www.hiergeblieben.de

11 Artikel , 22.11.2019 :

Pressespiegel überregional

_______________________________________________


Übersicht:


Der Tagesspiegel Online, 22.11.2019:
Bilanz der ersten drei Quartale 2019 / Polizei zählt mehr als 14.000 Straftaten von Rechten

Störungsmelder, 22.11.2019:
AfD löst mit Gedenkstein diplomatische Spannungen aus

Spiegel Online, 22.11.2019:
Hannover / Oberverwaltungsgericht lehnt Verbot von NPD-Demo ab

Der Tagesspiegel Online, 22.11.2019:
Streit über Rechtsextremen-Demo in Hannover / Die NPD ist auch im Niedergang noch eine Gefahr

Deutschlandradio, 22.11.2019:
Hannover / Polizei verbietet NPD-Kundgebung gegen Journalisten

die tageszeitung Online, 22.11.2019:
NPD-Demonstration gegen Journalisten / Ich bin die "linke Sau"

Störungsmelder, 22.11.2019:
"Wir töten dich!"

Blick nach Rechts, 22.11.2019:
NPD-nahe "Bürgerinitiative"

Westfalen-Blatt, 22.11.2019:
AfD soll Haltung zu Identitären klären / Parteitag in Braunschweig: Tritt Gauland doch noch an?

Blick nach Rechts, 22.11.2019:
Rechte Burschenschaft im Fokus

die tageszeitung Online, 22.11.2019:
Völkische Expansion / Neonazis suchen Lebensraum

_______________________________________________


Der Tagesspiegel Online, 22.11.2019:

Bilanz der ersten drei Quartale 2019 / Polizei zählt mehr als 14.000 Straftaten von Rechten

22.11.2019 - 17.00 Uhr

Die Zahl der rechten Delikte steigt rasch und dürfte die Bilanz des Vorjahres zumindest erreichen. Das gilt auch für antisemitische Straftaten.

Von Frank Jansen

Die politische Kriminalität von Neonazis und anderen rechten Tätern wächst auch in diesem Jahr mit hoher Geschwindigkeit. Die Polizei hat nach Informationen des Tagesspiegels in den ersten drei Quartalen bereits14.311 Straftaten festgestellt, darunter 625 Gewalttaten. Bei den Angriffen wurden mindestens 271 Menschen verletzt. Drei Fälle bewertet die Polizei als versuchte Tötungen. Der mutmaßliche rechtsextreme Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird nicht genannt.

Zahlen des Bundesinnenministeriums zu rechter Gewalt

Die Bilanz ist den Antworten des Bundesinnenministeriums auf monatliche Anfragen von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und ihrer Linksfraktion zu entnehmen. Die Schriftsätze liegen dem Tagesspiegel vor.
Die Zahlen werden wahrscheinlich noch steigen, da die Polizei erfahrungsgemäß viele Straftaten nachmeldet. Es zeichnet sich allerdings schon ab, dass rechte Kriminalität in diesem Jahr der Gesamtbilanz für 2018 zumindest nahe kommt. Damals registrierte die Polizei insgesamt 20.431 rechte Delikte. In der vorläufigen Statistik für Januar bis September 2018 hatte die Polizei 12.791 Straftaten gemeldet. Diese Zahl wird nun in den ersten neun Monaten 2019 um mehr als 1.500 Delikte übertroffen.

Das Innenministerium hat zudem auf Anfragen von Pau über antisemitische Straftaten berichtet. Demnach stellte die Polizei von Januar bis September 1.155 Delikte fest, die Juden-Hasser verübten. Sie waren nach Angaben der Polizei meist rechts motiviert. In 41 Fällen handelte es sich um Gewalttaten. Dabei erlitten 17 Personen Verletzungen.

Zum Vergleich: In den ersten drei Quartalen 2018 hatte das Ministerium 1.075 antisemitische Straftaten mit 33 Gewaltdelikten gemeldet. Verletzt wurden damals 18 Menschen. Angesichts der höheren Deliktzahlen in diesem Jahr deutet sich auch bei den antisemitischen Taten an, dass die Gesamtbilanz von 2018 zumindest erreicht wird. Das waren damals 1.799 judenfeindliche Delikte.

Am Freitag ging der Streit um einen von der NPD angemeldeten Aufmarsch in Hannover weiter. Die Rechtsextremisten wandten sich mit einem Eilantrag ans Verwaltungsgericht gegen das Verbot der Demonstration. Die Polizeidirektion Hannover hatte am Donnerstag den für diesen Sonnabend geplanten Aufzug untersagt. Das Verwaltungsgericht Hannover kippte das von der Polizei verhängte Verbot. Die Polizei legte dagegen aber vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschwerde ein.

Die NPD will gezielt gegen den NDR-Reporter Julian Feldmann und weitere Journalisten demonstrieren. Feldmann hatte in einem Beitrag für das Magazin "Panorama" den ehemaligen SS-Mann Karl M. interviewt, der 1944 an einem Massaker in Nordfrankreich beteiligt war. In dem Film, der bereits vor einem Jahr gesendet wurde, sagte Karl M., er bereue nichts. Die rechte Szene behauptet, der inzwischen verstorbene M. sei nach der Ausstrahlung attackiert worden.

Bildunterschrift: Ein Aufsteller macht in Berlin auf die Gewalt von Rechten aufmerksam.

_______________________________________________


Störungsmelder, 22.11.2019:

AfD löst mit Gedenkstein diplomatische Spannungen aus

22.11.2019 - 14.28 Uhr

Ein AfD-Abgeordneter finanziert in Polen einen Gedenkstein, an dem sich auch die NPD-Jugend beteiligt. Der Chef des deutschen Minderheitsverbandes erhielt eine Vorladung zur Botschaft.

Von Henrik Merker und Tilman Steffen

Ein Gedenkstein für in den beiden Weltkriegen gefallene Soldaten hat diplomatische Folgen: Die deutsche Botschaft in Polen hat diese Woche Bernard Gaida einbestellt, den Vorsitzenden des Verbandes der deutschen Minderheit in Polen (VdG). Aufgestellt wurde der Stein mit finanzieller Hilfe der AfD.

Wie Gaida gegenüber Zeit Online sagte, sollte er erklären, wieso im Namen der Jugendorganisation seines Verbands ein geschichtsrevisionistischer Gedenkstein enthüllt wurde - unter Mitwirkung des Berliner Landesverbandes der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und des AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka. Konkreter Anlass der Fragen aus der Botschaft war aber, dass auch eine rechtsextreme Burschenschaft auf dem Stein vermerkt ist, weiterhin die Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationalisten (JN).

Die Einbestellung zur Botschaft wiegt schwer, denn Gaida hat einen Ruf zu verlieren: Für seine Bemühungen um die Völkerverständigung erhielt er 2015 das Bundesverdienstkreuz. Auch wird seine VdG vom deutschen Innenministerium gefördert.

