6 Artikel ,
03.02.2021 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
die tageszeitung Online, 03.02.2021:
Urteil zum Mord an CDU-Politiker / Lübcke-Familie legt Revision ein
MiGAZIN, 03.02.2021:
Hessischer Landtag / Sonntagsreden beim Gedenken an die Opfer des Hanau-Anschlags
Blick nach Rechts, 03.02.2021:
Polizisten und Soldaten in rechtsextremistischen Zusammenhängen
MiGAZIN, 03.02.2021:
Sprunghafter Anstieg / Immer mehr Rechtsextremisten haben legal Waffen
Neue Westfälische, 03.02.2021:
Mehr Rechtsextreme bewaffnen sich
die tageszeitung Online, 03.02.2021:
Experte zu AfD und Verfassungsschutz: "Die Lage der Partei ist desaströs"
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die tageszeitung Online, 03.02.2021:
Urteil zum Mord an CDU-Politiker / Lübcke-Familie legt Revision ein
Die Angehörigen von Walter Lübcke gehen gegen den Freispruch des Mitangeklagten Markus H. vor. Auch alle anderen Beteiligten legen Revision ein.
Konrad Litschko
Frankfurt / Main (taz). Das Urteil war eine Enttäuschung für die Familie Lübcke. Vor knapp einer Woche war der Kasseler Rechtsextremist Stephan E. für den Mord an Walter Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Mitangeklagte Markus H. aber erhielt einen Freispruch. "Nicht nachvollziehbar und schwer zu verkraften" sei der Freispruch, erklärte die Familie. Nun belassen es die Angehörigen nicht bei ihrer Enttäuschung: Sie legen Revision gegen das Urteil im Fall Markus H. ein.
Ziel sei die Aufhebung des Freispruchs, teilte die Familie am Mittwoch mit. Sie sei davon überzeugt, dass Markus H. den Mord an Walter Lübcke "jedenfalls zumindest tatkräftig durch Vermittlung der Tatwaffe, jahrelange gemeinsame Schießübungen, gemeinschaftliches Auskundschaften der Fluchtmöglichkeiten am geplanten Tatort und manipulative psychische Beihilfe unterstützt hat und dies nachweisbar ist". Zudem sprächen Indizien dafür, dass Markus H. sogar beim Mord mit am Tatort war.
Holger Matt, der Anwalt der Lübckes, verwies auf abgelehnte Beweisanträge im Prozess, die weitere Aufklärung hätten erbringen können. Deshalb kämen für die Revision sowohl Verfahrensfehler als auch materiell-rechtliche Fehler in Betracht.
Eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Frankfurt / Main bestätigte der taz den Eingang der Revision. Die Witwe und zwei Söhne von Walter Lübcke hatten bereits im Prozess erklärt, sie sähen Markus H. als Mittäter - und forderten für ihn, ebenso wie für Stephan E., eine lebenslange Haftstrafe. Die Familie nahm als Nebenkläger am Verfahren teil.
Markus H. will auch für Waffenverstoß Freispruch
Das Gericht aber war von H.s Schuld nicht überzeugt. Weder sei zweifelsfrei nachweisbar, dass die Schießübungen die Fertigkeiten von Stephan E. für den Mord verbessert hätten, noch dass E. durch gemeinsame Besuche auf rechten Aufmärschen radikalisiert worden sei. Auch die Aussagen von Stephan E., dass Markus H. mit am Tatort gewesen sei, seien nicht glaubwürdig. Die Richter verwiesen auf den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten". Verurteilt wurde Markus H. letztlich nur zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung wegen eines Waffenverstoßes.
Die Familie Lübcke ist mit ihrer Revision nicht allein. Auch alle anderen Prozessbeteiligten fechten die Urteile an. Im Fall Markus H. hatte die Bundesanwaltschaft bereits nach der Urteilsverkündung Revision angekündigt: Sie teile die Zweifel des Gerichts nicht. Die Ankläger hatten eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten für Markus H. wegen psychischer Beihilfe zum Mord gefordert.
