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16 Artikel , 03.12.2021 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Rundfunk Berlin-Brandenburg, 03.12.2021:
KZ Sachsenhausen / Historiker sagt im KZ-Prozess gegen 101-Jährigen aus

MiGAZIN, 03.12.2021:
KZ-Prozess / Angeklagter streitet weiter ab

die tageszeitung, 03.12.2021:
SS-Mann leugnet jede Schuld

Frankfurter Rundschau Online, 03.12.2021:
Angehörige von Hanau-Opfern: "Ich habe all meine Kraft verloren"

die tageszeitung Online, 03.12.2021:
Attentat in Hanau / "Wir mussten da alleine durch!"

t-online.de, 03.12.2021
Rassistischer Anschlag / Zeugin im Hanau-Ausschuss: "Gerechtigkeit und Wahrheit"

die tageszeitung, 03.11.2021:
"Widersprüchlich und lückenhaft"

Neue Westfälische, 03.12.2021:
Reichsbürger verletzt Polizisten

Blick nach Rechts, 03.12.2021:
Rechte Parteien in Europa: Corona als Brandbeschleuniger

Heilbronner Stimme Online, 03.12.2021:
Grundgesetz verbrannt? Staatsschutz ermittelt nach Corona-Demo

Süddeutsche Zeitung Online, 03.12.2021:
Dresden / Polizei bereitet sich auf Corona-Protest am Montag vor

Südwestrundfunk, 03.12.2021:
Verfassungsschutz: Mögliche Impf-Pflicht radikalisiert die Szene um "Querdenken 711"

Süddeutsche Zeitung Online, 03.12.2021:
Berlin / Impf-Gegner-Demonstration verboten / Aufrufe im Internet

Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, 03.12.2021:
Proteste gegen Impf-Pflicht / "Querdenker" rufen zu Groß-Demo auf

Bayerischer Rundfunk,03.12.2021:
Nach AfD-Chats: Von Brunn stellt Strafanzeige

Münchner Merkur Online, 03.12.2021:
Rechte AfD-Chats aus Bayern: Jetzt reagiert auch Söder - "Völlig neue Qualität"

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Rundfunk Berlin-Brandenburg, 03.12.2021:

KZ Sachsenhausen / Historiker sagt im KZ-Prozess gegen 101-Jährigen aus

03.12.2021 - 16.03 Uhr

Im Prozess um tausendfachen Mord im KZ Sachsenhausen hat sich ein Historiker zur Rolle von SS-Einheiten geäußert, zu denen auch der Angeklagte gehörte. Der streitet bisher jede Beteiligung an Erschießungen und anderen Gräueltaten ab.

Im Prozess wegen Beihilfe zu tausendfachem Mord im KZ Sachsenhausen hat ein Sachverständiger darauf hingewiesen, dass SS-Einheiten und Vorgesetzte des Angeklagten an Erschießungen beteiligt waren.

Der 101-jährige Josef S. bestreitet bislang eine Tätigkeit als SS-Wachmann in dem Konzentrationslager bei Oranienburg. Allerdings belegen Personalakten seine Mitgliedschaft in verschiedenen SS-Totenkopf-Wachbataillons zwischen Oktober 1941 und Februar 1945.

Nach Aussage des Historikers Stefan Hördler zeigen unter anderem Aussagen von Vorgesetzten des Angeklagten die Teilnahme der SS-Wachkompanien an Erschießungen von Gefangenen.

Anklage: Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen

Josef S. muss sich wegen Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in 3.518 Fällen verantworten. Es geht um die Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener, die Ermordung von Häftlingen durch Giftgas und um die Tötung von Häftlingen durch die Schaffung und Aufrechterhaltung von lebensfeindlichen Bedingungen.

Für eine Verurteilung wegen Beihilfe genügt es gemäß der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass der Angeklagte Teil der Vernichtungsmaschinerie des NS-Konzentrationslagers gewesen ist.

Angeklagter bestreitet Vorwürfe

Der Angeklagte streitet bislang alles ab. Am Donnerstag hatte er erklärt, er sei in der fraglichen Zeit Landarbeiter bei Pasewalk in Vorpommern gewesen. Zum Kriegsende sei er nach Kolberg abkommandiert worden, um als Zivilarbeiter Schützengräben zu schaufeln und Unterkünfte zu bauen.

Wegen des Gesundheitszustandes des Angeklagten ist die Verhandlung des Landgerichts Neuruppin nach Brandenburg an der Havel verlegt worden. Der Hochbetagte ist nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig. Unter den insgesamt 16 Nebenklägern sind Überlebende des KZ Sachsenhausen und Nachkommen ehemaliger Häftlinge, darunter aus Israel, Peru, Polen, den Niederlanden und Frankreich.

Der Prozess soll am 9. Dezember mit dem 15. Verhandlungstag fortgesetzt werden. Insgesamt sind 22 Verhandlungstage angesetzt - ein Urteil könnte im Januar gesprochen werden.

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MiGAZIN, 03.12.2021:

KZ-Prozess / Angeklagter streitet weiter ab

03.12.2021 - 05.20 Uhr

Wahrscheinlich einer der letzten potenziellen Täter aus dem KZ-Sachsenhausen steht seit Oktober vor Gericht. Allerdings ist bislang fraglich, ob der Beihilfe-Vorwurf belegt werden kann.

Im Prozess gegen einen 101-jährigen ehemaligen KZ-Wachmann vor dem Landgericht Neuruppin hat der Angeklagte am Donnerstag erneut einen Einsatz im KZ Sachsenhausen bestritten. In einer am 13. Verhandlungstag von Verteidiger Stefan Waterkamp vorgetragenen Erklärung wurden lediglich weitere Lebensstationen des in Litauen geborenen Angeklagten Josef S. in den Jahren 1940 und 1945 vorgetragen. Angaben zur Tätigkeit im KZ Sachsenhausen wurden nicht gemacht. (AZ: 11 Ks 4/21)

In einem vom Vorsitzenden Richter Udo Lechtermann präsentierten, von Josef S. unterzeichneten Rentenantrag an die DDR-Sozialversicherung von 1985 ist für die Zeit zwischen 1940 und 1945 lediglich "Wehr- und Kriegsdienst" angegeben. Eine vom Gericht als Zeugin geladene 70-jährige Stieftochter des Angeklagten verweigerte am Donnerstag die Aussage. Zuvor war sie kurzfristig aus dem Zuschauerraum heraus vom Gericht als Zeugin benannt worden.

Als Sachverständiger hatte der Historiker Stefan Hördler bereits in der vergangenen Woche an Hand von Personalakten des SS-Totenkopf-Bataillons im KZ Sachsenhausen die Mitgliedschaft von Josef S. belegt. Mit Blick auf die fehlende Erinnerung des Angeklagten und dessen ausweichende Aussagen sprach sich Rechtsanwalt Thomas Walther als ein Vertreter der insgesamt 16 Nebenkläger für die Erstellung weiterer Gutachten aus. Sie sollen belegen, dass sich Josef S. mit Blick auf Teilabschnitte seiner Biografie eine "Scheinwelt" geschaffen habe.

Wenige Stunden verhandlungsfähig

Wegen des Gesundheitszustandes des Angeklagten ist die Verhandlung nach Brandenburg an der Havel verlegt worden. Der Hochbetagte ist nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig. Nebenkläger sind Überlebende des KZ Sachsenhausen und Nachkommen ehemaliger Häftlinge, darunter aus Israel, Peru, Polen, den Niederlanden und Frankreich.

Josef S. muss sich wegen Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in 3.518 Fällen verantworten. Es geht um die Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener, die Ermordung von Häftlingen durch Giftgas und um die Tötung von Häftlingen durch die Schaffung und Aufrechterhaltung von lebensfeindlichen Bedingungen.

Tätigkeiten vermerkt

Josef S. soll zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg nördlich von Berlin eingesetzt worden sein. Er streitet dies bislang ab. Zwischen 1936 und 1945 wurden mehr als 200.000 Menschen im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Zehntausende starben an den Haftbedingungen, durch medizinische Experimente oder wurden ermordet. Das Konzentrationslager nördlich von Berlin wurde 1936 als Modell- und Schulungslager der SS in Betrieb genommen und war ab 1938 auch Verwaltungszentrale aller NS-Konzentrationslager.

Für das Verfahren gegen Josef S. werteten die Ermittler unter anderem Dokumente aus der Gedenkstätte Sachsenhausen, dem Bundesarchiv Berlin und der Stasi-Unterlagen-Behörde aus. Die Tätigkeit von S. ist demnach auf verschiedenen Unterlagen aus der Zeit vermerkt, auch die Beförderung zum SS-Rottenführer. Vorermittlungen hatte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im baden-württembergischen Ludwigsburg geführt. (epd/mig)

Bildunterschrift: Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. (Archiv).

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die tageszeitung, 03.11.2021:

SS-Mann leugnet jede Schuld

Ein 101-Jähriger wird beschuldigt, als SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen gearbeitet zu haben / Vor Gericht bestreitet dies der Mann / Doch Dokumente weisen eindeutig auf seine Anwesenheit hin

Aus Brandenburg an der Havel Klaus Hillenbrand

Im Prozess in Brandenburg an der Havel gegen einen ehemaligen SS-Mann hat der Angeklagte am Donnerstag erklärt, er sei weder Mitglied der SS noch Angehöriger der Wachmannschaften des KZ Sachsenhausen gewesen. Stattdessen will er in der fraglichen Zeit als Knecht bei Bauern tätig gewesen sein.