Für Zehntausende Morde verantwortlich

Aufgestellt ist der Stein in Bytom (Beuthen) nahe Katowice. Gewidmet ist er ausschließlich Soldaten, nicht zivilen Opfern, speziell werden der schlesische Selbstschutz und Freikorpsverbände genannt. Die waren in den Zwanzigerjahren und danach dem Historiker Jens-Christian Wagner zufolge für Morde an Zehntausenden Polen und Juden verantwortlich.

Die Spenden für den Stein hatte Marek Tylikowski organisiert. Der junge Mann ist Vorstandsmitglied der Ortsgruppe Beuthen des Bundes der Jugend der Deutschen Minderheit (BJDM), der Jugendorganisation von Gaidas VdG. Er hat gute Verbindungen zur AfD, er gehört zur Jungen Alternative Berlin und steht in engem Kontakt mit deren Vorstandschef Vadim Derksen. Tylikowski nahm auch am Demokratie-Planspiel Jugend und Parlament im Bundestag teil. Für den Stein erhielt er von dem AfD-Abgeordneten und Bundesvorstandsmitglied Protschka 300 Euro. Man kennt sich persönlich - auch auf Facebook sind die drei befreundet. Derksen ist außerdem verantwortlicher Redakteur der VAdM, in der sich Auslandsdeutsche und Vertriebene innerhalb der AfD organisiert haben.

"Fast vom Hocker gefallen"

Kurz bevor der Stein am Volkstrauertag enthüllt werden sollte, tauchte ein Foto davon auf dem Twitter-Account des Vizevorsitzenden der Jungen Nationalisten auf. Als Unterstützer sind auf dem Stein auch die Jungen Nationalisten aufgelistet - zwischen der JA Berlin und der Burschenschaft Markomannia.

Protschka und der Berliner JA-Chef Derksen reagieren alarmiert. Er sei "fast vom Hocker gefallen", sagte Derksen Zeit Online.

Protschka sagte Zeit Online, man habe verlangt, die JN wieder zu entfernen, anderenfalls müsse der Stein zerstört werden. So wie beide es schildern, wurde noch vor der Enthüllung ein Steinmetz tätig, um die NPD-Jugend mit Hammer und Meißel zu tilgen. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Deggendorfer Burschenschaft aber blieb drauf.

Wie kam die NPD-Organisation auf den Stein?

Wie die JN auf den Stein kamen, dazu gibt es widersprüchliche Angaben. JA-Chef Derksen sagt, dass Tylikowski behaupte, er habe die Kosten des Steins unterschätzt und deshalb auch noch JN und Burschenschaft angefragt. Tylikowski aber streitet bislang jede Zusammenarbeit mit der NPD-Jugend ab, das Foto vom Gedenkstein auf den Kanälen der JN sei eine Fälschung, behauptete er. Die JN wiederum erklärten in einer online verbreiteten Nachricht ihre Solidarität mit den "in guter Absicht handelnden Initiatoren" in Beuthen. Außerdem behauptet die JN nun, insgesamt 450 Euro für den Stein gespendet zu haben, mehr als bisher dargestellt: Auf einem Ende Oktober von den Nationalisten verbreiteten Bild übergab der Dresdner NPD-Funktionär Maik Müller 200 Euro an BJDM, auch Tylikowski ist zu sehen.

AfD-Politiker Protschka sieht sich von dem Hauptorganisator Tylikowski getäuscht. Er habe dessen BJDM für einen seriösen Verein gehalten, weil er vom Bundesinnenministerium gefördert sei, sagt der Abgeordnete.

Getäuscht sieht sich auch VdG-Chef Gaida, der wegen des Steins zur Botschaft musste. An AfD und NPD-Jugend gerichtet, beklagt er, das Gedenken werde politisch instrumentalisiert. Die gesamte Aufschrift des Steins zeige, "dass das Ziel nicht das Gedenken an Gefallene war, die auf diesem Friedhof ruhen, sondern eine Eigenwerbung für dessen Initiatoren und Sponsoren". Sie machen fast die Hälfte der gesamten Schriftfläche aus.

Der Stein wurde beschmiert

Verwundert sei er auch, dass sich ein Bundestagsabgeordneter beteiligte. In einer öffentlichen Stellungnahme appelliert Gaida an die Parteien in Deutschland, "die politische Neutralität unserer Organisationen zu respektieren". Nach eigenen Angaben sind die VdG und ihr Jugendverband BJDM zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet.

Zudem sei "die Unerfahrenheit von Jugendlichen zu politischen Zielen ausgenutzt" worden, beklagt Gaida, offenkundig bezogen auf Tylikowski. Damit spielt Gaida darauf an, dass offenbar keiner der Spender überprüfte, ob die Spendenaktion mit den Minderheitenverbänden überhaupt abgesprochen worden war.

Weitere Aufmerksamkeit für das umstrittene Projekt schufen am Dienstag Gegner der Aktion. Als auf Bitten der taz ein Reporter der polnischen Gazeta Wyborcza den Stein aufsuchte, war er in rot und weiß mit Sprühfarbe beschmiert. "Raus", stand nun zu lesen und "Szwaby" - "Kraut", ein Schimpfwort für Deutsche, wie ein auch in der taz veröffentlichtes Foto zeigt.

Deutsche Minderheit fürchtet Provokation

Die deutsche Minderheit in Beuthen befürchte nun, dass der Gedenkstein von polnischen Nationalisten als Provokation aufgefasst wird, schreibt die Seite Wochenblatt.pl. Sie hätten Angst, dass nach dem Stein auch ihre Geschäftsräume angegriffen werden könnten.

Der Leiter der Gedenkstättenstiftung von Niedersachsen, Jens-Christian Wagner, kündigte an, gegen die Initiatoren Strafanzeige zu erstatten. Ähnliches kündigte das Institut für Nationales Gedenken in Polen an und forderte, den Stein schnellstmöglich zu entfernen. Möglicherweise ermittelt demnächst die Justiz.

Zusätzlich verwirrten die von Protschka auf seiner Facebook-Site veröffentliche Fotos der Enthüllungsaktion von Sonntag. Dort wo "Junge Nationalisten" aus dem Stein herausgemeißelt wurde, sind die Bilder augenscheinlich mit einem Bildbearbeitungsprogramm retuschiert. Schnell machte auf Twitter die Behauptung die Runde, Protschka habe die Bilder manipuliert. JA-Chef Derksen, der in Protschkas Bundestagsbüro arbeitet, sagt, die Bilder habe man aus Polen so erhalten. Offenbar wollte man dort die Arbeit des Steinmetzen kaschieren.

Bildunterschrift: Von der Website der Jungen Nationalisten abfotografiertes Bild des Gedenksteins in Bytom, Polen. Es zeigt den Zustand, bevor die Jungen Nationalisten wieder herausgemeißelt wurden.

Bildunterschrift: Die JN verbreitet ein Foto des Steins auf Twitter.

_______________________________________________


Spiegel Online, 22.11.2019:

Hannover / Oberverwaltungsgericht lehnt Verbot von NPD-Demo ab

22.11.2019 - 23.30 Uhr

Die Polizei Hannover wollte eine für Samstag geplanten NPD-Demo verbieten. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschied, dass die Neonazis aufmarschieren dürfen. Es bestätigte damit ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover.

