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Lippische Landes-Zeitung , 01.02.2017 :

Erinnerung an jüdischen Fabrikanten

Umbenennung: Der Heimat- und Verschönerungsverein schlägt vor, dass ein Teilstück der Neuen Straße in Schötmar den Namen von Hermann Katz tragen soll / Jetzt ist der Ortsausschuss gefragt

Von Stefan Backe

Bad Salzuflen-Schötmar. Der Ortsausschuss Schötmar kann in seiner Sitzung am morgigen Donnerstag ein Novum beschließen. Folgen die Mitglieder einem Antrag des Heimat- und Verschönerungsvereins Bad Salzuflen, würde erstmals eine Straße in der Großgemeinde nach einem ehemaligen jüdischen Mitbürger benannt.

Die Hermann-Katz-Straße - so der Vorschlag - soll laut Heimatverein künftig jenen Teil der Neuen Straße in Schötmar bezeichnen, der jenseits der Schülerstraße liegt. Genau hier befand sich nach Angaben des Vorsitzenden Dr. Stefan Wiesekopsieker über viele Jahre die Bürsten- und Besenfabrik Hermann Katz & Co., die ein wichtiges Teilstück des einst florierenden Industriestandorts Schötmar darstellte.

Die jüdischen Eigentümer, Hermann und Emmy Katz, geborene Silberbach, konnten sich kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im August 1939 nach England retten, ihr Sohn Werner war im Jahr zuvor mit einem der so genannten Kindertransporte ebenfalls nach England in Sicherheit gebracht worden. Er lebt heute 89-jährig in London und dürfte vermutlich der letzte überlebende Schötmaraner Jude sein, erklärt Dr. Stefan Wiesekopsieker. "Leider verblasst die Erinnerung an diese Schötmaraner Familie immer mehr", bedauert der Historiker. Geblieben sei nur die Fabrikantenvilla (Schülerstraße 17), die unter Denkmalschutz steht, sowie das dahinterliegende frühere Bürogebäude, das heute als Wohnhaus genutzt wird. Die Fabrikgebäude wurden kürzlich abgerissen, um einer Reihenhausbebauung Platz zu machen.

Der Vorstand des Heimat- und Verschönerungsvereins ist der Ansicht, dass die Erinnerung an die Familie Katz - wegen ihrer Bedeutung für den Ort, aber auch vor dem Hintergrund ihres Schicksals - dauerhaft bewahrt werden sollte. "Vernon (Werner) Katz würde die Umbenennung lebhaft begrüßen und hat sich ausdrücklich für eine Benennung nach seinem Vater ausgesprochen", schreibt Dr. Wiesekopsieker in seinem Antrag. Zudem verweist er darauf, dass das betroffene Teilstück, das sich in weiten Teilen parallel zur früheren Katz`schen Fabrik erstreckt, auch früher schon einen eigenen Namen hatte. Damals hieß sie schlicht Wiesenstraße.

Der Ortsausschuss Schötmar tagt am Donnerstag, 2. Februar, ab 17 Uhr im Rathaus, Raum Millau.

Hauptausschuss hat das letzte Wort

Der entscheidende Ausschuss für die Benennung von Straßennamen ist in Bad Salzuflen der städtische Hauptausschuss. Gilt es eine neue Straße offiziell zu betiteln, wird allerdings zuerst der jeweilige Ortsausschuss um seine Meinung gefragt. Dessen Mitglieder geben dann eine entsprechende Empfehlung ab. Ein erster Vorschlag, wenn neue Straßennamen zu vergeben sind, kommt in der Regel von der Stadtverwaltung. Auf diese Weise soll versucht werden, eine gewisse Einheitlichkeit zu erzielen - beispielsweise im Neubaugebiet Südfeld, wo viele Straßen nach Blumen oder Getreidesorten benannt worden sind. Mitunter verteilt die Stadt allerdings auch Willkommensgeschenke an größere Investoren. Als der Speditionsriese Dachser sein Logistikzentrum 2003 auf die Grüne Wiese in Lockhausen verlegt hat, wurde die Zufahrt nach dem Firmengründer Thomas Dachser benannt.

