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Neue Westfälische Online , 15.03.2023 :

Opfer erlitt Schädelbruch

15.03.2023 - 18.00 Uhr

Angriff in Detmolder Innenstadt: Drei Brüder aus Lippe angeklagt

Sie sollen ihre Opfer unter anderem mit einem Schlagring verletzt haben, einer erlitt einen Schädelbruch / Gegen eine vierte Person wird noch ermittelt

Lukas Brekenkamp

Bielefeld / Detmold. Die Detmolder Staatsanwaltschaft hat Anfang März drei Brüder wegen des Vorwurfs der schweren Körperverletzung angeklagt. Ihre Ermittlungsergebnisse machen nun auch erstmals das ganze Ausmaß und die Brutalität des Vorfalls klar. Das Brüder-Trio soll im Oktober des vergangenen Jahres zwei weitere Personen teils mit Waffen angegriffen und erheblich verletzt haben. In diesem Zusammenhang wird weiterhin gegen eine vierte Person ermittelt. Bei allen Verdächtigen sind Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachweisbar.

Wie der Detmolder Staatsanwalt Andreas Görlitz berichtet, geht es in der Anklage um einen Zwischenfall vom 9. Oktober. Mitten an dem Sonntag kam es damals in der Detmolder Innenstadt zu einer Schlägerei. Laut Görlitz seien die drei Brüder im Alter von 17 bis 23 Jahren mit einer vierten Person unterwegs gewesen und auf ihre späteren Opfer getroffen. "Es kam zu gegenseitigen Pöbeleien", so der Staatsanwalt.

Darauf habe die Gruppe aus den Brüdern und der vierten Person die beiden Opfer (damals 18 und 19 Jahre alt) angegriffen. Einer der Beschuldigten habe mit einem Schlagring (in Deutschland verboten) eine Person an der Augenbraue verletzt. Daraufhin habe das Quartett von seinen Opfern abgelassen, aber es sei weiter zu Pöbeleien gekommen. "Schließlich ging die Auseinandersetzung weiter", sagt Görlitz. Einer der Geschädigten sei zu Boden gegangen, die Angeklagten sollen auf den Kopf des Opfers eingetreten haben. Das zweite Opfer soll seinem Freund zur Hilfe gekommen sein, dabei habe auch er Schläge abbekommen.

Platzwunden und Schädelbruch

Neben einem Schlagring sollen die Täter auch so genannte Schlaghandschuhe benutzt haben, die am Knöchel mit Quarzsand verstärkt sind, um die Schlagkraft zu erhöhen. Laut Görlitz haben beide Opfer "erhebliche Verletzungen" erlitten. Ein Opfer habe mehrere Platzwunden am Kopf davongetragen, bei seinem Freund sei ein Schädelbasisbruch diagnostiziert worden. Er habe längere Zeit im Krankenhaus behandelt werden müssen. Der Staatsanwalt nennt den Angriff "abstrakt dazu geeignet, lebensgefährlich zu sein".

Den drei Brüdern, die zum Teil schon mehrfach im Fokus von Polizei und Staatsanwaltschaft standen, kamen die Ermittler schnell auf die Spur. Bereits wenige Tage nach der Tat gab es mehrere Durchsuchungen in Detmold und Horn-Bad Meinberg. Dabei seien Quarzsand-Handschuhe sowie Handschuhe mit verstärktem Knöchelschutz gefunden worden. Einen Schlagring habe man nicht gefunden.

Verbindungen in rechtsextreme Szene

Polizei und Staatsanwaltschaft gehen derzeit nicht von einem politischen Hintergrund aus. Allerdings sind die drei Brüder nach Informationen dieser Redaktion in der Vergangenheit regelmäßig innerhalb der rechtsextremen Szene in OWL aufgefallen. So auch die vierte Person, gegen die separat wegen gefährlicher Körperverletzung im Rahmen der Schlägerei in Detmold ermittelt wird.