Auch Markus H. geht gegen das Urteil vor: Er will einen Freispruch auch für den Waffenverstoß, für den er verurteilt wurde. Dem Rechtsextremen war vorgeworfen worden, eine Maschinenpistole, die er als "Deko-Waffe" besaß, nicht ausreichend schussunfähig gemacht zu haben.
Revision gegen sein Urteil legt auch der Hauptangeklagte Stephan E. ein. Der 47-Jährige hatte gestanden, Walter Lübcke am 1. Juni 2019 erschossen zu haben - aus aufgestauter Wut über die Kritik des Kasseler Regierungspräsidenten an Geflüchteten-Gegnern auf einer Bürgerversammlung. Wegen seines Geständnisses und weil die Tat angeblich nur ein Totschlag, kein Mord, gewesen sei, forderte er ein mildes Urteil - und bekam doch die Höchststrafe.
Und auch Ahmed I. will Revision einlegen. Das kündigte sein Anwalt Alexander Hoffmann der taz an. Ahmed I., ein irakischer Geflüchteter, war am 6. Januar 2016 vor seiner Kasseler Asylunterkunft mit einem Messer niedergestochen worden. Auch für diese Tat war Stephan E. angeklagt, unter anderem weil sich bei ihm ein Messer mit Fragmenten von DNA fand, die der von Ahmed I. ähnelten.
Das Gericht sah aber auch hier keine zweifelsfreien Belege, die für eine Verurteilung E.s ausgereicht hätten. Die Bundesanwaltschaft hatte hingegen auch hier eine Verurteilung von Stephan E. gefordert. Sie ließ in ihrer Revision zunächst offen, ob sie auch gegen diesen Freispruch vorgeht.
Damit stehen nun alle Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt / Main im Lübcke-Prozess auf dem Prüfstand. Über die Revisionen entscheidet der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
Bildunterschrift: "Schwer zu verkraften": Die Witwe und Söhne von Walter Lübcke bei der Urteilsverkündung.
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MiGAZIN, 03.02.2021:
Hessischer Landtag / Sonntagsreden beim Gedenken an die Opfer des Hanau-Anschlags
03.02.2021 - 05.24 Uhr
Am Dienstag gab es im Hessischen Landtag Sonntagsreden für die Hinterbliebenen und Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau. Die Linke fordert derweil Antworten auf drängende Fragen: Der Polizeinotruf funktioniere bis heute nicht. Betroffene fordern Taten statt "warme Worte".
Von Birol Kocaman
Rund ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau hat der hessische Landtag am Dienstag der Opfer gedacht. Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) versprach den Familien der Getöteten: Diese niederträchtige Tat wird nicht in Vergessenheit geraten. In der Gedenkstunde, an der Hinterbliebene teilnahmen, forderte Rhein ein entschiedenes Eintreten aller auch schon gegen Ansätze von Menschenhass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Nach Rheins Rede erhoben sich die Abgeordneten zu Ehren der Ermordeten für eine Schweigeminute.
Bei dem Anschlag am 19. Februar 2020 hatte der rechtsextremistisch motivierte Täter neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen, bevor er am Ende seine Mutter und sich selbst tötete. Das Attentat von Hanau ist die Eskalation rassistisch und rechtsextremistisch motivierter Anschläge in Deutschland in jüngster Zeit, erklärte der Landtagspräsident. Er erinnerte an die vorausgegangenen Anschläge der NSU und in Halle sowie den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und sagte: Wir erkennen, dass wir 76 Jahre nach der Schoah ein offensichtliches und bedrohliches Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus haben. Hier - ausgerechnet in Deutschland.
Rhein fügte hinzu: Die Morde von Hanau haben uns wachgerüttelt, sie haben uns die Augen geöffnet. Sie sind eine Zäsur. Wer heute noch wehret den Anfängen rufe, meine es sicher gut, habe aber offenbar nicht verstanden, dass wir mittendrin sind. Wir haben es zu tun mit den alten bösen Geistern in neuen Gewändern.