Bildunterschrift: Ortsgeschichte: Diese Aufnahme zeigt die Bürstenfabrik "Hermann Katz & Co." um 1938. Im Hintergrund ist die Fabrikantenvilla an der Schülerstraße zu sehen. Das Fabrikgebäude musste erst kürzlich dem Bau von Reihenhäusern weichen.

Bildunterschrift: Firmenchef: Hermann Katz hatte seinen Betrieb 1919 gegründet.

Rund 700 Straßennamen bieten Orientierung

Umbenennung: Im Zuge der Kommunalreform sind zuletzt zahlreiche Schilder geändert worden

Bad Salzuflen (bas). Wie viele Straßennamen in Bad Salzuflen existieren, ist nicht so leicht zu beantworten. Denn nicht jeder Weg trägt seine im Volksmund verliehene Bezeichnung auch offiziell. In der Stadtverwaltung gehen die Experten davon aus, dass in der Badestadt rund 700 verschiedene Namen auf Straßenschildern zu finden sind.

Ein Blick in die Geschichte zeigt dabei, dass ein Name nicht in Stein gemeißelt sein muss. Mitunter war die Halbwertszeit der Schilder sogar recht begrenzt. Das trifft vor allem auf die Herrschaft der Nationalsozialisten zu. So waren auch in Bad Salzuflen nach 1933 einige Straße nach Nazi-Größen umbenannt worden. Bekanntester Fall war die Adolf-Hitler-Straße, die sich von der Osterstraße bis zur heutigen Steege quer durch das Herz der Kurstadt zog - bis zum Kriegsende 1945.

Eine zweite Welle der Umbenennungen gab es nach 1969. Als im Zuge der kommunalen Gebietsreform zwölf eigenständige Ortsteile zu einer Stadt zusammengefasst wurden, galt es unter anderem, einige Doppelungen zu verhindern. In der Regel einigte man sich seinerzeit pragmatisch: Die jeweils längere Straße durfte ihren Namen behalten. Die anderen mussten umbenannt werden - zum Beispiel die Straße vor der Gelben Schule in der Kernstadt, die von der Kirchstraße zur Martin-Luther-Straße wurde. Und auch der Teil der Neuen Straße, über deren Umbenennung jetzt entschieden werden muss, war betroffen. Die frühere Wiesenstraße zog gegenüber ihrem Namensvetter an der Ziegelstraße den Kürzeren.

Otto Künne als Schild des Anstoßes

Umbenennung: 2008 ist ein Antrag knapp gescheitert, der Innenstadt-Promenade einen anderen Namen zu geben

Bad Salzuflen (bas). Der bislang letzte Versuch, einen Straßennamen in Bad Salzuflen zu ändern, liegt neun Jahre zurück. Nachdem alte Dokumente aufgetaucht waren, die den Ex-Chef der Hoffmann`s Stärkefabrik in die Nähe der Nationalsozialisten gerückt hatten, war damals intensiv über die Otto-Künne-Promenade diskutiert worden.

Am Ende fand sich im zuständigen Hauptausschuss der Stadt allerdings keine Mehrheit für eine beantragte Namensänderung. Lediglich SPD und Grüne hatten 2008 für eine Umbenennung gestimmt. CDU, FDP und Freie Wähler waren dagegen. Die Linken hatten gefordert, den schmalen Gang in der Nähe des Salzhofs lieber nach dem ermordeten jüdischen Ehepaar Obermeyer zu benennen. Sie waren bis 1933 hoch angesehene Kaufleute in der Badestadt, ehe ihre Familie von den Nazis nahezu vollständig ausgelöscht worden war.

Auslöser der damaligen Diskussion ist ein Salzufler Lehrer gewesen, der sich mit einem Beschwerdebrief an das Rathaus gewandt hatte. So war Otto Künne (1881 - 1958) von Stadtarchivar Franz Meyer in dessen Buch zur Salzufler Geschichte als "willfähriger Diener des NS-Staates" beschrieben worden, der "flammende Reden" auf Adolf Hitler gehalten habe. Unter anderem hatte Otto Künne den Mitarbeitern der Hoffmann`s Stärkefabrik verboten, in Firmenwagen oder im Dienstanzug bei Juden einzukaufen. Die Gegner einer Umbenennung der Promenade hatten vor allem auf die wirtschaftlichen Verdienste Otto Künnes für die Stadt verwiesen.