Josef S. ist der Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen angeklagt, begangen zwischen Januar 1942 und Februar 1945. Dokumente weisen darauf hin, dass er dabei mehrfach, wie damals durchaus üblich, in andere Kompanien versetzt wurde und vom SS-Sturmmann zum SS-Rottenführer aufstieg.

In der fraglichen Zeit kam es unter anderem zu Massenerschießungen von sowjetischen Kriegsgefangenen. Tausende weitere Gefangene fielen einer Fleckfieber-Epidemie zum Opfer, starben auf Grund der lebensfeindlichen Bedingungen oder wurden mit dem Giftgas Zyklon B ermordet.

Der heute 101-jährige Angeklagte Josef S., der bis zum Donnerstag Aussagen über seinen Lebensweg während des Zweiten Weltkriegs verweigert hatte, will indes mit all dem nichts zu tun gehabt haben. Er präsentierte dem in einer Turnhalle in Brandenburg tagenden Landgericht Neuruppin einen gänzlich harmlosen Lebensweg während des Zweiten Weltkriegs.

Demnach habe er nach seiner Einwanderung aus Litauen ins Deutsche Reich nach dem Aufenthalt in einem Umsiedlungslager zunächst bei einer kleinen Firma gearbeitet, die für die Wehrmacht tätig gewesen sei. Danach will S. in zwei verschiedenen Bauernhöfen als Arbeiter tätig gewesen sein, zuletzt in Pasewalk, bevor er kurz vor der Befreiung zum Fronteinsatz befohlen wurde, dort aber auch nur Schützengräben ausheben durfte und nicht einmal eine Waffe erhielt.

Der rüstig wirkende Angeklagte wurde bei seinen in ostpreußischem Akzent vorgetragenen Ausführungen von seinem Anwalt unterstützt, verhedderte sich bei Nachfragen aber regelmäßig zwischen seiner angeblichen Zeit als Soldat in der litauischen Armee vor 1941 und seiner Gefangennahme durch die Sowjets 1945.

Freilich liegen dem Gericht etliche Dokument vor, aus denen die Dienstzeit von Josef S. in Sachsenhausen und seine Tätigkeit als SS-Wachmann hervorgeht. Dazu zählen etwa Listen von SS-Kompanien in Sachsenhausen, in denen Name und Geburtsdatum von Josef S. genannt sind. Zudem führte Richter Udo Lechtermann die Antwort der Deutschen Rentenversicherung an das Gericht in den Prozess ein, die ebenfalls darauf hinweist, dass S. sich eine "Scheinwelt" aufgebaut hat, wie es Nebenkläger-Anwalt Thomas Walter nennt.

"Das ist das Elend der Nachkriegsjustiz: Nichts gehört, nichts gewusst, nicht dabei gewesen"
Christoph Heubner, Auschwitz Komitee

Die Antwort der Rentenversicherung beinhaltet nämlich auch einen von ihm unterschriebenen Lebenslauf aus dem Jahr 1985 in der DDR, aus dem hervorgeht, dass er vom September 1940 bis zum Mai 1945 im "Wehr- und Kriegsdienst" gestanden habe. Zudem finden sich dort schlüssige Angaben über seine Schulentlassung und seine ersten Arbeitsschritte im elterlichen Betrieb.

Warum dieser Lebenslauf etwas ganz anderes aussagt als seine Erklärung vor Gericht, vermochte Josef S. nicht schlüssig zu erklären. Richter Lechtermann meinte schließlich zu seiner Aussage: "Das wird mir immer zweifelhafter." Der Exekutivpräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, kommentierte dies so: "Das ist das Elend der Nachkriegsjustiz: Nichts gehört, nichts gewusst, nicht dabei gewesen." Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

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Frankfurter Rundschau Online, 03.12.2021:

Angehörige von Hanau-Opfern: "Ich habe all meine Kraft verloren"

03.12.2021 - 16.43 Uhr

Von Pitt von Bebenburg, Gregor Haschnik

Im Hanau-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags schildern Hinterbliebene die schreckliche Zeit nach dem rassistischen Anschlag

Ihr letztes Gespräch beendeten sie lachend, erzählt Vaska Zlateva. Kaloyan Velkov und seine Cousine, die ihm so nahe war, dass er sie Schwester nannte, besprachen am Telefon, wo sie am Wochenende hingehen sollten und wer die Rechnung übernehmen würde. Dann sagte der 33-Jährige noch zu Zlateva, die am Flughafen arbeitete: "Leg dich hin, Schwester. Du musst früh aufstehen."

Es ist 21.46 Uhr am 19. Februar 2020. Keine zehn Minuten später betritt der rassistische Attentäter von Hanau die Bar La Votre. Lkw-Fahrer Velkov arbeitet hier nebenbei, für 50 Euro pro Tag, auch weil er Geld für die Augen-OP seines in Bulgarien lebenden achtjährigen Sohnes braucht. Velkov, der mit seiner Mutter und Zlateva in Erlensee lebt, wird mit mehreren Schüssen ermordet. "Kaloyan kam nach Deutschland, weil ich ihm erklärt habe, dass das ein ordentlicher Staat ist", erinnert sich die 36-Jährige, die sich Vorwürfe macht. Später sagt sie: "Ich habe mein Vertrauen in die Polizei verloren." Und fordert mit fester Stimme "Wahrheit, Gerechtigkeit" und Konsequenzen, damit "so etwas nicht mehr passiert". Die "verantwortlichen Personen sollen endlich Verantwortung übernehmen".

Vaska Zlateva hat am Freitag als erste Angehörige im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Anschlag in Hanau ausgesagt. Es war die erste öffentliche Sitzung des Ausschusses, der klären soll, ob und inwiefern hessische Behörden Fehler gemacht haben. Nach ihr kommt Hayrettin Saraçoglu zu Wort, dessen Bruder Fatih kurz nach Velkov vom selben Täter auf offener Straße erschossen worden war, vor der Bar Midnight. Anders als Vaska Zlateva erfährt Saraçoglu davon noch nichts in der Tatnacht. Erst am Morgen erhält Saraçoglu, der in Regensburg wohnt, einen Anruf von Diana Sokoli, der Freundin seines Bruders, von dessen Handy, ohne dass sie die ganze Wahrheit verrät. Daraufhin fährt er nach Hanau und erfährt in Fatihs Wohnung von der Vermieterin, was geschehen ist.

Was in den nächsten Tagen geschieht, ist fast unglaublich und lässt die Abgeordneten im Ausschuss fassungslos zurück. Denn Hayrettin Saraçoglu bekommt einen Anruf seiner Anwältin: Nach der Obduktion seines ermordeten Bruders seien noch Teile der Leiche übrig. Er könne sie haben, oder sie würden verbrannt. Niemand habe ihn vorher informiert oder gar gefragt, ob sein toter Bruder obduziert werden könne, sagt der 45-jährige. Nun bringt ihm der Bestattungsunternehmer ein großes Behältnis mit den entnommenen Gewebeproben. Nicht ein Glas voll, wie er angenommen hatte, sondern ein größeres Paket. Saraçoglu will es in die Türkei bringen, um es mit der Leiche im Grab zu bestatten, die schon dort ist. Er übernachtet in einem Hotel und bittet den Besitzer, den Kühlschrank benutzen zu dürfen, um den Behälter zu kühlen. "Stellen Sie sich vor: Du schläfst im Hotel mit den Organen deines Bruders", schildert Hayrettin Saraçoglu. "Du kämpfst mit deiner Psyche, und gleichzeitig musst du alles organisieren."

Am nächsten Tag setzt sich Hayrettin Saraçoglu ins Flugzeug in die Türkei. "Wenn mich ein Polizist gefragt hätte: "Was haben Sie dabei?": Was hätte ich sagen sollen?", gibt er seine Gedanken wieder. "Ich konnte aber durch, ohne dass ich gefragt wurde." So seien die körperlichen Überreste des getöteten Bruders schließlich auf die Leiche ins Grab gelegt worden.

Wie kann es passieren, dass ein Mensch in eine solche Situation gebracht wird? Die Abgeordneten fragen nach. Warum habe der Bestattungsunternehmer die Körperteile nicht selbst in die Türkei gebracht, sondern sie dem Bruder übergeben, will CDU-Obmann J. Michael Müller wissen. "Das ist auch meine Frage", sagt der Zeuge schlicht.

Mehrfach muss Hayrettin Saraçoglu seine Aussage unterbrechen, weil er nicht mehr weiterreden kann, hier, in diesem nüchternen Saal. Er hat eine Dolmetscherin mitgebracht, die die Fragen und seine Antworten überträgt, obwohl Saraçoglu gut Deutsch spricht. Er wolle sichergehen, dass er alle Fragen gut verstehe, sagt er. Und außerdem: wegen der großen Belastung.

"Ich habe all meine Kraft verloren", berichtet Saraçoglu an einer Stelle - als er sich an den Moment erinnert, in dem er, in Hanau angekommen, vom Tod seines Bruders erfuhr. Hilfe habe er in den nächsten Tagen kaum erfahren. Seine Frau habe alles zusammengehalten und die Situation schließlich nicht mehr ausgehalten. Jetzt hätten sie sich voneinander getrennt. Daneben gab es Unterstützung vom Weißen Ring, von Vereinen, auch von einer bayerischen Behörde.