Linke fordert Antworten
Sechs Hinterbliebene und ein Überlebender des Anschlags von Hanau saßen während der Gedenkfeier vor Beginn in der Mitte des Plenarsaals im Wiesbadener Landtag. Rhein verlas die Namen aller neun Mordopfer vom 19. Februar 2020 und sagte: Für uns alle bleibt diese Nacht ein unauslöschbares Datum. Es gebe keine Worte, die das Unbegreifbare beschreiben könnten, auch heute nicht.
Derweil fordert die Linke im Hessischen Landtag von der Landesregierung Antworten auf drei Themenkomplexe. Es stehe unter anderem die Frage im Raum, ob der Terroranschlag hätte verhindert werden können, wenn dem behördenbekannten, mehrfach psychisch und straffällig gewordenen Tobias R. die Erlaubnis zum Besitz von Waffen nicht erteilt worden wäre.
Versperrter Fluchtweg und Rolle des Täter
Ein weiterer Themenkomplex befasst sich der Linke zufolge mit der Frage, warum bisher seitens der Behörden keine Strafverfahren eingeleitet wurden. "Zum einem sei angeblich der Notausgang an einem der Tatorte verschlossen gewesen, sodass spätere Opfer hätten nicht flüchten können.
Zum anderen sei die Rolle des Vaters von Tobias R. bis heute völlig ungeklärt. Obwohl er sich analog zu seinem Sohn ebenfalls rassistisch-wahnhaft äußere und möglicherweise Straftatbestände erfüllt sein könnten, werde er offenbar nicht als Beschuldigter geführt", heißt es in einer Erklärung der Linksfraktion.
Polizeinotruf funktioniert bis heute nicht
Schließlich sei auch noch ungeklärt, warum der polizeiliche Notruf in der Tatnacht "angeblich" nicht funktioniert habe. Eines der späteren Todesopfer, Vili Viorel Păun, habe den Täter verfolgt, dabei mehrfach den Notruf gewählt, um den Täter und seinen Aufenthalt zu melden, sei aber nicht durchgekommen.
Medienberichten zufolge bestehen diese technischen Mängel wohl bis heute fort, erklärte Linkspolitiker Hermann Schaus. "Wir verlangen endlich Antworten von den Behörden und von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf diese Fragen. Ein Jahr nach dem Terror von Hanau haben die Opfer und die Öffentlichkeit ein Recht darauf."
Zum Jahrestag verspricht Beuth besseren Polizei-Notruf
Zumindest auf die letzte Frage ging der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) ein und bestätigte indirekt die Medienberichte. Er räumte ein, dass es in der Tatnacht einen Engpass beim polizeilichen Notruf in Hanau gab. Es ist richtig, dass die Polizeistation in Hanau nur eine begrenzte Anzahl von Anrufen in dieser Nacht entgegennehmen konnte, sagte er und nannte technische Gründe dafür, dass Anrufe nicht weitergeleitet wurden.
Dennoch habe die Polizei aber unmittelbar nach dem ersten Notruf gehandelt und sei ein bis zwei Minuten später an dem einen und nach drei bis vier Minuten an dem zweiten Tatort gewesen. Das Problem mit der Erreichbarkeit werde nun mit der Weiterleitung von Notrufen an das zuständige Polizeipräsidium gelöst.
"Taten statt warmer Worte"
Abdullah Unvar, Cousin von Ferhat Ünvar, einem der neun Hanau-Opfer, schrieb am Dienstagnachmittag im Kurznachrichtendienst Twitter: "Wir die Familie Unvar waren heute nicht zu Gast im Hessischen Landtag, wir brauchen keine warmen Worte oder Lippenbekenntnisse, wir fordern von der hessischen Regierung Taten statt Worte. Seit ca. 12 Monate erfahren wir über die Medien das Versagen vom 19.Februar 2020 … " (epd/mig)
Bildunterschrift: Der Hessische Landtag.
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Blick nach Rechts, 03.02.2021:
Polizisten und Soldaten in rechtsextremistischen Zusammenhängen
Von Armin Pfahl-Traughber
Jüngst wurde durch engagierte Medienberichte immer wieder veranschaulicht, dass auch Polizisten und Soldaten in rechtsextremistischen Zusammenhängen aktiv waren. Der Dokumentarfilmer Dirk Laabs hat jetzt seine Eindrücke dazu in einem Buch verarbeitet. Es beschreibt anschaulich einzelne Ereignisse, hätte aber durch eine genauere Gesamtbewertung noch an Qualität gewonnen.