Die Polizei darf der NPD auch nach Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes nicht verbieten, am Samstag in Hannover gegen kritische Journalisten zu demonstrieren. Damit bestätigten die Richter am Freitagabend in Lüneburg die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover vom gleichen Tag.

Dieses sei zutreffend davon ausgegangen, dass die von der Polizeidirektion angeführten Gründe ein vollständiges Verbot der Versammlung nicht rechtfertigten, teilte das Oberverwaltungsgericht mit. Die Polizeidirektion als Versammlungsbehörde kann nun noch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Man berate über das weitere Vorgehen, sagte ein Polizeisprecher am Abend.

Die Polizeidirektion Hannover hatte die Demo unter Verweis auf eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Sicherheit verboten. Die NPD legte dagegen Klage beim Verwaltungsgericht Hannover ein - mit Erfolg. Das Gericht entschied, dass ein Totalverbot der Demo nicht verhältnismäßig sei. Gegen diese Entscheidung wiederum legte die Polizeidirektion Hannover Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein. Die Neonazi-Demo richtet sich unter anderem gegen den NDR-Journalisten Julian Feldmann, der über die rechtsextreme Szene berichtet.

Vierstellige Zahl an Gegendemonstranten erwartet

Der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts argumentierte, es lägen keine erkennbaren Umstände dafür vor, dass durch die Demonstration "eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei". Die Versammlung beeinträchtige auch nicht in unverhältnismäßiger Weise die Pressefreiheit.

Zu mehreren Gegendemonstrationen wird in Hannover am Samstag insgesamt eine vierstellige Zahl von Teilnehmern erwartet. Auf der Hauptkundgebung vom Bündnis "Bunt statt Braun" will am Nachmittag Innenminister Boris Pistorius (SPD) reden. Er hatte zuvor bereits Drohungen von Rechtsextremisten gegen Andersdenkende und Journalisten verurteilt. "Das alles führt zu einem Klima, das unsere Gesellschaft nachhaltig schädigt."

Als Reaktion auf die NPD-Aktion hatten in der vergangenen Woche bereits Journalisten, Medienhäuser und Verbände den Aufruf "Schützt die Pressefreiheit!" veröffentlicht. In dem Aufruf zahlreicher Journalisten, Chefredaktionen und Verbände werden Presserat, Verleger und Redaktionen aufgefordert, sich mit bedrohten Kollegen solidarisch zu zeigen. Die Politik sei gefragt, Journalisten besser zu schützen.

Bildunterschrift: NPD-Demo (Archivbild).

_______________________________________________


Der Tagesspiegel Online, 22.11.2019:

Streit über Rechtsextremen-Demo in Hannover / Die NPD ist auch im Niedergang noch eine Gefahr

22.11.2019 - 11.22 Uhr

Die NPD steckt tief in der Krise, provoziert aber weiter - nun will sie gegen Journalisten demonstrieren. Die Verzweiflung führt jedoch auch zu kuriosen Ideen.

Von Frank Jansen

Das Siechtum der NPD wirkt unaufhaltsam, dennoch erregt sie jetzt Aufmerksamkeit. Die rechtsextreme Partei will am Sonnabend in Hannover gegen den NDR-Journalisten Julian Feldmann und weitere Reporter demonstrieren. Die Empörung darüber ist groß und erfasst auch den Landtag. Auf Anfrage der Grünen äußerte kündigte Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) eine Prüfung an. Die Gewerkschaft ver.di und die Grüne Jugend Hannover rufen zu Gegendemonstrationen auf.

Verfassungsfeinde ziehen vors Verfassungsgericht

Es gebe "eine hohe Emotionalität", sagte eine Sprecherin der Polizei dem Tagesspiegel. Am späten Donnerstagabend wurde schließlich der Aufmarsch von der Polizei verboten. Neue Quellen hätten zu der Einschätzung geführt, dass von der Versammlung eine "unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Sicherheit" ausgehe.

Doch auch ein Verbot bedeutet vermutlich noch nicht, dass die Demonstration unterbleibt. Die Rechtsextremen klagen jetzt vor dem Verwaltungsgericht gegen die Entscheidung, in der Vergangenheit scheuten sie auch nicht den Gang zum Bundesverfassungsgericht.

Der Fall zeugt von einer bizarren Dynamik in den Resten der NPD. Je mehr die Partei schwächelt, desto schriller tritt sie auf. Mit einer Demonstration gezielt einen Journalisten als Feindbild zu markieren, ist selbst für NPD-Verhältnisse ungewöhnlich. Julian Feldmann, der schon länger von Neonazis angefeindet wird, hat wegen eines Beitrags im Magazin "Panorama" über den ehemaligen SS-Mann Karl M. zusätzlichen Hass auf sich gezogen. Der Film wurde im November 2018 gesendet, doch die Szene schäumt noch immer. Im Beitrag befragt Feldmann den Alt-Nazi, der 1944 an einem Massaker in Frankreich beteiligt war, aber einer Strafe entging. Dem Journalisten sagte Karl M., er bereue nichts. Dass der inzwischen verstorbene Kriegsverbrecher im Fernsehen vorgeführt wurde, ist für die NPD ein Sakrileg. Doch in der Wut macht sie Fehler.

Im Demo-Aufruf war erst von "Gerechtigkeit" für M. die Rede. In einer weiteren Version geht es jedoch um "Rache für Karl". Eine Steilvorlage für den Innenminister. "Rache ist der unverhohlene Aufruf, sich an jemandem zu rächen, und das geht nun mal nur mit Gewalt und Bedrohung", sagte Pistorius im Landtag. Die Rechtsextremen haben mit dem Aufruf zur Rache an einem Journalisten ein Argument für ein Verbot der Demo geliefert.

"Stimmenkonto" um 90 Prozent verringert

Trotz der Schlagzeilen kann die NPD kaum hoffen, den Niedergang aufzuhalten. Kurz vor dem 55. Jahrestag ihrer Gründung steckt die älteste rechtsextreme Partei in der Bundesrepublik in einer existenziellen Krise. Bei den Wahlen in diesem Jahr scheiterte die NPD regelmäßig an der Ein-Prozent-Hürde zur staatlichen Teilfinanzierung. Bei der Europa-Wahl büßte die Partei auch ihren einzigen Abgeordneten ein. Udo Voigt musste das Parlament in Straßburg verlassen. In Brandenburg trat die Partei gar nicht an. Wesentlicher Grund für die Debakel: Die AfD drückt die NPD an die Wand.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in einer Analyse, das "Stimmenkonto" der NPD habe sich 2019 um 90 Prozent verringert. Das bedeutet einen Verlust von 400.000 Euro Staatsgeldern. Und beim Bundesverfassungsgericht liegt der Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, der NPD jede finanzielle Förderung aus Steuermitteln zu entziehen. Vermutlich werden die Richter in Karlsruhe im kommenden Jahr den Fall verhandeln.

Verzweiflung führt zu kuriosen Ideen

Das Risiko, dass die Antragsteller scheitern wie bei den zwei Verbotsverfahren gegen die NPD, erscheint kalkulierbar. Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte im Januar 2017 im Vorwort zum Urteil im zweiten Verbotsverfahren angeregt, die staatliche Teilfinanzierung für verfassungsfeindliche Parteien zu überprüfen. Der Bundestag änderte dann im Juni 2017 das Grundgesetz.

