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Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt , 15.11.2018 :

Gugat entschuldigt sich für "Anarchie"-Aussage

Debatte um Polizei: Ratsherr bekräftigt aber Rechtmäßigkeit unangemeldeter Spontandemos

Bielefeld (dro). Keine Anmeldung von Gegendemos, stattdessen "anarchischer" Protest: Das regte Michael Gugat für zukünftige Anti-Nazi-Kundgebungen an. Denn als Bündnis gegen Rechts-Mitglied hatte er sich über den Polizei-Einsatz am Samstag geärgert (die NW berichtete). Gugats Aussage war Zündstoff, Parteien zählen den Ratsherr regelrecht an. Er rudert nun zurück - jedenfalls bei der Wortwahl.

"Diejenigen, deren Gefühle ich verletzt habe, oder die sich dadurch verunsichert fühlen, bitte ich um Verzeihung", berichtet der ehemalige Piraten-Politiker. "Das Wort "Anarchie" ist im Kontext meines Beitrages schlicht blöd und unsinnig und vor allem unpassend. Es entspricht nicht dem, was meine Absicht war auszudrücken." Er rufe nicht zur Anarchie auf. "Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind für mich die höchsten Güter unserer Gemeinschaft und Gesellschaft, die ich seit Jahrzehnten aktiv vertrete und verteidige." Diesen Einsatz werde er fortsetzen.

Gugat führt zudem aus, was er ursprünglich gemeint habe. Laut Bundesverfassungsgericht seien Versammlungsfreiheit-Richtlinien so auszulegen, dass bei Demos, die sich "aus einem aktuellen Anlass augenblicklich bilden" - also Spontandemonstrationen - keine Anmeldepflicht bestehe.

Das heiße: Spontane Demos stünden unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das Bündnis gegen Rechts setze als "verlässlicher Kooperationspartner der Polizei" indes bislang auf angemeldeten, organisierten Protest. Das müsse das Bündnis aber nicht tun. "Das ist meine private Meinung", so Gugat. Ob das in Anarchie ausarten würde? "Auf keinen Fall", so Gugat. Protest am Landgericht oder in Nebenstraßen der Nazi-Route sei auch nicht angemeldet gewesen. "Die Welt ging nicht unter." Die Polizei könne damit umgehen. Von Protest gegen Faschisten könne man grundsätzlich ausgehen - angemeldet oder nicht. Seine Kritik am Vorgehen der Einsatzkräfte erneuert Gugat als Organisator des "Tanzes für Toleranz" am Kesselbrink unterdessen. Die Stimmung sei "feindselig" gewesen, bei der Beschreibung bleibt er. Unter den Nazis seien Gewaltverbrecher gewesen, alle Bilder der Gegendemonstranten würden friedliche "Normalos" zeigen. "Hätte die Polizei mir vorher gesagt, dass sie konkrete Erkenntnisse hat, die rechtfertigen, dass präventiv Panzer gegen "meine" Versammlung gerichtet werden, dann hätte ich diese wahrscheinlich zum Schutz der Teilnehmer abgesagt. Diese Möglichkeit wurde mir nicht gegeben." Gugat: "Wir haben alle viel aufzuarbeiten."

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Bielefeld stellt sich quer - Bündnis gegen Rechts, 11.11.2018:

Pressemitteilung und Stellungnahme

Pressemitteilung und Stellungnahme des "Bündnis gegen Rechts" zu den Demos und dem Polizeieinsatz bei den Demos am 10.11.2018 in Bielefeld

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts bedankt sich bei allen Bielefelderinnen / Bielefeldern, die den Aufrufen zu unseren Kundgebungen und Demonstrationen gefolgt sind. Rund 10.000 Menschen haben erneut ein klares und eindrucksvolles Zeichen für unsere bunte und vielfältige Stadt und gegen Antisemitismus, Holocaust-Leugnung sowie jede Form von Menschenfeindlichkeit gesetzt.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das für alle gilt. Es steht für Demokratinnen / Demokraten nicht zur Disposition, auch wenn es, wie beim gestrigen Aufzug der Neonazis, nur schwer erträglich ist, dass Demokratie-Feinde dieses Grundrecht ebenfalls in Anspruch nehmen.

Wir üben jedoch entschiedene Kritik an Taktik und Strategie der Polizei.

Bereits im Vorfeld hat sie ein Bedrohungsszenarium aufgebaut, um die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und sie von einer Teilnahme an unseren Aktivitäten abzuhalten. Es wurde versucht, legitimen Protest gegen Nazis zu kriminalisieren. Durch den Einsatz von Wasserwerfern, Räumpanzern, Pferdestaffeln und die 1.700, teilweise paramilitärisch ausgerüsteten, Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesgebiet wurde die Innenstadt über mehrere Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt.

Dieses für unsere Stadt bisher beispiellose Einsatzkonzept der Polizei hat viele Bielefelderinnen / Bielefelder sehr verstört. Wir fühlten uns bei den von uns angemeldeten Demonstrationen von der Polizei nicht beschützt, sondern eindeutig feindselig bedroht und kriminalisiert. Räumpanzer und Wasserwerfer waren präventiv auf unsere Demonstrationsteilnehmerinnen / Demonstrationsteilnehmer gerichtet. Die Arbeit von Anwältinnen / Anwälten wurden von Anfang an massiv eingeschränkt, durch Falschinformationen verhindert oder durch rüden Polizeieinsatz unterbunden.

Die im Vorfeld getroffenen Vereinbarungen, damit die Demo-Teilnehmerinnen / -Teilnehmer zu den Kundgebungsstandorten kommen konnten, wurden nicht eingehalten, indem Kontrollstellen früher als zugesagt geschlossen wurden. Auch die vereinbarten Möglichkeiten zwischen den einzelnen Orten wechseln zu können, wurden nicht eingehalten. Wir fühlen uns in unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschnitten. Mehrere tausend Menschen konnten die gewünschten Kundgebungen nicht erreichen. (1)

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts war sowohl in der Vergangenheit, als auch am vergangenen Samstag, ein verlässlicher Veranstalter des zivilgesellschaftlichen Protests, welches gut mit der Polizei kooperiert und stets die Gewähr für den gewaltfreien Verlauf der Veranstaltungen übernommen hat. Wir sehen uns aber nicht als "Servicepartner" der Polizei, damit diese es einfacher hat, Faschisten einen Weg durch die Stadt zu ermöglichen. Mit dem gestrigen Einsatz hat die Polizei der Zivilgesellschaft geschadet und den geübten Weg des Konsenses verlassen.

Wir werden in den nächsten Wochen eine politische und auch gegebenenfalls rechtliche Aufarbeitung des überzogenen, unverhältnismäßigen und unangemessenen Einsatzes der Polizei vorantreiben und über Konsequenzen beraten.

(1) Durch die Sperrzone waren Wechsel zwischen den Versammlungsorten nur nördlich über die Beckhausstraße und südlich über die Sparrenburg-Promenade möglich. Daraus resultieren zum Beispiel folgende unverhältnismäßige und unangemessene Entfernungen:

Bahnhof zum Kesselbrink: circa 4,7 Kilometer über Beckhausstraße, statt circa 200 Meter direkt.

Jahnplatz zum Rathaus: circa 3,0 Kilometer über die Sparrenburg-Promenade, statt circa 200 Meter direkt.


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