Dass Angehörige der Bundeswehr oder Polizei als Rechtsextremisten aktiv sind, führte in den letzten Jahren nachvollziehbarerweise zu öffentlichen Skandalen. Denn die Gemeinten sollten doch eigentlich zur Sicherheit beitragen und nicht Unsicherheit bewirken. Genau dies geschah indessen, sei es durch Bedrohungen einer Juristin aus dem NSU-Verfahren, sei es durch ein Engagement in gewaltbereiten Netzwerken, sei es durch Kontakte zu "Reichsbürgern" oder Waffenhändlern. Für all das stehen Einzelne wie Franko A. und André S. oder Gruppen wie "Nordkreuz" und "Uniter".
Über deren Aktivitäten wurde in den Medien auch intensiv berichtet. Einer der besonders engagierten Journalisten ist Dirk Laabs, der dazu diverse Dokumentarfilme insbesondere für das ZDF erstellt hat. Diesen ließ er nun ein eigenes Buch nachfolgen: "Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern". Man könnte es bezogen auf die formale Gestaltung mitunter als "Film in Prosa" wahrnehmen, merkt man im Buchautor doch immer wieder den Filmemacher.
Planungen für einen "Tag X" als Thema
Er reiht darin Beispiele an Beispiele, wobei die Darstellung an einzelnen Personen orientiert ist. Deutlich zeigt sich, dass in den Bereichen besonderer "Mischszenen" diverse Szenarien für einen "Tag X" entwickelt wurden. Derartige Gedankenspiele schließen dann auch Morde an Politikern mit ein. Deutlich machen will der Autor in der Gesamtschau, "dass sich besonders viele Soldaten, darunter Kommandosoldaten, sowie Polizisten von Spezialeinheiten einer solchen Bewegung verschrieben haben und punktuell gemeinsame Sache mit Straßenschlägern und organisierten Nazi-Banden machen, unterstützt - von Fall zu Fall - von Reservisten der Bundeswehr, Waffenhändlern, Schießausbildern sowie Ex-Soldaten".
Bei dieser Aussage handelt es sich indessen um eine der wenigen Einschätzungen, dominieren doch die Beschreibungen von einzelnen Fällen die Seiten. Dies geschieht jeweils meist fixiert auf einzelne Personen, wobei deren Agieren in unterschiedlichen Kontexten die gemeinten Vernetzungen veranschaulichen sollen.
Wie das Buch zu einem Dokumentarfilm
Diese Darstellungsform erklärt sich wohl auch dadurch, dass eben ein Filmemacher hier geschrieben hat. Das erleichtert und erschwert die Lektüre gleichzeitig. Denn einerseits werden anschaulich konkrete Ereignisse, Organisationen und Personen vorgestellt, andererseits verliert man durch die Fülle an Informationen auch den Überblick. So kommt etwa Franko A. eine besondere Relevanz beim Thema zu. Aussagen zu ihm finden sich aber über das ganze Buch verstreut. Dies gilt dann in weitaus höherem Maße auch noch für andere Sachverhalte.
Der geschilderte Inhalt wird nicht in einer klaren Systematik vermittelt. Gleichzeitig fehlt es meist auch an konkreten Bewertungen und Einschätzungen. Sie kommen erst am Ende in einem Schlusswort, wo es dann Aussagen darüber gibt, warum man hier nicht von einer "Schattenarme", sondern eher von einer Zellenstruktur sprechen sollte. Dies ist eine beachtenswerte Deutung, die aber dann nur auf zwei bis drei Seiten ausgeführt wird. Gerade derartige Einsichten wären aber für eine Gesamteinschätzung wichtig.