Bildunterschrift: Zankapfel: Die Beurteilung von Otto Künnes Lebenswerk hatte 2008 intensive Diskussionen in der Stadt ausgelöst.

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www.hiergeblieben.de, 21.05.2011:

Bad Salzuflen: Der Umzug einer Katze - Von NS-Opfern zu NS-Tätern

Bis vor kurzem befand sich vor dem Eingang des verkauften Stadt- und Bädermuseums, ein ehemaliges jüdisches Kaufhaus der Familie Obermeyer, die riesige Katze der Hoffmann’s Stärkefabrik. Das berichtet heute, am 21. Mai 2011, die Lippische Landes-Zeitung.

"Salzuflens wohl bekanntestes Wahrzeichen" wird demnach im Hoffmann’s Park in "der Nähe des Denkmals für ihr langjähriges Herrchen Eduard ... ein angemessenes Plätzchen finden", so die Lippische Landes-Zeitung.

Gedenken an NS-Opfer verschwindet - NS-Täter weiter als Straßenname

Eine Katze "kehrt nach Hause zurück": Ein Umzug von einer Stätte jüdischer NS-Opfer - hin zu einem konkreten Ort von NS-Tätern, vom ehemaligen jüdischen "Haus Obermeyer" hin zu "Hoffmann`s Stärke". Zwei Stationen der bis heute unbewältigten Salzufler NS-Vergangenheit. Ein Rückblick über die (jüngere) "Erinnerungskultur" in der Salzestadt.

"Musterbetrieb der Deutschen Arbeitsfront"

Der Generaldirektor von Hoffmann`s Stärke, Otto Künne, ein überzeugter Nationalsozialist, konnte den Betrieb nach dem Kriegsende 1945 weiter führen. Er hatte die Stärkefabriken zu einem "Musterbetrieb der Deutschen Arbeitsfront" gemacht und war dafür von der NSDAP mit dem "Gaudiplom für hervorragende Leistungen" ausgezeichnet worden. Das hinderte den Bad Salzufler Stadtrat nicht, später eine Straße nach ihm zu benennen: die "Otto-Künne-Promenade".

"Otto-Künne-Promenade"

Im April 2008 lehnte der Hauptausschuss der Stadt Bad Salzuflen die Umbenennung der "Otto-Künne-Promenade" ab. Otto-Künne war nach Einschätzung des ehemaligen Stadtarchivars Franz Meyer ein "willfähriger und engagierter Diener des NS-Staates". Er hatte seinen Angestellten verboten, bei Jüdinnen und Juden zu kaufen, weil Hoffmans-Stärke sonst in einen "schlechten Ruf" gekommen wären. Seine Reden und Lobpreisungen an der "Führer" sind archiviert und öffentlich zugänglich.

Haus Obermeyer

Am 27. Januar 2011 traf sich der Förderverein des ehemaligen Stadt- und Bädermuseums zu seiner letzten Versammlung und beschloss seine Auflösung. Den Förderverein gab es gut sechs Jahre.

Das Haus wurde vor 41 Jahren von der Stadt Bad Salzuflen erworben, lange vermietet und 1980 zum Museum umgebaut. In Erinnerung an die jüdische Bevölkerung der Stadt trug das Museum den Namenszusatz "im Hause Obermeyer". Es schloss Ende Oktober 2010, weil die Stadt Bad Salzuflen das Gebäude ungeachtet von Protesten verkauft hatte. Es wird zur Zeit zu einem Restaurant umgebaut.

Das Gebäude ist ein 1618 errichtetes Kaufmannshaus mit zwei Speicheretagen. Der dreigeschossige, giebelständige Fachwerkbau mit vierfacher Vorkragung und reichem Rosettenschmuck prägt neben vielen weiteren Gebäuden dieser Art das Salzufler Stadtbild.