Der 19-Jährige wurde zudem nach Informationen dieser Redaktion vor wenigen Tagen vor dem Jugendgericht angeklagt: Bei einer weiteren Durchsuchung bei dem Heranwachsenden, die offenbar im Zusammenhang mit Neonazi-Schmierereien in Detmold stand, wurden ein Schlagring und ein so genanntes Butterfly-Messer gefunden. Die Beteiligung an den Schmierereien konnten dem 19-Jährigen allerdings nicht nachgewiesen werden.

Während für zwei der Brüder Pflichtverteidiger beantragt wurden, lässt sich der dritte von einem Detmolder Anwalt vertreten. Dieser ließ eine Anfrage dieser Redaktion zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten bisher unbeantwortet. Der Prozess ist noch nicht terminiert.

Bildunterschrift: Bei dem Angriff sollen die Täter unter anderem einen Schlagring benutzt haben.

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Montag, 13. März 2023 um 17.30 Uhr auf dem Marktplatz in Detmold:

Kundgebung für Demokratie und Freiheit - gegen rechte Propaganda und Gewalt

Detmold setzt ein Zeichen: Wir akzeptieren kein rechtes Gedankengut, auch nicht in den so genannten "Spaziergängen". Wir stehen ein gegen die Verbreitung von Hass und Propaganda. Wir stehen ein für unseren demokratischen Rechtsstaat und für ein solidarisches, respektierendes Miteinander, welches geprägt ist von Toleranz innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes.

Dafür ruft ein Bündnis auf zur Kundgebung auf dem Marktplatz, dem inoffiziellen Startpunkt der "Spaziergänger".

Zum Hintergrund:

Wenn Neonazis und andere Rechte "spazieren gehen"

Immer am Montagabend versammeln sich auf dem Marktplatz in Detmold Menschen zum "Spazieren gehen". Manche sind Mitglieder in extrem rechten Parteien wie NPD, AfD, "die Basis"; andere sind "Reichsbürger", die behaupten, Deutschland sei weiterhin ein durch die Alliierten besetzter Staat. Weitere sind aktiv in der rassistischen "Artgemeinschaft" und in der Nachfolgestruktur der "wegen Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus" 2009 verbotenen "Heimattreue Deutschen Jugend" (HDJ) oder dem als "rechtsextrem" geltenden "Thule-Seminar".

Die aktuell etwa 35 Personen umfassende Gruppe leistet nach ihrem Verständnis "Widerstand". Denn: "Detmold geht spazieren" wird grundsätzlich nicht bei der Polizei angemeldet. An diese Menschen zu appellieren, Neonazis auszuschließen, wäre sinnlos: Es ist ein weitgehend geschlossener Personenkreis aus extrem rechten Zusammenhängen. Dies gilt ebenso für die 14-tägig auf dem Bruchberg stattfindenden Kundgebungen von "Lippe für Freiheit, Frieden und menschliches Miteinander", wie für die an wechselnden Standorten durchgeführten "Schilder-Aktionen".

Das war nicht immer so. Die "Spaziergänge" wuchsen innerhalb von Wochen auf durchschnittlich 180 Teilnehmende an. Danach brachen die Zahlen ein. Dies war einerseits den Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen geschuldet. Andererseits war seit letztem Herbst "Detmold geht spazieren" so gut wie ausschließlich von Neonazis und anderen Rechten geprägt: Eine übergroße Mehrheit der Protestierenden gegen die pandemiebedingten Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten war nicht länger bereit, sich politisch vereinnahmen zu lassen.

Hohe Gewaltbereitschaft

Mit von der Partie ist oft auch der ehemalige Leiter der HDJ-"Einheit Hermannsland", der die "Schilder-Aktionen" organisiert. Zuvor fungierte er als "Gauführer Westfalen" der in der Nachfolge der "Hitler Jugend" und des "Bundes Deutscher Mädel" stehenden "Wiking-Jugend" und ist unter anderen wegen Sprengstoffbesitzes und Propaganda für eine verbotene Organisation vorbestraft. 2004 hatte der Verfassungsschutz gewarnt, dass er gemeinsam mit Kameraden Wehrsportübungen ausübte.