Offene Fragen zu den Gründen für die Entwicklung
Darüber hinaus stellen sich auch viele Fragen zu den Hintergründen der geschilderten Sachverhalte. Gab es wirklich, wie der Untertitel nahelegt, eine Unterwanderung? Oder bestanden bereits vorher derartige Einstellungen bei den späteren Polizisten und Soldaten? Oder erfolgte gar eine Radikalisierung in diesen beruflichen Zusammenhängen? Recht ausführlich wird etwa der Fall des früheren KSK-Kommandanten Reinhard Günzel behandelt. Wie muss etwa seine Entwicklung in diesem Sinne eingeschätzt werden?
Ähnliches könnte zu drei ehemaligen Bundeswehrgenerälen gefragt werden, die nach ihrer Dienstzeit in rechtsextremistischen Kontexten publizierten. Sie kommen als Beispiele aber leider gar nicht vor. Beachtenswert sind immer die Aussagen darüber, wie gut oder schlecht die Sicherheitsbehörden über solche Zusammenhänge informiert waren. Auch wenn es sich Laabs hier mit Pauschalisierungen gelegentlich zu einfach macht, stellt er berechtigte Fragen, die Antworten auch in Richtung einer konstruktiven Selbstkritik nötig machen.
Dirk Laabs, Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern, Berlin 2021 (Econ-Verlag), 445 S., 24 Euro.
Bildunterschrift: Dirk Laabs, Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern.
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MiGAZIN, 03.02.2021:
Sprunghafter Anstieg / Immer mehr Rechtsextremisten haben legal Waffen
03.02.2021 - 05.23 Uhr
Rechtsextremisten, die legal eine Waffe besitzen dürfen, ist in Deutschland sprunghaft angestiegen. Das teilt die Bundesregierung mit. Die Linkspartei warnt vor einer "steigenden Bedrohung".
Die Zahl der den Behörden bekannten Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis ist im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Bis Ende Dezember 2020 hatten Sicherheitsbehörden bundesweit rund 1.200 tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis registriert. Das entspricht einem Anstieg von knapp 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das teilt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion mit.
"Der Anstieg belegt die steigende Bedrohung, die von Neonazis und Rassisten ausgeht", erklärte Martina Renner (Die Linke) und fuhr fort: "Erwartungsgemäß hat sich die Einbindung des Geheimdienstes nicht als wirkungsvolle Maßnahme gegen die Bewaffnung der rechten Szene erwiesen."
Die Sicherheitsbehörden führen den Anstieg darauf zurück, dass diese seit einer Änderung des Waffenrechts vom Februar 2020 genauer prüfen, ob die Person die notwendige "Zuverlässigkeit und persönliche Eignung" besitzt. Unverändert blieb hingegen die Zahl der so genannten Reichsbürger mit Waffenbesitz. (epd/mig)
Bildunterschrift: Waffe (Symbolfoto).
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Neue Westfälische, 03.02.2021:
Mehr Rechtsextreme bewaffnen sich
Berlin (dpa). Die Zahl der den Behörden bekannten Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis ist im Jahr 2020 deutlich angestiegen. Wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mitteilt, hatten die Sicherheitsbehörden Ende Dezember bundesweit rund 1.200 tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextremisten auf dem Schirm, die legal Waffen besaßen - ein Anstieg um knapp 35 Prozent im Vergleich zu Ende 2019.
"Der Anstieg belegt die steigende Bedrohung, die von Neonazis und Rassisten ausgeht", sagte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke). Aus Sicht der Sicherheitsbehörden ist der Anstieg auch darauf zurückzuführen, dass sie genauer hinschauen und auf die jüngste Novelle des Waffenrechts. Unverändert blieb die Zahl der so genannten Reichsbürger, die Waffen besitzen. Stand 28. Dezember 2020 besaßen 528 Menschen aus diesem Personenkreis eine Waffenerlaubnis - obwohl sich Sicherheitsbehörden seit 2016 bemühen, Angehörigen der Szene die Erlaubnisse zu entziehen.
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die tageszeitung Online, 03.02.2021:
Experte zu AfD und Verfassungsschutz: "Die Lage der Partei ist desaströs"
Der Gesamt-AfD droht die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall. Das wäre der Anfang vom Ende, sagt Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler.
Im Interview: Alexander Häusler
58, ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus / Neonazismus (Forena) der Fachhochschule Düsseldorf. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die AfD.
taz: Herr Häusler, viel spricht dafür, dass die AfD als Gesamtpartei bald durch den Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird und dies früher oder später auch öffentlich bekannt wird. Was würde das für die AfD bedeuten?