Was hätte sich Saraçoglu von den hessischen Behörden gewünscht, möchte SPD-Obfrau Heike Hofmann wissen. "Ich hätte mir gewünscht, dass jemand von der Polizei, von den Behörden uns den Weg weist, uns informiert", sagt der Zeuge. Alle Entwicklungen habe er den Medien entnommen.

Ähnlich hatte es am Morgen schon Vaska Zlateva formuliert. "Niemand hat die ganze Zeit Informationen gegeben", berichtete sie nicht nur über die Tatnacht, sondern auch über die Zeit danach. Es ist ein schwerer Gang für Zlateva, die eine Bulgarisch-Dolmetscherin zur Unterstützung dabei hat, aber sie tritt gefasst und entschlossen auf. Die alleinerziehende Mutter gibt zunächst eine Erklärung ab und spricht dann frei. Detailliert beschreibt die Zeugin, wie sie die Tat und die Zeit danach erlebte.

Nachdem sie durch einen Freund vom Anschlag erfahren und "etwa 20-mal" vergeblich versucht hatte, ihren Cousin zu erreichen, fuhr Zlateva zum Tatort. Dort habe Chaos geherrscht. Was sie sah, erinnerte sie an "einen Horrorfilm". Ob ein Bulgare unter den Opfern sei, fragte sie einen Polizisten, was dieser verneint habe.

Zlateva sah, wie Leute in weißen Schutzanzügen in die Bar gingen. Dennoch hoffte sie, dass Velkov lebte. Gegen 4.30 Uhr wählte sie die 112 und wurde, wie die anderen Angehörigen, in eine Halle der Polizei im Lamboy-Viertel geschickt. Gegen halb sieben las dort ein Polizist die Namen der Getöteten vor. "Ich habe einen Schock erlebt." Sie und die anderen Familien "haben geweint und geweint". Eine Freundin, die sie begleitete, sei gestürzt und drohte, an ihrer Zunge zu ersticken. Geholfen habe ihr eine andere Betroffene.

Vaska Zlateva beklagt, dass sie weder informiert noch angemessen betreut worden seien. Ungewissheit habe auch die folgenden Tage geprägt, und selbst heute, 22 Monate nach dem Anschlag, seien viele Fragen offen.

Eine Nummer der Polizei, die Zlateva am nächsten Morgen wählen sollte, sei die ganze Zeit besetzt gewesen. Erst fünf oder sechs Tage später sei die Polizei mit dem Ausländerbeirat zu ihnen gekommen. Bis dahin "waren wir allein". Eine Polizistin habe ihr dankenswerterweise geholfen, der Mutter die Todesnachricht zu überbringen. Aber ansonsten habe sie von den Behörden so gut wie keine Hilfe bekommen. Vor der Obduktion habe niemand die Familie gefragt. Sie hätten der Untersuchung nicht zugestimmt, weil die Todesursache doch klar gewesen sei. Kaloyan Velkov sei als erster ermordet und als letzter, zehn Tage später, begraben worden. Sein Leichnam sei hin- und hergekarrt und über Griechenland nach Bulgarien geflogen worden.

Besonders furchtbar sei, dass Velkov nach den tödlichen Schüssen etwa 25 Minuten hinter dem Tresen lag, bis eine Polizistin ihn eher durch Zufall entdeckte. "Warum?", fragt Zlateva. Es seien doch viele Einsatzkräfte vor Ort gewesen.

Kaloyan Velkov sei ein guter Mensch gewesen, habe ihr viel geholfen und mit niemandem Probleme gehabt. Er habe keine Unterschiede zwischen den Menschen gemacht - und sei Opfer von Rassismus geworden. Sie habe sich oft gefragt, warum ihm das passiert sei und weshalb die Sicherheitsbehörden zum Beispiel nicht auf die Webseite des Attentäters aufmerksam geworden sind. Durch die Tat sei ihr bewusst geworden: "Dieser Rassismus existiert."

Das Attentat hat Ängste und Depressionen bei Zlateva ausgelöst. Sie verlor ihren Job. Lediglich Erlensees Erste Stadträtin Birgit Behr (CDU) habe sie unterstützt, ihr eine neue Wohnung und einen Job vermittelt. "Wäre sie nicht gewesen, hätte ich es nicht geschafft." Von Seiten des Staates sei abgesehen von der Überführung nach Bulgarien fast nichts gekommen. Die Nachfragen der Ausschussmitglieder sind spärlich. Der Vorsitzende Marius Weiß (SPD) bedankt sich zunächst für die "eindrückliche Schilderung". Er möchte wissen, ob Zlateva der Todeszeitpunkt ihres Cousins genannt wurde und ein Grund dafür, weshalb die Polizei ihn nicht früher fand. Letzteres habe man ihr nicht erklärt, entgegnet sie. Der Zeitpunkt des Todes sei auf etwa 22 Uhr beziffert worden.

Dirk Gaw (AfD) erklärt, seiner Fraktion sei es wichtig aufzuklären, warum der Attentäter eine Waffen-Erlaubnis hatte. Wobei der AfD-Politiker hervorhebt, dass es ein psychisch Kranker gewesen sei. Von Rassismus kein Wort.

Saadet Sönmez (Linke) fragt Zlateva, ob jemand sie nach dem Mord kontaktiert und ihr angeboten habe, sich von Velkov zu verabschieden. Nein, niemand habe sie gesucht und solche Angebote gemacht, berichtet Zlateva. "Das ist das Problem." Erst in der Leichenhalle habe sie von einem Mitarbeiter erfahren, dass ihr Cousin mit sechs Schüssen getötet worden sei. Ihr wäre wichtig gewesen, zu wissen, wo er ist, und ihn früh sehen zu können, auch weil "wir es nicht glauben konnten". Seine Mutter habe in den Tagen danach an der Tür auf ihn gewartet und sei nach wie vor in einem Schockzustand.

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die tageszeitung Online, 03.12.2021:

Attentat in Hanau / "Wir mussten da alleine durch!"

Angehörige der Mordopfer erzählen vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss, wie es ihnen nach der Tat erging. Kaum Hilfe vom Staat.

Christoph Schmidt-Lunau

Wiesbaden (taz). "Der Täter war psychisch krank und hatte eine Waffe, er hat es im Internet angekündigt, er hat telefoniert - warum hat niemand darauf geachtet?“ Auch 22 Monate nach dem rassistisch motivierten Mord an ihrem Cousin Kaloyan Velkow hat Vaska Zlateva "mehr Fragen als Antworten".

Zlateva ist die erste Zeugin aus dem Kreis der Angehörigen der Hanauer Mordopfer, die der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags anhören wird: Wäre es zu verhindern gewesen, dass ein Neonazi und Waffennarr am 19. Februar 2020 in einer Shisha-Bar und eine halbe Stunde später in einem Kiosk in Hanau acht junge Menschen erschießen konnte? Er zielte auf sie wegen ihres Aussehens, weil er sie für Ausländer hielt.

Welche Fehler wurden vor der unfassbaren Tat gemacht und von wem und welche unmittelbar danach? Die Angehörigen fühlen sich nach wie vor allein gelassen mit ihrem Verlust und klagen deshalb an, auch an diesem Tag mit einer Mahnwache vor dem Landtagsgebäude.

Eineinhalb Stunden gewährt am Freitag als erste Vaska Zlateva den Abgeordneten einen Einblick in die Abgründe, die sich für sie und ihre Familie nach dem Mord an ihrem Cousin aufgetan haben. "Er nannte mich Schwester, ich war seine Familie und er meine", sagt die 36-jährige alleinerziehende Mutter zweier Kinder. "Ich fühle mich schuldig, weil ich ihn nach Deutschland eingeladen habe", sagt sie. Sie habe gedacht, Deutschland sei ein guter Staat.

"Wie in einem Horrorfilm"

Auch 22 Monate danach ist die Nacht vom 19. Februar präsent. Um 20.46 Uhr habe sie zum letzten Mal mit ihm telefoniert. Ihr Cousin, der tagsüber LKW fuhr, half auch an diesem Abend als Kellner in der Bar aus, der in dieser Nacht zum Tatort wurde. "Leg dich hin Schwester, du musst morgen früh aufstehen!", seien seine letzten Worte gewesen.

Um Mitternacht ruft ein Kollege an, mit dem sie am Flughafen zusammenarbeitet. In Hanau seien acht Menschen erschossen worden, "es ist schrecklich!", habe der Kollege gesagt und ihr geraten, nicht vor die Tür zu gehen. Doch sie ruft ein Taxi und eilt vom gemeinsamen Wohnort Erlensee zum Hanauer Heumarkt. Vor der Bar, in der ihr Cousin jobbt, Einsatzfahrzeuge, Polizei, Absperrungen, "wie in einem Horrorfilm", sagt die Zeugin.

Einen der vielen Beamten habe sie gefragt, ob auch ein Bulgare unter den Opfern sei. Der habe nur von einem Türken gewusst. Um Mitternacht versammelt die Polizei schließlich in einer Halle in Lamboy die Menschen, die fürchten müssen, dass ihre Angehörigen unter den Opfern sind.

