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Lippische Landes-Zeitung , 27.02.2016 :

"So hat es schon einmal angefangen"

Interview: Die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld hält den NS-Prozess in Detmold für richtig, auch wenn sich die persönliche Schuld des hochbetagten Angeklagten aus Lage vielleicht nicht beweisen lassen wird / Die Entwicklung in Deutschland bereitet ihr Sorgen

Kreis Lippe. Sie hat Klaus Barbie, dem Schlächter von Lyon, ins Gesicht gesehen und ihn vor Gericht gebracht. Zum NS-Prozess nach Detmold konnte die berühmte Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld zwar nicht kommen. Doch sie hat gemeinsam mit ihrem Mann Serge den Aktivisten "Gegen das Vergessen" ein Grußwort gesandt und ihnen viel "Kraft und Ausdauer" gewünscht. Der LZ gab die Wahl-Pariserin ein Telefoninterview.

Frau Klarsfeld, als Sie Ihren Kampf für Gerechtigkeit vor knapp 50 Jahren begonnen haben, da ging es um Haupttäter wie Klaus Barbie, nicht um die Mitläufer. Das ist beim aktuellen Prozess in Detmold anders.

Beate Klarsfeld: Damals war die deutsche Justiz noch nicht bereit, sich überhaupt mit den Verbrechen auseinanderzusetzen. Nach so viel Zeit hat sich die Gesellschaft geändert. Nun stellt man heute diese alten Leute vor Gericht.

Und was halten Sie davon?

Beate Klarsfeld: Es ist sehr schwierig, noch Beweise zu finden. Die Angeklagten wie Reinhold Hanning waren Handlanger, und sie waren damals sehr jung. Wir waren 2014 Nebenkläger gegen Werner Christukat. Der Oberstaatsanwalt war damals davon überzeugt, dass dieser ehemalige SS-Mann am Massaker von Oradour-sur-Glane beteiligt war, als über 600 Zivilisten ermordet wurden. Aber dieses Verfahren wurde aus "Mangel an Beweisen" nicht eröffnet. Denn selbst wenn er als 18-Jähriger mit dem Gewehr daneben gestanden hat, kann man ihm die aktive Beteiligung nicht nachweisen.

Aber was bringen solche Prozesse dann denn überhaupt ?

Beate Klarsfeld: Es ist eine Gelegenheit, über den Holocaust zu sprechen, es bringt Aufmerksamkeit und die Zeitzeugen finden noch einmal Gehör. Für die Opfer und ihre Angehörigen ist es eine Genugtuung, und darum ist es wichtig, diese Prozesse zu führen.

Das heißt, wir haben es hier eigentlich eher mit einem symbolischen Akt als mit Gerechtigkeit im juristischen Sinne zu tun?

Beate Klarsfeld: Ja, so sehe ich das. Es bringt nicht mehr so viel. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat nicht entschieden, ob das Urteil gegen den KZ-Wachmann John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord rechtmäßig war - er starb vorher.

Beim Prozess in Detmold ist auch eine bekannte Holocaust-Leugnerin, Ursula Haverbeck, aufgetaucht.

Beate Klarsfeld: Ja, das habe ich gehört. Ich kenne diese Frau nicht, aber dass Menschen den Holocaust geleugnet haben, fing schon in den Siebzigern an. Wir haben sogar in den USA einen Prozess gegen einen Holocaust-Leugner angestrebt, der Leiter eines Gefängnisses war. Der wurde zwar nicht verurteilt, aber er verlor seinen Job. Und wir haben erreicht, das Jean-Marie Le Pen in Frankreich zweimal zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Kritiker sagen ja, man sollte diese Leute einfach ignorieren. Sehen Sie das auch so?

Beate Klarsfeld: Man sollte ihnen kein Forum geben. Als die ersten Leugner auftauchten, haben die Überlebenden gesagt: Das dürfen wir nicht zulassen, und sie haben angefangen, ihre Geschichte zu erzählen.

Bekommen Sie in Paris mit, dass in Deutschland Flüchtlingsheime brennen und pöbelnde Rechte Asylbewerber bedrängen?

Beate Klarsfeld: Natürlich. Wir haben mit unserer Organisation der Töchter und Söhne der deportierten Juden aus Frankreich schon 1992 in Rostock demonstriert, als dort ein Heim brannte.

Was glauben Sie, was müsste jetzt in Deutschland passieren?

Beate Klarsfeld: Frau Merkel ist eine großzügige Frau. Ganz sicher ist es schwer, die Probleme jetzt zu lösen. Doch schon längst hätte die Regierung viel deutlicher Stellung beziehen und diese Vorgänge viel schärfer verurteilen müssen. Da fehlen mir einfach die klaren Worte der Politiker.

Halten Sie die Entwicklung für bedenklich?

Beate Klarsfeld: Allerdings. Die Leute im Land sind unzufrieden, aber die Menschen warten einfach ab, was geschieht. Es müsste eine viel schnellere Bestrafung geben. Und es müsste Strafprozesse geben, die zeigen: Das wird nicht geduldet. Vergessen wir nicht: So hat es schon mal angefangen. Und dann war Hitler plötzlich Kanzler.

Das Interview führte Marianne Schwarzer.

Persönlich

Die Journalistin Beate Klarsfeld wurde 1939 in Berlin geboren. Sie ist mit dem Franzosen Serge Klarsfeld verheiratet, dessen Vater in Auschwitz starb. Das Ehepaar hat mit detaillierten Dokumentationen auf zahlreiche damals unbehelligt lebende NS-Täter hingewiesen und sie erfolgreich vor Gericht gebracht: Gestapo-Chef Klaus Barbie, unter anderem verantwortlich für die Deportation von 44 jüdischen Waisenkindern nach Auschwitz, starb in französischer Haft.

Bekannt wurde Beate Klarsfeld aber bereits 1968, als sie den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich ohrfeigte, um endlich auf seine NS-Vergangenheit aufmerksam zu machen. Im März 2012 kandidierte Klarsfeld für Die Linke gegen Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten. Sie unterlag mit 126 zu 991 Stimmen. Späte Anerkennung wurde ihr und ihrem Mann Serge zuteil, als die beiden 2015 von Gauck das Bundesverdienstkreuz erhielten. Die Klarsfelds engagieren sich auch heute noch, vor allem in der Organisation der Töchter und Söhne der Deportierten in Frankreich.

Bildunterschrift: Unermüdlich: Beate Klarsfeld gibt den Kampf gegen das Vergessen nicht auf.

27./28.02.2016
MSchwarzer@lz.de

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