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Bündnis gegen Abschiebungen OWL , 03.10.2005 :

An die Medien / Hermannsdenkmal von Initiativen besetzt / Bündnis gegen Abschiebungen OWL: "Amerikanische Panzerverbände haben deutlich mehr Geschmack bewiesen!"

Detmold. Unter dem Motto: "Abschiebungen stoppen!" haben am 3. Oktober über 60 Angehörige aus Flüchtlingsinitiativen das Hermannsdenkmal "symbolisch besetzt". Gegen 14 Uhr entrollten sie ein 15 Meter langes Transparent über den Sockel des Denkmals.

Das "Bündnis gegen Abschiebungen OWL", das zu der Aktion aufgerufen hatte, nahm in einem an die zahlreichen BesucherInnen verteilten Flugblatt auf das Datum der "symbolischen Besetzung" Bezug: "Der 3. Oktober - der Tag der deutschen Einheit - ist zu einem verhängnisvollen Tag für die Menschen ohne deutschen Pass geworden. Sie sind von dieser Einheit ausgeschlossen. Seit Öffnung der innerdeutschen Grenze werden die Außengrenzen für Flüchtlinge abgeschottet", heißt es dort.

Das Asylrecht sei 1993 in der Bundesrepublik "faktisch abgeschafft" worden. Seitdem würden Flüchtlinge immer stärker ausgegrenzt und entrechtet. Die beiden Regierungen unter Kanzler Kohl und Schröder hätten in Europa die Vorreiterrolle bei der Flüchtlingsabwehr und beim Bau der Festung Europa übernommen. Die Konsequenzen seien äußerst inhuman und erschreckend. "So sind beim Versuch, in ein europäisches Land zu flüchten, seit 1993 insgesamt mehr als 5.000 Menschen zu Tode gekommen", erst in der letzten Woche seien fünf afrikanische Flüchtlinge in der spanischen Exklave Melilla gestorben.

Deutliche Worte fand der Sprecher des Bündnisses auch zu der "nationalistisch umgefälschten Geschichte" des Hermannsdenkmals durch einen "rührigen Heimatverein". Wer die "Erinnerung an das blutrünstige Symbol der Vergangenheit" mit "verharmlosenden Geschichtskittungen" wach hielte, trage auch "Verantwortung für das immer mehr um sich greifende rassistische Klima in der Bundesrepublik". Das Bündnis abschließend: "Die im April 1945 anrückenden amerikanischen Panzerverbände haben da deutlich mehr Geschmack bewiesen: Sie benutzten das Denkmal für Schießübungen und hatten es besonders auf das drohend gereckte Schwert abgesehen."


Anlage: Flugblatt "Abschiebungen stoppen!"


Abschiebungen stoppen!

"Deutsche Einigkeit, meine Stärke – meine Stärke, Deutschlands Macht" heißt der in das Schwert gemeißelte Spruch des Hermannsdenkmals. Seit 130 Jahren erinnert es nicht nur an die Vernichtung von drei römischen Legionen durch mehrere germanische Stämme im Jahre 9 n. Chr., sondern symbolisiert auch die angebliche Befreiung des "deutschen Volkes".

Ungeachtet dieser Geschichtsverdrehung organisieren unter dem Motto "2000 Jahre Varusschlacht - Imperium, Konflikt, Mythos" der Kreis Lippe und der Landesverband Lippe zusammen mit dem Kreis Osnabrück und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe das "Jubiläumsprojekt" für das Jahr 2009.

Wir meinen: Die im April 1945 anrückenden amerikanischen Panzerverbände haben da deutlich mehr Geschmack bewiesen: Sie benutzten das Denkmal für Schießübungen und hatten es besonders auf das drohend gereckte Schwert abgesehen.

Der 3. Oktober - der Tag der deutschen Einheit ist ein Feiertag. Jedoch nicht für alle Menschen! Flüchtlinge und Personen ohne deutschen Pass werden zwar subtil, aber nachhaltig von dieser Einheit ausgeschlossen.

Seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze werden die Außengrenzen für Flüchtlinge abgeschottet. Wir haben deshalb heute das Hermannsdenkmal bei Detmold symbolisch besetzt und um 14 Uhr ein 15 Meter langes Transparent über den Sockel des Denkmals mit der Forderung "Abschiebungen stoppen!" entrollt.

Was am Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit geschieht:

Das Asylrecht wurde 1993 in der Bundesrepublik faktisch abgeschafft. Seitdem werden Flüchtlinge immer stärker ausgegrenzt und entrechtet. Die beiden Regierungen unter Kanzler Kohl und Schröder haben in Europa die Vorreiterrolle bei der Flüchtlingsabwehr und beim Bau der Festung Europa übernommen. Die Konsequenzen sind äußerst inhuman und erschreckend. So sind beim Versuch, in ein europäisches Land zu flüchten, seit 1993 insgesamt mehr als 5.000 Menschen zu Tode gekommen, erst in der letzten Woche starben fünf afrikanische Flüchtlinge in der spanischen Exklave Melilla.

Für den Zeitraum vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 2004 sind folgende Zahlen dokumentiert(Quelle: "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen"; Antirassistische Initiative Berlin, Februar 2005):

In diesem Zeitraum starben mindestens 161 Menschen auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen. Allein 121 Personen starben an den deutschen Ost-Grenzen. 421 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt zum Teil erhebliche Verletzungen, davon 259 an den deutschen Ost-Grenzen. Von den 102 Flüchtlingen, die in den Jahren von 1997 bis 2001 beim Grenzübertritt in die BRD durch Maßnahmen der Bundesgrenzschutzbeamten verletzt wurden, geschah das bei 83 Personen durch Bisse von Zoll- und Diensthunden.