Erst am frühen Morgen, gegen sechs Uhr gibt es die schreckliche Gewissheit. Ein Polizeibeamter liest die Namen der Opfer vor. "Der meines Cousin kam an dritter oder vierter Stelle", erinnert sich die Zeugin. "Es gab Kaffee und Wasser!" Ob mit ihr in dieser Nacht irgendwer von den Behörden persönlich geredet oder Hilfe angeboten habe, wollen die Abgeordneten wissen. "Nein" ist die Antwort.

Besuch vom Botschafter

Zu Hause in Erlensee sagt sie der Tante, die in dieser Nacht ihren Sohn verloren hat, Kaloyan sei verletzt und liege im Krankenhaus. Eine Polizeibeamtin hilft ihr Stunden später, der Mutter die Todesnachricht zu überbringen. Sechs Tage lang sei die Familie mit ihrer Not allein geblieben. "Wir mussten da alleine durch." Dann seien der bulgarische Botschafter, der Hanauer OB und Vertreter des Ausländerbeirats gekommen, um ihr Beileid auszusprechen.

Zwischen Kaloyan Velkows Tod und seiner Obduktion lagen mehr als 40 Stunden, das wissen die Abgeordneten aus den Akten. Doch niemand hat offenbar seine Angehörigen um ihre Einwilligung gebeten. "Man wusste, dass die Menschen ermordet worden waren, was soll eine Obduktion?" fragt Vaska Zlateva.

Erst durch einen Abgeordneten erfährt sie bei ihrer Zeugenbefragung, dass ihrem Cousin entnommene Organe nicht in dem Sarg waren, der eine Woche nach seinem Tod überführt wurde. "Er wurde als erster erschossen und als letzter begraben; wie einen Korb hat man ihn hin und her getragen, über Griechenland nach Bulgarien, in welchem Land leben wir?", fragt seine Cousine.

Neuer Opferfond in Hessen

In den Wochen nach der Tat hat sie ihren Job verloren, weil sie nicht arbeiten konnte. Eine CDU-Stadträtin habe ihr später geholfen, einen neuen zu finden, in dem sie allerdings weniger verdiene. Die Überführung und die Flüge nach Bulgarien seien bezahlt worden, sonst habe sie keine Unterstützung bekommen, weder vom Bund, noch von der Stadt oder dem Land, versichert sie.

Gegen Ende der Befragung fragt der FDP-Abgeordnete Jörg-Uwe Hahn etwas fassungslos, ob ihr denn niemand von den Offiziellen geraten habe, einen Rechtsanwalt einzuschalten, der ihre Interessen vertreten könnte. Hahn ist Jurist und war in Hessen Justizminister. "Das ist eine gute Idee", sagt Zlateva, aber das habe ihr niemand vorgeschlagen.

Der Vorsitzende Marius Weiss, SPD, verbindet schließlich den Dank für ihren eindrucksvollen Beitrag zur Arbeit des Untersuchungsausschusses mit der Empfehlung, sich an den Opferfond zu wenden, den der Hessische Landtag inzwischen eingerichtet hat. Seit dieser Woche können Opfer von Gewalttaten in Hessen Unterstützung beantragen, auch die Angehörigen der Mordnacht von Hanau, 22 Monate nach der Tat.

Bildunterschrift: Die Angehörigen der Opfer von Hanau bei ihrer Mahnwache vor dem hessischen Landtag am 3. Dezember.

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t-online.de, 03.12.2021

Rassistischer Anschlag / Zeugin im Hanau-Ausschuss: "Gerechtigkeit und Wahrheit"

03.12.2021 - 13.41 Uhr

Wiesbaden (dpa). Zum Auftakt der öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum rassistischen Anschlag von Hanau hat die Cousine eines der Opfer als Zeugin die Aufklärung der Tat und Konsequenzen gefordert.

"Ich möchte Gerechtigkeit und die Wahrheit", sagte Vaska Zlateva am Freitag in Wiesbaden. Ihr Cousin Kaloyan Velkov gehört zu den neun Menschen des Attentats vom 19. Februar 2020 in Hanau. Der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags befasst sich vor allem mit der Frage, ob es vor, während und nach der Tat ein Behördenversagen gab.

Zu Beginn ihrer Anhörung schilderte Zlateva ihre Eindrücke aus der Tatnacht und in den darauffolgenden Tagen. Die Polizei habe ihren Cousin erst etwa 25 bis 30 Minuten nach dem Eintreffen am Tatort in der Bar "La Votre" in der Innenstadt entdeckt, sagte die 36-Jährige Bulgarin, deren Aussagen von einer Dolmetscherin übersetzt werden. Man habe die Angehörigen stundenlang vor der Bar und auch später in einer Halle warten lassen, ohne ihnen Informationen zu geben und sich persönlich um sie zu kümmern. Erst gegen 6.30 Uhr seien den Familienangehörigen dann von einer Liste die Namen der Opfer des Attentats verlesen worden.

Ihren Cousin, der wie ein Bruder für sie gewesen sei, hätten sie selbst und seine Mutter erst fünf bis sechs Tage später und nach einem DNA-Abgleich sehen dürfen. Die Obduktion sei ohne ihr Einverständnis erfolgt. "Wir möchten, dass die verantwortlichen Personen endlich die Verantwortung übernehmen. Alle, die Fehler begangen haben, müssen bestraft werden", sagte Zlateva.

Ein 43-jähriger Deutscher hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet, vermutlich erschoss er danach seine Mutter und sich selbst. Die "Initiative 19. Februar Hanau" fordert eine kritische Aufarbeitung, unter anderem zu den Waffen-Erlaubnissen für den Attentäter, der Sportschütze war, sowie zur Nichterreichbarkeit des Hanauer Polizei-Notrufs 110 in der Tatnacht.

Bildunterschrift: Angehörige der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau 2020 halten bei einer Mahnwache vor dem Hessischen Landtag Fotos der Opfer.

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die tageszeitung, 03.12.2021:

"Widersprüchlich und lückenhaft"

Der Bundesgerichtshof verhandelt über das milde Urteil gegen NSU-Unterstützer André Eminger / Die Bundesanwaltschaft will es kippen, aber die Hürden sind hoch

Aus Karlsruhe Christian Rath

Der Bundesgerichtshof (BGH) soll den Teilfreispruch für den engen NSU-Helfer André Eminger aufheben. Das forderte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag in der ersten und einzigen Revisionsverhandlung zum NSU-Komplex. Das milde Urteil für Eminger sei "widersprüchlich und lückenhaft", gegen ihn müsse neu verhandelt werden.

Die rechtsextreme Terror-Gruppe NSU hatte ab 2000 neun Migranten und eine Polizistin ermordet, wozu sich die Gruppe aber erst 2011 bekannte. 2018 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) München Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft. Die anderen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind schon seit 2011 tot. Mit Zschäpe standen daher nur Helfer wie Eminger vor Gericht.

Eminger hatte zwischen 2000 und 2003 drei Mal ein Wohnmobil für das NSU-Trio gemietet. Die Terroristen nutzten die Fahrzeuge für zwei Raubüberfälle in Chemnitz und einen Sprengstoffanschlag in Köln. Außerdem unterstützte er den NSU, indem er Zschäpe 2007 bei der Polizei als seine Ehefrau Susan ausgab und indem er 2009 für Zschäpe und Böhnhardt Bahncards besorgte. Die Bundesanwaltschaft hatte vor dem OLG eine 12-jährige Freiheitsstrafe für Eminger gefordert.

Das OLG verurteilte den überzeugten Nazi Eminger aber überraschend nur zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. In die NSU-Morde sei er erst 2007 eingeweiht worden, so das Gericht. Deshalb habe Eminger nur wegen der Bahncard-Beschaffung 2009 verurteilt werden können. Bis 2006 habe Eminger wohl geglaubt, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nur deshalb im Untergrund lebten, weil sie wegen Sprengstoffbesitzes von der Polizei gesucht wurden.

Gegen dieses Urteil hatte nicht nur Eminger Revision eingelegt, sondern auch die Bundesanwaltschaft. Deshalb wurde hierzu mündlich verhandelt, während der BGH die Revision von Zschäpe schon im August per Beschluss als offensichtlich unbegründet verwarf.

Eminger war am Donnerstag nicht nach Karlsruhe gekommen. Auch seine Revision hat keinerlei Aussicht auf Erfolg. Im Prozess ging es fast nur um die Revision der Bundesanwaltschaft, die indes auch einen schweren Stand hatte. Denn vor dem BGH können nur Rechtsfehler gerügt werden - die Beweiswürdigung des OLG ist grundsätzlich zu akzeptieren.

Das OLG-Urteil sei "widersprüchlich und lückenhaft", argumentierte Bundesanwalt Jochen Weingarten. So habe das OLG die engen Kontakte des Trios zu Eminger in der frühen Untergrund-Phase bis 2002 als "sporadisch" bezeichnet und daraus geschlossen, dass Eminger keinen Einblick in die Lebensverhältnisse des Trios hatte. Dagegen wertete das OLG eine ab 2006 bestehende ähnlich enge Konstellation ganz anders: Nun habe sich für Eminger der Gedanke aufdrängen müssen, dass die Untergetauchten ihren Lebensunterhalt mit Überfällen finanzieren.

