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Neue Westfälische - Löhner Nachrichten , 15.12.2017 :

Bewacht mit Bajonett

Erster Weltkrieg: Zahlreiche Kriegsgefangene wurden vor 100 Jahren in Löhne und Bad Oeynhausen in Landwirtschaft, Eisenbahn und Industrie eingesetzt / Der Historiker Philipp Koch arbeitet ihre Geschichte auf

Von Ulf Hanke

Bad Oeynhausen / Löhne. Die beiden Bewacher haben ihre Waffen geschultert und gucken etwas verkniffen in die Kamera. Ihre Bajonette überragen die Soldaten um Kopfeslänge. Ihre Gefangenen stehen erstaunlich lässig daneben vor der Dreschmaschine. Kinder und Jugendliche gesellen sich dazu. Preußische Landsturmmänner und ihre französischen Kriegsgefangenen sind kaum zu unterscheiden. Der Mennighüffener Fotograf Friedrich Schäffer hat die Szene im Kriegsjahr 1916 auf dem benachbarten Hof Wehmeyer in Westscheid für die Nachwelt erhalten.

Sein Foto ist inszenierte Wirklichkeit, die Menschen posieren für den Fotografen. Das Bild ist aber eine Rarität und typisch für die Arbeitssituation zahlreicher Kriegsgefangener vor 100 Jahren in Bad Oeynhausen und Löhne. Dabei ging es sehr wahrscheinlich nicht allen Gefangenen so wie den Menschen auf dem Mennighüffener Hof.

Der Historiker Philipp Koch beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte der Gefangenen des Ersten Weltkriegs und kann ziemlich genau sagen, wo wie viele Gefangene eingesetzt wurden. Für die NW hat Koch, der auch Leiter des Museums Minden ist, einen Blick in übrig gebliebene Schriftstücke geworfen. 139 Arbeitskommandos mit über 500 Arbeitsstellen in Minden, Lübbecke, Halle, Herford und fünf weiteren Kreisen sind im Kommunalarchiv Minden dokumentiert. Koch hat unter anderem eine Sammlung preußischer Parole-Befehle aus dem Stammlager Minderheide in Minden ausgewertet.

Die Gefangenen des Ersten Weltkriegs in Bad Oeynhausen und Löhne waren demnach im Lager Minderheide registriert. Sie lebten in der Regel in Außenlagern und wurden von ihren Bewachern jeden Tag zum Arbeitseinsatz eskortiert. Das Stammlager Minderheide blieb für die Verteilung der Kriegsgefangenen vor Ort zuständig. Im Oktober 1918 waren dort bis zu 25.000 Gefangene registriert. Sie halfen zum Beispiel beim Bau des Mittellandkanals und von Kleinbahn-Gleisstrecken als Lagerverbindung.

Im Deutschen Reich waren 1918 bis zu 2,5 Millionen Menschen als Kriegsgefangene registriert. Über eine Million blieben im Deutschen Reich.

Der Arbeitseinsatz selbst war für die Gefangenen sehr unterschiedlich. Der überwiegende Teil wurde in der Landwirtschaft eingesetzt, so Koch. Viele Gefangene arbeiteten und aßen bei den Bauern. Der Arbeitseinsatz entsprach den Regeln des geltenden Völkerrechts. Koch: "Laut Haager Landkriegsordnung galt Arbeitszwang für Kriegsgefangene."

Allerdings sollten die Gefangenen nach den Regeln des Internationalen Roten Kreuzes "menschlich behandelt" werden. Doch daran hielt sich schon bald keine Kriegspartei mehr. Die deutschen Militärs hatten mit einem schnellen Krieg gerechnet. Deshalb, so Koch, gab es keine Versorgungsstrukturen für viele Gefangene: "Auf der Minderheide gab es nichts." Die Gefangenen verlegten selbst den Stacheldraht, bauten den Zaun, die Lagerbaracken. Die Gefangenen wurden auch in kriegswichtiger Industrie eingesetzt und das entsprach schon nicht mehr unbedingt den Regeln des Völkerrechts.

Nach den Forschungen von Philipp Koch arbeiteten im heutigen Bad Oeynhausen zum Beispiel im "Eisenwerk Weserhütte" 30 Franzosen, zwei Belgier und vier Russen. Nach Rehme waren 20 Franzosen, ein Engländer, 32 Russen, vier Serben und zwei Ukrainer abgeordnet. Der Großteil, nämlich 35 Gefangene, arbeitete für die Eisenbahn, 13 Gefangene in der Landwirtschaft, elf für Handwerksbetriebe und zwei für die Spedition Kisker. In Dehme, wo sich ein Zweiglager des Arbeitslagers Rothenuffeln befand, waren sechs Franzosen, ein Russe und ein Serbe bei Landwirten beschäftigt. In der Weserziegelei Dehme arbeiteten zwei Franzosen.

Für Löhne hat Philipp Koch folgende Zahlen ermittelt: Beim "Rittergutsbesitzer Dr. Blomeier, Gut Beck", also in der Landwirtschaft, arbeiteten 54 Franzosen, ein Belgier, sieben Engländer, zwölf Russen und ein Serbe. In sieben Zweiglagern in Häver, Kirchlengern, Löhne, Mahnen, Stift Quernheim, Ulenburg und Wittel waren insgesamt 65 Kriegsgefangene registriert.

Zur Bewachung wurden in Löhne und Bad Oeynhausen in der Regel Landsturmmänner eingesetzt. Das sind zum Beispiel die beiden Männer mit den Gewehren und den aufgepflanzten Bajonetten auf dem Bild des Mennighüffener Fotografen Friedrich Schäffer.

Die Schriftstücke zeigen, wie gründlich das Kaiserreich Buch über die Kriegsgefangenen führte. Sie erklären aber nicht, wie die Menschen behandelt wurden. Fotos von Kriegsgefangenen auf dem Weg zum Lager Minderheide und vom Lager selbst legen jedoch nah, dass nicht alle Gefangenen gleich behandelt wurden.

Ein aktueller Aufsatz von Philipp Koch zum Thema ist im Druck und erscheint in der Zeitschrift "Westfälische Forschungen" des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL).

Gedenkstätte in der Senne

Schloß Holte-Stukenbrock bekommt womöglich eine Gedenkstätte von nationaler Bedeutung. Das Kriegsgefangenenlager "Stalag 326" und der Sowjetische Soldatenfriedhof erinnern an die grausame Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg. Dieses Lager wurde 1941 am Rand des Truppenübungsplatzes Senne aus dem Nichts von den Kriegsgefangenen selbst errichtet.

Nach den Forschungen von Philipp Koch gab es jedoch schon im Ersten Weltkrieg "Vorgängerlager" in der Senne, in drei Lagern zwischen 1914 und 1918 wurden auch russische Kriegsgefangene interniert. "Mit 73.351 Kriegs- und 2.462 Zivilgefangenen gehörte die Senne zu den drei größten Lagerkomplexen im Deutschen Reich", so Koch: "Eine Gedenkstätte sollte diese Geschichte auch vergleichend thematisieren."

Bildunterschrift: Erforscht Kriegsgefangene: Der Leiter des Mindener Museums, Philipp Koch.


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