125 Menschen töteten sich selbst angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben beim Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen. Allein 48 Flüchtlinge starben in Abschiebehaft. Mindestens 575 Flüchtlinge haben sich aus Verzweiflung oder Panik vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder versuchten sich umzubringen und überlebten z.T. schwer verletzt. Davon befanden sich 372 Menschen in Abschiebehaft.

Während der Abschiebungen starben 5 Flüchtlinge, 262 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Misshandlungen während der Abschiebung verletzt.

Abgeschoben in ihre Herkunftsländer kamen 21 Flüchtlinge zu Tode, mindestens 384 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär misshandelt und gefoltert. Mindestens 59 Menschen verschwanden nach der Abschiebung spurlos.

11 Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnamen in der BRD, mindestens 360 wurden verletzt – davon 118 durch Bewachungspersonal in Haft.

Bei Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und Bränden in Flüchtlingsheimen starben mindestens 67 Menschen; mindestens 700 wurden z.T. erheblich verletzt. Durch rassistische Angriffe auf der Straße starben 12 Flüchtlinge; mindestens 612 Menschen wurden verletzt.

Durch rassistische Übergriffe starben 79 Flüchtlinge, durch staatliche Maßnahmen aber kamen 323 Flüchtlinge ums Leben.

Seit 1993 wurden über 300.000 Menschen in ihre Herkunfts- oder andere Länder abgeschoben. Schon vor Jahren bezeichnete Pro Asyl die Abschiebehaft, die bis zu 18 Monten dauern kann und die Abschiebungen als organisierte Unmenschlichkeit.

Abschiebehaft bedeutet für viele das Warten auf Armut, Folter oder sogar den Tod. Menschen, die kein Verbrechen begangen haben, sitzen hinter Gittern.

Im ostwestfälischen Büren bei Paderborn steht der größte Abschiebeknast Europas. Zur Zeit befinden sich dort etwa 250 Menschen, die nicht etwa eine kriminelle Tat begangen haben, wie in der öffentlichen Meinungen vielmals angenommen wird, sondern weil ihr Asylantrag in Deutschland abgelehnt wurde oder auch nur, weil sie überhaupt einen gestellt haben. Diese Menschen dürfen täglich nur eine Stunde an die frische Luft, was praktisch bedeutet in einem Käfig hinter meterhohen Mauern, bewacht von Wärtern mit scharfen Hunden, ihre Runden zu drehen. In den letzten Jahren fanden von dort über 3.000 Abschiebungen jährlich statt.

2005 wurde der historische Tiefstand der Asylanträge des vorangegangenen Jahres (niedrigster Stand der Zugangszahlen seit 1984) nochmals drastisch unterboten. Gerichte, (Zentrale) Ausländerbehörden, Abschiebehaftanstalten, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Bundesgrenzschutz verbuchen dies als Erfolg, ungeachtet dessen, dass sie damit ein rassistisches System institutionalisieren und bewusst einer großen Anzahl von Menschen ihre Grundrechte absprechen, anstatt diese zu schützen.

Für Flüchtlinge, die in den nordrhein-westfälischen Regierungsbezirken Detmold, Arnsberg und Münster einen Asylantrag stellen, ist die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Bielefeld jetzt einzige Anlaufstelle. Im vergangenen Jahr führte die ZAB Bielefeld über 1.400 Abschiebungen durch. Damit spielt die ZAB eine bedeutende Rolle in der Abschiebungspraxis, denn in keinem Landkreis Deutschlands ist die Zahl der Abschiebungen so hoch.

Niedrige Zuwanderungszahlen und tausendfach erfolgte Abschiebungen (2003 waren es 23.944 Abschiebungen auf dem Luftweg) sind für die Verantwortlichen Institutionen, wie oben bereits erwähnt, Erfolgsmeldungen. Dies gelingt nur, weil Menschen auf der Flucht zu Feindbildern gemacht werden. In der medialen Öffentlichkeit wird durch rassistische Vorurteile und Panikmache bewusst eine Akzeptanz für diese Art von Politik geschaffen. In solch einer rassistischen Normalität ist es konsequent, Menschen Residenzpflicht aufzuerlegen, sie in Heime zu zwingen, ihnen medizinische Versorgung zu verweigern, ihnen Bargeld vorzuenthalten und Arbeitsaufnahme zu verbieten. Die Flüchtlinge, die dagegen verstoßen, werden kriminalisiert und als angebliche Straftäter abgeschoben.

Wir stellen uns gemeinsam gegen diese Politik, die verantwortlich ist für:

- eine verstärkte Abschiebepolitik,
- die Ausgrenzung von Menschen in entlegene Heime, Abschiebe- und Ausreiselager sowie Abschiebegefängnisse,
- den Entzug und die Nichtverlängerung von Arbeitserlaubnissen und die Erteilung von Arbeitsverboten,
- die Einschränkung von Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht),
- Sachleistungen in Form von Gutscheinen mit dem Ziel, Menschen unter Druck zu setzen, sie zu kontrollieren und sie in der Gesellschaft zu diskriminieren,
- die Zermürbung von Menschen in unsicheren Lebensverhältnissen unterhalb der Armutsgrenze auf engstem Raum.

Schluss mit entwürdigen Lebenszuständen, rassistischen Sondergesetzen und Abschiebungen!
Bleiberecht für alle – jetzt sofort!
Kampf um alle Rechte!


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