Die NPD verzweifelt an ihrer desolaten Lage, das führt zu kuriosen Ideen. Der Chefredakteur der Parteizeitung "Deutsche Stimme", Peter Schreiber, hat jetzt vorgeschlagen, sich vom Namen "NPD" zu verabschieden.

Bildunterschrift: Rechtsextremer Protest: Im Juni marschierte der NPD-Nachwuchs "Junge Nationaldemokraten" durch Chemnitz.

_______________________________________________


Deutschlandradio, 22.11.2019:

Hannover / Polizei verbietet NPD-Kundgebung gegen Journalisten

Ein für morgen in Hannover geplanter Protest der rechtsextremen NPD gegen drei Journalisten ist verboten worden.

Die Polizei der niedersächsischen Landeshauptstadt hält eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit für möglich. Konkret wurde auf Aktivitäten in Sozialen Medien verwiesen. Niedersachsens Innenminister Pistorius erklärte, er hoffe, dass die Entscheidung vor Gericht standhalte. Angesichts der neuen Gefährdungsbewertung sei das Verbot richtig und angemessen. Die NPD kann die Entscheidung beim Verwaltungsgericht anfechten. Als Reaktion auf die geplante Kundgebung hatten Journalisten, Medienhäuser und Verbände einen Aufruf zum Schutz der Pressefreiheit veröffentlicht. Darin forderten sie Verleger und Redaktionen auf, sich mit den bedrohten Kollegen solidarisch zu zeigen.

Bildunterschrift: Ein Anhänger der NPD.

_______________________________________________


die tageszeitung Online, 22.11.2019:

NPD-Demonstration gegen Journalisten / Ich bin die "linke Sau"

22.11.2019 - 15.05 Uhr

Kommentar von Andreas Speit, Autor

Die für Samstag angekündigte Aktion der NPD ist als gezielte Grenzüberschreitung geplant. In der Bundesrepublik werden nach den Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz täglich statistisch betrachtet 50 Straf- und Gewalttaten von rechts verübt. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Denn nicht alle Betroffenen wenden sich an die Polizei.

Die wenigsten direkt Angegriffenen sind Journalistinnen / Journalisten. Mit dem geplanten Aufmarsch gegen anfänglich einen Journalisten hat die Anfeindung der Medien jedoch eine neue Dimension der Bedrohung und Einschüchterung erreicht. Die Polizei untersagte den Aufmarsch, doch das Verwaltungsgericht hat das Verbot am Freitag nach einer Klage und einem Eilantrag der NPD wieder aufgehoben.

In einem jüngeren Aufruf für die Demonstration hat die NPD weitere Personen namentlich angeführt, gegen die sich die Demonstration richten soll. Einer von diesen neu hinzugekommenen Personen bin ich.

In den vergangenen Jahren tauchte mein Name schon öfter mal in unschönen und bedrohlichen Zusammenhängen auf - auch in Verbindungen mit verklausulierten Morddrohungen in einschlägigen Sozialen Netzwerken.

Nach dem zufälligen Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 schrieb ein militanter Rechtsextremer etwa sinngemäß, dass der NSU nichts mit seiner Szene zu tun habe, andernfalls wären meine Kollegin Andrea Röpke und ich schon tot.

Verdrängte Morddrohung

Röpke und ich haben zusammen verschiedene Bücher zu der Thematik verfasst. 2009 gab es schon mal eine etwas anders formulierte Morddrohung gegen mich. Ein Kollege vom NDR erinnerte mich in den vergangenen Tagen daran, er selbst wurde auch so bedroht. Ich hatte diese Morddrohung von 2009 vergessen - oder wohl eher verdrängt. Das ist notwendig, um mich zu schützen, auch davor, mich an die körperlichen Attacken während meiner Recherchen zu erinnern.

Die freie Presse war schon immer einer "der Feinde" der rechtsextremen Szene. Wurde schon früh als "Judenpresse" angefeindet. Die Listen mit den Daten, die heute mit Hilfe Sozialer Netzwerke über Journalistinnen / Journalisten zusammengestellt werden, sind keine neue Erfindung, diese Listen wurden früher nur eben mit den damaligen Techniken angelegt. Und mit dem Aufstieg der AfD sind die Anfeindungen gegen die "Lügenpresse" nicht bloß stärker und lauter, sondern auch aggressiver und vulgärer geworden. Die Anonymität des Netzes enthemmt stetig. Ich bin ein "Schwuler", eine "linke Sau", ein "Wichtel" und und und. Die Kolleginnen erleben noch ganz andere sexistische Anfeindungen.

Viel Feind, viel Ehr, darf gedacht werden. Aber es darf nicht vergessen werden: sie schießen. Worte sind eben nicht bloß Worte. Das tödliche Attentat auf Walter Lübcke hat gezeigt, dass Rechtsextremisten Repräsentanten des verhassten Systems angreifen - und eben auch Journalistinnen / Journalisten und ich selbst gehören für sie fest dazu.

Um mit dieser Gefahr zu leben, reicht das bloße Verdrängen nicht. Ich muss Schutzmaßnahmen ergreifen; vor allem aber helfen mir der Zusammenhalt im privaten Bereich und die Kollegialität im beruflichen Umfeld - und die Solidarität bei aktuellen Bedrohungen.

Die breite Solidarität anlässlich des angekündigten Marsches in Hannover beeindruckt und ermutigt mich. Sie ist auch ein Statement für die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus. Eine Solidarität, die die Opfer des NSU allerdings nicht nachhaltig erfuhren. Eine Solidarisierung, die hoffentlich die kommenden Oper des rechten Terrors jenseits der Medien erfahren werden. Und die Taten werden kommen, treffen können sie jeden ausgemachten Feind.

Andreas Speit

Rechtsextremismus-Experte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne "Der rechte Rand". Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "Ton angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: mit Andrea Röpke "Mädelsache" (2011), mit Martin Langebach "Europas radikale Rechte" (2013). Im Erscheinen begriffen "Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt".

_______________________________________________


Störungsmelder, 22.11.2019:

"Wir töten dich!"

22.11.2019 - 08.58 Uhr

Eine Morddrohung an der Haustür, Essig im Briefkasten, eine geplante Demonstration gegen ihn: Ein Autor des Störungsmelders wird von Neonazis verfolgt und bedroht. Hier schreibt er über sein Leben im Fadenkreuz der Szene.

Von David Janzen

Es ist Sonntag, der 30. Juni. Ich bin spät dran zu einem Termin und eile das Treppenhaus hinunter. An der Haustür stocke ich: Da kleben Aufkleber und etwas wurde in schwarzer Schrift auf das Glas geschrieben. Die Aufkleber erkenne ich sofort: Sie zeigen einen Schlagring, das Logo der neonazistischen Kampf- und Sportgemeinschaft Adrenalin Braunschweig. Ein bisschen länger dauert es, bis ich wahrnehme, was an der Tür steht: "Wir töten dich! Janzen". Ich schlucke und denke: "Das ist eine Morddrohung. Was mache ich jetzt?"