Außerdem hätte Eminger durchaus auch auf die Idee kommen können, dass seine Freunde Sprengstoffanschläge begehen, so Weingarten. Schließlich sei seit 1998 in der rechten Szene bekannt gewesen, dass das untergetauchte Trio in der Lage war, Sprengstoff zu beschaffen. Doch auch damit habe sich das OLG nicht auseinandergesetzt.

Auch Nebenkläger-Anwältin Edith Lunnebach kritisierte das OLG-Urteil als "weltfremd". Das Münchener Gericht habe sich zu sehr auf die Schilderungen von Zschäpe verlassen, die aber offensichtlich Eminger in Schutz nehmen wollte. Lunnebach vertrat die deutsch-iranische Familie, der der Kölner Sprengstoffanschlag galt. Andere Nebenkläger waren nicht zugelassen.

Nur Emingers Anwalt Herbert Hedrich verteidigte das OLG-Urteil als plausibel. Da Eminger - anders als das NSU-Trio - nicht aus Jena stammte, sei er anfangs für die Untergetauchten nicht so vertrauenswürdig gewesen. Der 3. BGH-Strafsenat wird sein Urteil am 15. Dezember verkünden. Der Vorsitzende BGH-Richter Jürgen Schäfer betonte mehrfach, sein Senat sei noch nicht festgelegt.

Bildunterschrift: Schon bei der Urteilsverkündung im NSU-Prozess 2018 forderten Protestierende, die Terror-Gruppe nicht isoliert zu sehen.

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Neue Westfälische, 03.12.2021:

Reichsbürger verletzt Polizisten

Windeck (dpa). Ein mutmaßlicher Anhänger der Reichsbürger-Ideologie soll in Windeck (Rhein-Sieg-Kreis) zwei Polizisten verletzt haben. Die beiden 60-jährigen Beamten hätten eine Gerichtsvollzieherin zu ihrem Hausbesuch bei dem 49-Jährigen begleitet, berichtete die Polizei in Siegburg am Donnerstag.

Der 49-Jährige war zu einer Anhörung beim Amtsgericht Waldbröl nicht erschienen. Deshalb sollte er zwangsweise vorgeführt werden. Schon an der Wohnungstür habe der 49-Jährige die typischen Phrasen der Reichsbürger-Szene abgespult und den Beamten jegliche Legitimation abgesprochen.

Als der Mann versucht habe, den Staatsdienern die Tür vor der Nase zuzuschlagen, seien die Polizisten eingeschritten. Daraufhin habe der Windecker eine Sprühdose mit Reizstoff hinter dem Rücken hervorgeholt und auf die Beamten gesprüht. Diesen sei es gelungen, den Mann trotzdem niederzuringen und auf dem Boden zu halten. Erst mit Hilfe von Verstärkung habe der Mann zur Polizeiwache gebracht werden können.

Die beiden verletzten Polizisten seien im Krankenhaus mit Schleimhautreizungen, Prellungen und Schürfwunden behandelt worden. Sie würden voraussichtlich noch einige Tage ausfallen.

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Blick nach Rechts, 03.12.2021:

Rechte Parteien in Europa: Corona als Brandbeschleuniger

Von Horst Freires

Die Covid 19-Pandemie birgt so viel gesellschaftlichen Sprengstoff, dass rechte Parteien wohl auch in Zukunft versuchen, aus dem polarisierenden Thema einen politischen Nutzen zu erzielen und destabilisierende Zustände zu befeuern. Eine Studie mit Blick in zwölf europäische Länder gewährt nun interessante Einblicke.

Seit einigen Jahren untersucht das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden die Entwicklungsprozesse von Migration im Kontext von politischem und demokratischem Zusammenleben im europäischen Vergleich. Die nun vorgestellte Expertise hat sich dabei über ein Jahr lang das Agieren und Wirken von rechtspopulistischen Parteien mit dem Thema Corona angesehen.

Dabei wurden von März 2020 bis April 2021 insbesondere die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit diverser politischer "Rechtsausleger" auf Social-Media-Kanälen - in der Hauptsache Facebook - betrachtet, Parallelen und durchaus Unterschiede festgestellt. Das Interesse galt dabei neben dem Blick auf Deutschland auch den EU-Ländern Dänemark, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Spanien, Tschechien und Ungarn. Als Bonus gönnten sich die Wissenschaftler noch eine besondere Analyse sächsischer Zustände, wofür eine repräsentative dimap-Meinungsumfrage von Mai 2021 ausgewertet wurde.

Tiefes Misstrauen in Sachsen

Fehlendes Vertrauen in öffentliche Einrichtungen, aber auch in die repräsentative Demokratie machen die Menschen in Sachsen empfänglicher für Verschwörungsnarrative und populistische Auftritte. Das ergibt sich aus dem abgefragten dimap-Meinungsbild. 30 Prozent bezeichneten die Corona-Bekämpfungsmaßnahmen als nicht sinnvoll, 42 Prozent äußerten Verständnis für anhaltende Corona-Proteste. 20 Prozent gaben an, sich eher nicht oder auf keinen Fall impfen zu lassen. Für 35 Prozent wird die Pandemie als Vorwand benutzt, um eine Überwachung der Bürger voranzutreiben. 62 Prozent wünschten sich eine "starke Hand".

Für die AfD lässt sich laut Forschungsleiter Hans Vorländer feststellen, dass sie mit Blick auf die zurückliegenden Wahlen in der Corona-Zeit zwar nicht zulegen konnte, mit aber meist nur moderaten Einbußen sich aber stabilisiert hat und somit zumindest in dieser Hinsicht gewissermaßen doch als Nutznießer des Pandemie-Themas anzusehen ist. Verantwortlich dafür war wohl auch ein inhaltlicher Schwenk. Wurden Bundes- und Landesregierungen zunächst für nicht beherzteren Schutz der Bevölkerung gescholten, folgte nach einigen Monaten der Kurswechsel hin zur Propagierung von der Gefahr eingeschränkter Grundrechte. Damit, sich auf die Seite angeblich Entrechteter zu stellen, erhofft man sich im AfD-Lager offenkundig, neue Wählerpotentiale zu erobern und längerfristig an sich zu binden.

AfD auf Linie von VOX und dänischen Rechtspopulisten

Um ihr Leib- und Magen-Thema Migration nicht gänzlich zu vernachlässigen, bejubelte man bei der AfD Pandemie-bezogene Grenzschließungen und stempelte Migranten pauschal als Faktor für Gesundheitsgefahren ab. Damit wurde die Linie der ultranationalistischen Partei VOX in Spanien sowie der dänischen Rechtspopulisten von Dansk Folkeparti und Nye Borgerlige kopiert. Auch die rechtslastigen Schwedendemokraten (SD) schlugen eine Brücke zwischen den Themen Einwanderung und Pandemie. Zu Covid-19-Toten in Altenheimen sei es auch gekommen, weil Pflegepersonal mit Zuwanderungs-Hintergrund zu geringe Sprachkenntnisse besaß, lautete eine völlig aus der Luft gegriffene SD-Behauptung aus dem Vorjahr. Außerdem äußerte man die Sorge, dass mit der Pandemie Abschiebe-Verfahren abgelehnter Asylbewerber aufgeweicht werden könnten.

Rassemblement National unter Marine Le Pen in Frankreich setzte durchgehend auf die Taktik, Wissenschaftlern nicht zu widersprechen, dafür aber Regierungshandeln und -maßnahmen wie etwa Lockdown-Verordnungen oder Gesundheitspass zu kritisieren. Damit bemühte man sich, das vorherrschend extremistische RN-Image vergangener Tage zu entdämonisieren. Le Pen setzte dennoch bei Corona auf die rassistische Karte, als sie im September 2020 fragte: "Wie viele Opfer hätten vermieden werden können, wenn wir unsere Einwanderungspolitik kontrollieren, illegale Einwanderer systematisch ausweisen und den Islamismus bekämpfen würden?"

Niederländische Rechtsparteien streiten über Impf-Notwendigkeit

In Italien entdeckte die Lega in der ersten Pandemie-Phase das Thema Gesundheitswesen für sich und kritisierte dessen vermeintlich schlechten Zustand. Im November 2020 spielte Lega die Themen Corona und Migration gegeneinander aus: "Es gibt keine freien Betten für die Covid-19-Kranken, aber die illegalen Einwanderer werden in Herbergen untergebracht." Im Frühjahr 2021, und damit als seit kurzem mitregierender Teil, gerierte man sich als Hüter von Freiheitsrechten und wetterte gegen Lockdown-Maßnahmen. Stand September 2021 bringen es die beiden rechtspopulistischen Parteien Lega und die oppositionelle Fratelli d’Italia in Umfragen auf 19 beziehungsweise 21 Prozent.

In Tschechien zeigt sich Svoboda gegen eine Impf-Pflicht und positioniert sich gegen Notstandsregelungen. "Tschechien first" ist die Devise, die EU wird abgelehnt, eine nationale Autarkie dagegen propagiert. In den Niederlanden betätigten sich die islamfeindliche Partij voor de Vrijheit (PVV) um Geert Wilders und das Forum voor Democratie (FvD) gleichermaßen als regierungsfeindliche Sprachrohre in der Pandemie, die eine inkompetente Infektions-Bekämpfung anprangerten und bei Corona-Eindämmungsmaßnahmen von Freiheitsberaubung sprachen. Immer wieder behauptete Wilders, dass Covid 19-Erkrankungen einen überwiegend nicht-westlichen Hintergrund hätten und von Moschee-Besuchen herrührten. Als Hauptschuldigen für das SARS-CoV2-Virus machen OVV und FvD China aus. Streit gibt es unter beiden Parteien bezüglich des Impfens. PVV befürwortet es, FvD lehnt es ab.