Alexander Häusler: Eine Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall bringt die AfD in die schwierigste Situation seit ihrem Bestehen. Die Lage für sie ist desaströs. Bisher hat die Partei eine ziemlich beispiellose Erfolgsserie hingelegt, es ging von Wahlerfolg zu Wahlerfolg, auch durch immer neue populistische Provokationen. Diese Erfolgsserie ist durch die Corona-Pandemie eingebrochen.
Und die AfD hat auch die populistische Eskalationsschraube überdreht. Sie ist dadurch in ihrer Entwicklung immer weiter nach rechts gerückt und quasi zwangsläufig ins Visier der Verfassungsschutzbehörden gekommen. Die Konsequenz für die AfD ist verheerend.
Inwiefern?
Die AfD wird bei ihren nationalkonservativen Wählermilieus verlieren, denn die wollen nicht in den Ruch kommen, rechtsextrem zu sein. Sie wird beim Personal Federn lassen müssen, weil Leuten, die im Staatsdienst sind - wie Polizeibeamte, Lehrer oder Soldaten - Konsequenzen drohen, wenn sie bei einer Partei aktiv sind, die in der Rubrik Rechtsextremismus geführt wird.
Und sie wird finanzielle Einbrüche haben, weil sie auch stark von Privatspendern lebt und ein Unternehmer sich eine Spende an die AfD nun zweimal überlegen wird, wenn er Gegenkampagnen fürchten muss, weil er eine rechtsextreme Partei unterstützt. Die Erfolgsgeschichte der AfD dürfte vorbei sein.
Warum sind Sie bezüglich des Einbruchs in der Wählergunst so sicher? Die AfD hat den so genannten bürgerlichen Wählerinnen, Wählern schon zahlreiche Anlässe geboten, sich abzuwenden - zum Beispiel durch Gaulands Äußerung über den NS als "Vogelschiss". De facto ist aber wenig passiert.
Der rechtspopulistische Tabubruch funktionierte da noch: Man konnte sich als angeblicher Vertreter des Volkswillens inszenieren und dazu sagen, man gehöre nicht in die rechte Ecke. Mit dieser Masche hat die AfD ihre Erfolge erzielt. Aber das funktioniert nicht mehr, wenn die rechtsextreme Einstufung ausgesprochen ist.
Die "Das wird man doch mal sagen dürfen"-Milieus, die gesellschaftlich etwas zu verlieren haben, werden Abstand nehmen. Dann bleiben die bekennend rechtsextremen Wähler.
Die AfD kontert gern mit dem Argument, die anderen Parteien würden den Verfassungsschutz politisch instrumentalisieren, eine Stasi 2.0 quasi. Kann das verfangen?
Der neurechte Vordenker Karlheinz Weißmann hat mal aus seiner Sicht etwas Richtiges befürchtet: Der AfD drohe ein Rückfall in eine "Lega Ost", wenn sie sich weiter radikalisiere. Im Osten verfängt diese Erzählung von der Stasi 2.0 vielleicht, aber nicht bundesweit. Weißmann und Co setzen auf die Lücke zwischen CDU / CSU und dem rechten Rand. Und eben nicht auf bekennenden Rechtsextremismus.
Sie wissen ja: Die Geschichte der rechten Parteien in der Bundesrepublik war bis zur AfD eine Geschichte der Erfolglosigkeit: All diese Parteien, wie die Republikaner oder der Bund Freier Bürger, sind den Weg in die Marginalisierung gegangen. Erfolg kann man nur haben, wenn man auch konservative Milieus mobilisiert.
Wo Sie gerade auf die Republikaner verweisen: Bei denen ging 1992 mit der Überwachung durch den Verfassungsschutz der Niedergang einher: Sehen Sie da Parallelen?