Seit vielen Jahren berichte ich als Fachjournalist über die rechte Szene, ich engagiere mich in antifaschistischen Initiativen und stehe als Pressesprecher des Bündnisses gegen Rechts Braunschweig in der Öffentlichkeit - und damit auch im Fadenkreuz von Neonazis. An diesem Samstag wollten die Rechtsextremen noch weiter gehen und ihren Hass gegen unliebsame Medien vor aller Augen zeigen: In Hannover hatte die NPD eine Demonstration gegen die Arbeit von drei Journalisten angemeldet - Julian Feldmann, André Aden und mir. Erst am Donnerstagabend hatte die örtliche Polizeidirektion den Aufmarsch praktisch in letzter Minute verboten.

"War das dein Kind?"

Die Neonazis aus der Region kennen mich. Sie zeigen immer wieder, dass sie mich im Blick haben. Meist sind die Drohungen eher subtil - und damit kaum strafbar: "Du wohnst doch in der XY-Straße, wir kommen da mal auf einen Kaffee vorbei", "Fährst du noch das silberne Auto mit dem Kennzeichen XYZ?" oder "War das eigentlich dein Kind, mit dem wir dich gestern beim Einkaufen gesehen haben?". Man lernt, damit umzugehen, trifft Sicherheitsvorkehrungen und gewöhnt sich leider auch ein bisschen daran.

Doch dieses Mal, im Juni, ist das nicht einer der üblichen Anfeindungen - sondern eine eindeutige Morddrohung, direkt an der eigenen Haustür. Ich laufe zurück in die Wohnung. Aufgeregt erzähle ich meiner Lebensgefährtin, was an der Tür steht, und rufe die Polizei. Dann eile ich zum Termin.

Zwei Polizisten kommen, schauen sich das Ganze mit meiner Partnerin an und machen Fotos. Die Aufkleber lassen sie dran, Fingerabdrücke nehmen sie nicht. Meine Lebensgefährtin fragt, ob sie nicht Spuren sichern wollen. Die beiden verneinen - das sei nicht üblich bei so etwas. Am Telefon berichtet sie mir, dass sie den Eindruck hatte, dass die Beamten die Sache nicht sonderlich ernst genommen haben.

Da draußen sind Neonazis mit Waffen unterwegs

Ich nehme den Vorfall ernst. Wenige Wochen zuvor war in Kassel der Regierungspräsident Walter Lübke vor seinem Haus erschossen worden. Ein Neonazi von Adrenalin Braunschweig drohte kurz danach in einem Video: "Heute Walter, morgen Janzen!"

Natürlich fragt man sich da: Welche Bedeutung hat eine solche Drohung? Wollen die mich "nur" einschüchtern, mir Angst einjagen? Oder läuft da draußen jemand herum, der mich wirklich töten würde? Dass scharfe Waffen in der militanten Neonazi-Szene kursieren, ist kein Geheimnis. In Niedersachsen besitzt ein Dutzend Neonazis diese sogar ganz legal. Auch ein mutmaßlicher Helfer des Verdächtigen im Mordfall Lübcke hatte einen Waffenschein.

Es sagt sich leicht, dass man sich nicht einschüchtern lässt. In Interviews betone ich, dass mich die Drohungen in meiner Arbeit und meinem Engagement eher bestärken. Doch die Sorgen und Ängste sind da, lassen sich nicht einfach wegreden. Gerade, wenn man Familie, wenn man Kinder hat.

Erst später tut sich etwas

Ich beschließe, den Fall öffentlich zu machen, und twittere ein Bild der Tür. Gleichzeitig informiere ich die Medien und eine Landtagsabgeordnete. Die verspricht, sich direkt an den Innenminister zu wenden.

Dann kommt Bewegung in die Sache. Zwei Stunden später kommt erneut die Polizei, diesmal mit mehreren Streifenwagen. Die Beamten sichern Spuren, befragen Nachbarn und Nachbarinnen. Da haben wir allerdings die Tür schon gereinigt. Nur die Aufkleber haben wir aufgehoben. Noch am gleichen Tag gibt es eine Hausdurchsuchung bei einem Verdächtigen.

Ab da steht die Polizei mit einem Wagen rund um die Uhr vor unserer Wohnung. Informiert über diese Schutzmaßnahme werden wir allerdings nicht. Verhaltenstipps oder eine Gefährdungseinschätzung bekomme ich nicht. Auch als nach etwas mehr als einer Woche keine Polizei mehr sichtbar vor der Tür steht, informiert man uns nicht - obwohl wir darum gebeten hatten. Später versichert mir der Chef der Kriminalpolizei, dass es weiter Schutzmaßnahmen gibt und ich keine weiteren Straftaten der Neonazis mehr zu erwarten hätte.

Wir sind nicht allein

Inzwischen ist die öffentliche Aufmerksamkeit groß, der Landtag beschäftigt sich mit der Drohung, in Braunschweig gehen Hunderte Menschen gegen rechten Terror auf die Straße, der Oberbürgermeister spricht, Landtags- und Bundestagsabgeordnete bekunden ihre Solidarität mit mir. Wildfremde Menschen melden sich und bieten an, dass ich mit meiner Familie bei ihnen unterkommen könnte. Diese Signale sind für mich und meine Familie sehr wichtig, sie machen Mut und geben uns das Gefühl, dass wir nicht allein sind.

Doch wie geht es Betroffenen rechter Drohungen und Gewalt, die nicht die Möglichkeit haben, an die Öffentlichkeit zu gehen? Menschen, die nicht privilegiert sind und nicht über Netzwerke in Medien und Politik verfügen wie ich? Wie geht es denen, die nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen und die sich ohnmächtig fühlen, weil sie das Gefühl haben, dass sie nicht ernst genommen werden?

Die Aktionen der Neonazis gegen mich gehen weiter: Als Anfang September das Bündnis gegen Rechts sein 20-jähriges Bestehen mit einem Fest in der Innenstadt feiert, tauchen in der Nacht zuvor Hunderte Aufkleber einer "Anti-Antifa Braunschweig" mit einem Foto von mir und einem diffamierenden Text auf. "Lügen, Hetze und Gewalt" hätte ich zu verantworten, heißt es darauf.

Ein neuer Angriff

Wenige Wochen später liegt eines Morgens ein Flyer der Partei Die Rechte in meinem Briefkasten, darauf gekritzelt ein Smiley. An der Haustür kleben rechte Aufkleber. Zwei Tage später tauchen wieder Sticker dort auf. Am Abend komme ich mit meiner Familie nach Hause. Die Tür ist mit einer roten, zähflüssigen Substanz beschmiert. Was auf den ersten Blick aussieht wie Blut, stellt sich später als Ketchup heraus. Ich schaue in den Briefkasten, dort ist alles nass. Es riecht nach Essig, meine Augen beginnen zu tränen, die Haut brennt. Essigsäure, vermute ich und rufe abermals die Polizei. Dieses Mal kommt gleich die Spurensicherung.