Portugals Chega will Zwangsinternierung für kranke Roma

Noch bevor die ersten Covid 19-Fälle in Portugal auftauchten, legte die rechtsradikale Chega einen Gesetzentwurf vor, der für Infizierte eine "Zwangsinternierung" forderte. Und außerdem sprach man sich im Mai 2020 für einen Sperrbezirk für Roma-Gemeinschaften aus. Im eigenen Pandemie-Zick-Zack-Kurs hat Chega sich inzwischen auf die Seite der Impf-Skeptiker geschlagen.

Wie sehr noch Vorurteile gegenüber Roma existieren, zeigte sich zu Beginn der Pandemie, als der Ende März dieses Jahres zurückgetretene slowakische Ministerpräsident Igor Matovic aus dem konservativ-populistischen Lager anordnete, dass fünf Siedlungen der Minderheit von der Polizei abgeriegelt und vom Militär überwacht wurden, nachdem 32 von rund 6.000 Bewohnern einen positiven Covid 19-Test aufwiesen. Er begründete die Maßnahme damit, dass die Ansteckungsgefahr bei Roma zehnmal höher sei.

In Polen (PiS), Ungarn (Fidesz) gibt es zwei Beispiele rechtspopulistischer Parteien in Regierungsverantwortung, in der Slowakei gehört Sme Rodina zum Regierungsbündnis. Alle drei geben sich in ihrer Pandemie-Politik dadurch weniger radikal, dafür aber staatsbewusster. In Ungarn schlägt Fidesz dennoch einen nationalistischen Ton voller Pathos an, appelliert an Patriotismus und Zusammenhalt.

Kampf um Deutungshoheit bei Pandemie-Politik

Rechte Konkurrenz in der Opposition der drei Staaten schlägt da schon schärfere Töne an. Auf Regierungsseite wird hingegen etwa fürs Impfen geworben, auf wissenschaftliche Expertise gehört. Verschwörungserzählungen werden dafür nahezu gemieden. L’SNS als rechte Oppositionspartei der Slowakei zweifelt am Impfstoff, tadelt das Regierungshandeln und wittert eine Erpressung in EU-Hilfsgeldern, im Gegenzug dafür Geflüchtete aufzunehmen. In Polen ist Konfederacja der rechte PiS-Widersacher und verbal viel radikaler unterwegs. Bei Lockdown-Maßnahmen wird von Mord an der polnischen Wirtschaft gesprochen, die Notwendigkeit von Impfpässen wird in Frage gestellt. Auch für Fake News und Verschwörungen ist man bei Konfederacja zugänglich.

In Ungarn buhlt Jobbik um die Deutungshoheit im rechten Parteien-Lager, kritisiert Fidesz als korrupt und inkompetent und fordert in der Krise mehr soziale Hilfen. Der Einsatz von Sputnik V als von der Europäischen Arzneimittelagentur nicht zugelassener russischer Impfstoff wird als unverantwortlicher "Menschenversuch" deklariert. Die rechtsextremistische Jobbik-Abspaltung Mi Hazank mobilisiert gegen das Impfen und fordert eine Pandemie-Solidaritätssteuer von der Pharmaindustrie und Kommunikationstechnikunternehmen.

Die 228-seitige Studie kann hier heruntergeladen werden:

www.forum-midem.de/cms/data/fm/user_upload/Publikationen/TUD_MIDEM_Jahresstudie2021_Corona_und_Rechtspopulismus.pdf

Bildunterschrift: Ein Masken-Gegner auf einer Querdenker-Demonstration.

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Heilbronner Stimme Online, 03.12.2021:

Grundgesetz verbrannt? Staatsschutz ermittelt nach Corona-Demo

03.12.2021 - 16.00 Uhr

Stuttgart. Ein Mann soll ein Grundgesetz-Buch auf einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen verbrannt haben. Der Staatsschutz ermittle, berichtete die Polizei am Freitag. Ein Video zeige, wie der Mann am Mittwoch in Stuttgart einen Gegenstand auf der Demo verbrannt habe. Dabei soll er gerufen haben: "Die Grundgesetz-Kristallnacht - es ist soweit." Ob es sich dabei wirklich um das Grundgesetz gehandelt hat und inwiefern die Tat strafbar ist, prüft nun der Staatsschutz.

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Süddeutsche Zeitung Online, 03.12.2021:

Dresden / Polizei bereitet sich auf Corona-Protest am Montag vor

03.12.2021 - 15.08 Uhr

Dresden (dpa/sn). Die Polizei in Dresden bereitet sich auf einen Polizeieinsatz wegen einer geplanten Demonstration am Montag gegen die Corona-Maßnahmen vor dem sächsischen Landtag vor. Insbesondere in den Sozialen Netzwerken werde zu dem Protest aufgerufen, teilte die Polizei am Freitag mit. "Auch Extremisten mobilisieren für einen Protest vor dem Sächsischen Landtag. Unsere Gefahren-Prognose, Grundlage unserer Einsatztaktik, ist damit eine ganz andere als an den vergangen Montagen", sagte Polizeipräsident Jörg Kubiessa laut Mitteilung.

Im Ergebnis enge das den Ermessensspielraum der Polizei deutlich ein. "Eine härtere Gangart der Polizei wird die logische Konsequenz sein - natürlich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Wahl unserer Mittel", so Kubiessa. Der Polizei-Einsatz soll sich demnach auf den Schutz des Landtages konzentrieren, auf die Absicherung des Impf-Zentrums und die Unterbindung verbotener Ansammlungen.

Basierend auf den Erfahrungen bei vergangenen Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen rechnet die Polizei demnach mit vorsätzlichen Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung. Teilnehmer hätten bislang kaum auf Ansprachen durch die Einsatzkräfte reagiert. Für Montag habe die Polizei daher auch den Einsatz von Wasserwerfern angefordert, die sichtbar im Stadtzentrum positioniert werden sollen.

Bereits am vergangenen Montag hatten sich erneut vielerorts in Sachsen Gegner der Corona-Politik bei nicht angemeldeten Demonstrationen versammelt. Wegen des dramatischen Infektionsgeschehens in Sachsen sind nur stationäre Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmern zulässig. Dessen ungeachtet waren etwa in Chemnitz und Freiberg Hunderte von ihnen durch die Straßen gezogen.

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Südwestrundfunk, 03.12.2021:

Verfassungsschutz: Mögliche Impf-Pflicht radikalisiert die Szene um "Querdenken 711"

03.12.2021 - 14.23 Uhr

Angst vor staatlichen Eingriffen in Privatleben

Die Diskussion um eine Impfpflicht gegen Corona radikalisiert zunehmend die Impf-Gegner-Szene rund um die Stuttgarter Protestbewegung "Querdenken 711". Das bestätigte der Verfassungsschutz dem SWR.

Seit einem Jahr beobachtet der Verfassungsschutz Baden-Württemberg die Bewegung rund um "Querdenken 711" aus Stuttgart. Dabei geht es der Behörde vor allem um die "Vermengung und Überschneidung" mit dem Milieu der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Seit die Diskussion rund um die Impf-Pflicht geführt wird, werde die Szene aber auch zunehmend radikaler.

Einzelpersonen in den Gruppierungen würden sich zunehmend genötigt fühlen, auch Gewalt anzuwenden, sagte der stellvertretende Leiter des Stuttgarter Landesamtes für Verfassungsschutz, Frank Dittrich, dem SWR: "Wir hatten solche Fälle von Sachbeschädigungen, Brandstiftungen auf Impf-Zentren und haben in der letzten Zeit in den Sozialen Netzwerken auch feststellen können, dass das Ganze bis zu Mordaufrufen eskalierte."

"Hier ist sicherlich eine Radikalisierung in den letzten eineinhalb Jahren passiert, die vor allem geprägt wurde durch die Übernahme von Reichsbürger-typischen Argumentationsmustern wie die Nichtanerkennung der Bundesrepublik Deutschland als Staat."
Frank Dittrich, stellvertretender Amtsleiter Verfassungsschutz Baden-Württemberg

"Der Impfstoff ist wenig erprobt"

Anders sieht das die Krankenpflegerin Sylvia Oetken. Sie arbeitet in einem Krankenhaus in Schwäbisch Hall. Geimpft ist sie nicht, und das soll auch so bleiben. Sie habe die Risiken einer Impfung abgewogen und sich dazu entschlossen, im Zweifelsfall lieber die Krankheit in Kauf nehmen zu wollen. "Es ist für mich eben nicht ein kleiner Pieks. Es ist eine Impfung mit einer bedingten Zulassung, die wenig erprobt ist", so Oetken.

Eine "Querdenkerin" sei sie nicht. Dass jetzt aber Nicht-Geimpfte ausgegrenzt werden, von der Politik sogar als unsolidarisch und asozial bezeichnet werden, sei für sie unerträglich und mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar.

Hat die Politik die Radikalisierung verursacht?