Gewaltandrohungen und Gewalttaten begleiten die Detmolder Proteste von Anfang an: Widerstände gegen die Staatsgewalt und weitere abgeurteilte Straftaten, aber auch Mord-Phantasien und -Aufrufe, dass beispielsweise "Politiker an die Wand" gestellt werden sollten, wurden in Sozialen Medien unwidersprochen veröffentlicht.

Im April 2022 warf eine regelmäßige Teilnehmerin von "Detmold geht spazieren" SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bei seinem Wahlkampf-Auftritt in Detmold ein Ei an den Kopf. Wie gefährlich die örtliche mit den "Spaziergängen" verbundene Neonazi-Szene ist, zeigte sich im Oktober: Vier junge Neonazis aus zwei "HDJ"-Familien fügten am hellichten Tag in der Detmolder Innenstadt zwei Männern so schwere Körperverletzungen zu, dass diese mit Rettungswagen in das Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Einige der vermutlichen Täter sind in den völkischen Organisationen "Westfalens Eichensöhne" und "Aktion Hermannsland" aktiv.

Wir wollen mit dieser Kundgebung zeigen, dass extrem rechte Weltanschauungen und Gewalt keine Akzeptanz finden, bei keiner Gelegenheit. Wir sagen: bis hierher und nicht weiter!

Zu der Kundgebung rufen auf:

Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Lippe e.V.
Forum offenes Detmold
Omas gegen Rechts Detmold

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Blick nach Rechts, 10.06.2020:

Völkischer Familienverband

Von Andrea Röpke

In Horn-Bad Meinberg stehen Vater und Sohn in Verdacht, gewaltsam gegen einen Nachbarn vorgegangen zu sein, den sie im gegnerischen politischen Lager verorten. Anders als der Betroffene rechter Gewalt lieferte die einschlägig bekannte Familie vor dem Amtsgericht Detmold wenig glaubhafte Zeugenaussagen ab - und erhielt doch einen Freispruch.

In völkisch gesinnten Familien geht der Vater voran und die Söhne haben zu folgen. Das patriarchale System ist Teil der Weltanschauung, es hat unter anderem zum Ziel die politische Gesinnung ohne Brüche auf die nächste Generation zu übertragen. Gehorsam und Opferbereitschaft sind Voraussetzungen dieser Erziehung. Als Andreas H. aus Horn-Bad Meinberg sich Ende Mai 2019 wütend seinem Nachbarn in den Weg stellte und verletzt wurde, waren die drei Söhne nicht weit. Der Zweitälteste sprang über Häcksler und Zapfwelle von hinten auf den Traktor des Nachbarn, während der Vater auf der Haube hockte und mit den Füßen gegen dessen Windschutzscheibe trat. Verletzt wurden nicht die beiden, sondern der 44-jährige Martin H., der versuchte auf den Hof eines befreundeten Nachbarn zu gelangen. Von dort aus wurde Anzeige bei der Polizei erstattet. Jetzt kam es am 5. Juni zum Prozess gegen Andreas H. wegen versuchter Nötigung und versuchter Sachbeschädigung. H. rückte forsch an und lieferte eine völlig andere Geschichte - die seine Söhne bestätigten.

Angeklagter aus der rechtsextremen Szene bekannt

Es habe sich mehr oder weniger um einen "Nachbarschaftsstreit" gehandelt, heißt es in der Lokalzeitung. Auch die Vorsitzende Richterin Lena Böhm postulierte die Auseinandersetzung in Fromhausen, einer Gemeinde von Horn-Bad Meinberg, so. In dem sechsstündigen Verfahren inszenierten sich der angeklagte H. nebst seinem Verteidiger Hendrik S. und dem Nachwuchs äußerst theatralisch als die eigentlichen Opfer des Vorfalls. In "Todesangst" seien sie gewesen, "vom Tode bedroht", weil der verängstigte Nebenerwerbslandwirt den Trecker nicht stoppen wollte, als sie es von ihm verlangten. "Du bringst mich um", habe er geschrien und sehr viel Angst gehabt, behauptet der Angeklagte. Doch die Polizei riefen weder Andreas H. noch seine Söhne. Sie gingen einfach nach Hause, nachdem der Betroffene Martin H. verletzt Zuflucht gesucht hatte. Für seine Verteidigung wählte H. einen in der braunen Szene beliebten Anwalt, der unter anderem den als gewaltbereit geltenden Dortmunder Rechtsextremisten Robin Schmiemann vertreten hatte.