Das ist schwer zu vergleichen. Die Lage ist heute ja eine ganz andere, sowohl was die politische Situation angeht als auch die Situation im rechten Lager. Die Republikaner hatten damals noch Konkurrenz, die AfD hat sich ja quasi zum Dach des rechten Lagers entwickelt. Aber natürlich gab es damals und gibt es heute innere Widersprüche in diesen Parteien, die durch Druck von außen und den Verfassungsschutz verschärft werden.
Was heißt das für die AfD?
Die AfD ist ja eine Art eine Sammlungsbewegung aus verschiedenen Kernmilieus: der nationalliberalen Richtung mit marktradikalen Wirtschaftsansichten, dem nationalkonservativ gesinnten Milieu von früheren Unionsanhängern und den völkischen Nationalisten und offen Rechtsextremen. Die drei Strömungen haben eine Art Burgfrieden geschlossen, und dank der permanenten Erfolge bei Wahlen konnten die Konflikte unter den Teppich gekehrt werden. Aber jetzt brechen sie aus.
Welche Rolle spielt dabei der Verfassungsschutz?
Er erhöht den Druck. Die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall wirkt wie ein Damoklesschwert, sie ist existenzbedrohend. Die AfD hat ihren Erfolg aus der Zustimmung dieser unterschiedlichen Milieus gewonnen. Wenn die Brücke zum bürgerlichen Lager bricht, dann war’s das mit diesen Erfolgen. Allein mit ostdeutschen Protestwählern und offen Rechtsextremen lassen sich keine großen Wahlerfolge erzielen.
Noch gibt es in der Partei Leute, die noch etwas zu verlieren haben, die eine gesellschaftliche Stellung haben - die sind wichtig für die Außenwirkung für die Partei. Sonst bleiben nur die rechten Hasardeure, die sowieso nichts mehr zu verlieren haben.
Der Niedergang der AfD wäre also eingeläutet?
Ja, zumindest das Ende ihrer bisherigen Erfolgsserie.
Das wurde allerdings in der noch relativ kurzen Geschichte der AfD schon mehrfach behauptet.
Ja, ich habe auch schon oft gedacht, jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Und dann war es das doch nicht. Man muss also vorsichtig sein. Aber wenn man überlegt, wo in der Bundesrepublik der Platz für eine Rechtsaußenpartei ist, kommt man zu dem Ergebnis: Mit ihrer populistischen Eskalationsschraube hat sich die AfD ihr eigenes Grab geschaufelt. Interessanterweise haben sich viele der erfolgreichen Rechtsaußenparteien in Europa ja auch genau andersherum entwickelt.
Vom Rechtsextremismus Richtung Mitte.
Genau. Die sind, wie der frühere Front National, die Lega oder auch Parteien im skandinavischen Raum, in der rechtsextremen Ecke entstanden und haben eine taktische Zivilisierung durchlaufen. Sie sind in die Mitte gerückt, um größere Wählersegmente zu erreichen. Die AfD ist den umgekehrten Weg gegangen und hat jetzt das Stigma des Rechtsextremismus.
Was glauben Sie: Was wird dann passieren?
Die AfD wird weiter versuchen, sich juristisch zu wehren. Fatal wäre natürlich, wenn ihre Klagen erfolgreich wären und der Verfassungsschutz die Einstufung zurücknehmen müsste.
Wenn die AfD aber damit scheitert und die Partei als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft ist, wäre das Ende der Ära Meuthen automatisch eingeleitet. Seine Konkurrenten von ganz rechtsaußen könnten jubilieren, dass der ganze Anpassungskurs gescheitert ist, und sich durchsetzen. Meuthen könnte dann die Reißleine ziehen, die Partei verlassen und einen Teil der AfD mitnehmen. Sie könnten dann in den westdeutschen Bundesländern Republikaner 2.0 spielen.
Wenn man Ihnen folgt, gäbe es also eine Art Republikaner 2.0 im Westen und eine "Lega Ost". Wie erfolgreich könnten solchen Parteien sein?
Nicht sehr. Wahrscheinlich müssten sie zumindest im Westen der Republik um die Fünf-Prozent-Hürde kämpfen, der Niedergang wäre sehr wahrscheinlich. Aber derzeit ist das natürlich noch ein Prozess mit offenem Ausgang.
Das Interview führte Sabine am Orde.
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