Sie halte niemanden von einer Impfung ab, sagt Sylvia Oetken. Aber jeder soll eine Impfung mit einem guten Gefühl machen können, und das sei bei ihr gegenwärtig nicht da. Außerdem verstehe sie die Maßnahmen nicht. Alle sprächen von Impfen, gleichzeitig seien im Sommer aber Impf-Zentren wieder abgebaut worden. Für sie passe das alles nicht zusammen und sie hat nicht das Gefühl, dass sie mit einer Impfung wirklich Patienten schützen könne. "Ich kann die ja immer noch anstecken."

Von den Radikalisierungstendenzen in der "Querdenken"-Szene distanziert sie sich. Sie sagt aber auch, dass die Politik durch die Maßnahmen und Diskussionen um eine Impf-Pflicht die Radikalisierung selbst angeheizt habe. Für Oetken steht fest: käme die Impf-Pflicht für Krankenhaus und Pflegepersonal, würde sie ihren Job sofort kündigen.

Impf-Gegner fühlen sich in Angst vor zu starken Maßnahmen bestätigt

Mit großer Sorge beobachte der Verfassungsschutz, wie Impf-Gegner und Anhänger der "Querdenken"-Szene in den letzten Wochen und Monaten in Internet-Foren verstärkt Gruppen bilden würden, die explizit von "Systemsturz" und "Waffengewalt" sprächen. Letztlich fühle sich die gesamte Szene in ihrer Befürchtung vor übergreifenden staatlichen Maßnahmen durch die aktuelle Diskussion bestätigt.

Die Angst vor einer möglichen Impf-Pflicht und vor starken staatlichen Eingriffen in das Privatleben sei schon vor anderthalb Jahren einer der Gründe gewesen, dass die Szene auf die Straße gegangen sei. "Insoweit ist natürlich dieser Teil der Protestbewegung in dem Maße auch besonders gefährdet und zugänglich für eine weitere Radikalisierung", so Dittrich.

"Querdenken"-Anhänger sehen die Bundesrepublik als Diktatur

Der Verfassungsschutz beobachte, dass zunehmend der Staat, die Bundesrepublik Deutschland, von den Anhängern der "Querdenken"-Szene als Diktatur angesehen werde.

In diesen Kreisen würden auch geschichtliche Bezüge verdreht dargestellt, etwa mit der Leugnung des Holocaust. "Das ist etwas, was über den zulässigen demokratischen Diskurs weit hinausgeht", betont Dittrich.

Die Szene rund um "Querdenken 711" bleibt unter Beobachtung

Frank Dittrich rechnet nicht damit, dass sich die "Querdenken"-Szene in naher Zukunft auflöst. Letztlich seien die Corona-Themen für diese Szene auswechselbar.

"Wir rechnen durchaus damit, selbst wenn der Corona-Virus Vergangenheit sein sollte oder nicht mehr diese Bedeutung hat, dass hier ein Rest, ein Teil dieser Bewegung bleibt und in seiner staatsfeindlichen Haltung weiterhin diffamierend und auch durch Verächtlichmachung des Staates in Erscheinung treten wird." Das habe man bereits bei der Flutkatastrophe im Ahrtal beobachten können.

Bildunterschrift: Frank Dittrich, stellvertretender Leiter vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg, beobachtet die "Querdenken"-Szene. Durch die Diskussion um eine mögliche Impf-Pflicht gegen das Corona-Virus würde sich die Szene radikalisieren.

Bildunterschrift: Aufrufe zur Widerstand, Gewalt und sogar Mord in Telegram-Kanälen häufen sich in der "Querdenken"-Szene.

Bildunterschrift: Plakat eines Impf-Gegners. Aufrufe, sich nicht impfen zu lassen, treten immer häufiger mit dem Aufruf zum Widerstand und zur Gewalt auf.

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Süddeutsche Zeitung Online, 03.12.2021:

Berlin / Impf-Gegner-Demonstration verboten / Aufrufe im Internet

03.12.2021 - 11.08 Uhr

Berlin (dpa/bb). Eine für Samstag in Berlin geplante Demonstration von Impf-Gegnern und Corona-Skeptikern ist von der Polizei verboten worden. Im Internet werde aber weiterhin mobilisiert, sagte ein Sprecher am Freitagmorgen. Die Polizei werde im Lauf des Freitags noch mal deutlich auf das Verbot hinweisen. Nach den Erfahrungen des Jahres ist aber trotzdem nicht ausgeschlossen, dass Initiatoren und Teilnehmer versuchen, auf der Straße zu protestieren.

Begründet wurde das Verbot von der Polizei am Freitag mit früheren Erkenntnissen, dass die Teilnehmer regelmäßig die Corona-Regelungen ignorieren würden. Das Verweigern des Tragens einer Munde-Nase-Bedeckung gehöre zu dieser Art von Demonstrationen. Ähnliche Demonstrationen waren in diesem Jahr daher immer mal wieder verboten worden. Teilweise gab es dann heftige Rangeleien von Teilnehmern mit der Polizei.

Der Titel der Demonstration lautete "Unspaltbar - Nein zum Impf-Zwang". Angemeldet waren 1.000 Teilnehmer, die von der Wallstraße in Mitte zum Marheinekeplatz in Kreuzberg laufen wollten. Hinter der Anmeldung stand eine Initiative, die extremistischen Einstellungen nahesteht. Angemeldet waren außerdem ab dem Mittag verschiedene Gegendemonstrationen.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, 03.12.2021:

Proteste gegen Impf-Pflicht / "Querdenker" rufen zu Groß-Demo auf

03.12.2021 - 07.02 Uhr

Von Alexander Jürgs und Katharina Iskandar

Impf-Gegner wollen am Samstag in der Frankfurter Innenstadt demonstrieren. Linke Gruppen kündigen Gegenproteste an. Die Stadt bereitet sich derzeit vor - mit vielen offenen Fragen.

Mit mehreren Protestmärschen wollen am Samstagnachmittag Anhänger der "Querdenker" und Impf-Gegner in der Innenstadt gegen die verschärften Corona-Maßnahmen demonstrieren. Wie die Stadt am Donnerstag mitteilte, laufen derzeit Kooperationsgespräche mit den Anmeldern. Voraussichtlich wird es eine Haupt-Demonstration geben, die als "Stadtspaziergang" angemeldet ist. Darüber hinaus gibt es mehrere kleinere Versammlungen, die alle zum Ziel haben, die derzeitige Corona-Politik zu kritisieren. Die Routen stehen noch nicht endgültig fest, jedoch wird aller Voraussicht nach der Opernplatz einer der Hauptschauplätze sein.

Die Polizei richtet sich darauf ein, die Haupt-Demonstration wie auch schon am vergangenen Wochenende, als sich etwa 3.000 Personen aus dem "Querdenker"-Lager in Frankfurt versammelt hatten, mit einem Großaufgebot an Beamten zu begleiten. Sie kündigte an, über Twitter fortlaufend über die aktuelle Situation am Samstag in der Innenstadt zu informieren.

In den Chat-Gruppen der Szene beim Messenger-Dienst Telegram kursieren unterdessen unterschiedliche Aufrufe zu einer "Groß-Demo". Geplant sind etwa Kundgebungen vor dem österreichischen Honorargeneralkonsulat am Reuterweg und an der Alten Oper. Die Proteste richten sich vor allem gegen die Einführung einer allgemeinen Corona-Impf-Pflicht.

Einschränkungen im Nahverkehr möglich

Zu Kundgebungen am Samstag wird aber auch im linken und linksradikalen Spektrum aufgerufen: gegen den Aufmarsch der "Querdenker". So hat etwa die Gruppe "Aufklärung statt Verschwörungsideologien" angekündigt, sich den geplanten Demonstrationszügen entgegenzustellen. "Wir werden den Protestmarsch nicht unkommentiert lassen", sagte eine Sprecherin der Initiative.

Den "Querdenkern" wirft sie vor, "extrem rechte und antisemitische Positionen in die Öffentlichkeit" zu tragen. Auch bei früheren Demonstrationen der Corona-Leugner war es mehrmals zu Blockaden durch linke Gruppen gekommen.

Die Polizei appelliert an die Bevölkerung, die Innenstadt wegen der Kundgebungen am Samstag möglichst zu meiden. Sie geht davon aus, dass es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und auch zu Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr kommen wird.

Vor einer Radikalisierung der "Querdenker" wurde zuletzt oft gewarnt, etwa durch das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz. Die Sicherheitsbehörden haben in der Szene eine erhöhte Bereitschaft zur Gewaltanwendung registriert. Festgestellt wurde auch, dass sich Rechtsextremisten und Anhänger der "Reichsbürger"-Bewegung bei den Protesten gegen die Corona-Regeln engagierten. Gewarnt wird davor, dass die Impf-Gegner sich von der Mitte der Gesellschaft immer weiter entfernten, dass sie Staat und Demokratie grundsätzlich in Frage stellten. In einem der Videos, in dem nun zu den Protesten in der Frankfurter Innenstadt aufgerufen wird und die über verschiedene Kanäle geteilt werden, sind Ausschnitte einer "Querdenker"-Kundgebung in Wiesbaden zu sehen. "Dieses System hat abzudanken, sie haben uns mit dem Tod bedroht, mit der Impfung, und das war es", sagt einer der Redner dort.