Dass es bei dieser Auseinandersetzung keineswegs nur um einen Privatkrieg ging, bleibt im Verfahren weitestgehend außen vor. Dabei berichtete nicht nur das ostwestfälische Infoportal "www.hiergeblieben.de" oftmals über die politischen Aktivitäten des 50-jährigen Andreas H., der seit Jahren aus der rechtsextremen Szene bekannt ist. Die Initiatoren von "hiergeblieben" weisen darauf hin, dass die Ehefrau des verletzten Nachbarn Martin H. die ehemalige Lehrerin eines Sohnes von Andreas H. ist.

Festlich angezogen im HDJ-Lager

In Fromhausen lebt man entlegen und eng beieinander. H. genießt dort seit 2006 einen gewissen Ruf. Niemand mag gerne über die "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) sprechen, die dort in dem Jahr etwa eine Woche lang ein großes Sommerlager auf dem Nachbargrundstück der H.s abhielt. Andreas H. legt viel Wert darauf, dass er mit dem Lager nichts zu tun habe, es ebenso wie andere Nachbarn nur einfach besucht habe. Heimlich gemachte Filmaufnahmen zeigen ihn mehrfach zwischen den Zelten, in normaler Alltagskleidung, aber auch festlich angezogen mit der Ehefrau im Dirndl. Immerhin wurde die Jugenderziehungsorganisation HDJ vor allem auch wegen erschreckender Bilder aus Fromhausen 2009 verboten. Das Schild "Führerbunker" an einem der Zelte, Kinder-Drill in Uniform. Die HDJ gilt als militant und verfassungsfeindlich.

H. berichtet vor Gericht nicht davon, dass er zudem 2007 an einem Pfingstlager der HDJ im niedersächsischen Eschede teilnahm, auf Filmmaterial ist er mehrfach zu sehen unter anderem mit Szene-Größen der NPD. Dieses besagte Lager in der Lüneburger Heide war dem ehemaligen AfD-Vorstandsmitglied Andreas Kalbitz zum Verhängnis geworden, weil er die Teilnahme beim Eintritt in die Partei verschwiegen haben soll. Andreas H. ist zudem lange mit dem immer noch aktiven ehemaligen Leiter der "Einheit Hermannsland" der HDJ, Gerd Ulrich, eng befreundet. Dessen Tochter ist mit seinem Ältesten liiert. Gemeinsam besuchten die Väter im Mai 2018 eine Solidaritätsdemonstration für die inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel in Bielefeld. 2009 fand die Polizei auf dem Gelände von H. in einem verborgenen Erdloch zehn Kilogramm Schwarzpulver und Zündschnüre. Der Sportschütze habe alles "sachfremd" aufbewahrt, lautete der behördliche Vorwurf. Weniger glimpflich kam Kamerad Ulrich davon, der war bereits 1999 wegen Sprengstoffbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Geburtsanzeige in der "Nordischen Zeitung"

H. scheint ein Vater zu sein, der stolz darauf ist, mit seinen Söhnen - auch den beiden damals minderjährigen - für die nationale Sache auf die Straße zu gehen. Als der wütende rechte Mob am 1. September 2018 in Chemnitz tobte, befanden sich H., sein Nachwuchs sowie der ehemalige HDJ-Anführer Gerd Ulrich unter den Demonstrierenden. Fotos zeigen die altmodisch gekleideten Gruppen inmitten tausender Rechtsextremer. Einmal sind die beiden Väter neben besonders Aufgebrachten und Drohenden zu sehen, die die Fäuste in die Luft recken.

