeit inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.

Keineswegs handele es sich bei Reichsbürgern und so genannten Selbstverwaltern um harmlose Spinner. "Bei vielen ist eine Affinität zu Waffen festzustellen."

Auch zwei in Minden lebende Reichsbürger waren bereits zum Problem geworden, wie ein Bericht eines Polizeibeamten im Ausschuss für Bürgerdienste, Sicherheit und Feuerschutz im vergangenen Jahr ergab. Weitere Details wurden bislang von der Mindener Polizei nicht bekannt gegeben. Ende April 2016 hatten 60 Beamte ein von Reichsbürgern illegal besetztes Haus in Porta Westfalica-Hausberge ausgehoben und den rund 30 Personen einen Platzverweis erteilt. Wie der Rechtsextremismus-Experte festgestellt hat, ließ sich ein Teil der Mitglieder im benachbarten Landkreis Schaumburg nieder. Andere waren in die fünf neuen Bundesländer abgewandert.

Bildunterschrift: Im April 2016 räumte die Polizei mit einem Großaufgebot ein verkauftes Haus in Hausberge, aus dem Reichsbürger nicht ausziehen wollten.

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Am 20. März 2020 wurde in Bünde ein Schreiben - Absender ist eine Adresse in Holsen ("Stellvertretenden Ortsvorsteher und Gebietsverweser im Notstand der Gemeinde Holsen") - vom: 12. August 2017 - verteilt.

Am 19. März 2020 fanden nach Verbot der "Reichsbürger"-Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" wie auch "Osnabrücker Landmark", Durchsuchungen in Preußisch Oldendorf-Harlinghausen, in Bünde statt.

Am 27. Februar 2020 bezifferte das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen die "Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter" im Kreis Herford mit 105, 34 in der Stadt Herford, Drucksache 17/8725.

Am 2. Dezember 2019 bezifferte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (17/8039), die Anzahl von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" im Kreis Minden-Lübbecke mit 81 - hiervon 20 in Porta Westfalica.

Am 12. August 2017 definiert ein Brief, von dem "Stellvertretenden Ortsvorsteher und Gebietsverweser im Notstand der Gemeinde Holsen", die Einwohnenden zu Bürgerinnen und Bürgern des "Freistaats Preußen".

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www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8725.pdf

www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8039.pdf

www.minden-luebbecke.de/Service/Integration/NRWeltoffen

www.gegenrechts.info

www.mobile-beratung-owl.de


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