Letzter Vorsteher der Jüdischen Synagogengemeinde

Das Haus wechselte in seiner Geschichte mehrfach den Besitzer. Kaufleute, Ratsherren, der Stadtmusikus und Schankwirte wohnten hier, bis es in den Besitz der jüdischen Familie Obermeyer gelangte. Diese führten seit 1900 ein Haushalts- und Eisenwarengeschäft. Geschäftsinhaber Siegfried Obermeyer war zugleich letzter Vorsteher der Jüdischen Synagogengemeinde Bad Salzuflens, die Synagoge (Mauerstraße 6) befand sich direkt hinter dem Haus.

Am 12.11.1938 wurde die Schließung der Haushaltswarenhandlung Obermeyer staatlicherseits verfügt. Erst danach entschlossen sich die Obermeyers, Deutschland zu verlassen. Die 1858 gegründete "Haushalts- und Eisenwarenhandlung S. Obermeyer" wurde zum 31. Dezember 1938 geschlossen. Die Mitglieder der Familie kamen in den Vernichtungslagern in Polen um, nur der jüngste Sohn, John Obermeyer, hat in England überlebt. Er wurde amerikanischer Staatsbürger und lebt heute in Columbia.

Stadt ignorierte Wunsch eines Holocaust-Überlebenden

Im August 2010 hatte sich John Obermeyer "mit großer Bestürzung" an die Stadt Bad Salzuflen gewendet: "Wir möchten heute ausdrücklich unserem Wunsch Ausdruck geben, dass dieses Gebäude auch in Zukunft ein würdiges Gedenken an die jüdische Geschichte dieses Hauses, das im Sommer 1939 von unserer Familie an die Stadt verkauft werden musste, vermitteln wird. Der Betrieb einer Gaststätte schließt sich in diesem Zusammenhang für uns aus."

Der einzig lebende Nachfahre der Familie Obermeyer wandte sich erneut an den Rat, berichtete die Lippische Landes-Zeitung am 6. Oktober 2010: John Obermeyer bat die Lokalpolitik, den Verkauf des Hauses zu stoppen und mindestens die Entscheidung des Gerichtes über mögliche Verfahrensfehler abzuwarten.

Denn ausgerechnet der extrem rechte Ratsherr Friedrich-Wilhelm Biermann, ehemaliges Mitglied der "Republikaner" (REP) und gern gesehener Gast bei der selbsternannten "Bürgerbewegung pro NRW", hatte vor dem Verwaltungsgericht Minden gegen den Verkauf des Gebäudes und weiterer städtischer Immobilien geklagt. Begründung: Es habe weder eine öffentliche Ausschreibung noch ein Verkehrswertgutachten gegeben. Es seien "marktübliche Preise" erzielt, hatte hingegen die Stadt argumentiert.

Leere Versprechungen - Bürgermeister begeht Wortbruch

Bürgermeister Dr. Wolfgang Honsdorf (SPD) hatte John Obermeyer damals zugesichert, dass in dem Haus mit Unterstützung der Stadt eine frei zugängliche kleine Ausstellung aufgebaut und an der Giebelseite eine Gedenktafel angebracht werde, berichtet die Lippische Landes-Zeitung am 6. Oktober 2010 weiter. Davon war nur wenige Wochen später keine Rede mehr.

Shoa erhält "Gedenken" in einer Speisekarte

Schlimmer noch. Die Geschichte der Familie Obermeyer soll den Gästen des neuen Restaurants erzählt werden, berichtete am 3. Januar 2011 die Lippische Landes-Zeitung: "Dafür werden wir in den Speisekarten eine extra Seite reservieren, wo etwas zu der Geschichte des Hauses und der Familie zu lesen ist."

Zynischer kann diese städtische "Vergangenheitsbewältigung" kaum formuliert werden, in Bad Salzuflen allerdings keine Seltenheit, sondern Tradition: Wer bis heute die Umbenennung der "Otto-Künne-Promenade" ablehnt und darüberhinaus seit Jahren einen öffentlichen Anlaufpunkt für militante Neonazis toleriert, sollte von "Erinnerungskultur" nicht mehr sprechen.


sbacke@lz.de

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