In der Waldorfschule in Detmold gefiel es dagegen wenig, dass H. den 13-jährigen und den 16-jährigen Sohn in Chemnitz dabei hatte. Der ältere der beiden soll zuvor bereits wegen Aggressivitäten und antisemitischer Sprüche aufgefallen sein, heißt es aus der Elternschaft. Es kam zum Eklat, der 17-Jährige ging von der Schule ab und der jüngere Sohn wechselte schließlich im gemeinsamen Einvernehmen die Einrichtung. H. gab an, nicht zur HDJ zu gehören, seinen Aussagen wurde wenig Glauben geschenkt. Hatte seine Familie doch bereits die Geburt des ältesten Sohnes mit einer Anzeige in der "Nordischen Zeitung", der rassistischen "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft", Ausgabe 1 im Jahr 2000, begrüßt.

"Trotz Todesangst direkt nach Hause"?

Vor dem Amtsgericht Detmold geben H. und seine beiden aussagenden Söhne schließlich sehr wortgleich an, es sei nur um einen "weggeworfenen blutigen Tampon" gegangen, den Gäste des Nachbarn nach einem Mädchen-Pfadfinderlager wenig zuvor am Rande ihres Grundstücks wohl hinterlassen hätten. Dieser Müll habe die deutsche Familie sehr aufgeregt. Sie wollten den auf der Wiese arbeitenden Martin H. zur Rede stellen. Andreas H., Brille gebügeltes Hemd, schwarze Schuhe, schildert die Eskalation wortreich. Der Auftritt zweier Söhne und der Schwiegertochter in spe ist ähnlich. An entscheidenden Stellen versagt die Erinnerung. Auf Fragen des Gerichtes, warum sie den Nachbarn auf derartig aggressive Weise ansprachen, blieb die Zeugenfamilie die Erklärung schuldig. Der Anwalt der Nebenklage, Sebastian Nickel, fasst es so zusammen: "Keiner der Zeugen der Familie habe erklären können, wie der Geschädigte so verletzt werden konnte."

Insgesamt fünf sehr ähnlich klingende Aussagen belasten hingegen Martin H. auf seinem Trecker, der habe Vater und Sohn nach dem Leben getrachtet. "Meine Reaktion wäre es dann aber, die Polizei zu rufen", insistiert Richterin Lena Böhm. Doch niemand, weder H. noch seine drei Söhne und die Freundin des Ältesten, wollen ein Handy dabei gehabt haben, zu Hause seien sie nicht auf die Idee gekommen, den Notruf zu tätigen. Auch die Staatsanwältin macht dieses Verhalten stutzig, sie fragt: "Trotz Todesangst direkt nach Hause?" Für sie klinge die Aussage des Angeklagten eher unglaubwürdig.

Bereits vor dem Angriff am Waldrand "gestellt" worden

Nebenkläger Martin H. jedoch hat keinen Zeugen. Er saß alleine auf dem Traktor. Seine Angst ist ihm noch anzumerken. Auch vor Gericht. Er wurde im Mai 2019 an Kopf und Rücken verletzt. Sehr zurückhaltend sagt er aus. Immer wieder muss er eine Pause machen und einen Schluck Wasser trinken. Den Angeklagten und die Zeugen mag er kaum anschauen, blickt viel auf den Boden. Er sagt, er sei bereits vor diesem Angriff, wenige Monate zuvor, bei der Jagd von seinem Nachbarn am Waldrand "gestellt" worden. Und wieder: "H. voran, seine Söhne hinterher". H. habe ihm deutlich gemacht, was "Eindringlinge" auf seinem Grundstück zu erwarten hätten. Einen weiteren Zwischenfall habe es beim Martinssingen im Dorf gegeben. Martin H. hatte die kleine Tochter gerade an der Hand, als er von dem Angeklagten angeschrien und dafür verantwortlich gemacht wurde, dass der jetzt Probleme auf der Arbeit und die Söhne Ärger in der Schule hätten.