Der Zeitpunkt der Attacke dürfte kein Zufall sein: An diesem Tag hatte die niedersächsische NPD den Aufruf zur Demonstration gegen mich und die beiden anderen Journalisten veröffentlicht. Ein bisschen mulmig ist mir schon zumute, wenn ich darüber nachdenke, am Samstag wie immer die Demonstration der NPD zu begleiten und Fotos zu machen. Mut macht da der Aufruf, den über 450 Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffende, Redaktionen und Journalistenverbände unterzeichnet haben. Ein überwältigendes Zeichen der Solidarität mit uns drei Fachjournalisten.

Die Abschreckung wirkt nicht

Am Tag nach dem Vorfall lese ich in der Zeitung die Äußerungen eines Polizeisprechers, der sagt, es handele sich vermutlich nicht um Säure, sondern lediglich um Essig. Der Fall sei auch keine Sachbeschädigung, da ich ja alles einfach abgewischt hätte und keine Schäden entstanden seien. Für mich klingt das wie eine Verharmlosung. Für den oder die Täter ist es offensichtlich wie eine Aufforderung, weiterzumachen: Zwei Tage später wird nachts wieder Ketchup an die Tür geschmiert. Dass die Polizei regelmäßig mit einer Streife vorbeischaut und die Tür in Augenschein nimmt, war anscheinend nicht besonders abschreckend.

Wenige Tage später gibt es dann endlich eine Erfolgsmeldung der Polizei: Bei einer Hausdurchsuchung habe man ausreichend Beweismittel sichergestellt und werde den Fall jetzt der Staatsanwaltschaft übergeben. Der Neonazi, den die Polizei jetzt als Täter verdächtigt, ist regelmäßig an Aktivitäten der NPD und deren Jugendorganisation Junge Nationalisten beteiligt, trat als Ordner bei einem Landesparteitag auf.

Das Verfahren wegen der Drohung "Heute Walter, morgen Janzen!" gegen einen anderen Neonazi hat die Staatsanwaltschaft allerdings bereits eingestellt. Der Täter sei wegen anderer Delikte verurteilt worden, teilt mir die Behörde mit. Eine mögliche Strafe wegen dieser Drohung falle da nicht mehr ins Gewicht.

Bildunterschrift: Neonazis beschmierten die Tür unseres Autors mit einer Morddrohung.

Bildunterschrift: Ein Aufkleber in Braunschweig, der den Autor diffamiert.

Bildunterschrift: Die mit Ketchup beschmierte Haustür.

_______________________________________________


Blick nach Rechts, 22.11.2019:

NPD-nahe "Bürgerinitiative"

Die rechtsextreme "BIA-Nürnberg" will am 20. März nächsten Jahres wieder in den Nürnberger Stadtrat einziehen.

Für die NPD-nahe "Bürgerinitiative Ausländerstopp Nürnberg" (BIA-Nürnberg) ziehen Fridrich Luft (Jg. 1963) als OB-Kandidat und Ralf Ollert (Jg. 1960) auf Platz 1 der Stadtratsliste der BIA in den Kommunalwahlkampf um das Nürnberger Rathaus. Die "BIA-Nürnberg" war Ende Juli 2001 von Mitgliedern und Sympathisanten der NPD als parteiübergreifende Plattform für die Kommunalwahl 2002 gegründet worden. Bei den Kommunalwahlen im März 2014 war die ausländerfeindliche "BIA-Nürnberg" zum dritten Mal in Folge in den Stadtrat eingezogen. Sie erhielt 3,1 Prozent der Stimmen (2008: 3,3 Prozent) und stellt damit weiterhin zwei Stadträte.

Neben dem vormaligen langjährigen bayerischen NPD-Landesvorsitzenden Ollert, der bereits zum dritten Mal in den Stadtrat gewählt wurde, war Luft für die BIA-Nürnberg neu in das Kommunalparlament eingezogen. In seiner Antrittsrede führte Luft aus: "Ich vertrete die Nürnberger Bürgerinnen und Bürger, die "Multikulti" nicht als höchste Entwicklungsstufe der Menschheit ansehen."

"Fusion" mit Österreich gefordert

Im Oktober 2015 hatte Luft auf dem Facebook-Profil der BIA-Nürnberg "10 Thesen" veröffentlicht, in denen er unter anderem Verhandlungen über eine "Fusion" Deutschlands mit Österreich forderte, mit dem Ziel, "eine Republik Deutschland mit der Hauptstadt Wien" zu bilden. Am 9. April 2016 trat Luft bei einer Kundgebung der Neonazi-Kleinstpartei "Die Rechte" in Nürnberg als Redner auf.

Bei der Kommunalwahl 2014 warb die "BIA-Nürnberg" mit plumpen Parolen wie "Nürnberg muss eine wohnliche deutsche Stadt bleiben. Wir sollten weder ein Einwanderungsland, noch das Sozialamt der ganzen Welt sein." Luft hatte während des Wahlkampfs den demokratischen Parteien die "mutwillige Zerstörung des deutschen Sozialsystems" vorgeworfen. (am)

Bildunterschrift: Rechtsextreme Kommunalpolitiker in Nürnberg (Screenshot).

_______________________________________________


Westfalen-Blatt, 22.11.2019:

AfD soll Haltung zu Identitären klären / Parteitag in Braunschweig: Tritt Gauland doch noch an?

Berlin (dpa). Die AfD soll nach dem Wunsch einiger Mitglieder auf ihrem Bundesparteitag entscheiden, ob Anhänger der Identitären Bewegung künftig in die Partei aufgenommen werden dürfen.

Das steht in einem Antrag für den Parteitag in Braunschweig am 30. November, der nach Angaben aus Parteikreisen unter anderem von Landtagsabgeordneten aus Baden-Württemberg unterstützt wird. Darin heißt es: "Die Identitäre Bewegung Deutschlands besteht aus vielen jungen Patrioten, die sich, genau wie die AfD aus Sorge vor der Zukunft Deutschlands gegründet hat." Die Bewegung müsse daher von der so genannten Unvereinbarkeitsliste der Partei gestrichen werden. Derzeit gilt: Wer den Identitären, der NPD oder anderen Gruppierungen, die auf dieser Liste stehen, angehört hat, darf nicht Mitglied der AfD sein.

Ein zweiter Antrag sieht gleich die Abschaffung der ganzen Liste vor. "Ich hielte das für einen Fehler", sagte Parteivize Georg Pazderski auf Anfrage. Die Liste habe sich bewährt. Die rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst erklärte: "Ich glaube, das ist nicht mehrheitsfähig."

Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 wird die Identitäre Bewegung (IBD) als "Verdachtsfall" geführt. Im vergangenen Juli teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz dann mit, es stufe die Identitären inzwischen als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung" ein. Dazu ist noch ein Rechtsstreit zwischen der Behörde und der Bewegung anhängig. Die IBD warnt unter anderem vor einem "Bevölkerungsaustausch" in Europa. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte im vergangenen Juli, die IBD-Anhänger "reden von Überfremdung, erhöhen ihre eigene Identität, um andere abzuwerten, und schüren gezielt Feindbilder".