Bei vergangenen Demonstrationen von "Querdenkern" in Frankfurt war es regelmäßig zu Verstößen gegen Demonstrationsauflagen gekommen. So weigerten sich Teilnehmer, Masken zu tragen oder vorgeschriebene Abstände einzuhalten. Eine Kundgebung der Szene im vergangenen November auf dem Goetheplatz wurde von der Polizei mit einem Wasserwerfer-Einsatz aufgelöst.

Seit Mitte November wieder mehr Demonstranten

Nachdem die Proteste gegen die Corona-Vorschriften in Frankfurt und Umgebung lange Zeit nur noch von wenigen Teilnehmern besucht worden waren, bringt die Szene seit Mitte November wieder deutlich mehr Demonstranten auf die Straße.

Vor einem Jahr war eine größer angelegte Demonstration von "Querdenkern" letztlich vom Frankfurter Verwaltungsgericht untersagt worden. Dies hatte ein von der Stadt ausgesprochenes Verbot bestätigt. Die Richter folgten damals der Auffassung des Ordnungsamtes, nach der die Kundgebungen und Protest-Umzüge von mehreren Tausend Teilnehmern, von denen nach den bisherigen Erfahrungen viele die Schutzvorkehrungen gegen Corona-Infektionen missachteten, eine große Gefahr für die Gesundheit darstellten.

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Bayerischer Rundfunk,03.12.2021:

Nach AfD-Chats: Von Brunn stellt Strafanzeige

03.12.2021 - 17.04 Uhr

In einer Chat-Gruppe hatten AfD-Abgeordnete in Bayern radikale Positionen erkennen lassen. SPD-Fraktionschef von Brunn hat nun Strafanzeige gegen eine AfD-Parlamentarierin gestellt. Derweil wollen die Innenminister Hetze in Messengern unterbinden.

Von Johannes Reichart

Nach den vom BR veröffentlichen Chat-Inhalten einer internen AfD-Gruppe im Nachrichtendienst Telegram hat der bayerische SPD-Fraktions- und Parteichef Florian von Brunn Strafanzeige gegen die Abgeordnete Anna Elisabeth Cyron gestellt. In der Anzeige, die dem BR vorliegt, zeigt sich von Brunn entsetzt über die geäußerten Bürgerkriegs-Gedanken der AfD-Parlamentarierin.

"Aufrufe zum Bürgerkrieg oder zum Umsturz von rechtsradikalen Politikern sind völlig inakzeptabel."
Florian von Brunn, bayerischer SPD-Chef

Von Brunn sieht strafrechtliche Relevanz

Die Aussagen seien strafrechtlich relevant, so von Brunn, da sie einen aktiven Aufruf zu Gewalt darstellten. Auch gegen das AfD-Vorstandsmitglied Hock hat von Brunn Anzeige gestellt. In beiden Fällen handelt es sich seiner Ansicht nach um Äußerungsdelikte, da zu einem Bürgerkrieg aufgerufen wurde.

In dem Zusammenhang erinnert von Brunn an das 75. Jubiläum der Bayerischen Verfassung. "Unsere Verfassung wurde maßgeblich vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner geprägt", so der Fraktionsvorsitzende der SPD, "diese Verfassung gründet auf den schrecklichen Erfahrungen der Nazi-Zeit. Die SPD hat als einzige Fraktion in Bayern und Berlin gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt und wird Demokratie und Rechtsstaat daher immer vehement verteidigen."

Verschwörungstheorien und Umsturzpläne

Eine investigative Recherche von BR-Journalisten hatte diese Woche den Inhalt einer internen Chat-Gruppe der Bayern-AfD mit dem Namen "Alternative Nachrichtengruppe Bayern" veröffentlicht. Darin finden sich neben Umsturz- und Bürgerkriegs-Gedanken antisemitische, islamfeindliche und verschwörungstheoretische Kommentare, die von bayerischen Funktionsträgern der Partei sowie Landtags-, Bundestags- und Europa-Abgeordneten geschrieben wurden.

Innenminister fordern Meldepflicht für Hass-Beiträge

Unterdessen wollen die Innenminister der Länder Anbieter von Messenger-Diensten wie Telegram künftig stärker in die Pflicht nehmen, Hass und Hetze zu unterbinden.

Auch dort gebe es ein "massives Problem" mit der Verbreitung entsprechender Beiträge, erklärte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Freitag in Stuttgart zum Abschluss der Herbst-Konferenz unter seiner Leitung. In Messenger-Diensten dürften keine "rechtsfreien Räume" und "dunklen Kanäle" entstehen.

Bislang Ausnahme für Messenger-Dienste

Die Messenger-Dienste sind anders als Soziale Netzwerke bislang von den Bestimmungen des Netzwerksdurchsuchungsgesetzes ausgenommen, das ab dem 1. Februar eine generelle Meldepflicht der Betreiber für rechtswidrige Inhalte aus dem Bereich der Hass-Kriminalität beim Bundeskriminalamt vorsieht. Strobl nannte diese Ausnahme am Freitag einen "schweren Fehler". Hier müsse der Bund nachbessern.

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) verwies in Stuttgart insbesondere auf die Rolle des russischen Messenger-Diensts Telegram in diesem Bereich. Dieser habe längst auch Funktionen eines Sozialen Netzwerks übernommen und sei eine "Echo-Blase besonderer Art und Weise" für Hetze gegen den Staat und Andersdenkende. Die neue Bundesregierung müsse sich gleich nach ihrer Konstituierung "mit deutlichem Nachdruck" dafür einsetzen, dass dieser Anbieter stärker kontrolliert werden könne als bisher.

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Münchner Merkur Online, 03.12.2021:

Rechte AfD-Chats aus Bayern: Jetzt reagiert auch Söder - "Völlig neue Qualität"

03.12.2021 - 12.57 Uhr

Wegen rechtsradikaler Inhalte in einem Telegramm-Chat steht die bayerische AfD in der Kritik. Ministerpräsident Söder zeigte sich besorgt - und will den Verfassungsschutz einschalten.

München. Sie sollen über einen Bürgerkrieg, Umsturz und Revolution geschrieben haben: Die bayerische AfD steht wegen eines internen Chats mit rechtsradikalen Inhalten massiv unter Druck. Die Recherchen des BR könnten nun Konsequenzen haben: Ministerpräsident Markus Söder forderte den Verfassungsschutz zum Handeln auf - und richtete scharfe Worte an die AfD.

Am Mittwoch (1. Dezember) wurde durch einen Bericht des Bayerischen Rundfunks bekannt, dass Teilnehmer der "Alternativen Nachrichtengruppe Bayern" augenscheinlich unter anderem über gewalttätige Proteste und einen Bürgerkrieg in Deutschland diskutiert haben. Mit in der Gruppe sind laut BR große Teile der AfD-Fraktion, der bayerischen AfD-Bundestagsgruppe und des Landesvorstands.

AfD-Chats auf Telegramm: Söder richtet sich an Verfassungsschutz - Staatsanwaltschaft prüft Chats

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder richtete sich deshalb den bayerischen Verfassungsschutz: "Ich finde, jetzt ist wirklich der Anlass, dass der Verfassungsschutz grundlegend die Beobachtung übernimmt und eingeschaltet wird und prüft, was zu tun ist", sagte Söder am Donnerstag (2. Dezember) in München. Die Generalstaatsanwaltschaft München prüfe bereits radikale Äußerungen in einer Telegram-Chat-Gruppe der AfD, wie ein Sprecher am Donnerstagabend mitteilte. Übernommen wird das von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft.

Eine Prüfung durch eine Staatsanwaltschaft ist nicht gleichbedeutend mit einem Ermittlungsverfahren. Zunächst wird überprüft, ob eine Straftat vorliegen könnte. Ein Administrator der Gruppe ist der Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka. Dieser erklärte: "Es gab keine Diskussionsbeiträge, bei denen zu Umsturz und / oder Gewalt aufgerufen wurde."

Bislang beobachtet der bayerische Verfassungsschutz nur die AfD-Jugendorganisation JA, den ehemaligen "Flügel" - das Sammelbecken der völkischen Strömung in der AfD - sowie einzelne als rechtsextrem geltende Parteimitglieder. Das teilte ein Sprecher der Behörde mit. Ob und was der Verfassungsschutz in Sachen Chat-Gruppe unternimmt, ließ die Behörde offen, betonte jedoch: "Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz geht jederzeit und eigeninitiativ auf Grundlage seines gesetzlichen Auftrags ihm bekanntwerdenden Hinweisen auf extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen nach."

Markus Söder besorgt über AfD-Chats: "Müssen uns dagegen wehren"

Ministerpräsident Söder richtete scharfe Worte an die AfD-Landesgruppe, zeigte sich aber auch besorgt: "Wir sind von der AfD viel gewohnt, aber das hat eine völlig neue Qualität", sagte Söder. "Das Aufrufen zum Bürgerkrieg und zu Gewalt ist nicht mehr zu tolerieren. Das fällt auch nicht mehr unter normale Meinungsfreiheit oder einfach mal politischen Wettstreit. Dies hat eine neue Qualität. Wir müssen uns dagegen wehren."

"Mag sein, dass das in irgendwelchen Chats ist", sagte Söder. Aber er warnte: Schlimme Taten hätten immer eine Vorstufe in Chats und anderen Diskussionen. Deshalb sei dies eine erste Gefahr, auf die man ernsthaft reagieren müsse. (dpa/sf)

Bildunterschrift: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder richtet scharfe Worte an die bayerische AfD.

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