"Ich möchte schon selber entscheiden, wann ich mit jemanden spreche", sagt Martin H. immer wieder. Als sich Andreas H. ihm schließlich an jenem Sonntagabend immer wieder in den Weg stellte, habe er noch nicht mit einer handfesten Auseinandersetzung gerechnet. Er umfuhr den aufgebrachten Rechten mehrmals. Dann sei der schließlich auf das Zugmaul vorne am Traktor aufgesprungen, habe sich am Bügel festgehalten und ihn immer wieder lautstark zum Halten aufgefordert. Martin H. bekam es richtig mit der Angst zu tun, als auch noch der mittlere Sohn von hinten heraneilte und ihn schließlich im Führerhaus malträtierte. Er habe das Haus eines befreundeten Nachbarn angesteuert, der ihm zu Hilfe eilen könnte. In seinem Plädoyer bekräftigte Anwalt Nickel, die politische Vorgeschichte des Angeklagten, die seinem Mandanten bekannt sei, lasse durchaus darauf schließen, dass sehr wohl eine Gefahr von ihm ausgehe. Nötigung sei daher gegeben.

"Bitteres Signal für die Opfer rechter Gewalt"

Doch das Urteil am Ende der langen Verhandlung unter Corona-Bedingungen mit nur vier Pressevertretern und vier Zuschauern, lautete Freispruch. In ihrer Begründung gab Böhm zu verstehen, dass sie dem Geschädigten glaube, "dass er Angst um Leib und Leben hatte", aber die Anklage der Nötigung sei nicht ausreichend bestätigt. Auch sei die "Entlastungstendenz" seitens der Kinder als Zeugen "wahrnehmbar" gewesen.

Für einen Sprecher des Infoportals "www.hiergeblieben.de" ist das Urteil ein "bitteres Signal für die Opfer rechter Gewalt". Dem Nebenklagevertreter Sebastian Nickel erscheint es, als seien die Kinder des Angeklagten "instrumentalisiert" worden. "Die haben ihre Version hier abgespult, das ist von vorne bis hinten einstudiert", so Nickel. Sein Mandant und er prüfen zur Zeit, ob sie Berufung gegen den Freispruch einlegen.

Bildunterschrift: HDJ-Lager 2006 in Fromhausen. Die militante, verfassungsfeindliche Gruppierung wurde 2009 verboten.

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Am 2. März 2023 erhob die Staatsanwaltschaft Detmold gegen drei (junge) polizeibekannte Neonazis aus Fromhausen Anklage wegen des Vorwurfs der schweren Körperverletzung am 9. Oktober 2022 in Detmold.

Am 14. Oktober 2022 fanden bezüglich schwerer Körperverletzungen am 9. Oktober 2022 in Detmold, bei Neonazis in Fromhausen (Angehörige der Familie Hanusek) sowie in Berlebeck drei Durchsuchungen statt.

Am 9. Oktober 2022 gegen 16.50 Uhr wurden in Detmold ("Lange Straße") zwei Männer (18,19 Jahre) von vier Neonazis verletzt, einer mit Schädelbasisbruch, und mit Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht.

Am 2. März 2022 stellten Staatsanwaltschaft / Amtsgericht Detmold das Verfahren ("Versuchte Nötigung"), gegen einen Fromhauser Neonazi wegen - Geringfügigkeit und mangelnden öffentlichen Interesses - ein.

Am 11. Mai 2021 hob das OLG Hamm einen Freispruch (Anklage: "Versuchte Nötigung") des Amtsgerichts Detmold (5. Juni 2020) für einen Fromhauser Neonazi auf; verwies das Verfahren zurück ans Amtsgericht.

Am 5. Juni 2020 wurde ein Neonazi aus Fromhausen, seit 2006 als "rechtsextremer HDJ-Aktivist bekannt" (Staatsschutz), vom Amtsgericht Detmold von dem Vorwurf der "versuchten Nötigung" u.a. freigesprochen.

Am 26. Mai 2019 fand in Fromhausen eine rechts motivierte Gewalttat (Körperverletzung, Nötigung), unter Beteiligung eines Neonazis - laut Staatsschutz seit 2006 als "rechtsextremer HDJ-Aktivist bekannt" - statt.

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