Die AfD wählt auf ihrem zweitägigen Parteitag einen neuen Parteivorstand. Als aussichtsreiche Kandidaten für die beiden Spitzenposten gelten der aktuelle Co-Vorsitzende Jörg Meuthen und der sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla, der auch die Unterstützung des rechtsnationalen "Flügels" hat.

Allerdings behält sich auch der bisherige Co-Vorsitzende Alexander Gauland vor, erneut für einen der beiden Spitzenposten zu kandidieren. Der 78-Jährige will nach eigenem Bekunden aber nur antreten, falls sich ein Kandidat melden sollte, den er als Parteivorsitzenden unbedingt verhindern will - so wie im Dezember 2017. Damals wäre Doris von Sayn-Wittgenstein um ein Haar zur Parteichefin an der Seite Meuthens gewählt worden. Sie wurde inzwischen aus der Partei ausgeschlossen. Meuthen war 2017 in Hannover ohne Gegenkandidaten mit 72 Prozent der Stimmen gewählt worden. Diesmal könnte er eine Konkurrentin haben. Abgeordnete Höchst, die auf Twitter gegen "Staatsfunk und Erziehungspresse" wettert, sagt zu einer möglichen Kandidatur für den Vorsitz: "Ich ziehe das tatsächlich in Erwägung". Ihre Gespräche mit möglichen Unterstützern seien aber noch nicht abgeschlossen.

Dass der "Flügel"-Gründer und Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke in Braunschweig selbst kandidiert, hält man in Parteikreisen für sehr unwahrscheinlich. Zu den "Flügel"-Anhängern, die antreten dürften, zählen der Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz und der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann. Beide gehören dem aktuellen Parteivorstand an.

Bildunterschrift: Das Logo der Identitären Bewegung.

_______________________________________________


Blick nach Rechts, 22.11.2019:

Rechte Burschenschaft im Fokus

Von Anton Maegerle

Das bayerische Innenministerium hat die Akademische Burschenschaft "Markomannia Wien zu Deggendorf" ins Visier genommen.

In der Sitzung des Innenausschusses des Bayerischen Landtags am 6. November erhielten die Abgeordneten die Auskunft, dass der Verfassungsschutz des Freistaats nach der rechtsextremen Münchner "Burschenschaft Danubia" nun auch die Akademische Burschenschaft "Markomannia Wien zu Deggendorf" ins Visier genommen hat. "Unser Antrag, die extrem rechte Burschenschaft‚ Markomannia Wien zu Deggendorf durch den Verfassungsschutz zu beobachten, ist im allerbesten Wortsinn erledigt", freut sich Katharina Schulze, Fraktionschefin und innenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen. Darauf, dass die Akademische Burschenschaft "Markomannia Wien zu Deggendorf" "bestens in der extremen Rechten vernetzt" sei, hatten die Landtags-Grünen in ihrem Antrag vom 10. Oktober hingewiesen.

Gemeinsame Mensuren mit der "Danubia"

Noch mit Schreiben vom 6. September räumte das bayerische Innenministerium auf eine Anfrage von Grünen-Landtagsabgeordneten lediglich "Überschneidungen der Aktivitas" der "Markomannen" zur "rechtsextremistischen Szene" und "Verbindungen zwischen der Burschenschaft und der Identitären Bewegung". Jedoch beobachtet und explizit als rechtsextrem bewertet wurde aber nur die Münchner "Burschenschaft Danubia". Letztere und die "Markomannen" halten gemeinsame Mensuren ab. Kontakte pflegen die "Markomannen" auch zu den Burschenschaften "Thessalia zu Prag in Bayreuth" und "Germania Salzburg".

Die Burschenschaft "Markomannia Wien zu Deggendorf" ist Mitglied der "Deutschen Burschenschaften" (DB) und der völkischen "Burschenschaftlichen Gemeinschaft" (BG). Schwerpunkt der Aktivitäten der "Markomannen" ist neben Deggendorf auch Passau.

"Sammelbecken verschiedener rechtsextremer Strömungen"

Eigenangaben zufolge stehen die Markomannen "für ideelle Werte statt westlichen Konsumwahn und Hedonismus" sowie "für Heimatbewusstsein statt globaler Gleichmacherei!". Dem Polizeipräsidium Niederbayern sind acht Angehörige der Burschenschaft bekannt.

"Die Markomannia fungiert als Sammelbecken verschiedener rechtsextremer Strömungen", erläutert der Grünen-Sprecher gegen Rechtsextremismus, Cemal Bozoglu. In ihr seien sowohl Funktionäre der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" organisiert, wie der ehemalige Bundeswehrsoldat Tobias Lipski, der wegen seiner rechtsextremen Aktivitäten aus der Bundeswehrhochschule in München geschmissen wurde, als auch ehemalige NPD-Funktionäre, wie Alexander Salomon, der frühere Mitarbeiter beim Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz, rechte Hooligans und Mitglieder der "Identitären Bewegung" (IB). Auch die Gründungsveranstaltung der Ortsgruppen Passau und Deggendorf der "Identitären" Ende 2016 fand in den Räumlichkeiten der "Markomannia" in Deggendorf statt.

Versuch der Unterwanderung

Aktiv waren Markomannen auch in Sachen "Anti-Antifa". So soll von Burschenschaftern in Deggendorf versucht worden sein, studentische Vereine an der dortigen Technischen Hochschule zu unterwandern. Mit dieser Aktion wollte man offenbar die "Liste unabhängiger Student*innen" (Hochschulgruppe LUKS) diskreditieren und so die Entziehung ihrer Akkreditierung an der Universität erreichen.

Im April dieses Jahres nahmen Angehörige der Burschenschaft an einem Vortrag von Götz Kubitschek in Cottbus teil. Der neurechte Stratege referierte dabei zum Thema "Hauptgegner, Nebengegner".

Bildunterschrift: Die "Markomannia" hat beste Kontakte zur extremen Rechten (Screenshot).

_______________________________________________


die tageszeitung Online, 22.11.2019:

Völkische Expansion / Neonazis suchen Lebensraum

In Mecklenburg und in der Lüneburger Heide setzen sich rechte Siedler fest. Wie kann man damit umgehen?

Andreas Speit

Hamburg (taz). Berühmt wurde das Dorf Jamel mit einem Foto. Es zeigt eine Garagenwand, auf der in Frakturschrift steht: "Dorfgemeinschaft Jamel. frei - sozial - national". Daneben ist eine idealisierte blonde Familie aufgemalt. Der Ort wurde als "Nazi-Dorf" bekannt, den Ton gibt dort Sven Krüger an, der sich schon als Jugendlicher in der rechtsextremen Subkultur zwischen Kameradschafts- und Rechtsrock-Szene bewegte. Krüger ist es gelungen, in dem nahe der Lübecker Bucht gelegenen Dorf nach und nach Kameraden anzusiedeln. Bei einer bekannten Nazi-Gegnerin im Dorf brannte die Scheune ab.

Jamel ist ein Beispiel für die Strategie der rechten Szene, neue Räume zu erobern. Die Motive für die völkische Landnahme sind verschieden, doch die Landnehmer eint der Glaube, eine Kulturrevolution gegen den "Großen Austausch" der "autochthonen" Bevölkerung zu führen und eine "Islamisierung" der eigenen Heimat zu verhindern.

