Westfalen-Blatt / Zeitung für Schloß Holte-Stukenbrock ,
29.06.2020 :
Gedenkstätte für 60 Millionen Euro
Landschaftsverband Westfalen-Lippe will die Würdigung des Stalag 326 vorantreiben
Von Monika Schönfeld
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Bürgermeister Hubert Erichlandwehr hat nicht untertrieben, als er im Rat vergangene Woche berichtet hat, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) habe "etwas Großes" vor. Die Machbarkeitsstudie, die das Atelier Brückner aus Stuttgart vorgelegt hat, denkt in internationalen Dimensionen. 60 Millionen Euro sollen in die neue Gedenkstätte Stalag 326 Stukenbrock-Senne investiert werden mit jährlichen Betriebskosten in Höhe von 5,9 Millionen Euro. Der Förderverein der Gedenkstätte, der mehr als 25 Jahre lang um jeden Cent kämpfen musste, dürfte sich die Augen reiben.
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird sich um eine Förderung vom Bund für eine geplante Gedenkstätte zum Stalag 326 in Schloß Holte-Stukenbrock bemühen. Das Stammlager war während des Zweiten Weltkrieges mit mehr als 300.000 durchgeschleusten sowjetischen Kriegsgefangenen das größte Lager dieser Art ("Russenlager") im Deutschen Reich. Es war zentrale Drehscheibe für die Versorgung mit Zwangsarbeitern auf Bauernhöfen und Fabriken in Westfalen und im Rheinland. Auf dem nahegelegenen Ehrenfriedhof sowjetischer Kriegsopfer sind nachweislich 16.000 Tote begraben. Es könnten bis zu 65.000 Tote sein.
"Die Geschichte des Stammlagers 326 ist eine Geschichte der massenhaften, menschenverachtenden Ausbeutung sowjetischer Kriegsgefangener", sagte LWL-Direktor Matthias Löb in Münster vor dem LWL-Landschaftsausschuss, der die Antragstellung beim Bund befürwortet. "Von der Ausbeutung dieser Menschen ohne Rechte haben sowohl große Unternehmen im Ruhrgebiet wie auch Verwaltungen und kleine Betriebe auf dem Lande profitiert. So wurden ganz normale Menschen Herren über Leben und Tod dieser Kriegsgefangenen."
Zusammen mit Partnern wolle der LWL in Stukenbrock-Senne am Ort des ehemaligen Lagers eine "Gedenkstätte mit nationaler Bedeutung" errichten. "Wir wollen den Blick lenken auf sowjetische Kriegsgefangene als eine der größten, bislang aber kaum beachtete Opfer-Gruppe. Und wir wollen zeigen, dass Zwangsarbeit damals alltäglich und auch in der breiten Bevölkerung bekannt war."
Der LWL habe seit einigen Jahren sein Engagement in der Erinnerungskultur verstärkt und setze seine Fachleute auch für die Gedenkstätte Stalag 326 ein. Das Projekt unterstützen neben dem LWL das Land NRW, der Kreis Gütersloh, die Stadt Schloß Holte-Stukenbrock und der Förderverein.
Grundlage des Antrags auf Förderung beim Bund im Herbst 2020 ist die Machbarkeitsstudie des Ateliers Brückner (Stuttgart), die im Sommer vorliegen wird. Wer die Gedenkstätte tragen soll, schlagen die Beteiligten eines Lenkungskreises unter Leitung des NRW-Landtagspräsidenten André Kuper den Gremien vor.
Nach Auskunft von LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger wird der Bau einer Gedenkstätte am historischen Ort nach den bisherigen Vorstellungen etwa 60 Millionen Euro kosten, der Betrieb rund 5,6 Millionen Euro im Jahr. Das sei "absolut im Rahmen vergleichbarer Gedenkstätten nationaler Bedeutung". Rüschoff-Parzinger: "Hier soll ein herausragender Ort der Erinnerung an die Geschichte von Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit entstehen." Man rechne mit jährlich bis zu 200.000 Besuchern.
"Und wir wollen zeigen, dass Zwangsarbeit damals alltäglich und auch in der breiten Bevölkerung bekannt war."
Matthias Löb
Besonderes Gewicht legten die ersten Überlegungen für die Gedenkstätte auf Fotos und Filme als Quellen, für die im Falle des Stalag 326 eine sehr gute Überlieferung gebe. Ein weiterer Schwerpunkt liege bei der digitalen Vermittlung, die Erinnerungsarbeit in der Region und über die Landesgrenzen hinaus erleichtere. "Wir wollen zum Beispiel die bekannten und unbekannten Orte in NRW einbeziehen, die bei der Ausbeutung der Kriegsgefangenen eine Rolle spielten. Das Lager war eine riesige und brutale Verteilmaschine", so die Kulturdezernentin. Wie Stalag 326 funktioniert und große Teile der deutschen Gesellschaft eingebunden habe, müsse auch in der heutigen Vermittlung durch die Gedenkstätte eine zentrale Rolle spielen.
Kommentar
Think big - denke in großen Maßstäben! Überrascht von den Dimensionen? Spätestens seit Juli 2019, als Studenten der Technischen Hochschule OWL ihre Ideen für ein Besucherzentrum zeigten, war klar, dass der Blick von außen ein ganz anderer ist. Es ist ein Befreiungsschlag: Heraus aus dem engstirnigen und unwürdigen Feilschen um Geld, dem anstrengenden Bittstellen. Die Gedenkstätte ist zu wichtig für die Erinnerungskultur, das Gedenken und die Bildung, als dass sie dem Geiz zum Opfer fallen darf. Lange hat’s gedauert. Der mühselige Weg, den die Vorsitzenden des Fördervereins, Werner Busch, Oliver Nickel und Manfred Büngener, eingeschlagen haben, führt jetzt ans Ziel.
Monika Schönfeld
Bildunterschrift: So könnten die Beziehungen sein: Bei der "Szenischen Einbindung" handelt es sich um das Arrestgebäude, die Entlausung und die Sozialwerksbaracken.
Bildunterschrift: Zeitzeugen verleihen der Geschichte Authentizität: Sonja Hassenewert und Werner Dresselhaus berichten im Januar 2018 den Schülern des Gymnasiums der Jahrgänge 9 und Q2, dass sie Tote in Waggons gesehen haben. Dresselhaus war als Elfjähriger Zeuge einer Erschießung. Es war das dritte Kooperationsprojekt des Gymnasiums mit der Gedenkstätte Stalag und dem Haus Neuland.
Bildunterschrift: Die Übersicht zeigt, welches Gelände der Gedenkstätte zugesprochen wird: Das Besucherzentrum soll im heutigen Pfortenbereich entstehen. Eingeschlossen ist das Gelände bis zum Arrestgebäude, den Sozialwerksbaracken und der Entlausung. Nicht berührt sind die Häuser, die als ehemalige Dienstwohnungen 1959 und 1962 gebaut wurden (im Plan oben rechts).
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www.stalag326.de
www.blumen-fuer-stukenbrock.eu
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