Völkische Ökos

Südlich von Rostock, in der Umgebung von Teterow und Güstrow, wollen zugezogene Familien die Ideen der "Artamanen" wiederbeleben. Schon 1923 hatte der Gründer der Bewegung, Willibald Hentschel, ein "Zurück zur Scholle" propagiert, um der Landflucht und im Osten der befürchteten Besiedlung durch "die Polen" entgegenzuwirken. Die alternativ-ökologischen Ideen verwob er mit arischen Rassezüchtungs-Vorstellungen.

In den 1990er-Jahren entstanden in der Region die ersten Artamanen-Höfe. Auf den Bildern von damals sehen die rechten Siedler wie linke Aussteiger aus. Nur ein kleiner Wimpel mit Hakenkreuz offenbart ihre Weltsicht. "Wir dachten, das sind Ökos, also Linke", sagen Anwohner heute. Manche Neo-Artamanen versuchen, beruflich in Bio-Netzwerken Fuß zu fassen. Einige stehen der AfD nahe.

Hotspot der NPD-Kader

Ein weiteres Zentrum der rechten Siedlerbewegung ist die Gegend um Lübtheen, nur wenige Kilometer nördlich des Wendlands gelegen. Nach der Wende zogen vor allem Kader der NPD dorthin, die zweimal in den Schweriner Landtag einzog - den dritten Einzug verhinderte 2016 der Antritt der AfD.

Die NPD-Kader und ihre Jugendorganisation "Junge Nationalisten" sind aber nicht weggezogen, in Mecklenburg-Vorpommern wollen sie weiter Immobilien erwerben und den Zuzug von Anhängen ermöglichen - mit einer Genossenschaft.

Genossenschaft für Volksgenossen

2018 war ein erster Gründungsversuch noch gescheitert, doch in diesem Jahre wurde aus der Kapitalgesellschaft "Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG" die Unternehmergesellschaft "MVSE Objektbetreuung".

Zu den Gesellschaftern gehören laut dem Recherche-Portal "Endstation Rechts" die ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Stefan Köster und David Peterreit, aber auch Tino Streif und Sven Krüger aus Jamel. Die Genossenschaft mit Sitz in Klein Belitz will sich in der Bau- und Immobilienbranche verankern, auch um über Kleinstfirmen die eigenen Netzwerke zu stärken.

Doch die rechten Siedler wollen mehr. Einige von ihnen traten dieses Jahr bei den Kommunalwahlen an, die NPD wurde dabei nicht erwähnt. In Groß Krams bei Lübtheen erreichte der frühere Vorsitzende der NPD-Jugend "Junge Nationalisten", Sebastian Richter, das zweitbeste Wahlergebnis nach dem Bürgermeister. Einen Wahlerfolg erreichte auch Sven Krüger aus Jamel bei der Kommunalwahl. Mit der neu gegründeten "Wählergemeinschaft Heimat" zog der mehrfach vorbestrafte Rechtsextreme in die Gemeindevertretung Gägelow.

Nachbarn und Anwohner vor Ort waren vom Eintritt der Rechten in die Kommunalpolitik oft überrascht. Der Tenor, der vielfach zu hören ist: "Hinter ihrem Gartenzaun, auf ihren Anwesen, sollen die machen was sie wollen." Brauchtumsfeste, 1.Mai- und Kinder­-Events, Hochzeiten nach vermeintlich germanischen Ritualen lösen nicht immer gleich zivilgesellschaftlichen Widerspruch aus.

Völkische Familien in der Heide

In die Politik haben sich die rechten Familien, die seit Jahren in der Lüneburger Heide leben, bisher nicht eingemischt, wohl aber ins Gemeinde- und Vereinsleben. Derzeit versuchen diese völkischen Familien, die seit Generationen rechts außen stehen, weitere Immobilien zu erwerben. Gute Beziehungen bestehen zur AfD und zur NPD. Kinder der Familien sind bei der Identitären Bewegung, die versucht, durch provokante Aktionen auf sich aufmerksam zu machen - und der Stolz von Opa und Oma.

"Lasst die doch in Ruhe", bekamen Mitglieder des "Netzwerk Beherzt" zu hören, als sie anfingen, öffentlich über die rechten Nachbarn in der Lüneburger Heide zu reden. "Sie wollen eben nicht bloß ihre Gesinnung in der Familie oder auf ihrer Grundstück einfach ausleben", betont Martin Raabe, Sprecher des Netzwerkes.

"Erbgesunde Kinder"

Die rechte Szene ist vielgestaltig. So soll in Niedersachsen auch die "Anastasia-Bewegung" nach Siedlungsmöglichkeiten suchen. Seit 2014 findet die aus Russland kommende Bewegung in Deutschland immer mehr Anhänger. Auslöser war eine Buchreihe von Wladimir Megre, der eigentlich Wladimir Usakow heißt. In den zehn Bänden mit Titeln wie "Anastasia - Tochter der Taiga" erzählt Megre von der Begegnung mit einer geheimnisvollen Frau auf einer Geschäftsreise 1994. Diese fiktive Figur, Anastasia, dargestellt mit wallendem blondem Haar, mal nackt, mal mit einem Hauch von Nichts bekleidet, lebt im Einklang mit der Natur und den Tieren.

In dem Epos von Megre wird nicht bloß ein Leben in Familienlandsitz-Siedlungen mit etwa einem Hektar für eine Familie zur Selbstversorgung als Erlösung empfohlen. Auf dem Land sollen Vater und Mutter "erbgesunde Kinder" zeugen. Der Partner dürfte nicht von einer anderen "Rasse" sein. Die Frauen müssen sich keusch verhalten, Sex nur der Zeugung dienen. Homosexualität ist verpönt.

Anastasia ist "unbegreiflich, wie die dunklen Kräfte es schafften, die Frauen ( … ) zu verdummen, dass sie ahnungslos die Männer mit ihren Reizen anziehen" und nicht die "richtigen" Männer wählen. Fatal, auch weil die Anhängerinnen / Anhänger überzeugt sind, dass der erste Sexualpartner einer Frau die später gezeugten Kinder mit prägen würde. Diese These der Telegonie ventilierten Rechte schon im 19. Jahrhundert.

In der esoterisch-völkischen "Anastasia"-Saga taucht im sechsten Band das "jüdische Volk" auf, das "vor den Menschen schuld habe", weil sie versuchten, "alle zu betrügen, vom Jungen bis zum Alten". Ein jüdischer Oberpriester gehöre zu jenen, die die Welt beherrschen.

In Brandenburg und Sachsen-Anhalt bestehen schon erste Siedlungen. Der Erfolg dieser Siedler hängt auch vom Widerstand ab.

Wie rechte Siedler in Mecklenburg vorrücken, lesen Sie in der Wochenendausgabe der taz oder hier:

www.taz.de/Unser-eKiosk/!114771/

Bildunterschrift: Hoch die rechte Fahne: NPD-Anhänger feiern den Tag der Arbeit in Schwerin.

_______________________________________________


zurück